Die aufkeimende Erschöpfung kennt jeder, der regelmäßig intensiv oder ausdauernd trainiert. In der englischen Fachliteratur wird dieses Phänomen als Exercise-induced Fatigue bezeichnet. Die chronifizierte Form ist im Sport auch als „Übertraining“ oder „Underperformance Syndrom“ bekannt.
Sollte man bei Erschöpfung trainieren?
Lange wurde die Muskulatur und das dort produzierte „böse“ Laktat als Ursache für den Leistungseinbruch angesehen. Heute weiß man, dass neben der Muskulatur der Gehirnstoffwechsel eine zentrale Rolle in diesem komplexen, zum Teil noch unerforschten Prozess spielt. Von daher ist es im Sinne der Leistungsoptimierung nicht mehr zeitgemäß, beide Komponenten der trainingsinduzierten Erschöpfung getrennt voneinander zu betrachten.
Wie in jeder Fitnesstrainerausbildung thematisiert, provozieren laktazide Trainingsbelastungen eine wechselseitige Energiebereitstellung zwischen Gehirn und Muskulatur. Dabei verwerten die Nervenzellen im zentralen Nervensystem das im Muskel produzierte Laktat, anstatt (wie in Ruhe) auf die im Blut zirkulierende Glukose zurückzugreifen. Auf diese Weise steht die mobilisierte Glukose bei intensiven Belastungen primär der arbeitenden Muskulatur zur Verfügung, während sich das Gehirn überbrückend mit Laktat und/oder Ketonen versorgt. Diese Energieverteilung verdeutlicht, dass die sportliche Leistungsfähigkeit maßgeblich durch das Gehirn gesteuert wird. Ermüdung wirkt in diesem Zusammenhang wie eine Art Schutzmechanismus, um den Organismus vor lebensbedrohlichen Überlastungen zu bewahren.
Was passiert bei sportlicher Überlastung und Erschöpfung?
Das Gefühl von Tagesmüdigkeit empfinden nicht nur Sportler, sondern auch Menschen, die an akuten und chronischen Erkrankungen leiden. Die molekularen Mechanismen sind vergleichbar. Abhängig von der Intensität steigt während körperlicher Belastung die Konzentration sogenannter freier Radikale in Geweben mit hoher Stoffwechselaktivität exponentiell an. Freie Radikale sind hochaggressive Moleküle, die u.a. Zellmembranen schädigen können. Dadurch werden Mikroentzündungen in der Muskulatur provoziert. Hohe Konzentrationen freier Radikale stehen in direktem Zusammenhang mit einer verzögerten Erholung nach Belastungsende und einer verminderten Leistungsfähigkeit in der nachfolgenden Trainingseinheit.
Da auch andere Entzündungsmarker stark ansteigen können (z.B. Interleukin-6 (IL-6)), spricht man auch von einem sportinduzierten Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS). IL-6 ist ein Entzündungsbotenstoff, dessen Konzentration auch bei einer Infektion massiv in die Höhe schnellt. Schon eine geringe Dosis verstärkt das Erschöpfungsgefühl in Ruhe und beeinträchtigt die körperliche Leistungsfähigkeit. Dies führt letztendlich zu einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten und zu Demotivation – Faktoren, die auch eine Depression charakterisieren.
Wie äußert sich körperliche Erschöpfung?
Trainingsbelastungen erhöhen die Nervenzellaktivität im Gehirn. Der gesteigerte Energiebedarf der Neuronen wird je nach Intensität von sogennannten Astrozyten gedeckt. Diese wandeln Glukose in Laktat um, damit es Neuronen aufnehmen können. Dieser Energietransfer durch den Laktat-Shuttle sorgt für die Aufrechterhaltung des Gehirnstoffwechsels bei intensiver körperlicher Belastung. Die Abnahme der Nervenzellaktivität geht dem Leistungsabfall voraus oder genauer gesagt: Der abnehmende neuronale Stoffwechsel beeinträchtigt sowohl kognitive und motivationale Prozesse im Frontalhirn als auch die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur infolge der verringerten neuromuskulären Ansteuerung.
