Was ist Schmerz und wie entsteht er? Ratgeber | Sportmedizin

0

Schmerz macht uns bewusst, wie klein und machtlos wir sind. Während akute Schmerzen in der Regel eine klare Ursache haben und wieder vergehen, sobald diese behoben oder Heilung eingetreten ist, führen anhaltende oder häufig wiederkehrende Schmerzen ein Eigenleben. Mehr dazu erfahren Sie hier im Artikel.

Schmerz als Folge chronischer oder regenerative Erkrankungen

Entweder lässt sich kein eindeutiger Auslöser finden, oder die Schmerzen sind Folge einer chronischen bzw. degenerativen Erkrankung, die therapieresistent oder gar unheilbar ist. In all diesen Fällen ist es mit schulmedizinischen Mitteln nicht möglich, den Schmerz abzustellen oder dauerhaft zu beheben.

Auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen, wir können Schmerzfreiheit nicht erzwingen, das liegt nicht in unserer Macht. Und das gilt sowohl für die Betroffenen selbst als auch für Therapeuten. Das, was wir leisten können, ist die Akzeptanz des Unvermeidlichen. Erst wenn wir den Schmerz angenommen haben, wenn es uns gelingt, ihn in unser Leben zu integrieren, ohne permanent gegen ihn anzukämpfen, lässt die Spannung nach, und wir können den Fokus vom Schmerz weg auf das große Ganze richten. Insofern ist es zwar ein verständlicher Wunsch, frei von Schmerzen sein zu wollen, aber er ist gerade bei chronischen Schmerzen nicht immer erfüllbar.

Die eigentliche Ursache von Schmerz

Schmerzen sind die physiologische Reaktion des Körpers auf alles, was vom Gehirn als potenzielle Bedrohung eingestuft wird. Selbst heftigste chronische Schmerzen bestehen nur deshalb, weil das Gehirn entschieden hat, dass der Organismus akut gefährdet ist. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn das Gehirn beschlossen hat, dass keine nennenswerte Gefahr vorliegt, herrscht Schmerzfreiheit. Letztlich ist das Gehirn der wahre Urheber jeglicher Schmerzempfindung.

Und relativ selten ist der Ort der Schmerzwahrnehmung auch tatsächlich der Auslöser vor allem chronischer Schmerzen. Man weiß heute, dass sie »zentralnervösen« Ursprungs sind. Interessant ist auch, dass bei der Wahrnehmung und Verarbeitung sowohl körperlicher als auch seelischer Schmerzen dieselben Hirnareale aktiv sind. Das haben bildgebende Verfahren eindeutig belegt, wobei bislang unklar ist, von welchen Faktoren es abhängt, ob ein Schmerz körperlich oder seelisch erlebt wird.[1] In der Regel sind beide Wahrnehmungsebenen miteinander verzahnt, und so gibt es streng genommen weder einen rein körperlichen noch einen rein seelischen Schmerz.

Ischiasschmerzen und das Piriformis-Syndrom

Wie entsteht Phantomschmerz?

Als wie stark wir Schmerz empfinden, ist nicht abhängig vom Schweregrad der Gewebeschädigung, oft liegt sogar überhaupt keine nachweisbare Schädigung vor. Ein signifikantes Beispiel hierfür ist der Phantomschmerz, bei dem ein nicht mehr vorhandener Körperteil als schmerzhaft empfunden wird. Das können amputierte Extremitäten sein oder auch ein entfernter Appendix.

Oft klagen Patienten über anhaltende Schmerzen, obwohl die Verletzung oder Entzündung längst abgeklungen ist: Der Schmerz hat sich verselbstständigt. Wenn ein Mensch trotz vorhandener Verletzung keine Schmerzen verspürt, kann er davon ausgehen, dass sein Gehirn die Situation als nicht bedrohlich eingestuft hat oder dass es nichts von der potenziellen Schädigung erfahren hat, beispielsweise weil die Reizweiterleitung durch ein Lokalanästhetikum vorübergehend unterbunden wurde oder weil eine Schädigung in den betreffenden Nerven oder Hirnarealen vorliegt, die für die Schmerzverarbeitung und -weiterleitung zuständig sind.

Wie entsteht Schmerz?

An zahlreichen Stellen im Körper befinden sich Sensoren, die für die Wahrnehmung von Schmerzreizen zuständig sind. Dabei handelt es sich um freie Nervenendigungen. Besonders viele dieser »Messfühler« sind im Bereich der Haut lokalisiert und übernehmen dort eine Art Schutzfunktion, indem sie zum Beispiel auf Hitze, Kälte, Druck oder Zug reagieren. Wird die Haut durch einen Nadelstich oder heißes Wasser verletzt, reagieren die dort befindlichen Nervenfasern und wandeln die Information umgehend in ein elektrisches Signal um. Dieses wird im Bruchteil einer Sekunde über das Rückenmark zum Gehirn weitergeleitet, ausgewertet und entsprechend beantwortet.

