Vegane Sportler und Sportlerinnen: Leistungsbooster oder No-go?

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Vegane Sportler: Durch die Netflix-Dokumentation „The Game Changers“ und das Vorbild prominenter Leistungssportlerinnen wie Venus und Serena Williams oder Beachvolleyballerin Maggie Kozuch rückt das Thema „pflanzliche Ernährung“ zunehmend auch in den Fokus von Sportlerinnen. Holger Gugg erklärt, worauf vegane Sportler und insbesondere Sportlerinnen, achten sollten.

Wie sieht die Studienlage zu veganer Ernährung bei Athletinnen aus?

Bis dato befasste sich lediglich eine kleine Anzahl kurz angelegter Studien mit unterschiedlichen Effekten einer gemischten und einer veganen Kost auf die Ausdauerleistungsfähigkeit. Welche Vor- oder Nachteile vegane Ernährung auf Kraftleistungen im anaeroben bis maximalen Bereich hat, wurde bisher kaum untersucht. Eine aktuelle Untersuchung von Lynch et al. sieht trotz Unterschieden bei der Aufnahme von Nährstoffen zumindest keine einschneidenden Nachteile veganer Kost für Freizeit- und Breitensportler. Die aktuellste Studie von Craddock et al. kann keine Vorteile veganer Ernährung auf die sportliche Leistungsfähigkeit nachweisen.

Versorgung mit Kohlenhydraten

Eine ausreichende Versorgung mit Kohlenhydraten ist mit einer pflanzlichen Ernährung gut erreichbar. Allerdings muss durch die geringere Energiedichte pflanzlicher Nahrungsmittel sichergestellt werden, dass die notwendige Kalorienzahl erreicht wird. Einige Sportler haben Schwierigkeiten mit größeren Mengen an Ballaststoffen, da diese zunächst Verdauungsbeschwerden verursachen können – genauso wie ein Mangel an Ballaststoffen.

Für Athletinnen mit einem hohen Energieverbrauch kann es aus diesem Grund sinnvoll sein, einen Teil der typisch veganen Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Kartoffeln oder Hülsenfrüchte durch ballaststoffärmere Nahrungsmittel wie Nudeln zu ersetzen. Eine Nahrungsergänzung mit Kohlenhydraten in Form von Gel, Riegeln oder Shakes bewirkt bei Frauen, verglichen mit männlichen Sportlern, weniger starke Effekte auf die Ausdauerleistungsfähigkeit. Abhängig von der jeweiligen Sportart pendelt sich der Bedarf an Kohlenhydraten meist im Bereich von 4 bis 12 Gramm Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht ein.

Wie können vegane Sportler genug Protein zu sich nehmen?

Aus Untersuchungen geht hervor, dass eine vegane Lebensweise teilweise weniger Protein liefert als eine omnivore. Ein möglicher Grund ist eine schlechtere Verdaulichkeit pflanzlicher Proteine oder eine mangelnde Vielfalt an pflanzlichen Proteinquellen. Zur ausgleichenden Verwendung von verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA – branched-chain amino acids) als proteinogene Ergänzung für Veganer schreibt Wolfe, dass diese nicht sinnvoll erscheinen, solange nicht auch die anderen für den Proteinaufbau benötigen essenziellen Aminosäuren (EAA – essential amino acids) zur Verfügung stehen. Auch bei der Zufuhr eigentlich vollständiger Proteine wie Soja- oder Weizenprotein ergeben sich Nachteile im Vergleich zu tierischen Proteinquellen. Nur wenn ein Protein alle essentiellen Aminosäuren in der richtigen Gewichtung zueinander enthält, darf man von einer hohen biologischen Wertigkeit ausgehen.

Qualitätsunterschiede von tierischem und veganem Protein

Auf der anderen Seite darf nicht vorenthalten werden, dass aktuelle Studien keine Vorteile tierischer Proteinquellen (Whey) im Vergleich zu pflanzlichen Proteinquellen (Soja) auf die Körperzusammensetzung und Kraftwerte beim Krafttraining belegen. Spezifische Untersuchungsergebnisse mit weiblichen Athleten liegen hierzu bis dato noch nicht vor. Pflanzliche Proteinquellen weisen häufig niedrigere Mengen an Leucin, Lysin oder Methionin auf. Gerade der essenziellen und verzweigtkettigen Aminosäure Leucin wird eine sehr hohe Bedeutung für das Anregen der Proteinsynthese beigemessen.

