Achtsamkeit und Körperwahrnehmung: Hirnareale aktivieren mit Lars Lienhard

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Achtsamkeit und Körperwahrnehmung! Sie wollen Ihre körperliche, geistige und emotionale Gesundheit verbessern und Stress vermeiden? Dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Bereiche des Körpers: auf Gehirn und Nervensystem.

Was bedeutet Achtsamkeit?

Unter Achtsamkeit versteht man – vereinfacht ausgedrückt – eine Form der Aufmerksamkeit, die bewusst auf den gegenwärtigen Augenblick bezogen ist, ohne ihn zu beurteilen oder zu bewerten. Das Konzept der Achtsamkeit geht zurück auf den Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn, der den Begriff »Mindfulness« (Achtsamkeit) durch seine Forschung und das daraus entstandene MBSR-Programm (MBSR = Mindfulness-Based Stress Reduction) Ende der 1970er-Jahre in der westlichen Welt geprägt hat.

Das MBSR-Programm wird heute nicht nur in den USA, sondern weltweit angewendet. Im Folgenden stellen wir Ihnen zwei Übungen vor, mit der Sie hervorragend die Achtsamkeit schulen: den Bodyscan und die Achtsamkeitsmeditation mit Fokus auf der Atmung.

Mit Körperwahrnehmung und Achtsamkeit wichtige Hirnareale aktivieren

Das Training von Achtsamkeit und Körperwahrnehmung ist der Aspekt, um alle Bereiche der Aktivierung der Inselrinde abzudecken und Ihr Training der Innenwahrnehmung zu komplettieren. Konzentration, Fokussierung, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit sind an sich schon wichtige Komponenten, wenn es darum geht, die Qualität Ihres Trainings zu verbessern. Sobald Sie aufmerksam und fokussiert bei den Prozessen sind, mit denen Sie sich gerade beschäftigen, insbesondere bei der Wahrnehmung Ihres eigenen Körpers, aktivieren Sie bereits Ihren Frontallappen und den vorderen Anteil der Inselrinde.

Eine Besonderheit des vorderen Anteils der Inselrinde besteht darin, dass dieser Teil in ständiger Kommunikation mit bestimmten Arealen des Frontallappens steht, die sich gegenseitig stark beeinflussen. Betrachtet man diese Areale des Frontallappens genauer, so zeigt sich, dass Übungen mit Fokus auf Körperwahrnehmung und Achtsamkeit hier besonders viel Aktivität hervorrufen und somit auch den vorderen Anteil der Inselrinde besonders gut aktivieren können. Dass diese Aktivierung für Ihre Gesundheit eine sehr bedeutende Rolle spielt, ist Ihnen mittlerweile hinlänglich bekannt.

Angststörungen, Panikattacken oder depressive Verstimmungen

Das Aktivitätslevel im vorderen Anteil der Inselrinde und im Frontallappen hat zum Beispiel einen großen Einfluss auf die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren. Das kann von Angststörungen über Panikattacken bis zu depressiven Verstimmungen reichen. Wenn Sie die Körperwahrnehmung intensiv üben, wird aber auch der hintere Anteil der Inselrinde stark angesprochen, der beispielsweise dafür verantwortlich ist, dass das Stresslevel deutlich sinkt, Verdauungsprobleme gemindert und Schmerzen reduziert werden. Wir legen Ihnen sehr ans Herz, sich intensiver in dieses Thema einzuarbeiten, wenn Ihnen diese Art des Trainings gut tut und Sie positive Effekte bei sich feststellen.

Es gibt mittlerweile eine große Auswahl an Büchern, Kursen, Programmen oder auch Apps zu diesem Themenbereich. Die Auswahl an Möglichkeiten ist so umfangreich, dass es den Rahmen eines einzelnen Artikels sprengen würde, sie alle vorzustellen. Sehen Sie die folgende Übungsauswahl daher als eine Inspiration – und einen Startpunkt für Ihre Reise zu Gesundheit und Wohlbefinden. Das Training der Körperwahrnehmung und Achtsamkeit sollte regelmäßig, bestenfalls täglich, geübt werden. 10 bis 20 Minuten am Tag für vier bis sechs Wochen reichen bereits aus, damit Sie deutliche Veränderungen wahrnehmen.