Die Medizin macht sich diesen Mechanismus zu Nutze, um Schmerzen vorübergehend auszuschalten. Verabreicht der Zahnarzt beispielsweise eine schmerzhemmende Spritze, reagieren die Sensoren vorübergehend nicht auf die mechanischen Reize während der Behandlung. Das führt dazu, dass keine entsprechenden Impulse ans Rückenmark erfolgen – das Gehirn erfährt nichts von der drohenden Gefahr, die sich im Mundraum abspielt. Der Patient verspürt keinen Schmerz.

Auch interessant! Kieferschmerzen – CMD richtig behandeln: Alltagstipps und effektive Übungen

Schmerz und Stress

Unter normalen Umständen ist das Verhältnis der verschiedenen Sensoren (chemisch, mechanisch und thermisch) im Organismus relativ ausgeglichen. Sollte das Gehirn aber entscheiden, dass beispielsweise eine erhöhte Stressempfindlichkeit gerade das Beste für die Sicherheit des Betroffenen ist, so steigert die DNA die Produktion von Sensoren, die durch stressbedingte Botenstoffe wie Adrenalin aktiviert werden. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Produktion dieser Sensoren auch wieder reduziert werden kann, wenn die entsprechende Nachfrage sinkt. Hierauf kann der Schmerzpatient aktiv Einfluss nehmen, zum Beispiel durch stressreduzierende Maßnahmen.

Im Falle einer akuten Bedrohung werden Signale höchster Dringlichkeit von der Peripherie zum Rückenmark gesendet und von dort weiter ans Gehirn übermittelt. Dieser Vorgang wird als Nozizeption (lat. nocere = schaden) bezeichnet. Dabei setzen spezialisierte sensorische Rezeptoren (Nozizeptoren) das Gehirn über drohende Gewebeschädigungen in Kenntnis. Die Aktivierung dieser Schmerzrezeptoren wird durch bestimmte Stoffe, sogenannte Schmerzmediatoren, gesteuert. Dazu zählen die Gewebshormone Prostaglandine, Bradykinin und Serotonin. Auch Sauerstoffmangel im Gewebe, ein Absinken des pH-Werts durch CO2-Anstieg und eine veränderte Elektrolytkonzentration im Blut können zu erhöhter Erregbarkeit führen.

Nozizeptive Aktivitäten sind allerdings keine zwingende Voraussetzung, um Schmerzen zu empfinden, das heißt, Schmerzen, vor allem chronische Schmerzen, können auch wahrgenommen werden, wenn keine Gewebeschädigung vorliegt. Nozizeption ist zwar der häufigste, nicht aber der einzige Vorbote von Schmerzen. Mitunter aktivieren auch bestimmte Gedanken wie negative Erwartungsängste Alarmsignale direkt im Gehirn, ohne dass in der Peripherie eine Nozizeption ausgelöst worden wäre. Hier kommt das Schmerzgedächtnis ins Spiel.

Das Schmerzgedächtnis

Um schneller und effektiver auf eine potenzielle Bedrohung reagieren zu können, speichert das Gehirn schmerzhafte Erfahrungen aus der Vergangenheit in Form eines Schmerzgedächtnisses ab. An dessen Entstehung sind unter anderem das Mittelhirn sowie thalamische, limbische und kortikale Strukturen beteiligt. Wenn sich eine derartige Erfahrung wiederholt, erinnert sich das Gehirn augenblicklich an das schmerzhafte Erlebnis und stuft die neuerliche Bedrohung als schwerwiegender ein. Die Schmerzschwelle wird herabgesetzt.

Das Resultat sind stärkere Schmerzen. In der Konsequenz verbindet der Betroffene sämtliche Situationen, in denen der Schmerz jemals aufgetreten ist, unwillkürlich mit dem Schmerzerlebnis, was zu einer negativen Erwartungshaltung führt, die ohne nozizeptive Aktivitäten zum Auftreten von Schmerzen führen kann. Man spricht hier von Antizipation oder von antizipatorischen Ängsten. Allein der Gedanke an das Auftreten des gefürchteten Schmerzes kann ausreichen, um ihn auszulösen.

Nocebo- und Placebo-Effekt

Man könnte hier von einem Nocebo-Effekt sprechen. Im Gegensatz zum Placebo-Effekt wirkt sich die innere Überzeugung, dass der Schmerz wiederkommen wird, negativ auf den Heilungsprozess aus: Der Schmerz wird geradezu heraufbeschworen. Negative Gedanken fungieren in diesem Fall als Nervenimpulse. Auch das ist ein wichtiger Anhaltspunkt für eine ganzheitliche Schmerztherapie.

