Schmerzmittel: Jeder zweite deutsche Erwachsene nimmt mindestens einmal im Monat ein rezeptfreies Schmerzmittel ein. Dr. Jens Freese erklärt die Wirkungsweise und mögliche Nebenwirkungen von Analgetika.
Inhaltsverzeichnis
- Was sind die bekanntesten Schmerzmittel?
- Was für Nebenwirkungen haben Schmerzmittel?
- Können Schmerzmittel auch heilen?
- Was passiert, wen man zu häufig Schmerzmittel nimmt?
Was sind die bekanntesten Schmerzmittel?
Knapp 13 Prozent der Anwender verabreichen sich selbst Ibuprofen und Co. länger als vier Tage ohne jeglichen ärztlichen Rat, berichtete das Robert Koch-Institut. Auch Amateursportler schlucken häufig schmerzstillende Tabletten, ohne sich der Risiken bewusst zu sein. Mehr als jeder zweite Marathonläufer nimmt vor dem Start ein Schmerzmittel ein, berichtete die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. med. Kay Brune der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
In den Top 20 der absatzstärksten Arzneimittel belegen die vier schmerzstillenden Klassiker Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac und ASS die oberen Plätze. Pro Jahr gehen in Deutschland 100 Millionen Packungen frei verkäuflicher Schmerzmittel über den Apothekentisch. Je nach Dosierung sind sie ohne Rezept und günstig erhältlich. Viele Sportler haben Aspirin oder Ibuprofen in der Tasche griffbereit, um im Training und Wettkampf beispielsweise Schmerzen in einem Gelenk nicht mehr zu spüren.
Rezeptfreie Schmerzmittel sind zur Behandlung von leichten bis mittelstarken Schmerzen zugelassen. Sie sollten jedoch nur wenige Tage hintereinander, nur bis zu einer festgelegten Tages-Höchstdosis und auf gar keinen Fall präventiv eingenommen werden. Mehr als zehn verschiedene „Painkiller“ sind auf dem Markt. Manche sind nur in geringer Dosierung rezeptfrei erhältlich, wie Acetylsalicylsäure (ASS) in einer Dosierung bis zu 500 mg pro Tablette, Diclofenac bis zu 25 mg pro Tablette, Ibuprofen bis zu 400 mg pro Tablette und Naproxen bis zu 250 mg.
Was für Nebenwirkungen haben Schmerzmittel?
Die größte Gruppe der rezeptfreien Schmerzmittel sind die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Sie werden so genannt, weil sie früher vor allem zur Behandlung von rheumatischen Schmerzen eingesetzt wurden. NSAR wirken, indem sie die COX-Enzyme hemmen, man bezeichnet sie daher auch als COX-Hemmer. Diese Gewebshormone beeinflussen aber auch andere Körperfunktionen, wie zum Beispiel die Blutgerinnung und die Bildung von Magensäure. Weil die rezeptfreien Analgetika COX-Enzyme hemmen, können sie Schmerzen und Fieber lindern und Entzündungsreaktionen abschwächen. Allerdings bremsen sie auch andere wichtige physiologische Abläufe gebremst, die die COX-Enzyme steuern.
Dadurch können z. T. erhebliche Nebenwirkungen auftreten, vor allem im Magen-Darm-Trakt. Bei 60–70 Prozent der Daueranwender tritt eine Darmentzündung auf, bei 44–70 Prozent entsteht darüber hinaus ein Leaky Gut und eine Malabsorption (verminderte Aufnahme von Nährstoffen). Bis zu 40 Prozent leiden unter einer Atrophie der Darmschleimhaut und 30 Prozent verzeichnen einen Blutverlust und eine Anämie.
Können Schmerzmittel auch heilen?
Mit gigantischem Werbeaufwand hat die pharmazeutische Industrie dem Konsumenten in den letzten 20–30 Jahren über geschicktes Marketing vermittelt: Großmutter muss sich nur Salbe XY auf das Arthroseknie schmieren und schon tobt sie wieder elfenhaft mit den Enkelkindern durch den Garten. Dies suggeriert das fatale Bild, Schmerz- und Entzündungshemmer würden die Heilung fördern. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Gewebeheilung verläuft in streng regulierten Phasen. Rubor (Rötung), Dolor (Schmerz), Calor (Überwärmung), Tumor (Schwellung) und Functio laesa (eingeschränkte Funktion) sind als die fünf initialen Entzündungszeichen einer jeden Wundheilungsreaktion bekannt.
Ohne diese Entzündungsreaktion, die etwa 5–7 Tage dauert, kann die nachfolgende Proliferationsphase nicht adäquat starten, in der die Gewebeneubildung stattfindet. Das heißt: Während der Entzündungsphase wird zunächst das Wundgebiet verschlossen und aufgeräumt; danach werden die Zelltrümmer beseitigt. In der anschließenden Proliferationsphase wird neues Bindegewebe produziert. Dieses taufrische Gewebe muss sich anschließend wieder neu an die jeweilige Bewegungs- und Belastungsfunktion anpassen, die es nach der Immobilisationsphase wieder tolerieren soll. Und diese dritte Remodulierungsphase ist von adäquaten Bewegungsreizen abhängig.
