Neuroathletik bei Schmerzen: Neuroathletik-Training ist euch ein Begriff, und nun wollt Ihr wissen was es damit auf sich hat? Luise Walther erklärt, was Ihr bei Schmerzen machen könnt und wie man das Training auf’s nächste Level bringt!
Neuroathletik bei Schmerzen?
Die Neuroathletik und das neurozentrierte Training beziehen stets die Gehirnleistung mit ein. Personal Trainerin Luise Walther verdeutlicht den alltagstauglichen Nutzen dieses Trainingskonzepts, das in Kombination mit Functional Training bei vielerlei Beschwerdebildern hilft.
Sehr oft werde ich gefragt: Ist Neuroathletik nicht nur etwas für Profi- und Leistungssportler? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die Begriffe „Neuroathletik“ und „neurozentriertes Training“ unterschieden werden. Unter „Neuroathletik“ versteht man die sportartspezifische Vorbereitung auf einen Wettkampf für Leistungs- und Spitzensportler.
Was ist neurozentriertes Training?
Beim „neurozentrierten Training“ stehen der individuelle Trainingsschwerpunkt und die Alltagsrelevanz im Fokus. Neurozentriertes Training behandelt das Zusammenspiel von Bewegung, Gehirn und Nervensystem und ist damit für jedermann geeignet. Denn egal, ob alleinerziehender Vater, Managerin oder Büromensch: Im jeweiligen Lebensbereich müssen sie alle Höchstleistungen bringen.
Die Unterschiede zwischen Neuroathletik und neurozentriertem Training
- Funktionelles Training: umfasst komplexe Bewegungsabläufe, die in ihrer Kette verschiedene Gelenke und Muskelgruppen gleichzeitig beanspruchen. Es gilt als alltagsrelevante und sportartübergreifende Trainingsform. Der Schwerpunkt wird besonders darauf gelegt, nicht einen einzelnen Muskel isoliert zu trainieren, sondern ihn in funktionellen Bewegungsmustern integriert anzusprechen.
- Neuroathletiktraining ist die Weiterentwicklung des klassischen Athletiktrainings unter Einbeziehung des Nervensystems als zentrales Element der Bewegungssteuerung. Wie der Name Athletiktraining also darstellt, handelt es sich dabei um das Training der angeborenen Fähigkeiten und der erlernten Fertigkeiten mit dem Zweck, Athleten optimal auf ihren Wettkampf vorzubereiten.
- Neurozentriertes Training setzt nicht auf Wettkampfvorbereitung und Leistungsverbesserung, sondern auf die vorgeschaltete Leistungsbefähigung. Grundlegend ist die Tatsache, dass Bewegung und Schmerzen im Gehirn entstehen. Hier setzt das Training dementsprechend an. Denn das neurozentrierte Training ist ein gehirnbasiertes Training, das den Fokus auf die neuronalen Prozesse des Körpers richtet. Überdies verbindet es Atmung, Gleichgewicht, Augen und Bewegung miteinander. Bei diesem Konzept werden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf die aktuelle Situation der Trainierenden angewandt.
Sollte man zur Schmerzbewältigung funktionell oder neurozentriert trainieren?
Der entscheidende Unterschied zwischen dem traditionellen Verständnis von Functional Training und neurozentriertem Training ist das zugrunde liegende Modell: Während das funktionelle Training auf dem biomechanischen Modell aufbaut, erweitert das neurozentrierte Training diesen Ansatz um das neurobiomechanische Modell, in Teilen sogar um das neurobiopsychosoziale Modell. Betrachtet man den Begriff „funktionell“ – also eine Funktion betreffend –, kommt man um das zentrale Nervensystem nicht herum. Besonders wenn es um gesundheitliche Aspekte geht, sollte man klar unterscheiden, was als „funktionell“ erachtet werden muss. Je nach Krankheitsbild, Rehabilitationsphase und Leistungszustand kann beispielsweise das isolierte Ansteuern und Trainieren von Muskeln oder Gelenken durchaus funktionell sein.
Schmerzen sind multidimensional und ein komplexes Konstrukt. Schmerz entsteht in zwölf unterschiedlichen Gehirnarealen. All diese zwölf Bereiche können durch Training auch Veränderung bewirken. Allein durch eine neue Bewertung wird Schmerz modelliert und kann langfristig bewältigt werden. Schmerzen und Bewegung entstehen im Gehirn. Augen, Gleichgewicht, Atmung und Bewegung spielen zusammen und beeinflussen den Schmerz. In der Arbeit mit Kunden und Patienten geht es also immer darum, diese Zusammenhänge zu verstehen. Um das zu gewährleisten, arbeite ich mit dem folgenden dreistufigen Modell, um Kunden und Patienten bei ihrer Schmerzbewältigung zu helfen.
