Verklebte Faszien: Psychischer Stress und seine Auswirkungen sind uns allen bekannt. Man ärgert sich – und schon läuft eine Kaskadenausschüttung der Stresshormone ab und der Muskeltonus erhöht sich. Psychischer Dauerstress bedeutet gleichzeitig Dauerstress für die Muskulatur und somit auch für die Faszien. Wie können wir nun unsere tief liegenden Muskelstrukturen wieder „entstressen“?
Inhaltsverzeichnis
- Verklebte Faszien – neue wissenschaftliche Erkentnisse
- Wie wirkt sich emotionaler Stress auf die Faszien aus?
- Sind verklebte Faszien gefährlich?
- Wie kann ich verklebte Faszien wieder lösen?
- Übungen
- Prophylaxe
Verklebte Faszien – neue wissenschaftliche Erkenntnisse
Das faszinierende Thema „Faszien“ ist nicht nur für die Wissenschaft spannend. Ihre enorme Bedeutung für die Physio- und die Sporttherapie sowie den alltäglichen Fitnessbetrieb hat die Faszien in den Fokus aller Sportler und Trainer gerückt. Schmerzen und Verletzungen zu behandeln, ist eine Herausforderung. Und fast immer ist dabei auch Fasziengewebe betroffen. Schon immer werden in der Sportphysiotherapie verhärtete Muskeln behandelt. Neue essenzielle Grundlagen hierfür stammen von Dr. Robert Schleip und seinem Forschungsteam an der Universität Ulm. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass Faszien eine Eigenständigkeit besitzen.
Dies konnte Dr. Heike Jäger, Wissenschaftlerin der Forschungsgruppe um Dr. Schleip, 2015 in einem Vortrag mit bildgebendem Verfahren mittels Ultraschall-Elastographie belegen. Sie zeigte, wie die Ausschüttung von Stressbotenstoffen – unabhängig von der Muskelarbeit – zur Kontraktion der Faszien, in diesem Fall der Faszien des großen Rückenmuskels M. latissimus dorsi, führten. Das netzartig den ganzen Körper umfassende Fasziensystem, das mit allen Systemen des Körpers in Kontakt steht, weist eine Eigenständigkeit bzw. Eigenmotilität auf, die die Funktionalität der Muskeln, Bänder und Sehnen stark beeinträchtigt. Die Faszien besitzen selbst Fasern, die sich an- und entspannen können, wobei das vegetative Nervensystem diese Eigenständigkeit beeinflusst. Mit diesen Entdeckungen von Dr. Jäger wurde klar: Muskeln und Faszien bilden eine Einheit.
Wie wirkt sich emotionaler Stress auf die Faszien aus?
Psychischer Stress lässt die Faszien wie einen verfilzten Pullover verkleben. Im Wechselspiel von Körper und Seele können dann die Faszien als Ort der Schmerzentstehung die psychische Gesundheit beeinflussen. Nicht selten werden solche Triggerpunkte zur schmerzenden Qual, die häufig nur durch Schmerztabletten ausgeschaltet werden können. Hat in grauer Vorzeit die Todesstarre – ausgelöst durch die Ausschüttung von Stresshormonen – den Menschen vor einem Angriff geschützt, so schädigt heute besonders latenter Stress die Faszien. Eine „Faszienstarre“ allerdings führt zu erheblichen Störungen im Körpersystem.
In diesem Zusammenhang rückt nicht nur der psychische Stress in den Mittelpunkt der Betrachtungen, sondern auch der körperliche Alltagsstress. Dieser wird durch unsere nicht artgerechten alltäglichen Verhaltensweisen und Bewegungsmuster produziert. Die meisten Menschen sitzen zu viel, häufig stundenlang und machen dabei auch noch einen Rundrücken. Zusammengekauert wie im Mutterleib, verharrt die Wirbelsäule über Stunden in einer „embryonalen Sitzkyphose“. Sitzt ein „Büromensch“ an seinem Schreibtisch, führt häufig nicht nur die lange, sondern vor allem diese sehr belastende Sitzposition zu einer Überforderung der Bänder, Sehnen und Muskeln des Halteapparats. Und das bedeutet Stress für das Fasziengeflecht. Die Sitzhaltung sollte daher ständig in Bewegung sein. Länger dauernde, monotone Haltearbeit führt abgesehen von den Verklebungen der Faszien zu lokalen Stoffwechselstörungen. Diese wiederum führen zu Ermüdungserscheinungen und schließlich zu Schmerzen. Neben der motorischen Ermüdung kommt es auch zur psychischen Ermüdung.In diesem Sinne freuen sich die Faszien, wenn man dynamisch aufrecht sitzt. Unterstützen kann dabei ein luftgefülltes Sitzkissen, ein Sitzkeil oder auch der große Sitzball.
Sind verklebte Faszien gefährlich?
Gestresste, vernachlässigte und verklebte Faszien führen leichter zu Verletzungen. Ganz nach dem Motto „Use it or lose it“ werden die Faszien steif und starr, wenn ein gezieltes Training fehlt. Dadurch wird die Belastbarkeit von Sehnen, Bändern und Aponeurosen vermindert. Es können schmerzhafte Reibungen entstehen, die Muskulatur wird anfälliger für Verletzungen. Gerade im Breiten- und Leistungssport ist ein gezieltes Faszientraining daher sehr empfehlenswert. Geschmeidige Faszien, die optimal Kraft übertragen bzw. speichern, Spannung halten und sich dehnen können, sind die Voraussetzung für einen funktionellen Bewegungsablauf.