Sinnvolle Kombination unterschiedlicher Eiweißarten

Zur Aufwertung der EAA-Bilanz sollten vegane Sportler und Sportlerinnen, daher mehrere Proteinarten sinnvoll kombinieren. Mahlzeiten aus Weizen, Reis oder Hanf in Kombination mit schwarzen Bohnen, Soja oder Linsen beispielsweise gleichen fehlende Aminosäuren aus und erhöhen den Effekt auf die Muskelproteinbildung. Ebenso sinnvoll erscheint die Verwendung einer EAA-Ergänzung mit optimierter Aminosäurematrix zur Aufwertung einzelner Proteingaben mit eher niedriger Wertigkeit.

Wie hoch die Gesamtaufnahme an Protein speziell für sich vegan ernährende Athletinnen ausfallen sollte, lässt sich derzeit aus keiner Literaturquelle genau ableiten. Eine aktuelle Studie von Ciuris et al. spricht sich bei einer Aufnahme von täglich 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht für 10 extra Gramm Protein und bei täglich 1,4 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht für 20 extra Gramm Protein aus. Generelle Empfehlungen liegen im Bereich von täglich 1,6 bis 1,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht für Kraftsportarten und täglich 1,2 bis 1,4 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht für Ausdauersportarten. Bei weiblichen Athleten traten Verbesserungen der Körperzusammensetzung mit der Verwendung von täglich 2,5 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht ein.

Fettzufuhr für vegane Sportler

Akute Empfehlungen zur Fettzufuhr liegen bei 0,5–1,5 Gramm Fett pro Kilogramm Körpergewicht und Tag oder 30 Prozent der Gesamtkalorien. Veganerinnen neigen dazu, insgesamt weniger Fett, dafür aber einen höheren Anteil an Omega-6-Fettsäuren aufzunehmen als Mischköstler. Hinweise deuten auch auf eine zu niedrige Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren (DHA und EPA) bei Pflanzenköstlern hin. Diese sind wichtig für die Regeneration und den Proteinstoffwechsel. Omega-3-reiche Lebensmittel sind u. a. Leinöl, Leinsamen, Chiasamen, Walnüsse sowie Hanföl und -samen. Diese haben jedoch ein Problem mit der Bioverfügbarkeit. Veganerinnen sollten aus diesem Grund die regelmäßige Einnahme von Algenöl in Betracht ziehen und ihren individuellen Omega-3-Index regelmäßig bestimmen lassen.

Haben vegane Sportler und Sportlerinnen eine höhere Anfälligkeit für Eisenmangel?

Ein niedriger Ferritinspiegel betrifft viele Athletinnen u. a. durch den Eisenverlust bei der monatlichen Blutung und den erhöhten Eisenbedarf durch Ausdauersport. Studien berichten nicht zwangsläufig von höheren Anämieraten in Verbindung mit veganer Ernährung, doch wegen der möglicherweise geringeren Absorptionsfähigkeit von Non-Häm-Eisen aus pflanzlichen Quellen sollten gerade sich vegan ernährende Athletinnen ihren Ferritinspiegel regelmäßig überprüfen lassen. Die Einnahmeempfehlung für Eisen liegt bei Veganerinnen bei 32 mg/Tag und ist damit etwa 1,8-mal höher als bei Mischköstlerinnen.

Gute pflanzliche Eisenquellen sind weiße Bohnen, dunkle Schokolade, Linsen, Spinat, Tofu, Kidneybohnen, Kichererbsen, Tomaten und Cashewkerne. Da Vitamin C die Absorptionsfähigkeit von Non-Häm-Eisen verbessert, sollten eisenhaltige pflanzliche Lebensmittel regelmäßig zusammen mit Vitamin-C-haltigen Lebensmitteln konsumiert werden. Während die Zubereitung in gusseisernen Pfannen ebenfalls die Eisenverfügbarkeit erhöht, sollten eisenhaltige Lebensmittel nicht gleichzeitig mit Kaffee oder größeren Mengen Kalzium eingenommen werden. Eisenhaltige Lebensmittel vor dem Verzehr zu mahlen, sie einzuweichen, zu fermentieren oder zu keimen, kann die Menge störender Phytate reduzieren. Treten trotz aller Maßnahmen niedrige Eisen-Blutspiegel auf, sollte eine entsprechende Ergänzung erwogen werden.

Pflanzliche Kalziumquellen

Untersuchungen berichten von einer kritischen Kalziumversorgung bei veganer Ernährung. Die empfohlene Zufuhrmenge liegt bei 1 000–1 200 mg. Grünes Gemüse wie Spinat oder Rucola sind zwar für einen hohen Kalziumgehalt bekannt, enthalten aber auch höhere Mengen Oxalate, welche die Bioverfügbarkeit von Kalzium hemmen. Besser geeignet erscheinen Tofu, Brokkoli, Sesam, Nüsse, Kohl, Mandeln oder angereicherter Milchersatz aus pflanzlichen Quellen. Sich vegan ernährende Athletinnen sollten mindestens die oben angegebene Empfehlung der Zufuhrmenge entweder über die Nahrung oder eine Ergänzung abdecken.