Schnittstelle Medizin und Fitness in der Schmerzbewältigung
1. Die Grundlage des neurozentrierten Trainings: Neuroanalyse
Die Grundlage des neurozentrierten Trainings ist eine Neuroanalyse, also ein ausführlicher Test, fokussiert auf Gangbild und Körperhaltung, Atmung, Gleichgewichtssystem und Augen. Der menschliche Körper wird aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, um ein holistisches Training zu gewährleisten. Die Gesamtheit der im Gehirn zu verarbeitenden Informationen wird dabei unter die Lupe genommen: Wie gut die Augen sind, wie stabil das Gleichgewichtssystem, wie gezielt die Gelenke bewegt werden können, wie synchron die Atmung ist und welche Körperhaltung eingenommen wird. Die Stufen des strukturierten „3-Level-Modells“ bauen aufeinander auf, was einen nachhaltigen Trainingserfolg gewährleistet. Eine ausführliche Erfassung der jeweiligen körperlichen Verfassung bildet die Grundlage der weiteren Handlungsempfehlungen zur Schmerzbewältigung.
2. Neurorehabilitation zur Wiederherstellung eingeschränkter Körperfunktionen
Darauf aufbauend findet die Neurorehabilitation statt: Wiederherstellung eingeschränkter Körperfunktionen, Reduzierung von Dysbalancen und Schmerzbewältigung, Berücksichtigung des gesamten Körpers unter Einbindung der neuronalen Ansteuerungs- und Bewegungsmuster, Erstellung eines individuellen Trainingsplans. Durch die Kombination klassischer und moderner Trainingskonzepte mit neuronalen Bewegungsansätzen wird ein innovativer Trainingsreiz geschaffen. Dies führt zu einer Verbesserung der Bewegungsabläufe, zu einer Reduzierung von Schmerzen und damit zu einer Steigerung der Lebensqualität. Dieser holistische Ansatz garantiert einen nachhaltigen Erfolg, insbesondere bei der Schmerzbewältigung!
3. Neuroperformance
Die letzte Stufe umfasst dann den Ausbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und die alltägliche Performance-Steigerung durch Neuroperformance. Die Zielsetzung ist hierbei, die Effektivität und die Effizienz in fünf Schritten zu steigern: perfekte Form, dynamische Körperhaltung, synchronisierte Atmung, Balance aus An- und Entspannung, rhythmische Bewegungen. Diese dritte Stufe ist je nach Gesundheits- und Leistungsstand ganz unterschiedlich und muss entsprechend diesen Ausgangsbedingungen angepasst werden.
Fallbeispiele zur Schmerzbewältigung aus dem Alltag
Die Erkenntnis der modernen neurowissenschaftlichen Forschung, dass wir in jedem Alter weiterhin neue Fähigkeiten erlernen und unsere Gehirnleistung verbessern können, ist eine wichtige Grundlage. Da Bewegung auf ihrer grundlegendsten Ebene von der Gehirnfunktion unterstützt und angetrieben wird, sollte diese immer zentraler Baustein im Training, vor allem in Bezug auf die Schmerzbewältigung, sein.
Fallbeispiel 1
Daten: Männlich, 85 Jahre
Status: Parkinson, diverse Bandscheibenvorfälle, Peroneusparese
Trainingsschwerpunkt: Augen und Gleichgewicht
Hauptbeschwerden: Gleichgewichtsprobleme, muss vorsichtig sein beim Treppenlaufen und Festhalten am Handlauf, Abweichung zu einer Seite während des Gehens/Stehens, Ruhetremor, vorgebeugte Körperhaltung und damit einhergehende Atemeinschränkungen
Basiswissen: Um ein optimales Bewegungsprogramm abrufen zu können, analysiert das Gehirn zu jeder Zeit innerhalb von Millisekunden eingehende Informationen (Input). Besonders die Informationen der Augen und des Gleichgewichtsorgans sowie der Rezeptoren des aktiven Bewegungsapparates, also von Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken, sind von unermesslicher Bedeutung.
Die Augen senden die meisten Informationen an das Gehirn und haben somit die höchste Priorität. Sie arbeiten eng mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr zusammen. Gemeinsam haben sie einen großen Einfluss auf die Körperhaltung und können muskuläre Dysbalancen ausgleichen.
