Das Vegetativum, bzw. das autonome Nervensystem kann nicht bewusst beeinflusst werden. Thomas Marx erklärt die entsprechende Anatomie und gibt Tipps für eine gute Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus.
Was ist das Vegetativum?
Das Vegetativum, auch als vegetatives oder autonomes Nervensystem bezeichnet, bildet zusammen mit dem somatischen Nervensystem das gesamte periphere und zentrale Nervensystem. Es regelt unterschiedlichste Abläufe im Körper, die nicht willentlich steuerbar sind. Es ist ständig aktiv und reguliert beispielsweise Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel. Hierzu empfängt es Signale aus dem Gehirn und sendet diese an den Körper. Es wäre fatal, wenn wir z. B. aktiv unsere Atmung immerzu kontrollieren oder die Spannungsverhältnisse unserer Blutgefäßwände bewusst steuern müssten, da jeder Mensch täglich schon eine fünfstellige Anzahl an Entscheidungen trifft. Es wäre undenkbar, dass wir innere Prozesse auch noch aktiv regeln könnten. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass wir die inneren Systeme wie die Blutdruckregulation, die Stressregulation, den Herzschlag, die Darmtätigkeit und die Atmung auch bewusst beeinflussen können.
Physiologie des Vegetativum
Das Vegetativum ist ein autonomes Nervensystem, das über alle lebensnotwendigen Grundfunktionen des Körpers wacht. Definierte Bereiche im Gehirn und ein ausgeklügeltes Hormonsystem kontrollieren das vegetative Nervensystem. Es sorgt dafür, dass unsere Organe optimal funktionieren. Über Nervenimpulse wird die Organfunktion schnell an wechselnde Anforderungen angepasst. Beispielsweise wird beim morgendlichen Aufstehen sofort der Blutdruck so eingestellt, dass wir – in der Regel – keinem morgendlichen Blutdruckabfall ausgesetzt sind. Auch unser Schluckverhalten und die Produktion von Speichel werden über das Vegetativum geregelt.
Welche Wirkung hat der Sympathikus?
Der Ursprung der Nervenbahnen des Sympathikus liegt in der Brustwirbelsäule. Genauer gesagt, entspringt er aus den Seitenhörnern des Rückenmarks. Im Bereich der Brustwirbelsäule können wir hier eine Besonderheit sehen: Über- und unterhalb der Brustwirbelsäule haben wir keine Seitenhörner im Rückenmark. Die Seitenhörner sind daher sozusagen der topografische Startpunkt des Sympathikus. Von dort aus ziehen seine Fasern zu dem sogenannten Grenzstrang, der seitlich von der oberen Brustwirbelsäule bis zur oberen Lendenwirbelsäule verläuft. Ähnlich einer Perlenkette zieht sich der Grenzstrang von Perle zu Perle neben der Brustwirbelsäule entlang. Die dicken „Perlen“ sind sogenannte nervale vegetative Ganglien, also Ansammlungen von Nervenzellen. Der Sympathikus verläuft von den Seitenhörnern durch diese vegetativen Ganglien über weitere Umschaltstellen zu den Organen.
Der Sympathikus ist unser Aktivator, d. h., er bereitet den Organismus auf körperliche und geistige Leistungen vor. Er sorgt z. B. dafür, dass unser Herz schneller und kräftiger schlägt, sich die Atemwege erweitern, um besser atmen zu können, und die Darmtätigkeit gehemmt wird. Kurz gesagt: Der Sympathikus macht den Körper zum Kämpfen oder Flüchten bereit. Oft wird er als unser „Stressmacher“ bezeichnet, denn bei Stress ist er aktiv und regelt unsere Körpersysteme – aber wir brauchen ihn, um die unzähligen Aufgaben jeden Tag überhaupt bewerkstelligen zu können. Bei dauerhaftem Stress schießt der Sympathikus über sein Ziel hinaus; das führt dann z. B. dazu, dass wir im myofaszialen System, also in unserem Bewegungsapparat, Verspannungen bekommen. Im Rahmen einer Überaktivität machen sich immer auch Kreislaufbeschwerden bemerkbar; Schwitzen, Unruhe, aber auch organische Probleme wie Darmbeschwerden oder Herzrasen können auftreten.
Der Parasympathikus
Die Ursprungsknospen des Parasympathikus liegen im Hirnstamm. Von dort aus verläuft der 10. Hirnnerv (Nervus vagus) durch das Hinterhaupt und geht dann durch ein Schädelloch mit dem Namen Foramen jugulare. Nachdem der Parasympathikus das Foramen jugulare passiert hat, verläuft er weiter abwärts durch den Schlund, findet eine Lücke durch die Halsmuskulatur (Musculi scaleni) und läuft zwischen der ersten Rippe und dem Schlüsselbein hindurch. Weiter geht es durch das Mediastinum (Raum zwischen beiden Lungenflügeln), um dann durch eine Zwerchfelllücke zu ziehen.
Was sind die Aufgaben des Parasympathikus?