Supplementierung der Vitamine D und B12

Vitamin D wird als Sonnenvitamin überwiegend durch Sonneneinstrahlung über die Haut aufgenommen. Studien belegen, dass ein Großteil der Bevölkerung unter einer mangelhaften Versorgung leidet. Ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel gilt als unerlässlich für die Gesundheit und die optimale sportliche Leistungsfähigkeit. Aus der Nahrung wird Vitamin D hauptsächlich über Fettfisch, Leber oder Eier aufgenommen. Vitamin D aus pflanzlichen Quellen liegt als Ergocalciferol vor, das, verglichen mit Cholecalciferol aus tierischen Produkten, weniger gut absorbiert wird. Eine eventuelle Supplementierung mit Vitamin D sollte bei Veganerinnen nach Bestimmung des 25-D-Status im Blut festgelegt werden.

Vitamin B12 fördert nachweislich einen normalen Energie- und Homocysteinstoffwechsel, trägt zur normalen Funktion des Nervensystems bei, unterstützt eine normale Psyche und die Bildung roter Blutkörperchen. Es schaltet sich auch in eine normale Funktion des Immunsystems ein und ist an der Zellteilung beteiligt. Der tägliche Bedarf liegt bei 2,4 mcg. Da die ergiebigen Quellen Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte bzw. auf pflanzlicher Seite nur ungewaschenes Gemüse oder Wildkräuter sind, sollten sich vegan ernährende Athletinnen regelmäßig den Vitamin-B12-Status im Blut bestimmen lassen und dieses Vitamin bei entsprechendem Bedarf supplementieren.

Kreatin als Leistungsbooster für vegane Sportler

Kreatin erhöht nachweislich die Leistungsfähigkeit im Maximalkraftbereich. Es bestehen zudem weitere interessante Hinweise auf Effekte wie Neuroprotektion, Verletzungsprävention und sogar verbesserte kognitive Funktion – jedoch ohne abschließenden Beleg. Speziell bei weiblichen Athleten verbesserte Kreatin die Leistungsfähigkeit im hochintensiven Bereich bei weniger als zehn Sekunden Dauer. Da Kreatin vor allem in Muskeln vorkommt, fehlt es bei einer rein pflanzlichen Ernährung. Aus diesem Grund wird sich vegan ernährenden Sportlerinnen zu einer Supplementierung geraten. Die gängige Vorgehensweise für Veganer sieht eine Ladephase von vier bis sieben Tagen mit je 5 Gramm Kreatin viermal täglich vor. Dieser folgt eine Erhaltungsdosis mit einer Aufnahme im Bereich von 0,03 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Ohne Ladephase kann es etwas länger dauern, bis sich die Leistungswerte verbessern. Die parallele Einnahme mit Kohlenhydraten (18 Gramm) erwies sich in einigen Untersuchungen als sinnvoll.

Resümee

Zum aktuellen Zeitpunkt mangelt es noch an aussagefähigen Studien über den Einfluss einer veganen Kost auf die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen. Deutlich wird, dass eine ausgewogene vegane Ernährung vergleichbare Effekte auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit verspricht wie eine entsprechende Mischkost. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen einige spezifische Gegebenheiten berücksichtigt werden, die sich aus dem Verzicht tierischer Lebensmittel ergeben. Daher solltest du als Trainer bzw. Ernährungsberater deinen sich vegan ernährenden Kundinnen empfehlen, ihre Versorgung mit Vitamin B12, Vitamin D, Eisen, Kalzium, Zink, Selen und Jod regelmäßig im Rahmen eines Blutbilds überprüfen zu lassen.

Umsetzung in der Praxis

In der Beratung von sich vegan ernährenden Sportlerinnen können sich einige Hürden ergeben. Zunächst bedarf es eines hohen Wissens über den Gehalt an Mikronährstoffen in Lebensmitteln plus eventuell störender Antinährstoffe und entsprechenden Maßnahmen, um diese zu neutralisieren. Des Weiteren müssen sich Trainer und Ernährungsberater wesentlich stärker mit dem Thema „Bioverfügbarkeit von Nährstoffen“ befassen. Insgesamt lässt sich vegane Ernährung dennoch trotz bestehender Hürden auch für Sportlerinnen umsetzen. Quellen auf Anfrage erhältlich

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Autor und Sportexperte: Holger Gugg

Holger Gugg arbeitet als Coach und Fitness-Autor. Er ist Begründer des Ernährungskonzepts Human Based Nutrition und Geschäftsführer von body-coaches.de. Er ist u. a. zertifizierter BSA-Personal-Trainer, Ernährungstrainer, Gesundheitstrainer und Trainer für Sportrehabilitation.

www.body-coaches.de

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