Neuroathletik-Übung: Ja-Sager und Nein-Sager in verschiedenen Schrittstellungen
Stelle dich aufrecht hin und fixiere einen Punkt. Schau auf diesen Punkt und rotiere den Kopf nach rechts und links in einer Geschwindigkeit, die für dich angenehm ist und mit der du dich wohlfühlst. Achte darauf, dass der fixierte Punkt immer scharf bleibt, und rotiere nur so weit, dass du den Punkt noch deutlich siehst. Führe die Bewegung anschließend mit Beugung und Streckung aus.
Steigerung: Ausführung in Schritt- und alltagsrelevanten Positionen.
Neuroathletik-Übung: Kombination Augen, Gleichgewicht, Bewegung und Atmung
Strecke deinen rechten Arm aus und fixiere den rechten Daumen. Atme tief ein. Mit der Ausatmung senke in gleicher Geschwindigkeit Arm, Kopf und Augen nach unten. Die Augen bleiben auf dem Daumen. Anschließend wieder nach oben kommen. Führe ein paar Wiederholungen in einer für dich angenehmen Geschwindigkeit durch. Variiere das Ganze anschließend mit der Streckung der Halswirbelsäule.
Fallbeispiel 2
Daten: Weiblich, 62 Jahre
Status: Hüft-TEP
Trainingsschwerpunkt: Ebene der Rezeptoren, periphere Nerven und Rückenmark
Hauptbeschwerden: Bewegungseinschränkende Narben, Sensibilitätsstörungen an OP-Stelle, Instabilität beim Stehen und Laufen
Basiswissen: Eine häufige Schwachstelle nach einer Operation ist das Narbengewebe. Die wenigsten Menschen verfügen hier über eine exzellente sensomotorische Kontrolle. Entscheidend ist das Testen unterschiedlicher Reize, die das propriozeptive System – Gehirn, Rückenmark und peripheren Nervenenden – trainieren. Wenn es um die peripheren Nervenenden geht, gibt es verschiedene Arten, die zu unserer propriozeptiven Karte beitragen, aber in diesem Programm gilt das Hauptinteresse den Mechanorezeptoren. Mechanorezeptoren sind Nervenendigungen, die Bewegungen im Körper wahrnehmen.
Es gibt mehrere Klassifizierungen und Unterteilungen von Mechanorezeptoren, aber zur Vereinfachung können wir sagen, dass diese Nervenenden Signale bezüglich Spannung, Bewegungsgeschwindigkeit und Bewegungswinkel aus der Peripherie an das Gehirn senden. Diese Nervenenden und ihre Signale sind die Schlüsselkomponenten des propriozeptiven Systems, die eine präzise und gut definierte Körperkarte erstellen. Reize, die man um das Narbengewebe herum testen sollte – zur Aktivierung und Rehabilitation dieses Bereichs – sind: warm/kalt, spitz/ dumpf, Vibration, Druck/Zug, Abheben des Gewebes, Berührung in unterschiedlichen Intensitäten und Ebenen.
Das Buch können Sie hier bestellen
Neuroathletik-Übung zur sensorischen Wahrnehmungsfähigkeit
Mit einem Stift über den rechten und linken Bereich streifen und das Gefühl vergleichen. Ist es auf beiden Seiten identisch oder nimmt man unterschiedliche Intensitäten an unterschiedlichen Stellen wahr?
Neuroathletik-Übung zur motorischen Kontrolle
Mit dem Ein-Bein-Stand wir beurteilt, wie stabil das Hüftgelenk ist. Sehr oft wird ein Unterschied der Stabilität zwischen beiden Seiten wahrgenommen – zwischen der operierten und der nicht operierten Seite. Damit die Kraftübertragung beim Laufen von der Hüfte über den Fuß in den Boden möglichst ideal ist, sollte vor allem die Sensorik auf beiden Seiten ausgeglichen sein.
Die motorische Kontrolle ist nur dann gut, wenn qualitativ gute und seitengleiche sensorische Informationen an das Gehirn geliefert werden. Das aktive Mobilisieren und Fühlen um das Narbengewebe und die OP-Stelle sollte also für alle Post-OP-Kunden zur Routine gehören. Es empfiehlt sich, vor und nach dem Reiz zu testen, ob der Input die Bewegung, die Stabilität und das Gefühl angenehmer gemacht hat. Der Fokus sollte anfangs zunächst auf der Verbesserung liegen.
