Muskeldoping aus dem Darm – wie die Darmflora die Muskulatur beeinflusst

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Darmprobleme sind sehr häufig – auch bei Sportlern. Dr. Jens Freese zeigt auf, warum wir uns besser um unsere Darmgesundheit kümmern sollten und was unsere Muskelleistung damit zu tun hat.

Die gesundheitliche Relevanz unseres Verdauungstraktes

Bereits in der Antike spekulierte man über die gesundheitliche Relevanz unseres Verdauungstraktes. Hippokrates schrieb schon vor 2 500 Jahren: „Der Darm ist der Vater aller Trübsal.“ Damals hatte er noch keine Ahnung von der hohen Anzahl von Nerven- und Immunzellen und der noch viel höheren Anzahl von Mikroorganismen in unserem Darm. Wie eng der Darm mit anderen Organen über Nervenzellen, Hormone, Neurotransmitter und andere Metaboliten in Verbindung steht und welchen Stellenwert der Darm für einen gesunden Stoffwechsel dieser Organe hat, wird seit einigen Jahren tiefgreifend erforscht.

Neben der bekannten Darm-Hirn-Achse sind inzwischen auch eine Darm-Lungen-Achse, eine Darm-Nieren-Achse, eine Darm-Knochen-Achse und sogar eine Darm-Muskel-Achse in der Fachliteratur beschrieben.

Ein intakter Darm: Zunächst das Wichtigste auf einen Blick

Neben der Haut ist unser Darm die wichtigste Immunbarriere zwischen Körper und Umwelt. Diese auch als „First Line of Defense“ bezeichnete Grenzfläche setzt sich aus den Enterozyten (Zellen der Darmschleimhaut) und den Verbindungsproteinen (Tight Junctions) zusammen. Darüber hinaus tragen die Darmschleimhaut (Mucosa), die Darmflora (Mikrobiota) und das Darmimmunsystem dazu bei, dass Allergene in unseren Nahrungsmitteln, Giftstoffe aus der Umwelt oder Endotoxine (Bakteriengifte, die durch abgestorbene Mikroorganismen im Darm entstehen) nicht den Körperkreislauf erreichen.

Ein intaktes Darmimmunsystem ist jederzeit in der Lage, potenzielle Krankheitserreger effizient abzuwehren. Wird allerdings die Darmintegrität (Nährstoffaufnahme) durch eine regelmäßige Zufuhr von Allergenen dauerhaft gestört, steigt nicht nur die Permeabilität des Darms, sondern auch die Gefahr von Allergien, Infektionen und Autoimmunerkrankungen. Diese Barrierestörung bezeichnet man im Fachjargon auch als „Leaky-Gut-Syndrom“.

Der Butyrat-Boost-Effekt

Ernährungsberater und Food-Experten wissen: Eine diversifizierte Darmflora mit gesundheitsfördernden Bakterienstämmen geht mit einer Erhöhung kurzkettiger Fettsäuren einher, die wir aus der ketogenen Ernährung kennen: Butyrat, Propionat und Acetat. Diese sind zum einen wichtig für den Zellstoffwechsel der Darmwand, denn sie machen sie widerstandsfähiger gegen Schadstoffe und verhindern deren Eintritt in die Blutbahn. Zusätzlich dienen sie auch als Nahrungsquelle für wichtige Darmbakterien. Auf diese Weise wirken Darmketone regulierend auf das Immunsystem ein.

In einer Studie konnten Wissenschaftler zeigen, dass die mikrobielle Vielfalt (sie ist der Indikator für eine gesunde Darmflora) im Darm professioneller Rugby-Spieler deutlich höher ist als bei Nichtsportlern. Eine Zunahme an Butyrat konnte auch im Stuhl von Menschen nachgewiesen werden, die sich über einen Zeitraum von sechs Wochen dreimal pro Woche erst moderater, dann intensiver Bewegung aussetzen. Bei übergewichtigen Teilnehmern war dieser Butyrat-Boost-Effekt deutlich reduziert.

In einer Follow-up-Untersuchung sechs Wochen nach Ende der Studie hatte sich dieser positive Effekt bei allen Teilnehmern wieder in Luft aufgelöst. Das spricht dafür, dass sich Menschen täglich bewegen müssen – eine Erkenntnis, die keineswegs neu ist, allerdings in den letzten Jahrzehnten zunehmend ignoriert wurde.

