Functional Training ist in aller Munde. Spätestens seit der Coronapandemie schwören immer mehr Menschen auf Functional Training, da man es einfach und unkompliziert auch zu Hause durchführen kann – ohne Geräte, nur mit dem eigenen Körpergewicht. Was genau umfasst Functional Training eigentlich, wie funktionell ist dieser Trainingsansatz wirklich und wie findet der Alltagstransfer bei den Trainierenden statt?
Was versteht man unter Functional Training?
Funktionelles Training umfasst komplexe Bewegungsabläufe, die in einer Kette verschiedene Gelenke und Muskelgruppen gleichzeitig beanspruchen. Es gilt als alltagsrelevante und sportartübergreifende Trainingsform. Der Schwerpunkt liegt besonders darauf, nicht einen einzelnen Muskel isoliert zu trainieren, sondern ihn integriert in funktionellen Bewegungsmustern anzusteuern. Im Gegensatz zum neurozentrierten Training – das in puncto Leistungsbefähigung der Trainierenden auf der Erkenntnis basiert, dass Bewegung und Schmerzen im Gehirn entstehen –, ist der klassische Functional-Training-Ansatz fokussiert auf Muskeln und Gelenkstellungen. Neurozentriertes Training hingegen ist ein gehirnbasiertes Training mit dem Schwerpunkt auf den neuronalen Prozessen des Körpers.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem traditionellen Verständnis von Functional Training und neurozentriertem Training ist aktuell das zugrunde liegende Modell. Während das funktionelle Training auf dem biomechanischen Modell aufbaut, erweitert das neurozentrierte Training diesen Ansatz um das neurobiomechanische Modell, in Teilen sogar um das neurobiopsychosoziale Modell. Mit dem Begriff „funktionell“ – also eine Funktion betreffend – kommt man aber um das zentrale Nervensystem nicht herum. Besonders wenn es um gesundheitliche Aspekte geht, sollte man klar unterscheiden, was beim Gegenüber als „funktionell“ erachtet werden muss. Je nach Krankheitsbild, Rehabilitationsphase und Leistungszustand kann beispielsweise das isolierte Ansteuern und Trainieren von Muskeln oder Gelenken durchaus funktionell sein.
Wie effektiv ist Functional Training?
Es mag beim Functional Training unterschiedliche Ansichten und Perspektiven geben. Anstatt den Fokus auf gegenwärtig umstrittene und subjektive Ansichten zu legen, was man individuell unter „funktionell“ verstehen kann und will, möchte ich einen Ausblick geben auf das Potenzial der Trainingsergebnisse.
Denn, um Dr. Nordmeyer, Facharzt für Orthopädie, zu zitieren (Vita vgl. S. 47): „In der orthopädisch-traumatologischen Praxis zeigt sich, dass rein körperliches Training eine große Zahl von Patienten in ihrer ‚Bewegungsintelligenz‘, also im Verstehen und Durchführen komplexer Bewegungsabläufe, überfordert. Besonders ältere, sturzgefährdete oder demente Patienten benötigen einen Ansatz, der ihre körperlichen wie geistigen Fähigkeiten berücksichtigt insbesondere in Hinsicht auf die Verarbeitung visueller und auditiver Reize – also das Nachahmen von Bewegungsabläufen und Durchführen erklärter Bewegungsabläufe.
Hier schließt die Neuroathletik eine Lücke, da sowohl die neuronalen bzw. kognitiven Fähigkeiten als auch die körperlichen Fähigkeiten beübt und trainiert werden können. Hierbei kann in integrativer, innovativer Art und Weise die Lücke zwischen kognitivem und körperlichem Training geschlossen werden. Es eröffnet sich ein ‚bio-psycho-sozio-neurologisches Modell der Salutogenese‘, das zu einer Verbesserung der gesamten Lebensqualität genutzt werden kann.“
Was bringt Functional Training?