Fallbeispiel 3
Daten: Weiblich, 36 Jahre
Status: Rückenschmerzen
Trainingsschwerpunkt: Beckenboden und Diaphragma, Vagusnerv, N. tibialis, Atmung
Hauptbeschwerden: Verspannungen und Schmerzen im unteren Rücken, Mangel an Körperwahrnehmung, häufig aufgeblähter Bauch
Basiswissen: Sowohl Verspannungen und Beschwerden im Rücken, als auch ein empfindlicher Verdauungstrakt oder auch nicht erholsamer Schlaf können über die Atmung positiv beeinflusst werden. Sowohl die biochemische als auch die biomechanische Optimierung der Atmung hat extrem positive Effekte, denn das zentrale Nervensystem kontrolliert die Atmung. Eine gleichmäßige Weitung des Brustkorbs hat zusätzlich einen stabilisierenden Einfluss auf die Körpermitte. Durch ein optimiertes Atemmuster kann die Muskulatur besser mit Sauerstoff versorgt werden. Dies führt zu einer gesteigerten Energieproduktion in der Muskelzell.
Neuroathletik-Übungen zur Schmerzminderung: Die Leiteratmung
Für Anfänger, die mit Atemtraining noch nicht viele Berührungspunkte hatten, ist die nachfolgende Übung als Einstieg geeignet. Nehme 2–3 tiefe Atemzüge in den Bauch, dann 2–3 tiefe Atemzüge in die Rippenbögen, dann 2–3 tiefe Atemzüge in den Brustkorb. Idealerweise sollte die Atmung dreidimensional angesteuert werden.
Das bedeutet, der Brustkorb und die Rippenbögen dehnen sich nach vorn, zur Seite und nach hinten gleichmäßig aus. Um die Übung zu vereinfachen und automatisieren, binde ein Widerstandsband um den Rippenbogen, sodass du einen leichten Druck spürst. Jedoch solltest du noch entspannt atmen können. Das Band gibt ein Feedback über die Gleichmäßigkeit und Tiefe der Atmung. Empfehlung: morgens und abends 5–10 Minuten.
Neuroathletik-Übungen zur Schmerzminderung: Blockierte Einatmung
Zweimal tief durch die Nase ein- und ausatmen, anschließend ein drittes Mal maximal einatmen und dann die Nase zuhalten. Dabei gegen den Widerstand der zugehaltenen Nase weiter einatmen, sodass keine Luft mehr durch die Nase oder den Mund hinein oder hinaus kommt.
Achte darauf, den Brustkorb und die Rippenbögen dreidimensional zu aktivieren. Wenn der Lufthunger zu groß wird, ausschließlich durch die Nase weiter ein- und ausatmen, bis sich die Atmung wieder normalisiert hat. Dann zwei- bis dreimal wiederholen.
Autorin: Luise Walther
Unser Tipp aus der Trainingsworldredaktion
Das Buch zum Thema von unserer Autorin Luise Walther!
Luise Walther erklärt anschaulich die komplexen und faszinierenden Zusammenhänge zwischen Augen, Balance, Bewegung und Atmung und zeigt mit einfachen Beispielen und Übungen, wie wir sofort aktiv werden und unser Gleichgewicht trainieren können – in jedem Alter.
Ein verbessertes Gleichgewicht wirkt sich positiv auf unsere Körperhaltung und unsere Mobilität aus und wir können uns wieder frei und ausgeglichen bewegen.
Über die Autorin
Mit ihrem Neurozentrierten Training sorgt Luise Walther für Aufsehen in der Gesundheits- und Fitnessbranche. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Trainingsprozessen, um Schmerzen zu reduzieren und Bewegungsabläufe zu optimieren.
Die Spezialistin für Rehabilitation, Verletzungsprophylaxe und Performance- Steigerung stellt die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Vordergrund. Die zentrale Grundlage ihrer neuroathletischen Arbeit ist die Erkenntnis, dass Schmerzen im Gehirn entstehen.
Aus diesem Grund, so die Überzeugung von Luise Walther, muss Training radikal neu gedacht und umgesetzt werden. Ihre Expertise und internationale Qualifikation besitzen deutschlandweit nur einige wenige Trainer, weshalb namhafte Unternehmen und Medien auf ihre Expertenmeinung zählen. Auch das begeisterte Feedback ihrer Kunden gibt ihrer langjährigen Arbeit und Erfahrung recht.