Darm-Muskel-Achse

Dass Darm und Gehirn in enger Kommunikation stehen, ist längst bekannt. Bestes Beispiel ist der nervöse Magen-Darm-Trakt vor einer wichtigen Prüfung oder einem entscheidenden Wettkampf. Im Stress vermittelt unser Gehirn dem Darm, sich noch einmal zu entleeren, bevor der Organismus in den Kampfmodus wechselt. Aber auch in die andere Richtung muss die Kommunikation funktionieren. Denn ist die Darmintegrität z. B. durch Nahrungsgifte in Gefahr, vermittelt das Nervensystem entsprechende Impulse über das parasympathische System an das Gehirn und das Immunsystem. Übelkeit, Durchfall und Histamin-Ausschüttung sind alte evolutionäre Strategien, um ein Eindringen pathogener Erreger oder Giftstoffe zu verhindern.

Nicht sofort einleuchtend, wird wissenschaftlich seit einiger Zeit auch eine Darm-Muskel-Achse diskutiert. Eine Übersichtsarbeit zu diesem jungen Thema hat alle bis dato bekannten Informationen darüber zusammengefasst, wie die Darmflora die Muskelphysiologie beeinflusst: Wenn infolge einer allergenreichen Ernährung (etwa durch hohen Konsum von Gluten und Casein), Umweltgiften, Medikamenten und anderer toxischer Einflussfaktoren eine nachhaltige Dysbiose (Störung der Darmflora) entstanden ist, so hat dies einen indirekten Einfluss auf die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit von Muskeln. Eine beeinträchtigte Darmintegrität hemmt z. B. die Verfügbarkeit wichtiger Aminosäuren aus der Nahrung. Hierdurch werden das Muskelwachstum und die -regeneration beeinträchtigt.

Auch die Absorptionskapazität und die Synthese von Vitaminen nimmt durch eine Darmdysbiose ab. Das führt auf Dauer zu einem Mangel an antioxidativer Kapazität, der sich vor allem nach intensiven Trainingseinheiten negativ auswirken kann. Wenn nicht ausreichend antioxidativ wirkende Vitamine, Reparaturproteine und antiinflammatorische Fettsäuren zur Verfügung stehen, können der trainingsinduzierte Zellstress und der säurebedingte Abbau von Mitochondrien nicht zeitnah reguliert werden. Auch die Verstoffwechslung von sekundären Pflanzenstoffen nimmt bei einer Darmdysbiose ab. Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe) sind wichtige Verbündete, wenn es darum geht, die Zellen vor freien Radikalen und Stress zu schützen. Das Resultat kann eine Muskelschwäche sein. Darüber hinaus ist unter diesen Bedingungen die Produktion kurzkettiger Fettsäuren beeinträchtigt.

Dysbiose oder Krankheit?

Studien zeigen, dass eine kurzzeitige bewegungsinduzierte Minderversorgung des Darms mit einer Reduktion schützender Antikörper in der Darmschleimhaut verbunden ist. Über mehrere Wochen durchgeführte hochintensive Bewegungsbelastungen zeigen allerdings auch viele positive Effekte auf das Immunsystem und bestimmte Gehirnfunktionen. Hochintensives Training hat somit zwei Gesichter. Deshalb sollte sich die Regenerationszeit an die Intensität der Belastung anpassen.

Daneben beeinflussen aber vor allem Krankheiten und Medikamente die Darmflora negativ. Die Frage ist: Was kommt zuerst – die Dysbiose oder die Krankheit? Falsche Ernährung, Medikamenteneinnahme (vor allem Antibiotika) und Alterung gehen per se mit einer Veränderung des Darmmilieus einher. Demgegenüber wirkt ein aktiver Lebensstil mit moderater Bewegung und einer variablen, naturbelassenen, biodynamisch-allergenarmen Ernährung (Verzicht auf Fertigprodukte, Fleisch aus Massentierhaltung, belastetes Obst und Gemüse, glutenhaltige Getreide- und caseinreiche Milchprodukte) positiv auf die Darmflora ein.