Der Parasympathikus wird noch einmal in zwei Teile unterteilt, den cranialen Parasympathikus und den sacralen Parasympathikus. Diese Aufteilung dient vor allem dazu, besser verstehen zu können, aus welchen Anteilen unser Körper parasympathisch versorgt wird.
- Der craniale Anteil: Der craniale Anteil versorgt den oberen Bereich des Körpers. Er beginnt am Schädel und verläuft dann weiter in Richtung Schlund, Brustkorb und Oberbauchorgane, wie Magen, Leber, Milz, Gallenblase und den Zwölffingerdarm, dann weiter zum Jejunum und zum Ileum. Es folgt der Übergang in den aufsteigenden Dickdarm, das Querkolon bis zur Colonflexur. Hier liegt der „Cannon-Böhm-Punkt“, an dem die craniale Versorgung des Nervus vagus endet.
- Der sacrale Anteil: Ab dem „Cannon-Böhm-Punkt“ übernimmt der sacrale Parasympathikus die parasympathische Versorgung des absteigenden Dickdarms, des Sigmoids und der kompletten Beckenorgane, wie u. a. der Blase, der Gebärmutter und der Prostata. Da bereits über die Verteilung der parasympathischen Versorgung des Darms gesprochen wurde, sollte im Folgenden die Funktion des enterischen Nervensystems nicht außer Acht gelassen werden: Das enterische Nervensystem befindet sich zwischen den Muskeln in den Darmwänden und kümmert sich um die Verdauung. Diese Nervenfasern arbeiten unabhängig und werden stark vom Parasympathikus und dem Sympathikus beeinflusst. Das enterische Nervensystem erhöht beispielsweise die Bewegung der Darmmuskulatur, sorgt dafür, dass mehr Flüssigkeit aus dem Darm ausgeschieden wird, und erhöht die Durchblutung in der Darmwand.
Der Parasympathikus ist unser Entspannungsnerv; er kümmert sich um die Körperfunktionen in Ruhe und steuert die Regeneration über Nacht. Er aktiviert u. a. die Verdauung und ist für die Stoffwechselprozesse zuständig. Wenn wir den Parasympathikus nicht als Gegenspieler zum Sympathikus hätten, würden wir durch Überbelastungssyndrome sterben, da all unsere Systeme überhitzen und in der Folge kollabieren würden. Entscheidend ist das Zusammenspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus und die Balance zwischen Aktivität und Ruhe.
Wie bekommt man das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht?
Die perfekte Balance zwischen Sympathikus- und Parasympathikus-Aktivität zu finden, fällt vielen Menschen schwer. Durch den weit verbreiteten Leistungsanspruch gönnen wir uns viel seltener Pausen, machen regelmäßig Überstunden, wollen schneller unsere Ziele erreichen. Viele Menschen arbeiten noch bis in die Nachtstunden, um im Anschluss dann noch noch einen Actionfilm zu sehen. Aus physiologischer Sicht ist das fatal, denn das sorgt dafür, dass der Sympathikus zur späten Stunde weiterhin aktiv ist. Der Wechsel von der überwiegenden Sympathikus- zur überwiegenden Parasympathikus-Aktivität wird abends gegen 19 Uhr eingeleitet. Daher sollten wir eigentlich ab 19 Uhr nur noch entspannenden Tätigkeiten nachgehen, damit der Parasympathikus aktiviert wird und unsere Körpersysteme herunterfahren können, um nachts bestmöglich regenerieren zu können. Diverse Stressoren wie Blaulicht von PC und Handy, üppige Mahlzeiten und intensive sportliche Aktivitäten hingegen beeinträchtigen den Parasympathikus in seiner Aktivität und somit unseren Entspannungsmodus.
Aktive Maßnahmen zur Beeinflussung des Vegetativum
Den Sympathikus aktivierende Maßnahmen:
- Manipulation der Brustwirbelsäule. Chiropraktiker oder Osteopathen aktivieren den Sympathikus durch das klassische „Einrenken“.
- Starke Vibrationstechniken im Bereich der Brustwirbelsäule
Den Sympathikus hemmende Maßnahmen:
- Detonisierung der Brustwirbelsäulenmuskulatur durch Massagen, leichtes Triggern oder Mobilisation
- Mentales Training, Stressbewältigung durch Bewegungsformen wie Yoga
Aktivierende Maßnahmen für den Parasympathikus:
- Massagen, Mobilisierungen im Bereich von Schädel, Halswirbelsäule oder Kreuzbein
- Atemübungen, Musik, leichte Vibrationen, Entspannungstechniken (z. B. Progressive Muskelrelaxation)
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Autor: Thomas Marx
Der Physiotherapeut, Osteopath, Kinderosteopath,Chiround Heilpraktiker ist Gründer, Erfinder und Geschäftsführer der TMX Trigger GmbH. Zudem ist er als Dozent an der Physiotherapieschule TOP Physio und an der SFO (Schule für Osteopathie) tätig.