Sensomotorik – Schmerzen wahrnehmen und verstehen

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Sensomotorik und Schmerz: Wir bewegen uns deutlich zu wenig und setzen so die Reize für all unsere Systeme herab. Eine schlecht geschulte Sensorik reagiert dadurch entsprechend träge; Fehlbelastungen erreichen unser Bewusstsein erst, wenn die Warnsignale auf „Schmerz“ schalten. Nun wäre eine „körperwissenschaftliche“ Selbstabfrage wichtig; ähnlich einer Paartherapie hilft hier eine logische Analyse. Wir sollten „zuhören“ und herausfinden, warum uns das Gehirn auf die schmerzende Region hinweist und unsere Motorik an ihre Pflichten erinnern.

Inhaltsverzeichnis

  1. Was versteht man unter Sensomotorik?
  2. Warum ist Sensomotorik wichtig?
  3. Interozeption und Exterozeption
  4. Was verursacht die Schmerzen?
  5. Was ist sensomotorisches Training?
  6. Schmerztricks
  7. Fazit

Was versteht man unter Sensomotorik?

Jede Bewegung ist „reizend“, könnte ich behaupten – und würde damit recht behalten, besonders wenn es um die Sensomotorik geht, denn sie bedeutet nichts weiter als die motorische Umsetzung wahrgenommener Signale; die Lehre von Information (Sensorik) und ausführendem Auftrag (Motorik). Bestehend aus einer Vielzahl von Einflüssen, die unsere Sinneszellen, genauer gesagt spezialisierte Rezeptorzellen, an die entsprechenden Gehirnareale weiterleiten, ist das System der Sensomotorik entscheidend für ein fortwährendes Zusammenspiel der Kontrolle und Steuerung unserer Körperbewegungen.

Warum ist Sensomotorik wichtig?

Ebenso wie in einer gut funktionierenden Partnerschaft geht es um ein grundsätzlich stabiles Gleichgewicht. Abgesehen von den Sinnen Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Tasten gibt es weitere lebenswichtige sensorische Wahrnehmungsarten: Temperatur-, Vibrations- und Schmerzempfinden. Sie sind für ein gesundes Leben ebenso wichtig wie die innere, kinästhetische Wahrnehmung (Propriozeption), also die tiefensensible Eigenwahrnehmung von Bewegungs-, Kraft- und Stellungssinn. Um im Gleichgewicht zu bleiben, benötigt unser Gehirn ständig Informationen aus dem peripheren Gleichgewichtsorgan im Innenohr (Vestibularapparat), den Augen (visuelles System) als externe Informationsgeber (Exterozeption) und der tiefensensiblen Wahrnehmung (Propriozeption) als interne Informanten (Interozeption).

praktische funktionelle anatomie

Fakt ist: ohne Information keine Aktion. Kein System kann ohne das andere funktionieren. Die sensorischen Nervenzellen sind es also, die unserem Hirn die Informationen zu Wohlfühlen und Schmerz, Wärme und Kälte, Licht und Schatten, Duft und Gestank liefern oder tagtäglich dafür sorgen, uns im gut abgestimmten Teamwork mit dem motorischen System aufrecht im Raum positionieren zu können. Warum also schenken wir diesen Systemen nicht mehr Aufmerksamkeit? Warum nehmen wir das, was uns hilft, Schmerzen zu vermeiden, so lange als selbstverständlich hin, bis etwas nicht mehr richtig funktioniert?

Was gehört alles zur Sensomotorik?

Ich möchte die genannte Selbstabfrage als eine Wahrnehmung deklarieren, die nichts mit einer psychologischen Gefühlssuche gemein hat. Sie dient der Sinnesschärfung des Teams der Interozeption und Exterozeption. In diesen Begriffen stecken mehrere Eigenschaften:

  • Die Interozeption wird unterteilt in Propriozeption, Viszerozeption (innere Organwahrnehmung) und natürlich die ebenso wichtigen psychologischen Wahrnehmungsformen.
  • Die Exterozeption wurde oben bereits erläutert: Sehen, Hören, Riechen etc., eben alles, was uns von außen erreicht. Ich möchte hier ein wichtiges System hervorheben: die spürende, sensible bzw. sensorische Wahrnehmung, die sich tatsächlich nicht so recht von der Tiefensensibilität abgrenzen lässt – unterteilt in die lebenswichtige Grobwahrnehmung (protopathische Wahrnehmung) über die Temperatur, grobe mechanische Einflüsse und das Schmerzwarnsystem (Nozizeption) und die teilweise schwer definierbare sensible Feinwahrnehmung (epikritische Sensibilität), die nötig ist für die Einordnung von Berührung sowie leichten Druck- und Vibrationsreizen.