Die Effekte: verringerte Darmdurchlässigkeit, reguliertes Immunsystem und Produktion wichtiger Signal- und Nährstoffe, die nicht nur im Darm vorteilhaft wirken. Im Sinne einer Darm-Muskel-Achse wirkt ein gesundes und funktionierendes Ökosystem im Darm einem übermäßigen Muskelabbau entgegen. Ferner wirkt sich eine gesunde Darmflora auch positiv auf die neuronale Ansteuerung und damit auf die Kraftfähigkeit aus. Untersuchungen, die einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Darmflora und der Skelettmuskeln belegen, fehlen bislang (noch). Vielleicht lässt sich aber in absehbarer Zeit zeigen, dass neben der mentalen auch die körperliche Fitness von einer gesunden Darmflora und Darmintegrität direkt abhängig ist.

„Fitness“ für den Darm

Ein „fitter“ Darm benötigt viele Ballaststoffe: „Grünzeug“ bleibt jedoch nicht nur bei Kindern, Jugendlichen und Männern gern auf dem Teller liegen, sondern auch bei vielen Sportlern. Biodynamisch angebaute Obst und Gemüsesorten sind vollgepackt mit Mikronährstoffen, die unsere Körperzellen mit lebenswichtigen Mineralien, Spurenelementen und Antioxidantien versorgen. Aber vor allem die unverdaulichen Faserstoffe haben einen hohen regenerativen Nutzen. Ballaststoffe in Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen etc. füllen nicht nur den Magen, sondern dienen auch Bakterien im Dickdarm als Fermentationsquelle. Vor allem die daraus produzierten kurzkettigen Fettsäuren wie Propionat und Butyrat sind für die Absorptionsfähigkeit essenzieller Nährstoffe unglaublich wichtig.

Zwar steckt die Darmforschung noch in den Kinderschuhen, aber einige wichtige Erkenntnisse gibt es bereits. So wurde z. B. festgestellt, dass Diabetiker weniger kurzkettige Fettsäuren im Darm produzieren als Gesunde. Nehmen Diabetiker allerdings regelmäßig Metformin (das Standardpräparat zur Blutzuckerregulierung) ein, dann steigen die Butyratwerte an. Der Grund dafür ist offenbar die erhöhte Präsenz von Lactobazillen, die das Butyrat produzieren.

Auf der anderen Seite beschleunigt Metformin das Wachstum von Escherichia-coli-Bakterien, was die begleitenden Darmstörungen von Diabetikern während einer Behandlung mit Metformin erklären könnte. Auch beim Thema „Darmkrebs“ stehen präventivmedizinische Effekte mit Butyrat in Verbindung. Studien zufolge reduziert Butyrat Entzündungen und Motilität im Darm. Dadurch wird z. B. das Tumorwachstum gehemmt.

Ketone als „Doping“

Kurzkettige Fettsäuren sind der Schlüssel zur Darmgesundheit. Das Keton Acetat wirkt zum einen hemmend auf pathogene Bakterien, zum anderen unterstützt es die Bifidobakterien dabei, schädliche Darmbakterien zu unterdrücken. Das Keton Butyrat ist ein wichtiger Nährstoff für die Darmschleimhaut. Diese hilft dem Körper, die Kommunikation zwischen dem Immunsystem und der Darmflora zu verbessern und die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut zu regulieren. Dies ist vor allem für Krankheiten wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn von Interesse.

Aber eben auch für den Sportler, da rund 70 Prozent aller Leistungssportler regelmäßig über Darmstörungen klagen. Auch im Stoffwechsel spielen kurzkettige Fettsäuren eine wichtige Rolle. Während des Absorptionsprozesses werden kurzkettige Fettsäuren metabolisiert, während der Rest zur Leber transportiert wird. Dort werden sie zur Lipo- und Gluconeogenese herangezogen. Dem Organismus werden dann Ketone zur Verfügung gestellt, die das Gehirn direkt verstoffwechselt.

Fazit

Sportler sollten unbedingt auf eine hohe Ballaststoffzufuhr achten. Denn durch hohe Trainingsvolumina und -intensitäten wird zum einen der Darm energetisch vernachlässigt, zum anderen besteht im Sportlerorganismus ein hohes trainingsinduziertes Entzündungspotenzial. Ballaststoffe wirken antiinflammatorisch und antikanzerogen. Sie verbessern die Kommunikation zwischen dem Darm und allen anderen Organen – und dazu gehört auch die Muskulatur!

Autor und Sportexperte: Dr. Rer. Nat. Jens Freese

Dr. Rer. Nat. Jens Freese ist Leistungs- und Ernährungsimmunologe sowie Leiter der Dr. FREESE Akademie für Funktionelle Ernährungsimmunologie.

www.dr-freese.com

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