Haltung verbessern: Kennst du das? Du sitzt konzentriert im Homeoffice oder am Arbeitsplatz und verspürst beim Aufstehen typische Anlaufschmerzen? Z.B. im Rücken, im Nacken, den Beinen oder im Gesäß? Dann hilft dir unser Artikel vom Mobility-Experten Patrick Meinart bestimmt weiter!
Übungen für eine gute Körperhaltung
Jede Form der Beweglichkeit bedingt automatisch eine Haltung, die wir einnehmen oder immer wieder verändern. Haltung ist dabei keine starre Position des Körpers, sondern ein dynamisches Muster auf Basis reflexiver Mechanismen, Verhalten und adaptierte Reaktion auf Einflüsse, die von außen auf den Körper einwirken. Zu diesen Einflüssen gehören u.a. die Erdanziehung, Einflüsse durch bestimme Körperpositionen, die wir im Alltag einnehmen und sportspezifische Bewegungsmuster, bzw. sportliche Herausforderungen.
Haltung ist ein dynamisches System
Haltung ist mehr als die Summe seiner Teile. Es ist eher ein interaktives Konstrukt, bestehend aus vielen willkürlichen und reaktiven Elementen, die zusammen ununterbrochen mit der Umwelt interagieren und somit für unseren Körper immer wieder eine neue Herausforderung darstellen. Dabei strahlt unsere Haltung auch einen emotionalen Zustand wieder, was aufzeigt, dass Haltung von psychosozialen Faktoren abhängig ist und zudem einen starken Einfluss auf unser Hormonsystem besitzt.
Haltung spiegelt daher interne Prozesse wieder, die sich im Laufe von Jahren etabliert haben und über das muskuloskeletale System hinausgehen. Stellen Sie sich einfach vor, wie ein stressiger Tag am PC dazu führt, dass sie ihre Schultern verkrampfen und mit Nackenschmerzen von der Arbeit gehen. An Hand der Haltung lässt sich häufig der emotionale Zustand der jeweiligen Person gut erkennen.
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Verspannungen und Muskelverkürzungen als Ursache für Haltungsschäden?
Dennoch liegt der Fokus meistens genau auf nur einem Teil des großen Ganzen: den Muskeln und ihren Bezug zu unserer Haltung. Dabei fallen häufig Begriffe wie „Verspannungen“ oder „Muskelverkürzungen“, was unter dem Begriff der Dysbalance zusammengetragen werden kann. Dennoch gibt es keine echte wissenschaftliche Grundlage, was eine muskuläre Dysbalance ist. Die gefühlte Verspannung oder aber auch der objektiv messbare Muskeltonus haben selten etwas mit Kraft oder Leistung zu tun.
Es ist nicht die muskuläre Dysbalance, die zu Problemen wie Schmerzen oder Bewegungsdysfunktionen führen kann, sondern das Problem des Gehirns, welches sich in Form der möglichen Dysfunktion zeigt. Es lässt sich schlussfolgern, dass die mögliche Verspannung oder muskuläre Dysfunktion eine Verhaltensreaktion des Gehirns ist. Das Gehirn reagiert somit auf Einflüsse, die vom inneren (Interozeption) und vom äußeren kommen (Exterozeption).
Darüber hinaus wirkt natürlich auch die Wahrnehmung unserer Position im Raum ebenfalls auf das Gehirn (Propriozeption). Daher ist der Zustand des Muskels meistens ein Effekt des ZNS – spezifische Erkrankungen des muskulären Systems außer Acht gelassen. Wenn es um die Haltung geht, sollte nicht nur der Bewegungsapparat betrachtet werden, sondern auch psychobiosoziale Komponenten, die unsere Haltung stark beeinflussen können.
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Gibt es eine schlechte Haltung?
Eine schlechte Haltung liegt dann vor, wenn eine spezifische Position (akut oder chronisch) zu physischen Stress führt. Eine schlechte Haltungskompetenz liegt vor, wenn eine Haltungsanpassung an Umweltbedingungen zu Stress führt. Dabei ist der physische Stress häufig begleitet von endokrinen und psychischen Veränderungen (psychischer Stress, erhöhter Adrenalin oder Produktion des Stresshormons Cortisol). Der Mangel einer Haltungskompetenz führt langfristig zu einer Haltungseinschränkung, was bedeutet, dass wir zunehmend die Fähigkeit der Anpassung verlieren.
Einseitige Bewegungsmuster können unser Haltungssystem dahingehend stören, dass wir die Fähigkeit der Anpassung verlieren und neue Bewegungen als eine Bedrohung wahrgenommen werden können. Haltungskompetenz lässt sich am besten durch regelmäßig neuartige und herausfordernde Bewegungen kreieren. Vor allem neue Bewegungsmuster, die ein Erlernen erfordern, schaffen Vielfalt und Bewegungskompetenz.
Was ist eine „gute Haltung“?