Was verursacht die Schmerzen?

Für Bewegungsschmerzen brauchen wir rechtzeitig feine Antennen und Mut zum Handeln. Nehmen wir lediglich schmerzstillende Medikamente ein, ohne etwas an unserer Lebenssituation zu ändern, begeben wir uns in eine Abwärtsspirale, die das ohnehin schon überlastete System immer weiter belastet. Bewegungsschmerzen haben immer einen Auslöser. Kann man diesen nicht genau definieren oder keine symptomatische Erkrankung daran koppeln, werden sie gern als unspezifisch bzw. idiopathisch bezeichnet.

In der Schulter sind es meist degenerative Abläufe (Verschleiß), die als Schmerzauslöser identifiziert werden. An solchen Diagnosen hängen meist lange Leidenswege, die selten schnelle Therapieerfolge aufzeigen – nicht zuletzt, weil die Bereitschaft, ein schmerzendes System in aktive Bewegung zu versetzen, eine große Menge an Energie, Motivation und Mut erfordert und die Suche nach dem Auslöser vernachlässigt wird. Auch degenerative Problematiken sollten genauer betrachtet werden. Oft löst das umliegende Gewebe Schmerz aus. Ein Beispiel hierzu ist die hinter dem Schrank lebende Spinne, die täglich neue Spinnweben an der Wand drapiert. Finden wir sie nicht, wird sie immer weiterspinnen.

Wie entstehen Schmerzen?

Die Spinnweben schlagen hier einen sehr guten Bogen zu einem weiteren wichtigen Abschnitt: den Faszien. Wären diese kollagenen Gewebeformen gesund und in ihrer eher zähen Repositionierungseigenschaft (Viskoelastizität) geschult, gäbe es kaum eine Schmerzmeldung. Die Aussage: „Der Schmerz beginnt in der Faszie“, ist somit schon richtig. Erst ein schlechter Faserstoffwechsel führt durch fehlende mechanische Reizsetzung und schlechte Ernährung zu einer Verdichtung dieser Strukturen. Die Verdichtung wiederum reizt die im Gewebe beherbergten Rezeptoren (Nozizeption). Die Schmerzmeldung wird dort erfolgen, wo sich die Nozizeptoren massiv gestört fühlen. Nur ist das nicht die Ursache, sondern das Symptom. Fakt ist, wir sollten die aktive Wahrnehmung auf die Suche nach Auslösemechanismen in das weite Umfeld der Myofaszien schicken. In den Verbindungszonen der Muskelketten sucht man erfolgreicher.

Betrachten wir das Beispiel einer degenerativen Schulterproblematik. Viele verschiedene Muskelpartner gewährleisten im Team mit zahlreichen Bandstrukturen die funktionelle Beweglichkeit dieses Gelenks. Eine sehr kleine Gelenkfläche muss in der Lage sein, große Bewegungsradien mit teils hohen Kraftlasten zu ertragen. Werden die nötigen feinen Abläufe nicht konsequent geschult, verdichten sich nicht nur die kollagenen Schulterstrukturen. Meist beginnt die Unbeweglichkeit in der Schulterblattregion. Hier liegen wichtige Faszienschichten, die nicht nur die Schulter gesund erhalten.

Die feinen Fasern zwischen dem Schulterblatt und den Rippen sollten stets gleitfähig erhalten werden; spätestens bei leichten Nackenverspannungen sollte die Funktionalität rund um das Schulterblatt Beachtung finden, damit Schulterschmerzen gar nicht erst auftreten. Gerade hier stagniert die Wahrnehmung. Schmerzen werden häufig falsch eingeordnet. Symptome werden passiv und lokal behandelt. Hilft das auf Dauer? Meist nicht. Beginnt man nun aber mit aktiven, systematischen Übungen und Tests, die die Gelenk- und Bewegungsfunktionen im gesamten Körper unterstützen, kann eine Schmerzlinderung auf Dauer gelingen. Je mehr wir uns selbst aktiv mit unseren feinen Körpersystemen beschäftigen, desto besser gelingt also die nachhaltige Schmerzlinderung.