Diesen fein programmierten physiologischen Ablauf, der seit Millionen von Jahren für die Reparatur im menschlichen Organismus sorgt, sollte man nur in Ausnahmefällen durch pharmakologische Sabotage stören. Denn Schmerzen haben eine elementare Funktion: dem verletzten Gewebe die nötige Ruhe zur Reparatur zu geben.
Was passiert, wenn man zu häufig Schmerzmittel nimmt?
Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist. Schmerz ist überlebenswichtig. Er dient als Warnsignal und hat die Aufgabe, den Organismus vor weiterer Überlastung oder drohender Gewebeschädigung zu schützen. In der Regel geht dem akuten Schmerz ein degenerativer Reiz voraus, der lokal und zeitlich begrenzt ist. Wenn Schmerzen allerdings über einen längeren Zeitraum persistieren und nicht mehr mit einem bestimmten Auslöser in Verbindung stehen, verselbstständigen sie sich. Dann spricht man von chronischen Schmerzen.
Die Prävalenz chronischer Schmerzen in Deutschland liegt bei 17 Prozent bzw. 12 Millionen Menschen leiden unter chronischen Schmerzen. Schmerzen kosten nicht nur dem Individuum Lebensqualität, sondern auch den Staat viel Geld. In Deutschland werden die Kosten für die Behandlung chronischer Schmerzen auf 29 Milliarden Euro geschätzt. Chronische Verläufe nehmen laut der Deutschen Schmerzliga mit zunehmendem Lebensalter zu. Dies ist allerdings keine Frage des biologischen Alterungsprozesses. Es geht vielmehr auf das Konto chronischer Missachtung der menschlichen Wundheilungsphysiologie infolge einer medikamentösen Schmerzhemmung.
Wie läuft eine Entzündungsreaktion ab?
In der ersten Phase einer natürlichen Entzündungsreaktion (z. B. nach einem Supinationstrauma oder einem Muskelfaserriss) wird die ungesättigte Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure aus den Zellmembranen herausgelöst und ins Wundgebiet beordert. Arachidonsäure stimuliert die Produktion der erwähnten COX-1- und COX-2-Enzyme. Sie triggern in der proinflammatorischen Phase wichtige immunologische Prozesse durch Bildung von Prostaglandinen der Serie 2 und Leukotrienen der Serie 4. Man kann die Menge an Arachidonsäure u. a. durch den Konsum linolsäurehaltiger Nahrungsmittel verstärken. Dazu gehören z. B. Sonnenblumenöl, Distelöl oder andere Omega-6-reichen Speiseöle. Unabhängig vom Ernährungsverhalten läuft diese Omega-6-Phase jedoch immer ab, wenn unser Organismus über die Initiierung einer Entzündungsreaktion die Reparatur des Wundgebietes einleitet.
Die zweite antiinflammatorische Phase ist die viel entscheidendere Phase für die anschließende Gewebeneubildung. Denn: Um die Entzündung allmählich herunterzufahren, werden die beiden ebenfalls in den Zellmembranen gespeicherten maritimen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA herausgelöst, um Prostaglandine der Serie 3 und Leukotriene der Serie 5 zu bilden. Nur wenn diese Signalmoleküle entstehen, kann eine Entzündung in natürlichem Rahmen nach 5–7 Tagen zum Abschluss kommen.
Warum wirken Entzündungshemmer an dieser Stelle so fatal?
Sie hemmen zwar den Schmerz, aber leider auch die wichtige Phase 2 der Entzündungsreaktion. Dadurch wird nicht nur die natürliche Reparatur beeinträchtigt, sondern das Immunsystem versucht immer wieder aufs Neue, die Wundheilung zu starten. Ergebnis: Die Gewebeheilung wird blockiert und der Schmerz allmählich chronisch. Nichtsteroidale Entzündungshemmer sorgen also mittelfristig für eine Chronifizierung von Schmerzen durch neuronale Ablage ins Schmerzgedächtnis und für die mittelfristige Abnahme der Belastbarkeit in den betroffenen Gewebearealen.
Wie zuvor erwähnt, sorgen die maritimen Fettsäuren EPA und DHA natürlicherweise für die Produktion bestimmter Signalstoffe, die das Ende der Entzündungsphase einläuten. Da wir diese hochungesättigten Fettsäuren nicht bzw. nur sehr begrenzt selbst bilden können, sind wir abhängig von Nahrungsmitteln aus Meeren, Flüssen und Seen. Je mehr Fisch und Meeresfrüchte man isst, desto mehr Omega-3-Fettsäuren sind im Labor messbar. Beim Omega-3-Index bestimmt man den prozentualen Anteil an Omega-3-Fettsäuren in der Doppel-Lipidschicht eines roten Blutkörperchens (Erythrozyten). Dieser Wert korreliert mit allen anderen Körperzellen, wie Studien zeigen konnten. Optimal sind Werte zwischen 8 und 11 Prozent. Sorge daher dafür, dass du bereits in gesunden Zeiten deinen Omega-3-Pool auffüllst. EPA und DHA hemmen bei einer akuten Verletzung zwar nicht die Schmerzwahrnehmung, regeln aber den reibungslosen Ablauf der Wundheilung.
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Autor: RER. NAT. Jens Freese ist Leiter der Dr. FREESE Akademie und des Dr. FREESE Instituts für Sport- und Ernährungsimmunologie.
Literatur kann beim Autor angefragt werden.