Einfache Bewegungsmuster bewirken kaum eine Anpassung, da sie die aktuelle Bewegungskompetenz widerspiegeln und weniger die Herausforderung einer neuen Bewegung. Daher gilt das „Bewegungslernen“ als wichtiger Faktor im Rahmen unserer Bewegungskompetenz. Eine gute Haltung zeichnet sich also dadurch aus, neue Bewegungsabläufe erlernen und umsetzen zu können.
Unsere Haltung ist in ihrem aktuellen Zustand nicht nur ein Spiegel unserer Bewegungskompetenz, sondern auch ein Spiegel der Effizienzgedanken unseres Gehirns. Unser Gehirn bemüht sich bei seiner Arbeit und Funktion um maximale Effizienz, zu dem auch Kompensationsmechanismen gezählt werden können. Dabei haben Kompensationsmuster immer einen Nutzen. Das Gehirn schafft Bewegungsmuster, um das jeweilige Bewegungsziel erreichen zu können.
Dabei ist die Effizienz immer abhängig von dem jeweiligen Vermögen der Person. Effizienz ist niemals absolut, sondern immer relativ zu den Fähigkeiten (Bewegung und Haltungskontrolle) der jeweiligen Person. Unser Gehirn bemüht sich immer darum eine Lösung für ein Bewegungsziel zu kreieren. Eine Kompensation liegt vor, wenn bestimmte Muskeln ihre Arbeit nicht erledigen können und dafür andere Muskeln die mangelnde Funktion übernehmen müssen.
Kann schlechte Haltung Schmerzen verursachen?
Wenn es um Kompensationen geht, denken wir häufig an eine körpereigene Symmetrie. Kompensationen werden oftmals als etwas Negatives empfunden, da sie eher zu einer asymmetrischen Funktion unseres Körpers führen. Doch ist der menschliche Körper selten symmetrisch. In der Tat ist eine Symmetrie im menschlichen Körper eine Ausnahme, nicht die Regel. Auf Grund unserer Kompensationsfähigkeit ist der Körper dazu in der Lage Asymmetrien auszugleichen. Untersuchungen zeigen auf, dass eine Beinlängendifferenz nicht zwingend zu Schmerzen führen muss[1].
Es gibt keine eindeutige Verbindung zwischen der Haltung und Schmerz[2]. Eine schlechte Haltung muss nicht zwingend zu Schmerzen führen und eine gute Haltung nicht zwingend zu Schmerzfreiheit. Haltung und Schmerz ist komplex, und nicht immer ist der Versuch eine Haltungskorrektur zur Schmerzreduktion zielführend. Dies bedeutet nicht, dass eine schlechte Haltung nicht einen Schmerz verursachen kann. Dies bedeutet nur, dass eine schlechte Haltung nicht automatisch mit Schmerzen korreliert.
Haltungsstress und Übungen
Bestimmte Position können im Laufe der Zeit zu einem physischen Stress und somit zu Schmerzen führen. Das Einnehmen einer unerfreulichen Haltung (langes Sitzen) kann zu einem Gefühl der Verspannung, zu Krämpfen oder zu Schmerzen führen.
Langes Sitzen führt häufig zu Nacken- und Rückenbeschwerden
Meistens erfolgen diese Situationen in einer ungewollten Position, wie z.B. die Kopfposition beim Versuch im Flugzeug zu schlafen oder das ständige Treten des Gaspedals während einer langen Autofahrt. Dazu gehören auch visuelle Probleme, die den Kopf in eine bestimmte Position zwingen, was zu einer einseitigen Überlastung führt, was in Schmerzen und Unwohlsein resultieren kann.
Das ständige Heben auf dem Bau in teilweise nicht ergonomischen Positionen auf Grund der situativen Anforderung. Adaptiert sich die Haltung auf Grund der Umgebung oder auf Grund von Kompensationsmechanismen ist nicht mehr die Umgebung Ursache für die schlechte Haltung, sondern der Körper an sich. In diesem Fall spielt die Umgebung keine Rolle mehr, da der Körper sich quasi den Stress selber auferlegt hat.
Wenn langes Sitzen zu keiner Verkürzung der Hüftbeuger führt, wie kann dann im Umkehrschluss durch langes Dehnen eine bessere strukturelle Beweglichkeit erzeugt werden? Wie schaffen es Balletttänzer und Turner so beweglich zu werden? Dies scheint auf den ersten Blick paradox. Wenn man sich mehr mit dem Training beschäftigt, wird es jedoch deutlich: der Hauptunterschied liegt in dem Unterschied zwischen der Belastung im Alltag und der Belastung, die im zielgerichteten Training entsteht.
