Personal Training: Ein guter Coach wird niemals Standard-Trainingspläne weitergeben, denn ein gutes Coaching ist immer individuell auf den jeweiligen Klienten ausgerichtet. Testings sind das Tool schlechthin für die Erstellung eines erfolgversprechenden Trainingsplans. den Istzustand zu bewerten und Trainingsinterventionen zu überprüfen, ist essenziell. doch reicht es aus, den Trainingsplan nur alle sechs bis zwölf Wochen zu überprüfen?
Andreas Könings, Neuroathletik– Trainer und -Ausbilder, erklärt, warum das Testen und Überprüfen jeder einzelnen Übung so wichtig ist und wie dies in der Praxis mit Tricks aus dem Neuro-Coaching einfach umgesetzt werden kann.
Personal Training oder „Training von der Stange“?
Vorab eine kurze persönliche Geschichte. Vor einigen Tagen traf ich einen Bekannten im Fitnessstudio, der Rat suchte. Er hat bereits seit langer Zeit Schwierigkeiten mit seinem Rücken und begab sich deswegen in Behandlung. Dort erhielt er einen Übungsplan, nach dem er seit ca. fünf Wochen trainiert. Das Training findet ein Mal pro Woche unter Anleitung eines Therapeuten statt, um die richtige Übungsausführung zu gewährleisten.
Mein Bekannter hat allerdings das Gefühl, dass die Rückenbeschwerden nicht besser, sondern eher schlechter werden, und gelegentlich kommen nun Probleme im Nacken, in den Knien und manchmal sogar etwas Schwindel dazu. Nachdem er mir das erzählt hatte, fragte ich ihn, ob denn getestet wurde, woher seine Beschwerden im Rücken kommen, und ob seine Übungen dahingehend überprüft wurden. Er erwiderte, dass es sich bei ihm um eine Blockade im Rücken handle und ihm der Therapeut den Plan mit der Aufschrift „Rückentraining‟ gegeben habe; nach diesem solle er nun acht Wochen trainieren.
Sind vorgefertigte Trainingspläne sinnvoll?
In der Praxis ist es leider oft gang und gäbe, dass nach vorgefertigten Trainingsplänen oder Trainingssystemen trainiert wird. Dabei wird immer wieder vergessen, dass es den einen allgemeingültigen und optimalen Trainingsplan nicht gibt. Ein Training ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Daher ist es für Coaches, aber auch für Trainierende unerlässlich, immer individuell zu testen und zu überprüfen, was in der aktuellen Situation das beste Training bzw. die beste Übung ist.
Einige werden nun sagen: „Selbstverständlich führen wir vor jeder Trainingsplanerstellung verschiedene Tests durch, um bestehende Probleme sowie Defizite zu erkennen. Anhand der Ausgangsüberprüfung bzw. der Istzustandsfeststellung wird dann ein Trainingsplan erstellt.‟ In manchen Fällen werden dann nach ca. sechs bis zwölf Wochen die gleichen Tests erneut durchgeführt, um zu überprüfen, ob es Veränderungen zu den anfänglichen Ergebnissen gibt. Super! Das ist zumindest mehr, als nur einen vorgefertigten Plan aus der Schublade zu holen.
Doch was passiert, wenn sich der Zustand des Klienten in dieser Zeit nicht verbessert oder sogar verschlechtert? In diesem Fall haben sowohl der Coach als auch der Trainierende sechs bis zwölf Wochen Zeit verschwendet. Wären die einzelnen Übungen sofort auf ihre Wirkung, die sie auf den Trainierenden haben, überprüft worden, hätte der Zeitraum effektiver genutzt werden können.
Lesen Sie auch: Schwächen erkennen mit dem Functional Movement Screen, FMS
Ganz individuell: Neuro-Coaching
Das neurozentrierte Training stellt eine optimale Lösung dar, um ein effizientes Training anzubieten, denn hier wird extrem auf das Individuum eingegangen. Da jeder Körper und jedes Nervensystem unterschiedlich auf Trainingsreize reagiert, sind diese Trainingsreize auch individuell zu erarbeiten. Was für den einen Trainierenden eine positive Übung ist, um z. B. Rückenprobleme zu mildern, kann für den nächsten Trainierenden kontraproduktiv sein. Der entscheidende Punkt ist die Reaktion des Gehirns bzw. Nervensystems.