Adenosintriphosphat (ATP) ist bekanntlich das universelle Energiesubstrat in allen Zellen des menschlichen Körpers. Das Abbauprodukt von ATP ist Adenosin. Dieses Molekül fördert die Müdigkeit. Im Schlaf werden diverse energieintensive Prozesse heruntergefahren. Das Gefühl der Ermüdung ist deshalb die perfekte Strategie, den Energieumsatz im Gehirn zu senken und die Erholung des gesamten Organismus einzuleiten. Adenosin beeinträchtigt den Dopaminstoffwechsel im Gehirn, da es den Adenosin/Dopamin-Rezeptor für Dopamin blockiert. In Tierstudien konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass dieser Mechanismus Bewegungsmotivation und sportliche Leistungsfähigkeit gleichzeitig vermindert.
Warum bin ich nach dem Sport so erschöpft?
Sinkt das zerebrale Energielevel, werden nicht nur Muskelkraft und Muskelausdauer, sondern auch Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt, wodurch sich – je nach Trainingszustand früher oder später – eine Erschöpfung einstellt. Die ultimative Folge einer körperlichen Überlastung ist Ohnmacht. Hierbei werden die nicht überlebenswichtigen Funktionen des Körpers abgeschaltet. Damit das nicht passiert, ist das Erschöpfungsgefühl nach dem Motto vorgeschaltet: lieber einen Burn-out als ein lebensbedrohlicher Absturz der Vitalfunktionen.
(Mit-)verantwortlich für das sportinduzierte Müdigkeitsgefühl während langer Ausdauerbelastungen ist auch die gesteigerte Durchlässigkeit der Darmwand, wodurch Wasser und Nährstoffe rückresorbiert werden. Ist die Mikrozirkulation zum Darm durch hohe Trainingsumfänge gestört und gleichzeitig der Darm mit pathogenen Bakterien fehlbesiedelt, können entzündungsfördernde Fragmente abgestorbener Darmbakterien (Lipopolysaccharide (LPS)) in den Blutkreislauf übertreten und im Organismus Entzündungen auslösen. LPS können auch Immunzellen des zentralen Nervensystems (Mikroglia) aktivieren, die daraufhin ihren Stoffwechsel hochfahren. Dadurch steht diese Energie dem Bewegungsapparat nicht mehr zur Verfügung, was die Leistung herabsetzt. Mikroglia schütten zudem den Entzündungsmarker Interleukin 1-beta (IL-1b) aus. Dieser Botenstoff ist mit Krankheitssymptomen wie Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit assoziiert, die jeder Sportler kennt, der schon einmal ein Übertrainingssyndrom erlebt hat.
Was tun bei Erschöpfung im Sport?
Zu den Möglichkeiten, eine psychophysische Erschöpfung einzudämmen bzw. den gesamten Organismus zu regenerieren, zählen Nahrungsmittel, sinnvolle Nahrungsergänzungen sowie Frequenz und Timing der Nahrungsaufnahme. Im leistungsorientierten Sport sollte ein Coaching daher nicht nur auf die Regeneration des Muskel-Skelett-Apparates abzielen, sondern auch auf die Regeneration der mentalen Performance.
Berücksichtigt werden sollten folgende Komponenten:
1. Darmflora
Die Wiederherstellung einer gesunden Darmflora durch die Gabe probiotischer Bakterien und präbiotischer Lebensmittel (fermentierte Produkte) optimiert nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Infektanfälligkeit, die Absorptionskapazität, den Entzündungsstatus und die antioxidative Kapazität. Eine dysbiotische Darmflora beherbergt hohe Mengen an LPS, wodurch Entzündungsreaktionen ausgelöst werden können. Die Gabe der semiessenziellen Aminosäure Glutamin hemmt die Darmdurchlässigkeit und senkt die LPS-Konzentration.
2. Muskulatur
Die Glutaminsynthesekapazität in der Muskulatur ist höher als die jeder anderen Aminosäure, sodass eine Zufuhr nach Trainingseinheiten und Wettkämpfen für eine adäquate muskuläre Remodellierung sorgt. Da sowohl Darmzellen als auch aktivierte Immunzellen Glutamin für sich beanspruchen, kann zellulärer Stress an der Darmwand dafür sorgen, dass der Muskulatur nicht genügend Glutamin zur Verfügung steht. Dies beeinträchtigt die Anpassung an einen Trainingsreiz und die Regeneration nach intensiven Belastungen.