Dehnen und Mobility-Training bei schlechter Haltung
Die Belastung im Alltag ist in der Regel zu gering, um eine Anpassung hervorzurufen. Erst durch eine häufige Überladung (Frequenz und Intensität) passt sich das Gewebe langfristig an. Daher verkürzt der Hüftbeuger nicht durch häufiges Sitzen. Dennoch sind wir in der Lage durch häufiges und vor allem intensives Dehnen unsere Struktur zu ändern.
Daraus kann sich langfristig eine veränderte Haltung ergeben. Doch eine strukturelle Änderung ist ohne Alltagstauglichkeit, wenn sie nicht durch eine motorische Anpassung begleitet wird. Daher ist es essentiell eine strukturelle Anpassung (zum Beispiel durch Dehnen erzeugt) mit einer koordinativen Anpassung (Mobility-Training) zu verknüpfen.
Mit welchen Übungen kann ich meine Haltung verbessern?
Ausrichtung im neutralen Stand – das ideale Alignment
Achte immer wieder darauf, Länge in deiner Wirbelsäule zu erzeugen, auch im Alltag, was zu einer verbesserten Propriozeption und Bewegungssteuerung führt.
- Nimm als Erstes eine kraftlose Haltung ein, lass dich einmal bewusst hängen, sodass deine Schultern nach vorn fallen, der Rücken sich rundet und dein Becken sich etwas nach vorne schiebt. Auch der Kopf sinkt automatisch nach vorn.
- Richte dich nun ganz bewusst auf. Verteile dein Gewicht auf Vorderfuß und Ferse, lass deine Knie durchlässig. Das Steißbein sinkt nach unten. Hüfte und Schulterbereich richten sich über den Fersen auf. Rolle deine Schultern leicht nach außen und hinten und schiebe dabei deinen Scheitel Richtung Decke, sodass sich deine Wirbelsäule in der ganzen Länge aufrichtet.
Variante: Körperaufrichtung mit Ball
Ein kleiner Ball, der von einem Partner auf deinem Kopf abgelegt wird, kann dir einen externen Reiz liefern, der es leichter macht, die Länge in der Wirbelsäule zu spüren.
- Begib dich, wie soeben beschrieben, in die »schlechte« Körperhaltung, in der du dich hängen lässt. Ein Trainingspartner oder Coach platziert einen Ball auf deinem Kopf, der deinem Körper signalisiert, wo oben ist.
- Richte dich wie beschrieben auf, indem du versuchst, den Ball mit deinem Scheitel Richtung Decke zu schieben.
Körperaufrichtung mit dem Powerband
Ein Powerband bietet dir einen zusätzlichen Widerstand. Auf das erwähnte Alignment bezogen, wird eine Übung mit einem Hilfsmittel als Loaded Alignment bezeichnet. Es ist das Training der optimalen Ausrichtung der Wirbelsäule unter Verwendung eines externen Widerstands. Manche Personen benötigen einen stärkeren Reiz, um eine Veränderung zu erzielen. Dies ist auch beim Alignment der Fall. Das zusätzliche Band stellt in diesem Kontext einen stärkeren Reiz dar.
- Lege dir das Powerband unter einen Fuß und über die gegenüberliegende Schulter und stelle dich aufrecht hin.
- Beuge dann die Knie und schiebe das Gesäß leicht nach hinten.
- Lasse dein Steißbein nach unten Richtung Fersen sinken, sodass sich das Becken aufrichtet und sich das Gesäß sowie das Schambein leicht nach vorn schieben. Spüre, wie die Wirbelsäule dadurch länger wird. Strecke deine Beine und hebe dein Brustbein ein wenig an. Behalte die Länge in der Wirbelsäule bei. Rolle zusätzlich die Schultern nach hinten.
- Kehre dann zurück in deine Grundposition und stelle dir beim erneuten Aufrichten vor, dass du das Band mit deinem Körper in die Länge nach oben ausdehnst.
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Zurück zur Beweglichkeit: Mobility-Training für Einsteiger
Während sich als Kind jeder von uns viel bewegt hat, geht dieser natürliche Drang mit den Jahren immer mehr verloren. Die Bewegungsarmut wirkt sich negativ auf den Körper aus und kann zu chronischen Schmerzen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer führen.
Basierend auf einem neurozentrierten Ansatz zeigt Mobility-Experte Patrick Meinart, wie Bewegung neu erlernt werden kann und welche Rolle das Gehirn dabei spielt.
Mit einfachen Mobilisationsübungen und neurozentriertem Training kann nicht nur die Bewegungsqualität verbessert, sondern durch die Aktivierung bestimmter Gehirnareale auch Krankheiten vorgebeugt werden.
Quellenangaben
[1] Grundy, P.F., Roberts, C.J. Does unequal length cause back pain? A case-control study (1984). Lancet, 1984 4;2(8397):256-8
[2] Cramer, H. Wolf, Em.M., Lauche, R. (2018). Postural awareness and its relation to pain: validation of an innovative instrument measuring awareness of body posture in patients with chronic pain. BMC Musculuoskelet Disord. 19:109