Das Gehirn liefert ein sofortiges Feedback über die Effizienz eines Stimulus, z. B. bei einer Übung. Empfindet unser Gehirn den erfolgten Input als „positiv‟, reagiert es mit einer Verbesserung des Systems; das kann sich beispielsweise in einer Schmerzreduktion oder einer Performanceverbesserung äußern. Um zu überprüfen, wie das Gehirn auf eine Übung reagiert, gibt es unzählige Möglichkeiten. Zwei gängige Tests im neuronalen Training sind Beweglichkeitsund Stabilitätstests. Beide sind schnell und einfach durchzuführen.
Personal Training: Beweglichkeits- und Stabilitätstests
1. Beweglichkeit/Range of Motion
- Der Coach führt mit seinem Klienten einen Range- of-Motion-Test durch, um die aktuelle Tagesform bzw. die Baseline zu ermitteln. Hier bieten sich Bewegungen im Schultergelenk (Innen- und Außenrotation), die Ganzkörperrotation oder die Vorbeuge (Toe Touch) an. Alternativ kann auch der Kunde eine Übung wählen, in der er sich eingeschränkt fühlt.
- Als Nächstes führt der Kunde die gewählte Übung bzw. die zu testende Intervention aus.
- Direkt im Anschluss wird erneut der gleiche Rangeof- Motion-Test durchgeführt und die Veränderung zur Baseline ermittelt und notiert.
2. Stabilität/Gleichgewicht
- Der Coach überprüft die Stabilität bzw. das Gleichgewichtsvermögen des Klienten. Hierzu stellt sich der Kunde je nach Schwierigkeitslevel in eine unterschiedliche Fußstellung (Parallelstand – Tandemstand – Einbeinstand). Der Coach beobachtet, wie viel Bewegung im Körper zu erkennen ist und wie lange die Position stabil gehalten werden kann. Als Hilfsmittel eignet sich hier eine Stoppuhr.
- Dann führt der Kunde die Trainingsübung bzw. die zu testende Intervention aus.
- Direkt im Anschluss wird erneut der gleiche Gleichgewichtstest durchgeführt und die Veränderung zur Baseline ermittelt und notiert. Die Veränderung kann sich in mehr oder weniger Körperbewegung darstellen oder auch in einer veränderten Zeit, die die Position gehalten werden kann.
Wichtig ist, dasselbe Schwierigkeitslevel zu wählen wie zuvor. Bei beiden Tests können sich jeweils drei Resultate ergeben:
1. BESSER/POSITIV: Das Testergebnis verbessert sich, das heißt, die Beweglichkeit verbessert sich oder der Klient wird stabiler. In diesem Fall ist die Übung als positiv zu bewerten. Sie eignet sich im heutigen Training.
2. NEUTRAL: Das Ergebnis bleibt gleich, es lässt sich keine Veränderung erkennen. Die Übung ist neutral und somit ohne negative Effekte in das Training integrierbar. Eine Verbesserung bei z. B. Mobilitätseinschränkungen oder Schmerzen ist hier jedoch nicht zwingend zu erwarten.
3. SCHLECHTER/NEGATIV: Das Resultat wird schlechter. Der Kunde hat eine verminderte Range of Motion als vor der Intervention oder wird instabiler. Bei diesem Ergebnis handelt es sich um eine negative Übung. Sie sollte man heute nicht in den Trainingsplan integrieren.
Langzeiterfolg durch Personal Training
Woher weiß ich als Coach, ob die Übungen, die heute ein positives Resultat hatten und die ich somit für das Training gewählt habe, auch einen Langzeiterfolg bringen? Und was hat die Beweglichkeit oder das Gleichgewicht beispielsweise mit Rückenproblemen zu tun? Um diese Fragen zu beantworten, kommt das Nervensystem ins Spiel. Es arbeitet nach folgendem Schema:
Das bedeutet vereinfacht: Je „besser‟ der Input und dessen Verarbeitung ist, umso „besser‟ ist auch der jeweilige Output. Die Geschwindigkeit, mit der unser Nervensystem auf die verschiedenen Stimuli reagiert, beträgt bis zu 120 m/s. Ebenso schnell und vielfältig kann eine Reaktion unseres Körpers sein. Empfindet unser Nervensystem einen „Input‟ als negativ bzw. bedrohlich, erhöht sich dadurch die Unsicherheit im Gehirn und der Körper reagiert mit einer Art Schutzmechanismus (Output). Dazu zählen in erster Linie eine Einschränkung von Kraft und Beweglichkeit, eine Erhöhung der muskulären Spannung, eine Verschlechterung der Stabilität oder Schmerz.
EINE ÜBUNG, DIE HEUTE EIN POSITIVES RESULTAT ZEIGT, KANN MORGEN BEREITS NEGATIV AUSFALLEN.