3. Antioxidative Kapazität
Akute Belastungen führen zu einer Reduktion zirkulierender Immunzellen (Leukozyten) durch u.a. hohe Mengen an freien Radikalen. Eine bessere antioxidative Kapazität der Leukozyten durch z.B. die Einnahme der Vitamine A/E/C, Cystein, Omega-3-Fettsäuren, alpha-Liponsäure und Glutathion zögern den programmierten Zelltod (Apoptose) hinaus. Dadurch werden Entzündungen während und nach intensiven Belastungen reduziert, was wiederum das Erschöpfungsgefühl hinauszögert. Um die Regeneration nicht zu behindern, kommt es auf das richtige Timing der Aufnahme an. Laut neuester Literatur stört die Zufuhr von Antioxidanzien während der Belastung Signalwege in Muskelzellen, die für die Anpassung an den Bewegungsreiz wichtig sind. Zudem kann die tägliche Aufnahme von Antioxidanzien die mitochondriale Kapazität in der Muskulatur beeinträchtigen.
4. Gliazellen
Die als Fischöl bekannte Fettsäure EPA reduziert die von Gliazellen induzierten Entzündungsprozesse. Hierdurch verringert sich eine chronische Erschöpfung. Auch hier konnte ein positiver Einfluss einer intakten Darmflora nachgewiesen werden. Eine geringe Diversität schränkt die Funktionsfähigkeit der Gliazellen ein, während eine hohe Bakterienvielfalt im Darm diesen Defekt wieder aufhebt. Die Aufnahme unverdaulicher Ballaststoffe wie Inulin, Fructooligosaccharide und Lactulose sorgt für die Synthese kurzkettiger Fettsäuren im Dickdarm, die entzündungsregulierend wirken.
5. Schlafhygiene
Adenosin als schlaffördernde Substanz und Endprodukt des neuronalen Energiestoffwechsels akkumuliert über den Tag in stoffwechselaktiven Gehirnarealen. Intensive körperliche Belastungen stimulieren Müdigkeit durch Erhöhung der Adenosin-Level. Eine schlechte Schlafqualität vermindert zusätzlich die ATP-Regeneration im Gehirn und beeinträchtigt damit die mentale Leistungsfähigkeit. Ferner fördert eine verringerte Schlafqualität und -quantität Entzündungen, denn das Stresshormon Cortisol unterdrückt die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Dies trifft insbesondere nach einer Mahlzeit auf, die reich an einfachen Kohlenhydraten, Omega-6- und Transfettsäuren ist.
Fazit
„Exercise starts and ends in the brain“ – so lautete der Titel eines schon 2003 veröffentlichten Übersichtsartikels. In diesem Sinne sollte daher in Zukunft auch die Optimierung des Gehirnstoffwechsels stärker Berücksichtigung finden, um die Leistungsfähigkeit unmittelbar (Wettkampf oder Training) oder indirekt (geringe Infektanfälligkeit, verbesserte Regeneration) positiv zu beeinflussen.
Literatur
- S. Proschinger, J. Freese: Neuroimmunological and neuroenergetic aspects in exercise-induced fatigue. Exerc Immunol Rev. 2019;25:8–19.
- S. Proschinger, J. Freese: Sportinduzierte Erschöpfung – Immunoenergetische Prozesse und ernährungmedizinische Ansätze für Prävention und Therapie. In: OM & Ernährung, Sonderheft Sportmedizin (SH 11), 2018.
Autoren:
Dr. Jens Freese | Der Autor ist Chefausbilder der Deutschen Trainer Akademie sowie Leiter Dr. Freese Institute for Sports & Nutritional Immunology.
Sebastian Proschinger | Der Sportwissenschaftler ist Doktorand am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin (Abteilung Molekulare und Zelluläre Sportmedizin) der Deutschen Sporthochschule Köln.
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