E-Bikes als Schmerzauslöser? Das spricht gegen ein E-Bike!

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Was bringen uns sogenannte technische Hilfsmittel und die massiv steigende E-Mobilität, z.B. mit E-Bikes? Ist diese Errungenschaft wirklich so positiv zu bewerten, wie ihr Name uns glauben machen will? Oder könnte sie als Auslöser von Schmerzen infrage kommen?

Inhaltsverzeichnis

  1. Ist E-Bike fahren wirklich gesund?
  2. Ist E-Bike fahren gut für Knie und Rücken?
  3. Was sind Myokine?
  4. Die Beckenboden-Problematik
  5. Unfälle mit E-Bikes
  6. Fazit

Ist E-Bike fahren wirklich gesund?

Sie finden doch das Mountainbike auch viel schöner für mich, oder?“, fragte jüngst ein ca. 12-jähriger Schüler meine Kundin, als sich diese in einem Fahrradladen nach rein muskelgesteuerten Rädern umsah. Der Junge hatte letztlich Pech, Papa bestand auf dem Kauf eines E-Bikes, denn schließlich muss Sohnemann täglich 12 Kilometer zur Schule radeln. Meine Kundin war so schockiert, dass sie mir diese Story erzählte. „Wow“, dachte ich mir, „ist das noch Sorgfaltspflicht oder verletzt es diese schon in gewisser Weise?“ Jahrzehnte radeln ganze Generationen von Schülern diese Strecke im flachen Norden und niemand brauchte bisher eine externe Unterstützung. Der arme Kerl kann sich wohl nun nicht mehr abenteuerlustig in die Felder schlagen und im Schlamm crossbiken, weil das Rad viel zu teuer ist. Sind wir nun so weit, selbst unsere Kinder frühzeitig in eine mobile Falle tappen zu lassen, sie gar hineinzuzwingen?

Ich gebe zu, ich bin absolut kein Fan technischer Hilfsmittel, denn ich beobachte seit meinen Jugendtagen, wie sich die Menschen immer abhängiger von derartigem Material machen und häufig einen verzögerten hohen Preis zahlen: Schmerzen im Bewegungsapparat und ein Potpourri an Zivilisationskrankheiten. Vielleicht klingt diese Behauptung anmaßend und viele Menschen widersprechen mir, gerade beim Thema „E-Bike/Pedelec“. Dies sei doch nun für viele inaktive Personen ein toller Weg, mobiler zu werden, und eine wertvolle Unterstützung für Menschen mit Einschränkungen. Ich möchte hierzu ein paar Aspekte vortragen, die hoffentlich zum Nachdenken anregen.

Sind E-Bikes gut für Knie und Rücken?

Die Oberschenkel- und Gesäßmuskeln sind nicht nur dank ihrer Größe immens wichtig für den menschlichen Körper, sie ermöglichen unsere natürliche, aufrechte Fortbewegung, sorgen für einen gesunden Stoffwechsel und geben uns Lebensenergie. Häufiges, zu langes Sitzen belastet diese Strukturen, lässt ihre Kraft schrumpfen und die geschmeidigen kollagenen Fasern verdichten. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Rücken-, Hüft- und Knieschmerzen eben aus diesen Grundlagen erwachsen; dass nämlich ein schwaches Gesäß u. a. den funktionellen Spannungserhalt der großen Rückenfaszie nicht gewährleisten kann. Ein Auslösemechanismus u. a. für Rückenschmerzen und Ischiasprobleme.

Beim Radeln trägt der Sattel einen Großteil unserer Körpermasse. Die Bein- und Gesäßmuskulatur erarbeitet die Fortbewegung in einem stetig kraftüberwindenden Reiz (konzentrisch). Nicht zuletzt ist dies der Faktor, der uns beim Radfahren weniger Muskelkater bekommen lässt. Es gibt sogar Stimmen, die die mikrofeinen Faserverletzungen rein der exzentrischen Kraft zuschreiben, und doch gibt es Muskelkatervorkommen im Radsport. So oder so, mit entsprechendem Widerstand wächst der Anspruch an die Muskelkraft.

Steigt man kräftig in die Pedale und tritt den Weg gegen den Wind oder einen Berg hinauf stehend an, ergeben sich erfrischende Abwechslungen in den verschiedenen Faserverläufen der Arbeitsmuskulatur und ihrer myofaszialen Partner. Die Folge: Die Muskelkraft erfährt einen progressiv wirkenden Reiz, ja sogar der Schultergürtel wird stehend mitbelastet. Es kommt noch besser: Solche Kraftspitzen sind für uns Menschen sogar hilfreich, denn sie können für eine Ausschüttung extrem wichtiger Botenstoffe sorgen.

Was sind Myokine?

