MBSR: Achtsamkeit ist das ruhige und gelassene Wahrnehmen von allem, was um und in uns geschieht. Als grundlegendes und das am besten erforschte Achtsamkeitstraining hat sich die MBSR-Methode etabliert, die meditative Übungen in Ruhe und Bewegung mit Ansätzen aus der modernen Psychologie und Stressforschung kombiniert.
Inhaltsverzeichnis
- Herkömmliche Methoden zur Stressbewältigung
- Warum MBSR?
- Was ist MBSR?
- Vorteile von MBSR
- Selbstregulation im Gehirn durch MBSR
- Achtsamkeit
- Aufbau eines MBSR-Kurses
Welche Möglichkeiten gibt es, Stress zu bewältigen?
Klassische Maßnahmen zur Stressverarbeitung und -bewältigung zeichnen sich durch Strategien aus, die darauf abzielen, die durch Stress verursachte körperliche Erregung zu verringern oder sich selbst, seine Wahrnehmung und sein Verhalten willentlich so zu verändern, dass man mit Belastungssituationen und -quellen besser zurechtkommt und die Konfrontation mit ihnen weniger Stress auslöst. Zur Erregungsreduktion vermittelt man primär Entspannungstechniken. Für den besseren Umgang mit Stressauslösern dagegen wird bspw. an der Verbesserung des Zeit- und Selbstmanagements, am konkreten Erlernen von Problemlösungsstrategien, an der Reflexion und ggf. bewussten Veränderung von Einstellungen sich selbst, aber auch seinem Leistungsverständnis gegenüber gearbeitet sowie das gezielte Suchen und Nutzen von sozialer Unterstützung angeregt.
Warum MBSR?
All diese Maßnahmen haben sich durchaus bewährt und bilden das Gerüst für das einflussreiche Stressprogramm „Sicher und gelassen im Stress“ des deutschen Stressforschers und Psychotherapeuten Gerd Kaluza. Charakteristisch für solche Programme ist, dass sämtliche Schritte auf Basis bewusster und willentlich initiierter Veränderungen von Denk- und Verhaltensprozessen stattfinden. Für das Gehirn stellt ein solches Vorgehen jedoch eine eher harte, weil gehirnphysiologisch sehr anstrengende Herangehensweise dar.
Dem gegenüber steht das Konzept der MBSR – der „Mindfulness-Based Stress Reduction“, was sinngemäß „Stressmanagement auf Basis von Achtsamkeit“ bedeutet. Dieses Programm wurde in den 1970er-Jahren unter der Leitung des Molekularbiologen und Stressforschers Jon Kabat-Zinn am Medical Center der Universität Massachusetts entwickelt und gilt inzwischen als einer der weltweit erfolgreichsten Ansätze für einen guten Umgang mit Stress. Es wurde von Anfang an durch wissenschaftliche Forschung begleitet und zeichnet sich im Kern dadurch aus, dass es einen für das Gehirn vergleichsweise weichen, weil aus gehirnphysiologischer Sicht weniger anstrengenden Ansatz verfolgt.
Was ist MBSR?
MBSR ist ein achtwöchiges Programm, das Kabat-Zinn ursprünglich für eine Gruppentherapie von Menschen während eines stationären Reha-Aufenthaltes, für Personen mit chronischen Erkrankungen sowie für Stress- und Schmerzpatienten entwickelte. Aufgrund des großen Erfolges weitete man das Programm auch auf den nichtklinischen Bereich aus. Das Ziel war es, den Teilnehmern einen sanften Weg für einen besseren Umgang mit sich und ihrem Stress näherzubringen. Inhaltlich stehen beim MBSR-Konzept formale Achtsamkeitsübungen wie der Bodyscan, unterschiedliche Formen der Achtsamkeitsmeditation sowie sanftes Yoga im Vordergrund. Dabei hat das Konzept der Achtsamkeit seine Wurzeln im fernöstlich geprägten Buddhismus und wird von Kabat-Zinn als ein „nicht bewertender, aber äußerst bewusster Fokus der eigenen Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Erfahrung“ beschrieben.
Was bringt MBSR?
