Das chronische Erschöpfungssyndrom: Betroffene leiden oft über Wochen, Monate oder sogar Jahre unter Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Erschöpfung und sind massiv in Sport und Alltag eingeschränkt. Dr. Moritz Tellmann erklärt, wie sich dieses Krankheitsbild konkret äußert und was du bei der Arbeit mit von dieser Krankheit betroffenen Kunden beachten solltest.
Was ist das chronische Erschöpfungssyndrom?
Das chronische Erschöpfungssyndrom (kurz: CFS für „Chronic Fatigue Syndrom“) äußert sich durch die eingangs beschriebenen Symptome. Seit Beginn der Corona-Pandemie wird es oft im gleichen Atemzug mit „Long Covid“ genannt. Bei der Erkrankung handelt es sich um ein sehr komplexes Krankheitsbild, das bei den Betroffenen einen sehr hohen Leidensdruck verursacht.
Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil viele Mediziner und Therapeuten es nicht in seinem ganzen Umfang kennen und überdies sind auch die diagnostischen Merkmale nicht einfach zu erfassen. In der Folge durchlaufen viele Patienten eine lange Odyssee, bis die richtige Diagnose feststeht.
Welche Symptome zeigen Betroffene des Fatigue Syndroms?
Vor allem Frauen im mittleren Lebensalter (35–50 Jahre) sind von CFS betroffen. Trotzdem wird gerade hier oft allzu leicht die Diagnose Burn-out, Depression oder reine Fibromyalgie (Weichteilrheuma) gestellt.
Die Auslöser für dieses stark einschränkende Erkrankungsbild finden sich multifaktoriell in verschiedenen vorgeschalteten Gesundheitsstörungen. Beispielsweise einem banalen viralen Infekt, einem Trauma und einer alltäglichen Belastungssituation.
Brandaktuell ist sicherlich auch der Zusammenhang mit einer überstandenen Covid-19-Erkrankung, denn danach tritt häufig das sogenannte „Long Covid“ auf. Aufgrund der sehr unspezifischen Symptome wie Müdigkeit, Erschöpfung nach einer Aktivität, Schlafstörungen und auch chronischer diffuser Schmerzen benötigt die Diagnose eine ausführliche Anamnese und eine breite, gut aufgestellte differenzialdiagnostische Abklärung, welche dadurch erschwert wird, dass es viele Krankheiten gibt, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen, wie z. B. Depressionen.
Die Abgrenzung ist hier aber relativ gut möglich, da die für eine Depression typischen Symptome wie Antriebsmangel, Interessenverlust, mangelndes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle und eine pessimistische Zukunftssicht beim CFS nicht vorliegen. Trotzdem kann ein CFS auch als Auslöser einer sekundären Depression fungieren, was eine engmaschige Reevaluation erfordert.
Was löst das chronische Erschöpfungssyndrom aus?
Pathophysiologisch ist die Grundlage des CFS nicht komplett erforscht. Allerdings konnten aufgrund vieler Untersuchungen jedoch die folgenden krankmachenden Ursachen festgestellt werden:
- Ein Geschwächtes Immunsystem (erhöhte Infektanfälligkeit oder Allergieneigung),
- Schlafstörungen
- Störungen im Energiestoffwechsel (mit möglicher inadäquater Energiebereitstellung und insuffizienter ATP-Resynthese bei/nach körperlicher Belastung)
- neuroendokrine Dysregulation (Fehlregulation der Hirn-Drüsen Hormonregulation), z. B Störung der Hypothalamus-Hypophysen-NNR-Achse und suboptimaler Stress-Reaktion wie leichtem Hypokortisolismus)
- vegetative (autonome) Dysfunktion wie z. B.Störungen der Herz-Kreislauf Regulation mit Schwankungen von Herzfrequenz und Blutdruck, Störung der Volumen(-Wasserhaushalt) -Regulation oder des Schlaf-Wach-Rhythmus.
Typisch ist die sog. orthostatische Intoleranz, welche sich durch häufigem Schwarzwerden vor den Augen beim Übergang vom Liegen in die stehende Position bemerkbar macht. Denn aufgrund der multifaktoriellen Genese ist selbst für erfahrene Behandler, Diagnostiker und Therapeuten eine eindeutige Diagnosestellung keine leichte Aufgabe.
Wie diagnostiziert man das chronische Erschöpfungssyndrom?
Es ist wichtig, von Beginn an die Beschwerden von Betroffenen ernst zu nehmen und den manchmal langen, aufwendigen Weg der Diagnostik zu gehen. Allerdings führt dieser Weg infolge der zusätzlichen Anstrengungen durch die vielen Untersuchungen, stationären Aufenthalte, Blutabnahmen sowie klinischen Tests leider auch oft zu einer Verstärkung der Symptome. Folgende klinische Zeichen erweisen sich als typische Marker für eine Diagnosesicherung:
- Dauer der Symptome: länger als 6 Monate,
- Kombination aus typischer post-exertional malaise (starke Erschöpfung nach Belastung), Schlafstörungen und chronisch-diffusem Schmerz,
- vegetative Dysregulation mit typischer Hypotonie im Stehversuch und/oder einer typischen posturalen orthostatischen Tachykardie ohne Blutdruckabfall, aber deutlicher Erhöhung der Herzfrequenz (>30/Min.) bis 10 Min. nach dem Aufstehen.