Man nennt diese hormonähnlichen Substanzen Myokine. Sie werden tatsächlich erst mit sehr ausdauernder oder eben hoher Belastung der Muskulatur ausgeschüttet und sorgen u. a. für eine gute Gehirnleistung, die Aufspaltung von Fetten (Lipolyse), die Insulinregulation und das Muskelwachstum (Hypertrophie), sie lassen neue Blutgefäße entstehen (Angiogenese) und können uns sogar vor Tumoren schützen. Sie wirken quasi wie ein muskulärer Stoffwechsel-Booster, der einen stattlichen „Kick“ zur Arbeitsaufnahme benötigt. Die Mitglieder dieser „Arbeitsgruppe“, z.B. IL-6, IL-15 und Irisin, sind unterschiedlich erforscht und teilweise verwirrt ihre Wirkung.

Das IL-6 kommt einerseits entzündungsfördernd im Körper vor, denn es werden hohe Werte bei Fieber, Diabetes mellitus oder chronischen Entzündungen nachgewiesen. Hier besteht ein enger Zusammenhang zum Muskelabbau (Atrophie). Lange oder hochintensive Ausdauerreize lassen den IL-6-Wert temporär massiv steigen. In diesem Zeitfenster gelten dann die entzündungshemmenden, stoffwechselfördernden Wirkeigenschaften des muskulär ausgeschütteten Gastes als Widersacher des Diabetes Typ 2 oder rheumatischer Erkrankungen. Ähnlich spannend und noch nicht so gut erforscht gelten IL-15 und auch Irisin als Wundermittel gegen pathologischen Gewichtsverlust (Kachexie) z. B. bei Krebs oder der chronischen Lungenkrankheit COPD.

Auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und starkem Muskelabbau (Sarkopenie) sowie dem Knochenstoffwechsel (Osteoporoseproblematik) wirken sich Myokine positiv aus. Sie sind unsere natürliche „Apotheke“ und brauchen beständige Pflege, damit sie uns Schmerzen und Krankheiten ersparen. So zeigten z. B. entzündungshemmende, anstrengende Rheuma-Trainingspläne in Untersuchungen große Wirkung. Zehnwöchige hochintensive Intervalltrainingseinheiten zeigten ebenso positive Effekte wie ein Programm mit drei mittleren und zwei hohen Ausdauerintensitäten plus zwei weiteren Krafttrainingseinheiten. Man sollte sich die Lieferbedingungen der Myokine wirklich merken. Das fällt übrigens viel leichter, wenn sie sich im Körper tummeln.

Eine 2019 im „nature med.“ veröffentlichte Alzheimerstudie (Lourenco et al. Nature 2019) hat nachweisen können, dass bei hohem Irisinstatus – Irisin ist ein Spaltprodukt bei Muskelbewegung – die Synapsen besser funken (synaptische Plastizität). Es reicht also nicht, mit Unterstützung eines Akkus locker zu radeln.

Die Beckenboden-Problematik

„Worauf sitzen wir?“, frage ich häufig meine Kunden, wenn sie sich mit dem Gedanken tragen, ein E-Bike zu erwerben. Richtig, auf dem Gesäß und Beckenboden. Auf dem Rad fast ausschließlich auf dem Beckenboden. Die Beckenbodenmuskulatur kann hier durch eine aktivierte Bein-, Gesäß- und Rumpfmuskulatur eine gute Spannung aufbauen, wünscht sich aber Kompressionsunterbrechungen, um funktionell arbeiten zu können. Da das Antreten am Berg im Stehen mit dem Zuschalten eines Motors quasi aus der Mode gekommen ist, wird dem Beckenboden diese extrem wichtige Entspannung verwehrt.

Nun konnte zwar schon öfter die Annahme widerlegt werden, häufiges Dauerradeln würde zu Einschränkungen der männlichen Sexualfunktionen führen, dafür bestätigt sich die These einer vermehrt narbigen Verengung der Harnröhre (Harnröhrenstriktur). Hinzu kommen im gehobenen Alter häufig Faktoren wie z. B. Prostatavergrößerungen bei Männern oder Gebärmuttersenkungen bei Frauen, was zu einer gestörten Blasenentleerung bis hin zu Nierenfunktionsstörungen führen kann. Wir sollten übermäßig monotone Langstreckenfahrten überdenken, denn die Beckenbodenstrukturen erfahren unter der passiv komprimierten Dauerlast, durch Organe und Sattel einen wahren Kollaps.

Unfälle mit E-Bikes

Die E-Mobilität erfährt nach Einführung von Rolltreppen und der Fernbedienung gerade einen neuen Höhenpunkt. Laut Aussage des Fahrradhändlers meines Vertrauens kaufen ca. 80 Prozent seiner Kunden E-Bikes oder Pedelecs. Alles mit Luft nach oben, da sich hier mittlerweile Lieferschwierigkeiten ergeben. Nach kurzer Einführung radeln bisher vor allen Dingen ältere und schwächere Menschen mit betriebsbereiter Mobilität durch die Welt. Die Räder wiegen im Schnitt 20–30, teilweise sogar 40 kg. Sie sind leider neuer Rekordhalter in der Unfallstatistik. Schwere bis tödliche Unfälle nehmen massiv zu. Trotz geringem Verkehrsaufkommen im Coronajahr 2020 wurden 20 Prozent mehr tödliche Unfälle durch Pedelecs oder E-Bikes registriert – laut Statistischem Bundesamt insgesamt 142 –, wobei über 50 Prozent der älteren Generation zugeordnet werden.