Letztendliches Ziel der MBSR ist es, seinen psychischen Apparat so weit zu entwickeln, dass man mit seiner Aufmerksamkeit auch unter großem Belastungsdruck im Hier und Jetzt verweilen kann und die dabei zwangsläufig aufkommenden unangenehmen Emotionen und stressgeprägten Gedanken akzeptieren und sich von ihnen auch wieder rasch lösen kann.
Allerdings wäre es ein Missverständnis, den Akzeptanzansatz als Aufforderung dahingehend zu verstehen, jegliche Belastungen mit Gleichmut über sich ergehen zu lassen oder gar nach dem Motto „Alles egal“ oder gar „Alles gut“ permanent zu schlucken. Akzeptanz im Sinne des MBSR-Programms bedeutet vielmehr, zu erlernen, sich in Stressmomenten und -phasen auf emotionaler wie mentaler Ebene nicht vollends zu verlieren. Durch das Erlernen von Akzeptanz werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, selbst unter größter Stresseinwirkung noch genügend emotionale Gelassenheit und geistigen Freiraum zu erleben. Nur so lassen sich innere Präsenz und mentale Klarheit für den gegenwärtigen Moment aufrechterhalten. Und dies wiederum sind die Voraussetzungen, um sich im Stressgeschehen auf einen möglichst guten Umgang mit sich selbst und seinen Handlungsmöglichkeiten auszurichten und Wege erkennen zu können, die aus der Stresssituation herausführen.
Selbstregulation im Gehirn
Wie schon beschrieben, stellen klassische Stressmanagementmethoden für das Gehirn eine harte und energetisch aufwendige Form im Umgang mit Stress dar. Achtsamkeitsbasierte Programme wie MBSR dagegen gehen vergleichsweise weich und energetisch deutlich ökonomischer mit dem Gehirn um. Der Grund dafür liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen sehr deutlich, dass die beiden Ansätze bestimmte Gehirnbereiche in ganz unterschiedlich starker Art und Weise beanspruchen.
Die Anwendung der klassischen Methoden organisiert in erster Linie im präfrontalen Cortex. Hier sitzt unser Bewusstsein; von hier aus werden willentlich initiierte Selbstregulationsprozesse in Gang gesetzt. Muss der präfrontale Cortex mehr arbeiten, wird das gesamte Gehirn stark beansprucht und benötigt deutlich mehr Energie. Unter Einfluss von Stress kann diese Beanspruchung im präfrontalen Cortex mitunter maximal werden. Dadurch geraten unsere Möglichkeiten zur willentlichen Selbstorganisation an ihre Grenzen, denn unter Stresseinwirkung müssen sämtliche über das Bewusstsein initiierten Selbstregulationsprozesse gegen eine zunehmende und oftmals übermäßige Flut an unangenehmen Emotionen wie Angst, Wut oder Ärger standhalten.
Sämtliche Emotionen werden jedoch in tieferen und evolutionär deutlich älteren Gehirnregionen organisiert (dem limbischen System, in dem sich mit der Amygdala u. a. auch unser emotionales Angstzentrum befindet). Diese älteren Gehirnteile dominieren unser inneres Erleben sowie die Art und Weise unserer Verhaltenssteuerung umso mehr, je stärker wir uns von äußeren Geschehnissen bedroht fühlen – und der Grund für das Erleben von Stress ist das Gefühl des Bedrohtwerdens. Im Windschatten solch emotionaler Aufwallungen kommt es zunehmend zum Auftreten negativer oder gar panischer Gedanken. Diese werden im präfrontalen Cortex organisiert, wodurch die funktionalen Möglichkeiten dieser Gehirnregion nochmals stärker in Beschlag genommen werden. Die durch die starken Emotionen sowieso schon recht begrenzten Kapazitäten zur willentlichen Selbstorganisation werden über kurz oder lang in sich zusammenbrechen, je höher die Stressbelastung ist. Hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel.
Was versteht man unter Achtsamkeit?