Hinzu kommt, dass Menschen, die unter muskulären Verspannungen, chronischen Entzündungen oder körperlichen Funktionseinschränkungen leiden, Schmerzen schlechter verarbeiten als Menschen ohne entsprechende Vorbelastungen. Bei ihnen besteht ein höheres Risiko zur Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses. Das Gleiche gilt für Menschen mit Depressionen und für jene, die beruflich oder privat stark belastet sind.[2]

Die neurophysiologische Forschung hat ergeben, dass wiederholte und intensive nozizeptive Reize zu Umstrukturierungen im Zentralnervensystem führen. Fatalerweise lässt sich das Schmerzgedächtnis nicht löschen. Selbst wenn die Ursachen des chronischen Schmerzes längst beseitigt sind, erinnert sich das Gehirn noch lange daran. Die moderne Hirnforschung konnte mittlerweile nachweisen, dass das Gehirn keine Löschtaste besitzt. Einmal erlebte Schmerzen bleiben gespeichert, die Löschung ihrer Spuren erfolgt nicht.[2]

Kann man das Schmerzgedächtnis überschreiben?

Ein »Überschreiben« der Schmerzspur ist, wenn überhaupt, nur dann möglich, wenn es auf mehreren Ebenen stattfindet: »Um das Schmerz-Engramm zu schwächen, müssen die neuen Reize hundertfach wiederholt werden. Es muss gelingen, andere Gehirnareale bewusst zu aktivieren, um eine Art Überschreibung des Schmerzgedächtnisses erreichen zu können, wenn auch eine Löschung nicht möglich ist.«[3]

Dazu ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Betroffenen Situationen, in denen der Schmerz einmal aufgetreten ist, nicht konsequent meiden, sondern dass sie sich wieder und wieder in derartige Lagen begeben, um die einmal gemachte negative Erfahrung durch viele positive zu überlagern, sodass die entsprechende Situation nicht automatisch mit dem Auftreten des Schmerzes verbunden wird.

In der Verhaltenstherapie bezeichnet man ein derartiges Vorgehen als Expositionstherapie. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass die Betroffenen ihre Angst vor bestimmten potenziell schmerzauslösenden Situationen, Orten oder Tätigkeiten nach und nach ablegen können. Auch das passende homöopathische Mittel kann hier wertvolle Dienste leisten.

Zusammenfassung

  • Das Gehirn erzeugt Schmerzen.
  • Schmerzen sind ein Zeichen akuter Bedrohung.
  • Der Ort der Schmerzwahrnehmung ist selten der wahre Auslöser.
  • Körperliche und seelische Schmerzen gehen Hand in Hand.
  • Schmerzsignale werden von der Peripherie über das Rückenmark zum Gehirn geleitet. Dort erfolgt die Bewertung und Beantwortung.
  • Im Thalamus entscheidet sich, welche Informationen ins Bewusstsein gelangen. Diese Hirnregion ist für die Schmerzwahrnehmung zuständig.
  • Im limbischen System findet die emotionale Bewertung der Schmerzen statt.
  • Das Stammhirn steuert lebenswichtige Vorgänge wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck und essenzielle Reflexe.
  • Tritt der gleiche Schmerz wiederholt auf, reagiert der Organismus mit der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses.
  • Das Schmerzgedächtnis kann man nicht löschen, wohl aber durch positive Erfahrungen überschreiben.

Autorin: Dorit Zimmermann

Unser Buchtipp aus der Redaktion

Wege aus der Schmerzspirale

Verstehen, annehmen, loslassen –chronische Schmerzen ganzheitlich behandeln

was sie gegen schmerz tun können - hilfe zur selbsthilfeMenschen mit chronischen Schmerzen haben einen hohen Leidensdruck. Zu der körperlichen Einschränkung kommen oftmals Depressionen sowie Angst- und Schlafstörungen. Dorit Zimmermanns einzigartige Behandlungsmethode verbindet die Homöopathie mit der biografisch-systemischen Verhaltenstherapie.

Ein ganzheitlicher Ansatz, der körperliche und seelische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Fundiert und verständlich klärt sie über therapeutische Wege auf und zeigt, wie es gelingt, den Schmerz anzunehmen, sich mit ihm auseinanderzusetzen und den Fokus auf andere Lebensinhalte zu lenken – für eine sanfte Hilfe ohne Nebenwirkungen.

Dorit Zimmermann ist Heilpraktikerin mit eigener Praxis für Klassische Homöopathie und Psychotherapie in Gräfelfing bei München mit dem Schwerpunkt Schmerztherapie. Sie ist ausgebildet in Klassischer Homöopathie, Phytotherapie, Mykotherapie und Psychotherapie. Zudem ist sie als Medizinjournalistin und Redakteurin der Zeitschrift »Homöopathie« tätig. Von ihr sind bereits mehrere Bücher erschienen.

Sie können das Buch hier bestellen

Quellenangaben

  • [1] Wiedemann, Johannes: Gesichter des Schmerzes. Vortrag auf der 24. Arbeitstagung des Wildunger Arbeitskreises für Psychotherapie »Gesichter der Menschlichkeit«, S. 1
  • [2] Vgl. Bruhn 2013, S. 1394
  • [3] Vgl. Bruhn 2013, S. 1395
Teilen

Über den Autor

Trainingsworld

Leave A Reply