Sportler, Trainer und Therapeuten haben die tragende Rolle der Faszien für „gesunde“ Bewegungen erkannt und die Erkenntnis gewonnen, dass Faszien auf gezielte Behandlungen sehr gut reagieren. Dabei sind die richtigen Trainingsreize und Impulse für das Fasziennetzwerk entscheidend. Ein Faszientraining sollte variantenreich und vielseitig sein. Faszien mögen Bewegungen wie Schwingen, Federn, Dehnen, Druck und Zug. Mehr Bewegungsweite über die Zugbahnen zu erzielen und so die Bewegungsgrenzen zu erweitern, sollte ein weiteres Ziel sein. Wohl bekannt ist das Ausrollen der Faszien. Dieser gezielte Druck bringt die Gewebsflüssigkeit in Bewegun.
Wie kann ich verklebte Faszien wieder lösen?
In jedem Erwachsenen steckt ein Kind. Deshalb gerne mal wieder auf dem Spielplatz mit dem Nachwuchs toben: Schaukeln, Rutschen, Klettern, Hangeln, Pendeln, Ziehen, Drücken – all das tut den Faszien gut. Öfters mal Kind sein, lachen und spielerisch das Leben genießen! Auch regelmäßiges Stretching eignet sich gut für die Faszien. Hier hat es sich bewährt, am Grenzpunkt der Dehnung sanft und einfühlsam die Dehnung mehr oder ein ganz klein wenig zu verstärken und wieder zu lösen. Eine äußere Bewegung ist dabei kaum sichtbar.
Demgegenüber besteht die Möglichkeit, zwischen der Anfangs- und der Endposition kontinuierlich „hin und her zu wandern“. Man tastet sich langsam an seine Dehngrenze heran. Sobald man eine sanfte Dehnung wahrnimmt, kehrt man im fließenden Wechsel in die Ausgangsposition zurück, um gleichmäßig direkt wieder bis an die Dehngrenze zu gehen. Die positive Wirkung auf die Faszien und die Muskulatur ist sofort spürbar und sogar wissenschaftlich bestätigt. Jeden zweiten oder dritten Tag ein gezieltes Faszientraining durchzuführen, ist optimal. Aber auch im Alltag immer wieder mit kleinen Bewegungsübungen die einseitige, starre Sitzhaltung zu unterbrechen, ist wirkungsvoll. Zweimal am Tag kann z. B. drei Minuten lang eine der oben vorgestellten Übungen durchgeführt werden. So kommt man bei sieben Tagen pro Woche auf wöchentlich 42 Minuten Faszientraining ohne großen Aufwand.
Übungen
Die Welle: Wirbel für Wirbel wie eine Welle „rollen“. Dazu den Kopf nach vorn-unten nehmen, zum Bauchnabel schauen und spüren, wie der Rücken rund wird. Wirbel für Wirbel nach unten rollen, bis das Becken nach hinten gekippt ist. Dann einen „Entenpopo“ machen und ins Hohlkreuz gehen. Von unten langsam wieder Wirbel für Wirbel nach oben wandern, bis der siebte Dornfortsatz des Halswirbels wieder nach hinten-oben gerichtet ist. Die Arme sind an den Körperseiten. Den Brustkorb öffnen. Fließend wellenförmig Wirbel für Wirbel nach oben und unten rollen, dabei vom Hohlkreuz über den Rundrücken wieder in die Streckung (Ausgangsposition) kommen. Den Atem ruhig und gleichmäßig fließen lassen.
Der Elch: Dehnung der oberflächlichen Front-Armlinie und der funktionellen Frontlinie, der Brust- und Bauchmuskulatur. Ausgangsposition ist der Einbeinstand. Das rechte Bein überkreuzt das linke Bein und wird in der Luft gehalten. Das Standbein ist leicht gebeugt. Der Rücken ist aufrecht gestreckt. Den linken gebeugten Arm in den rechten gebeugten Arm legen. Nun langsam die Arme so weit wie möglich nach oben und wieder nach unten bewegen.
Fersentreten: Hüftschmal auf einer Treppenstufe stehen. Abwechselnd langsam die rechte oder linke Ferse mit wenig Belastung unter die Stufe bewegen, dabei das linke oder rechte Knie beugen. Die Arme gebeugt in Kreuzkoordination mitnehmen oder sich mit den Händen am Geländer festhalten.
Prophylaxe
Ein gezieltes Faszientraining kann die Faszien geschmeidig halten, Schmerzen lindern, Bewegungen optimieren, vor Überlastungsschäden schützen und einen Muskelkater minimieren. Auch ist es hilfreich, immer wieder einfache, fließende Bewegungen mit großer Bewegungsamplitude in den Alltag einzubauen. Einfach mal mit Bällen oder Schaumstoffrollen in den Pausen ausrollen ist effektiv und wirkt sehr wohltuend. Das Ausrollen ist wie eine Selbstmassage und hat nicht nur eine therapeutische, sondern – wie die fließenden Bewegungen – auch eine prophylaktische Wirkung. Prophylaktisches Handeln ist besser als behandelt zu werden.
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Autorin: Petra Schreiber-Benoit ist Dipl.-Sportwissenschaftlerin, Sport- und Ernährungstherapeutin und gibt zertifizierte Kurse im Bereich Bewegung, Ernährung und Entspannung sowie Rückenfitness und Good Aging. Im Laufe der Jahre hat sie mit bekannten deutschen Sportlern, z. B. dem ehemaligen Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, zusammengearbeitet. Sie ist Autorin mehrerer Gesundheitsratgeber.