Was ist sensomotorisches Training?

Für eine Schulung der sensomotorischen Partnerschaften braucht man Trainingseinheiten. Hier wäre die bereits beschriebene Tiefenwahrnehmung (Propriozeption) ein essenzieller Faktor. Sie dient sowohl der Schmerzreduktion als auch der nachhaltig funktionellen Bewegung. Welche Bewegung löst Schmerz aus – und noch wichtiger: Welche Bewegung kann ihn reduzieren? Sensomotorisches Training bedeutet viel mehr, als nur einen instabilen Untergrund zu wählen, den Einbeinstand zu üben oder die Augen zu schließen.

Es beinhaltet optimalerweise die Schulung sämtlicher koordinativer Fähigkeiten (Gleichgewichtsfähigkeit, Differenzierungsfähigkeit, Orientierungsfähigkeit, Kopplungsfähigkeit, Rhythmisierungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit, Antizipationsfähigkeit) und die Förderung der vollen Gelenkfunktionen, erzielt durch äußere Einflüsse (haptische, auditive, visuelle Reize) oder – eben genau das Gegenteil – das Ausschalten von Informationsketten. Gerade bei Schmerzproblematiken und Bewegungsängsten kann sensomotorisches Training mit einer sinnvollen Kopplung der exterozeptiven und interozeptiven Reizsetzung viel erreichen. Fakt ist: Gut angewandte äußere Reize helfen, das innere System überhaupt erst aus dem meist langjährigen Schlaf zu wecken.

Schmerztricks

Statt sich in sein Schicksal zu fügen und sich frustriert auf die Couch zu legen, helfen z. B. Klopfen und Vibration dabei, den Schmerz zu überlagern, um dann die schmerzenden Regionen in Bewegung zu versetzen. Warum funktionieren aber schmerzüberlagernde Tricks? Die Theorie besagt, dass die Nozizeptoren abgelenkt werden; eine Art sensorische Reizüberflutung. Sie wirkt kurz und kann gerade bei ängstlichen und wahrnehmungsblinden Menschen dafür sorgen, den eigenen Körper besser zu verstehen und zu erspüren. Zusätzlich hilft das Ausschalten oder Umkehren von Lasteinwirkungen (Schwerkraft oder Vorspannung), die frühere Bewegungsamplitude wiederherzustellen.

Fazit

Die Evidenz zum Thema „Bewegungsschmerz“ oder neurologische Kontrolle ist trotz vieler Studien nach wie vor kritisch zu betrachten. Wie sollte auch ein so individuelles und emotionenlastiges Szenario, das von unzähligen Faktoren abhängt, wirklich nachhaltig und evident untersucht und katalogisiert werden? In einer Sache sind sich die vielseitigen Forschungsansätze aber einig: Bewegung in individuell angepasster Dosierung hilft. Da bleibt mir nur zu wünschen, dass die schmerzfreie Beziehung „Senso und Motorik“ ein Leben lang hält.

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Nici Mende ist Expertin auf dem Gebiet der Sensomotorik.Autorin: Nici Mende ist TÜV-zertifizierte Personal Trainerin, Dipl.-Trainerin med. Fitness und Adv. Trainerin Fascial Finess. Außerdem arbeitet sie als Autorin und ist Ausbilderin u. a. beim GluckerKolleg Stuttgart, Konzeptentwicklerin von „Fascial Coach“, „Rückenfrei“ und „Sensobility“ und Entwicklerin des FASCIAL COACH deepRING.

www.fascial-coach.de

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Über den Autor

Nici Mende

Nici Mende ist A-lizensierte Trainerin in mehreren Bereichen des Fitness- und Gesundheitssports und TÜV-zertifizierte Personal Fitnesstrainerin. Ihre Passion entdeckte sie 2012 im Bereich der faszialen Fitness. Als Schülerin der Fascial Fitness Association ließ sie sich zur Advanced Trainerin Fascial Fitness ausbilden, weiter Ausbildungen zur Fachtrainerin für medizinische Prävention und Rehabilitation vollendete sie 2016 mit ihrer Studienarbeit zur Dipl. Trainerin medizinische Fitness. Nici gibt ihre Erfahrungen als Dozentin in der Trainer-Aus- und Weiterbildung in Deutschland und dem europäischen Ausland weiter.

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