Betrachtet man das Training also aus der Perspektive des Kunden, geht es individuell immer um unterschiedliche Ziele. Bei einigen wird es um körperliche Fitness gehen, bei anderen um Kräftigung, wieder andere wollen Kraftausdauer aufbauen. Ein Großteil der Trainierenden sucht vermutlich nur einen Ausgleich zum vielen Sitzen im Homeoffice. Man muss also individuell herausfinden, welchen Nutzen das Ergebnis erzielen soll, und dann dementsprechend Übungsauswahl, Intensität und Steigerung anpassen. Um eine Alltagsrelevanz zu schaffen, muss man sich die aktuelle Lebenslage der Trainierenden anschauen und dementsprechend die Trainingsreize gestalten. Eine Managerin, die den ganzen Tag von Meeting zu Meeting hetzt, benötigt andere Trainingsreize als ein Verkäufer, der zwischen Kassieren und Abschachteln monotonen Belastungen ausgesetzt ist. Verbringt eine Person den Großteil des Tages vor dem Bildschirm, sollte das Training andere Reize setzen als bei Pflegekräften, die körperlich hart arbeiten.
Wenn man von „funktionellem Training“ spricht, sollte man auch auf die unterschiedlichen Funktionen des menschlichen Körpers eingehen. Ein wirklich funktionelles Training verbindet Atmung, Gleichgewicht, Augen und Bewegung miteinander und wendet außerdem aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse an, die den Trainierenden in seiner gegenwärtigen Situation unterstützen. Das grundlegende Ergebnis sollte immer sein, über multimodale Bewegungen unterschiedliche Trainingsintensitäten zu erreichen, um letztendlich alle Parameter der allgemeinen körperlichen Fitness und des Leistungsvermögens zu verbessern. Und das bezieht, wie oben von Dr. Nordmeyer beschrieben, eben auch die neuronalen und kognitiven Fähigkeiten mit ein.
„Funktionell“ aus neurozentrierter Perspektive
Betrachten wir diesen Begriff aus der neurozentrierten Perspektive, bedeutet „funktionell“ das Zusammenspiel von visuellem, vestibulärem und propriozeptivem Input. Diese Informationen werden vom zentralen Nervensystem (ZNS) verarbeitet und integriert und senden dann einen Output. Dieser Output ist idealerweise eine schmerzfreie Bewegung und hohe Leistungsfähigkeit. Das bedeutet dann am Kundenbeispiel, dass eine Kniebeuge eben nicht nur in der Trainingssituation ausgeführt werden kann – mit ausgerichteten Achsen –, sondern dass auch mit einem ungleichmäßigen Gewicht (Beispiel Einkaufstüte, Kind auf dem Arm oder Geräte am Arbeitsplatz) eine Bewegung schmerzfrei ausgeführt werden kann. Der Blick oder Kopf kann dabei auch zur Seite genommen werden, weil nebenbei auf Alltagsreize reagiert werden muss.
Was bedeutet „funktionell“ aber konkret für Kunden? Es ist wichtig, die Perspektive der Trainierenden einzunehmen und nicht nur aus Trainersicht auf das Training zu schauen. Wichtig ist also der Perspektivwechsel hin zu der Frage: Wie sieht der Alltag unserer Kunden aus und wie müssen sie funktionieren? So muss funktionelles Training für eine Managerin anders aussehen als für eine alleinerziehende Mutter. Die Belastungen für einen Büroarbeiter sind andere als für Kassierende. Ein Hobbysportler braucht andere Funktionen als ein Rentner nach einer Hüft-OP. Und genau hier kann funktionelles Training auf individueller Ebene einen großen Mehrwert schaffen. Langfristig wird sich dabei die Qualität und Expertise des Trainers auszahlen. Statt Massenabfertigung wird es vermutlich immer mehr hybride Ansätze geben, die Personalisierung und Standardisierung intelligent miteinander verbinden.