Sie sind mit dieser neugewonnenen Mobilität deutlich gefährdet, denn ein motorunterstütztes Fahrrad braucht sowohl eine kognitive und reaktive als auch eine kräftemäßig angemessene Grundlage. Ein effektives Fahr- und Eignungstraining oder ein wirklich gutes „normales“ Fahrrad mit leichter Tretübersetzung wäre hier sicherlich eine gute Alternative. Dies gilt nicht nur dem Schutz der eigenen Person, sondern auch dem anderer Menschen, die sich womöglich zu Fuß fortbewegen. Eine schnelle Handlungsfähigkeit der Radfahrer wirkt sich hier sicherlich schützend und rücksichtsvoll aus. Zumal auf den schönen deutschen Geh- und Radwegen der Unmut aller Beteiligten wächst. Denn rechtlich sollte die Radgeschwindigkeit bei Sichtung von Fußgängern auf Schrittgeschwindigkeit gedrosselt werden, was mit einem schweren Rad nur mühsam gelingt.

Fazit: Was spricht gegen E-Bikes?

Es wäre klug, sich vor dem Erwerb eines teuren elektrischen Hilfsmittels die folgenden Fragen ehrlich zu beantworten

  • Gibt es adäquate Alternativen ohne Motor?
  • Laufe ich Gefahr, weitere Mobilität einzubüßen und meine Lebensqualität zu mindern?
  • Nutze ich das Rad wirklich richtig?
  • Bin ich den Anforderungen des Handlings gewachsen?
  • Sollte ich mir für Ausflüge ggf. besser ein Rad leihen, etc.?

Hilfe ist nicht immer hilfreich. Ich kenne mittlerweile einige Menschen, die dank Radwechsel einen beträchtlichen Teil ihrer Beinkraft eingebüßt haben. Ich weiß, ich bin ein Extremist, was den Einsatz von arbeitserleichternden Zusatzgeräten betrifft. Dabei möchte ich betonen, hier geht es nicht um eine „Statt-Auto-Diskussion“, die andere, grundlegende Fragen erörtern sollte. Hier geht es um schmerzreduzierende, körperliche Aktivität.

Ich möchte Menschen davor schützen, sich oder die eigenen Kinder und Eltern zu sehr zu schonen. Gesundheit ist oft ein lästiges und anstrengendes Prozedere, das wir selbst im alltagsermüdeten Zustand pflegen müssen, so wie wir auch unsere Zähne täglich putzen. Alles, um uns eine bessere Lebensqualität zu erschaffen und diese zu erhalten. Der Alltag wird leichter, schmerzarm und gesünder, wenn wir fitter sind!

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Autorin: Nici Mende ist TÜV-zertifizierte Personal Trainerin, Dipl.-Trainerin med. Fitness und Adv. Trainerin Fascial Finess. Außerdem arbeitet sie als Autorin und ist Ausbilderin u. a. beim GluckerKolleg Stuttgart, Konzeptentwicklerin von „Fascial Coach“, „Rückenfrei“ und „Sensobility“ und Entwicklerin des FASCIAL COACH deepRING.

www.fascial-coach.de

Literatur:

  • Lourenco M.V. et al.: Exercise-linked FNDC5/irisin rescues synaptic plasticity and memory defects in Alzheimer’s models, nature medicine, 2019.
  • Pedersen B.K. et al.:The metabolic role of IL-6 produced during exercise: is IL-6 an exercise factor? The Proceedings of the Nutrition Society, 2004.
  • Kim J-S. et al.: Myokine Expression and Tumor-suppressive Effect of Serum following 12 Weeks of Exercise in Prostate Cancer Patients on ADT, Medicine and science in sports and exercise, 2021.
  • Nützliche Zusatzinfos: www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/ s-0043-101662.pd
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Über den Autor

Nici Mende

Nici Mende ist A-lizensierte Trainerin in mehreren Bereichen des Fitness- und Gesundheitssports und TÜV-zertifizierte Personal Fitnesstrainerin. Ihre Passion entdeckte sie 2012 im Bereich der faszialen Fitness. Als Schülerin der Fascial Fitness Association ließ sie sich zur Advanced Trainerin Fascial Fitness ausbilden, weiter Ausbildungen zur Fachtrainerin für medizinische Prävention und Rehabilitation vollendete sie 2016 mit ihrer Studienarbeit zur Dipl. Trainerin medizinische Fitness. Nici gibt ihre Erfahrungen als Dozentin in der Trainer-Aus- und Weiterbildung in Deutschland und dem europäischen Ausland weiter.

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