Wie sich Achtsamkeit und Körperwahrnehmung unterscheiden

Bevor wir mit dem Training der Körperwahrnehmung und Achtsamkeit beginnen, wollen wir Ihnen zunächst die Unterschiede dieser beiden Begrifflichkeiten erläutern. Beides wird in vielen Bereichen des Gesundheitswesens eingesetzt, um die angesprochenen Beschwerden auf eine alternative Art und Weise zu lindern.

Zahlreiche Praxen, Kliniken und andere Einrichtungen bieten spezielle Kurse dafür an. Bei Achtsamkeit und Wahrnehmung geht es vor allem um eine Entspannung des ganzen Körpers, sowohl mental als auch muskulär. Wir haben uns in diesem Buch für drei Übungen entschieden, die jedem von Ihnen auf die eine oder andere Weise schon einmal begegnet sein dürfte. Es handelt sich um eine vereinfachte Form der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson, den Bodyscan, eine Entspannungstechnik, die Stress reduziert, sowie eine Achtsamkeitsmeditation mit Fokus auf der Atmung. Aber zunächst wollen wir uns den Begriffen »Körperwahrnehmung« und »Achtsamkeit« widmen.

Warum die Körperwahrnehmung so wichtig ist

Bei Übungen zur Körperwahrnehmung wird die Aufmerksamkeit auf den Körperzustand gelenkt mit dem Ziel, Prozesse bewusst wahrzunehmen und anzustoßen. Man kann sich dabei auf einen Körperbereich oder auch auf einen Prozess, der im Körper abläuft, konzentrieren.

Ein einfaches Beispiel der Wahrnehmung wäre der Herzschlag. Wie fühlt sich der Herzschlag an? Schlägt das Herz schnell oder langsam? Auch die Atmung oder ganz einfach das Wahrnehmen von Körperteilen und -bereichen gehören dazu. Ziel ist es schließlich, ganz bewusst Veränderungen des körperlichen Zustands und der körperlichen Prozesse hervorzurufen, indem das Wahrgenommene auch analysiert, beurteilt und verändert wird.

Den Körper mit all seinen Sinnen wahrzunehmen, kann in Ruhe oder in Bewegung stattfinden, oft wird dies kombiniert mit der Atmung. Übungen zur Körperwahrnehmung – dazu gehört die progressive Muskelentspannung nach Jacobson – adressieren beispielsweise Verdauungsstörungen, Beckenbodenbeschwerden, Blutdruckprobleme, Schmerzsymptomatiken und allgemeine Stresssymptome, aber auch das Gefühl, nicht im Körper zu Hause zu sein.

Die Bedeutung von Achtsamkeit

Das Training der Achtsamkeit beschreibt eine Form der Wahrnehmung, bei der Sie Ihre Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Augenblick lenken, ohne zu urteilen. Das bedeutet, dass Sie die Wahrnehmung auf körperliche Prozesse lenken, ohne über diese Prozesse nachzudenken oder sie kognitiv, also durch bewusste Gedanken, oder emotional zu bewerten. Menschen, bei denen die Körperwahrnehmung übermäßig stark ausgeprägt ist, fällt das Training der Achtsamkeit daher anfangs meist schwer.

Trotzdem – oder gerade deshalb – sind es aber die wichtigsten Übungen. Sollten Sie zu den Personen gehören, die sehr sensibel in Ihren Körper hineinhorchen und versuchen, diese Signale ständig einzuordnen, zu interpretieren und zu bewerten, dann sollten Sie mit der Achtsamkeitsmeditation mit Fokus auf der Atmung starten und erst später auf die Körperwahrnehmung zurückgreifen. Gerade bei der Achtsamkeitsmeditation geht es darum, körperliche Prozesse nur wahrzunehmen, diese jedoch nicht zu bewerten oder zu verändern.

Das häufige und übermäßige Hineinhorchen und Bewerten dessen, was Sie wahrzunehmen und zu fühlen meinen, hängt auch mit einer Dysfunktion der Inselrinde und der inneren Wahrnehmung zusammen. Die Inselrinde ist, vereinfacht ausgedrückt, nicht in der Lage, die eingehenden Informationen adäquat zu integrieren und zu bewerten, sodass das Gehirn quasi gezwungen wird, die sensorischen Informationen kognitiv zu beurteilen.