Wir sehen also: Genau so, wie sich sportartspezifisches Training an die Belastungsanforderungen der jeweiligen Sportart anpasst, genau so muss sich auch das Training an die alltagsspezifischen, zum Teil berufsbedingten Belastungsanforderungen anpassen. Ein Fußballspieler muss anders trainieren als ein Golfer. Die Belastungssteigerung bei Profis verläuft anders als bei Anfängern. Hier die richtige Dosis zu finden aus Forderung und Förderung, ist Aufgabe von qualifiziertem Personal, das individuell und präzise auf die Bedürfnisse des Gegenübers eingeht.
Für wen ist Functional Training geeignet?
Der Transfer des trainingstheoretischen Wissens muss kommunikativ geschaffen werden. Das gelingt durch alltagsnahe Bezüge und beispielsweise den Ansatz von Neuro Education. Das bedeutet, dass man wissenschaftliche Zusammenhänge auf den Alltag der Kunden überträgt und in angemessener Sprache verständlich erklärt. Denn um es einmal ganz plakativ auf den Punkt zu bringen: Am Ende ist das beste Training immer noch das, das die Kunden machen. Und dafür bedarf es eines Alltagstransfers, einer Einbindung in tägliche Herausforderungen, eines Anspornens und eines Gebrauchs oder Nichtgebrauchs diverser Körperstrukturen.
Welche Punkte gilt es also in der Praxis zu berücksichtigen?
- Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit
- Zeitlich realistisch auf Kunden und auf deren Alltag bezogen
- Ausgleich schaffen zu dem, was Kunden fehlt
- Funktionelles Training in den Alltag integrieren
- Vielseitige dreidimensionale Bewegung und Kraft
- Atemtraining
- Gleichgewichtstraining
- Trainingsimpulse für die Augen
- An- und Entspannung der Nackenmuskulatur
- Isolation verschiedener Segmente in Kombination mit Atmung, Augen und Kopfpositionen
Ausblick
Wir befinden uns aktuell in einem offenen Diskurs über die Ausprägungen von Functional Training. Das öffentliche Interesse an dieser Trainingsform ist immens und die Grenzen zwischen Trainingsformen verschwimmen immer mehr. Das funktionelle Training hat generell das Potenzial, die Gesundheit der Trainierenden zu verbessern. Schaffen wir es in der Branche also, diesen Trainingsansatz noch ganzheitlicher zu betrachten und umzusetzen, können wir einen immensen Beitrag zu einer gesünderen und aufgeklärteren Gesellschaft leisten.
Besonders Langzeiteffekte und neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden hier in den nächsten Jahrzehnten mit Sicherheit zu einer noch größeren Professionalisierung beitragen. Bis dahin gilt es, möglichst viele körperliche Funktionen in das Training einzubinden – von Atmung über Augen, Gleichgewicht und Bewegung bis hin zu Geruch, Rhythmus und Emotionen. Hier liegt noch ein weites Feld vor uns, das es gemeinsam zu entdecken und zu professionalisieren gilt.
Autorin: Luise Walther
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Ein verbessertes Gleichgewicht wirkt sich positiv auf unsere Körperhaltung und unsere Mobilität aus und wir können uns wieder frei und ausgeglichen bewegen.
Über die Autorin
Mit ihrem Neurozentrierten Training sorgt Luise Walther für Aufsehen in der Gesundheits- und Fitnessbranche. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Trainingsprozessen, um Schmerzen zu reduzieren und Bewegungsabläufe zu optimieren.
Die Spezialistin für Rehabilitation, Verletzungsprophylaxe und Performance- Steigerung stellt die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Vordergrund. Die zentrale Grundlage ihrer neuroathletischen Arbeit ist die Erkenntnis, dass Schmerzen im Gehirn entstehen.
Aus diesem Grund, so die Überzeugung von Luise Walther, muss Training radikal neu gedacht und umgesetzt werden. Ihre Expertise und internationale Qualifikation besitzen deutschlandweit nur einige wenige Trainer, weshalb namhafte Unternehmen und Medien auf ihre Expertenmeinung zählen. Auch das begeisterte Feedback ihrer Kunden gibt ihrer langjährigen Arbeit und Erfahrung recht.
www.neurozentriertestraining.de