Interpretiert das Nervensystem einen Input jedoch als positiv bzw. hilfreich, erhöht sich das allgemeine Sicherheitsempfinden in unserem Gehirn. Dies führt zu einer Optimierung des Outputs, was u. a. mehr Kraft, eine bessere Beweglichkeit, mehr Stabilität und weniger Schmerzen bedeutet. Jede Trainingsübung, die wir ausführen, stellt hierbei einen Input dar. Somit nehmen wir mit jeder Übung Einfluss auf unser Nervensystem und erhalten immer eine entsprechende Reaktion. Wurden eine oder mehrere Übungen als positiv identifiziert, d. h. der Test hat sich nach der Übungsausführung verbessert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Übungen auch in anderen Bereichen, wie z. B. einer Schmerzproblematik, einen positiven Einfluss haben. Mit diesen positiven Übungen kann der Coach dann das heutige Training gestalten und er bietet dem Trainierenden das für diesen Moment bestmögliche Training an.
Das Ziel im Personal Training: Langfristige Erfolge
Um sicherzustellen, dass ich auch langfristig auf dem richtigen Weg bin, ist es unerlässlich, meine Übungen in jedem Training neu zu überprüfen und zu bewerten. Die Überprüfung nur zu Beginn und am Ende der jeweiligen Trainingseinheit bzw. eines Trainingszyklus ist nicht ausreichend. Eine Übung, die heute ein positives Resultat zeigt, kann morgen bereits negativ ausfallen. Der Körper ist so komplex und so individuell, dass jede kleinste Veränderung im Alltag oder in der Umgebung zu einer Veränderung der jeweiligen Situationsbewertung durch unser Gehirn führen kann.
Daher überprüft der Trainer im neurozentrierten Ansatz in jeder Trainingseinheit aufs Neue, ob die für heute gewählten Übungen positiv sind oder ob die Übungen ggf. modifiziert oder ausgetauscht werden müssen. Habe ich nun über einen längeren Zeitraum diesen Ansatz berücksichtigt, ergibt sich aller Voraussicht nach auch langfristig eine Verbesserung. Dies gilt es selbstverständlich ebenfalls in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um ggf. zu reagieren.
Testen und Überprüfen als unverzichtbares Mittel im Personal Training
Testen und Überprüfen ist ein unverzichtbares Mittel, um ein effizientes und personalisiertes Training zu gestalten. Dabei ist es nicht nur wichtig, die Ausgangssituation zu bestimmen und diese einer Langzeitbeobachtung über Wochen oder Monate zu unterziehen, sondern auch jede einzelne Übung auf ihre sofortige Wirksamkeit hin zu überprüfen. Unser Nervensystem ist dabei die entscheidende Grundlage. Es liefert uns ein sofortiges Feedback über die Auswirkungen unserer Intervention bzw. der Übung.
Autor: Andreas Könings
Andreas Könings ist Neuroathletik-Trainer und erster deutscher Z-Health® Master Practitioner. Mit seinem Geschäftspartner Jean-Camille Yekéléba ist er Gründer und Geschäftsführer von KAN DJOH Intelligents und arbeitet unter anderem mit Spitzensportlern aus den Bereichen Basketball, Golf und Triathlon sowie Elite-Einsatzkräften zusammen.
Zuvor war er als Betreuer und Trainer fünf Jahre für die Telekom Baskets Bonn in der höchsten deutschen Basketball-Liga, der BBL, aktiv. Zusätzlich gibt Andreas als Ausbilder u. a. in den Bereichen Neuroathletik und Funktionelles Training sein Wissen gerne weiter. www.kandjoh.com
Unser Tipp aus der Trainingsworldredaktion
Für alle Personal Trainer, Coaches und ambitionierte Sportler
Das Functional Training Magazin 04/2019 mit wertvollen Inhalten zum Thema Personal Training und Coaching von erfahrenen Sportexperten und erfolgreichen Trainer. Das Functional Training Magazin ist ein anspruchsvolles und hochwertiges Fachmagazin. Es richtet sich an ambitionierte Profi-, Amateur und ambitionierte Freizeit-Sportler und Athleten.
Aber auch an versierte Fitness- und Personal Trainer, Athletiktrainer, Physiotherapeuten oder Sportmediziner, die sich mit Begeisterung und Hingabe dem Thema Functional Training widmen. Die Inhalte des Functional Training Magazins bestehen aus Fachartikeln und Interviews nationaler und internationaler Experten zu den Themen Functional Training, Athletik Training, Myofascial Training, Mobility, Conditioning, Ernährung und Rehabilitation.