Wissenschaftlichen Studien

In wissenschaftlichen Studien hat sich gezeigt, dass insbesondere bei Symptomatiken wie Ängstlichkeit, Angststörungen, Depressionen und Problemen der emotionalen Regulation das Aktivitätslevel der Inselrinde gestört ist, was das »Nach-innen-Horchen« bedingt. Übungen, die den Körper in den Fokus setzen, wie die progressive Muskelentspannung und der Bodyscan, können diese Symptome verstärken. Es ist deshalb sehr wichtig für Sie zu wissen, dass die Achtsamkeitsmeditation der geeignete Startpunkt für das Training ist.

Zwei effektive Achtsamkeitsübungen

Achtsamkeitsübung 1: Der Bodyscan

Mit dem Bodyscan können Sie auf einfache Art und Weise körperliche Spannungen wahrnehmen und diese im besten Fall sogar auflösen. Er kann hervorragend eingesetzt werden, wenn Sie sich häufig gestresst fühlen und im allgemeinen Schwierigkeiten haben, Ihren Körper zu fühlen. Legen Sie sich entspannt auf den Rücken. Ihre Wirbelsäule ist lang und locker und der Atem fließt ruhig und gleichmäßig.

Stellen Sie sich nun vor, Sie scannen Ihren Körper von Kopf bis Fuß Zentimeter für Zentimeter von oben nach unten ab. Fangen Sie am Kopf an, nehmen Sie Gesicht, Kopf und Nacken wahr. Spüren Sie Unterschiede zwischen Ihrer rechten und linken Gesichtshälfte, am rechten und linken Schädel, in Ihrer Nackenmuskulatur? Gibt es irgendwo Spannungen? Nehmen Sie diese Spannungen kurz wahr und versuchen Sie, diese aufzulösen, indem Sie sich einen inneren Befehl hierzu geben. Scannen Sie auf die gleiche Art Schultern, Brustpartie, Arme, Rumpf, Beine und Füße auf Spannungsunterschiede. Leiten Sie gegebenenfalls auch hier die Spannungen lokal aus dem Körper.

Es bedarf einiger Übung und Zeit, Ihren Körper differenziert zu scannen, wahrzunehmen und sich zu erlauben, die Spannungen zu lösen. Doch Sie werden sehen, dass es einfacher ist, als Sie zunächst glauben. Wichtig ist, dass Sie beginnen, Ihren Körper und seine Spannungen wahrzunehmen – und zu verändern. Führen Sie den Bodyscan ganz oder gern auch in Teilen täglich für 5 bis 10 Minuten aus.

Achtsamkeitsübung 2: Die Achtsamkeitsmeditation

Das Training der Achtsamkeit beinhaltet oft auch Achtsamkeitsmeditationen, deren Wurzeln ebenfalls in der buddhistischen Tradition zu finden sind. Achtsamkeit, wie wir sie verstehen, ist ein meditativer, entspannt fokussierter Wahrnehmungsvorgang, bei dem das Wahrgenommene an sich im Mittelpunkt steht. Der wichtigste Punkt bei der Achtsamkeitsmeditation ist, das Wahrgenommene nicht zu bewerten. Es handelt sich dabei ausschließlich um ein Hinnehmen und Akzeptieren des Wahrgenommenen, so, wie es jetzt ist.

So kann eine Achtsamkeitsmeditation zum Beispiel nur auf die Atmung bezogen werden: Sie nehmen wahr, wie der Atem ein- und ausströmt, ohne die Aspekte zu fokussieren, wie viel Atemluft durch die Nase einströmt, wie tief der Atemzug ist oder wann sich der Atemfluss wie verändert. Im Folgenden stellen wir Ihnen exemplarisch eine Achtsamkeitsmeditation vor, die sich an die Beschreibung der Website mindful.org anlehnt. Diese Website bietet noch weitere Meditationen, Übungen und viele interessante Hintergrundinformationen zur Achtsamkeitspraxis.

Achtsamkeitsmeditation mit Fokus auf der Atmung

Ein guter Startpunkt, um mit der Achtsamkeitsmeditation zu beginnen, ist der Atem als Ziel der Aufmerksamkeit. Unabhängig von der Wirkung, den die Atmung auf die Gesundheit hat, ist sie immer gegenwärtig und kann daher nahezu überall genutzt werden. Achten Sie bei dieser Übung auf den Atemfluss und nehmen Sie wahr, was dabei passiert. Im Lauf der Übung werden Sie sich sicherlich einige Male dabei ertappen, dass Sie sich in Ihren Gedanken, Emotionen oder in Geräuschen verloren haben. Dies ist jedoch nebensächlich. Wo auch immer Ihre Aufmerksamkeit hinwandert, kehren Sie einfach mit Ihrem nächsten Atemzug zurück ins Hier und Jetzt.