Die Neurowissenschaftlerin Karoline Notebaert bezeichnet Achtsamkeit als „non-kognitive Art der Selbstregulation“. Das bedeutet, dass man den präfrontalen Cortex nicht zusätzlich beansprucht. Das Gehirn muss bei der Anwendung von Achtsamkeit keine Mehrarbeit leisten, wodurch mentale Prozesse im Stressgeschehen störungsfreier ablaufen können. Notebaert erklärt dieses Phänomen damit, dass Achtsamkeit mit dem als „Direct Experience Network“ (DEN) bezeichneten funktionalen Netzwerk im Gehirn einen Bereich aktiviert, in dem sich eine automatisierte, d. h. von bewussten Willensprozessen unabhängige, Selbstregulation organisiert. Unter diesen Voraussetzungen sind Menschen selbst unter massiver Stresseinwirkung noch in der Lage dazu, einen Zustand der urteilsfreien Offenheit aufrechtzuerhalten. Und dies wiederum gewährleistet ihnen einerseits einen freien Zugang zu ihrem geistigen Potenzial und geht für sie andererseits mit einem deutlich harmonischeren Erleben von Emotionen einher – unter Stressbedingungen wie im normalen Alltagsleben.
Achtsamkeit ist also der Schlüssel für den Zugang zu diesem funktionalen Netzwerk. Damit dieser Zugang auch unter starken Belastungen geöffnet bleibt, ist allerding ein sehr regelmäßiges und langfristig durchgeführtes Achtsamkeitstraining nötig. Vergleichbar mit einem Muskel, der nur durch ein regelmäßiges und über einen längeren Zeitraum durchgeführtes Training immer stärker und belastbarer werden kann, führt nur ein nachhaltig durchgeführtes Achtsamkeitstraining zu strukturellen Veränderungen in bestimmten Gehirnstrukturen. Diese Veränderungen lassen sich im Gehirnscan bereits nach acht Wochen regelmäßiger Anwendung von Achtsamkeitsübungen nachweisen. Sie sind letztendlich der Schlüssel dafür, dass der Zugang zum DEN auch unter Stressbelastung erhalten bleibt. So sind entsprechend trainierte Personen dazu in der Lage, bestmöglich – d.h. gelassen, souverän und geistig klar – sowohl mit akuten als auch chronischen Stressbelastungen umzugehen.
Was wird bei einem MBSR-Kurs gemacht?
Das MBSR-Programm ist für die Arbeit mit Gruppen konzipiert und wird über einen Zeitraum von insgesamt acht Wochen vermittelt. Dabei findet pro Woche eine Veranstaltung über zwei bis drei Stunden statt. Hier wird die Achtsamkeitspraxis erlernt und sukzessive vertieft, indem sowohl auf theoretische als auch praktische Inhalte eingegangen wird. Der Schwerpunkt liegt allerdings klar auf dem Einüben von Achtsamkeitsübungen. Das verbindet man mit einem gezielten Austausch zwischen den Gruppenmitgliedern hinsichtlich ihrer dabei gemachten Erfahrungen. Zwischen der sechsten und siebten Woche findet zudem ein gemeinsamer Tag der Achtsamkeit statt. Ablauf eines MBSR-Kurses nach Wochen:
- Woche 1: Einführung in die Achtsamkeit. Praxisorientierte Einführung des Achtsamkeitsgedankens, praktische Übungsformen, Reflexion, Übungsaufgaben für zu Hause (Bodyscan).
- Woche 2: Wie wir die Welt wahrnehmen. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Bodyscan, Einstieg Achtsamkeitsmeditation).
- Woche 3: Im Körper beheimatet sein. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Yoga, Vertiefung Meditation, Bodyscan).
- Woche 4: Achtsamer Umgang mit Stress. Theoretische Einführung in die Stressphysiologie, praktische Übungen, Übungsaufgaben (Yoga, Meditation, Bodyscan).
- Woche 5: Achtsamer Umgang mit stressverstärkenden Gedanken. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Yoga, Erweiterung Meditation, Bodyscan).
- Woche 6: Achtsamer Umgang mit schwierigen Situationen und unangenehmen Gefühlen. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Yoga, Festigung Meditation).
- Woche 7: Achtsamkeit in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Yoga, Meditation). Tag der Achtsamkeit
- Woche 8: Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge mit Rückblick und Ausblick. Praktische Übungen, Reflexion, Übungsaufgaben (Yoga, Meditation).
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Autor: Gernot Emberger ist Sportpsychologe und Sportwissenschaftler. Er arbeitet als Mentaltrainer und psychologischer Berater mit Einzelpersonen, Gruppen und Teams aus dem professionellen Hochleistungssport und der Wirtschaft. Den Fokus legt er auf Leistungsförderung unter Berücksichtigung von Gesundheit und Wohlbefinden.