Kann das Chronic Fatigue Syndrom im Labor nachgewiesen werden?
Laborchemisch gibt es leider keinen speziellen Parameter, der auf ein CFS hinweist. Jedoch ist oft begleitend ein Mineralstoff- und Spurenelement-Mangel zu messen, vor allem im Eisengehalt. Nichtsdestotrotz können bei einer Laboruntersuchung endokrine, nutritive oder infektiöse Syndrome bis zur Diagnosestellung sinnvollerweise ausgeschlossen werden (wie z. B. Schilddrüsendysfunktion, Nebennieren-Insuffizienz oder eine floride Infektion wie z. B. HIV).
Ist das Chronic Fatigue Syndrom heilbar?
Die wichtigste Säule der Therapie ist sicherlich eine kongruente Gesprächsführung mit dem Betroffenen, die auf einer Akzeptanz des Krankheitsmodells basiert. Denn viele Patienten erleben eine typische „Sie-haben-nichts-Odyssee“, bei der die Beschwerden durch die Behandler bagatellisiert werden (Psychosomatik-Drift).
Weil sich die die multifaktoriellen Krankheitssymptome und Veränderungen sowie Funktionsstörungen nicht mit einem einzigen Medikament oder der einen Maßnahme behandeln lässt, existiert eine kausale Therapie der Ursachen und der krankheitsauslösenden und -unterhaltenden Mechanismen existiert. Daher ist ein multimodaler Therapieansatz mit konkreter Zielvereinbarung ebenso wie die Implementation verschiedener Therapiesäulen absolut essenziell. So sollten insbesondere bei diesem wirklich komplexen Krankheitsbild Arzt, Physiotherapeut, Personal Trainer und Verhaltenstherapeut Hand in Hand agieren, um den Betroffenen möglichst auf vielen Ebenen zu helfen.
Des Weiteren hat gerade der Trainer/Coach/PT dabei zum einen die fundamental wichtige Aufgabe, die sogenannten Belastungs-Envelopes (Belastungsrahmen) zu erfassen und den Kunden zu fordern und dabei niemals zu überfordern. Hierfür kann das sogenannte Pacing genutzt werden, was eine Strategie ist, bei der gemeinsam mit dem Kunden/Patienten ein Belastungstakt bzw. Umfang ausgelotet wird, den er/sie gut toleriert. Damit sollte mit dem Kunden erarbeitet werden, wie weit sich dieser im Training belasten kann, um noch genügend Energiereserven für die Bewältigung des Alltags zu haben.
Selbstverständlich müssen zum anderen eine ausreichende und angemessene Schmerztherapie, eine Schlafoptimierung, eine unterstützende Ernährungstherapie und eine begleitende Verhaltens- und Psychotherapie stets parallel erfolgen, um eine nachhaltige Besserung zu erzielen.
Ähnlichkeiten mit „Long Covid“
Infolge der Coronapandemie und dem mittlerweile gut evaluierten (Post-) Long Covid Syndrom sind inzwischen bei vielen Ärzten und Therapeuten Grundkenntnisse vorhanden, wie ein CFS erkenn- und behandelbar ist, denn fast die Hälfte der Long-Covid-Patienten zeigt Symptome, die denen von CFS ähnlich sind.
Das CFS kann man nicht sicher als chronisch fortschreitende Erkrankung bezeichnen und es lohnt sich für die Möglichkeit einer Remission (vollständige Rückbildung der Symptome) und einer (Rück-)Erlangung der Lebensqualität zusammen mit dem Patienten regelmäßige Gespräche und Einheiten zu planen. Dadurch kann hier eine positive (aber auch negative) Entwicklung erkannt werden und es können entsprechend neue Behandlungsimpulse gesetzt werden.
Allerdings ist es hierbei aber auch umso wichtiger, den gesamten Menschen mit all seinen Besonderheiten und Wünschen und seiner Geschichte zu kennen, sodass hier wichtige überlastende Faktoren und Determinanten der seinen Umwelt nicht übersehen werden (Stress, Sozialleben, Beruf, Familie, Krisen, andere Erkrankungen.)
Wichtige Erkrankungen und Diagnosen, die wie ein CFS imponieren können
- Rheuma,
- endokrine Störungen (Hypothyreose, Morbus Addison, Cushing, Diabetes),
- Depressionen,
- floride Infektionen (HIV, EBV, Hepatitis),
- neurologische Erkrankungen,
- Ernährungsdefizienzen (Vitamin-B12-Mangel, Eisenmangelanämie),
- Malignome, Schlafapnoe
- schwere Adipositas permagna
Quellen
- Diagnose und Behandlung Myalgische ENZEPHALOMYELITIS/CHRONISCHES FATIGUE-SYNDROM (ME/CFS) – U.S. ME/CFS CLINICIAN COALITION, 2019.
- Alison C. Bested and Lynn M. Marshall: Review of Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome, 2015.
- Martina Lenzen-Schulte: Long COVID. Der lange Schatten von COVID-19, Deutsches Ärzteblatt 2020.
Unser Sportexperte und Autor: Dr. med. Moritz Tellmann
Dr. med. Moritz Tellmann ist Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Zusatzbezeichnung Ernährungsmedizin, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, Zusatzbezeichnung Gesundheitsförderung und Prävention und i.W. Manuelle Medizin/Chirotherapie und ästhetische Medizin. Zudem ist er Personal Trainer und Dozent an der IST-Hochschule.
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