  1. Wählen Sie einen Ort, an dem Sie sich wohlfühlen, und setzen Sie sich auf eine Unterlage, die Ihnen einen stabilen und komfortablen Sitz ermöglicht.
  2. Lenken Sie zuerst Ihre Aufmerksamkeit darauf, was Ihre Beine tun. Falls Sie auf einem Kissen sitzen, kreuzen Sie Ihre Beine bequem vor sich. Falls Sie auf einem Stuhl sitzen, entspannen Sie Ihre Füße auf dem Boden.
  3. Richten Sie als Nächstes Ihren Oberkörper locker auf. Ihre Wirbelsäule hat eine natürliche Wölbung. Verändern Sie diese nicht.
  4. Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit darauf, was Ihre Arme tun. Heben Sie die Arme nach vorn an und legen Sie die Handflächen auf Ihre Beine. Wo auch immer sich dies für Sie am natürlichsten anfühlt.
  5. Entspannen Sie Ihren Blick. Lassen Sie Ihr Kinn und Ihren Blick etwas nach unten sinken. Es ist nicht notwendig, die Augen zu schließen. Lassen Sie das, was Sie sehen, vor Ihren Augen erscheinen, ohne es zu fokussieren.
  6. Spüren Sie nun Ihren Atem. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das körperliche Gefühl des Atems. Nehmen Sie die Luft wahr, die durch Ihre Nase oder den Mund ein- und ausströmt. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auch auf die Bewegung Ihres Bauches oder Brustkorbs. Spüren Sie, wie sie durch Ihren Atem bewegt werden.
  7. Nehmen Sie als Nächstes wahr, wenn sich Ihre Aufmerksamkeit von Ihrem Atem entfernt und Sie beginnen, gedanklich umherzuschweifen. Das ist in Ordnung. Bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach zurück zu Ihrer Atmung.
  8. Seien Sie freundlich zu sich und Ihrem umherschweifenden Geist. Anstatt gegen Ihre Gedanken anzukämpfen, beobachten Sie sie einfach nur, ohne auf sie zu reagieren. Bleiben Sie weiterhin entspannt sitzen und kommen Sie dann wieder zu Ihrem Atem zurück, ohne Erwartungen und ohne zu beurteilen.
  9. Wenn Sie bereit sind, heben Sie sanft Ihren Blick. Falls Ihre Augen geschlossen waren, öffnen Sie sie wieder. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und wenden Sie sich den Geräuschen in Ihrer Umgebung zu. Spüren Sie, wie sich Ihr Körper anfühlt. Nehmen Sie Ihre Gedanken und Gefühle wahr und beenden Sie die Übung, indem Sie tief ein- und ausatmen.

Fazit

Das Training der Achtsamkeit ist besonders zu empfehlen, wenn Sie Ihre Emotionen regulieren möchten. Sollten Sie unter Angststörungen, Depressionen, Stresssymptomen, Essstörungen, Suchttendenzen oder dergleichen leiden, ist es sinnvoll, dieses Training für einige Wochen konsequent durchzuführen. Wir möchten Sie an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sich um ein unterstützendes Training zur Verbesserung der Innenwahrnehmung und Regulation der Aktivitätslevel wichtiger Hirnareale handelt.

Autoren: Lars Lienhard, Dr. Eric Cobb, Ulla Schmid-Fetzer

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Sie wollen Ihre körperliche, geistige und emotionale Gesundheit verbessern? Dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Bereiche des Körpers: auf Gehirn und Nervensystem. Dr. Eric Cobb, der weltweit führende Experte für neurologisch ausgerichtete Sportprogramme, Lars Lienhard, der führende Experte für neurozentriertes Training in Europa, und Ulla Schmid-Fetzer, Neuroathletiktrainerin, zeigen, wie Gehirn und Nervensystem sämtliche Prozesse im Körper kontrollieren und durch spezifische Übungen unterstützt werden können.

Eine zentrale Rolle spielt dabei der Vagusnerv, der an der Regulation fast aller Organe beteiligt ist und einen großen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden hat. Gemeinsam mit der Inselrinde, einem Hirnareal, in dem Informationen aus dem Körperinneren mit Sinneseindrücken abgeglichen werden, bildet er die Grundlage unserer Selbstwahrnehmung.

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