Aufbau und Funktion der Gesäßmuskulatur | Von Nici Mende

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Aufbau und Funktion der Gesäßmuskulatur: Viele Trainer und Hobbysportler fragen sich, wozu es sich lohnen sollte, anatomische Grundkenntnisse zu erlernen oder diese aufzufrischen. Reicht es nicht, die Funktion eines Muskels zu kennen, die Gelenkbewegungen einfach zu probieren? Wohl eher nicht. Schließlich gelingt es uns nur dann, zielführende Übungen anzuleiten oder sie auszuüben, wenn wir die funktionellen Zusammenhänge im Körper verstehen. Von Nici Mende

Großer Gesäßmuskel – M. gluteus maximus

Zuerst starten wir mit dem großen Gesäßmuskel (M. gluteus maximus). Denn er ist der prominente Teamplayer der Hüfte. Gut trainiert ein optischer Leckerbissen, zu schwach ausgebildet sitzt leider keine Jeans wirklich gut und, schlimmer noch, der Rückenschmerz ist oft nicht weit.

Mehr zum Thema: Schluss mit Rückenschmerzen! Training von Gesäß und Beinen

Anatomie Großer Gesäßmuskel – M. gluteus maximus

Der M. gluteus maximus ist der volumenreichste Muskel im menschlichen Körper und verfügt über einen weitverlaufenden Ursprung mit sehr fester, langer Ansatzsehne. Er entspringt an Teilen der unteren großen Rückenfaszie (Fascia thoracolumbalis), dem hinteren Darmbeinkamm (Crista iliaca), dem seitlichen und rückwärtigen Teil des Darmbeins (Os Ilium) sowie an der rückwärtigen Fläche des Steiß- und Kreuzbeins (Os occygis und Os sacrum). Auch das Ligamentum sacrotuberale (Abb. 11.7.) dient als Ursprungsort.

Seine Fasern verlaufen in einem massiven Verbund zu verschiedenen Ansätzen. Circa ein Drittel der Maximusfasern führt es zum oberen, hinteren Oberschenkel (dorsaler Femur – Tuberositas glutealis). Dabei strahlen drei Viertel aller Fasern in die sog. Traktussehne (Tractus iliotibialis) ein. Diese große Beinaponeurose verstärkt die Oberschenkelfaszie (Fascia lata) und zieht über das Knie hinab bis an den seitlichen Schienbeinknöchel (Condylus lateralis tibiae). Überdies wird diese Verbindung durch den Schenkelbindenspanner (M. tensor fasciae latae) partnerschaftlich geführt und gespannt.

Gesäßmuskulatur: Anatomie, Aufbau und Funktion

Funktion des großen Gesäßmuskels

Die Hauptfunktion des großen Gesäßmuskels liegt in der Hüftextension und Beinaußenrotation. Die oberflächlichen Fasern, vorrangig in den Tractus iliotibialis einstrahlende Fasern, erwirken eine Abduktion des Beins, die tiefen Anteile (Abb. 11.1./gelber Pfeil) jedoch eine Adduktion. Überdies ist eine weitere essenzielle Aufgabe die Unterstützung im Spannen der Traktussehne. Somit überträgt der Gluteus seine Kraft bis in das Schienbein und hat Auswirkungen auf die gesamte Fascia lata.

Faszien des großen Gesäßmuskels

Es kommt vor, dass die Beinfaszie (Fascia lata) häufig als Traktussehne erwähnt wird. Das ist nicht ganz richtig, denn die Beinfaszie umschließt die recht breite Aponeurose (Tractus iliotibialis) und wird, als Dank, von ihr gespannt.

praktische funktionelle anatomie

Zum besseren Verständnis

Der Fascia lata könnte das Bild einer engen, aber elastischen Leggings (als Fascia lata) mit starker Seitennaht bis unter das Knie (als Tractus iliotibialis) herhalten. Ziehen wir an der Seitennaht, wird der Zug am gesamten Verlauf zu spüren sein. Führen wir die Verbindung über den Gluteus weiter in den kontralateralen Rücken, ergibt sich die direkte Verbindung zur Fascia thoracolumbalis. Bingo!

Denn so sichert der M. gluteus maximus die Spannung der großen Rückenfaszie (TLF). Und Ihr könnt mal in Euren Lauf- und Trainingshosen schauen, welcher Anbieter diesen Verlauf eventuell, rein zufällig, in sein Modell eingebaut hat. Zieht eine solche Hose mal an, dann erkennt ihr die Zugunterstützung deutlich.

Schenkelbindenspanner – M. tensor fasciae latae

Gesäßmuskulatur: Anatomie, Aufbau und Funktion der Muskelzüge und FaszienAn dieser Stelle ist die Vorstellung des Schenkelbindenspanners sinnvoll. Er kann als embryonale Abspaltung des mittleren Gesäßmuskels (M. gluteus medius) gesehen werden, wird häufig leider nur randläufig erwähnt und dient doch als funktionelle Unterstützung des großen Gesäßmuskels. Anatomie Sein Ursprung liegt am vorderen, oberen Darmbeinstachel (Spina iliaca anterior superior) und dem Beckenkamm (Crista iliaca).

Der kurze Muskelbauch strahlt mit seinen Ansatzfasern in die lange Traktussehne und die Fascia lata ein. So findet er dieselben Ansätze unter dem Knie wie der große Gesäßmuskel. Dieser Muskel ist mechanisch gesehen zu klein, um wirkliche Bewegungsleistungen zu steuern. Er kann nur unterstützend wirken z. B. bei Hüftflexion,- abduktion und der Innenrotation. Eine Unterstützung in der Kniestreckung ist, kraftlastbedenkend, eigentlich nicht möglich. ABER: Er spannt Teile der Fascia lata und, wie wir jetzt wissen, den Tractus iliotibialis wie eine leicht schräge Zuggurtung. Hiervon ist eben auch der große Gesäßmuskel abhängig.

Ein wichtiges System, das Ihr sehr leicht nachvollziehen könnt. Steckt Eure Finger (ohne den Daumen) bis zum Grundgelenk in die vorderen Hosentaschen und spürt, was mit den Hosenbeinen passiert. Dieser praktische Versuch zeigt ziemlich genau die Funktion des Schenkelbindenspanners und seine ungefähre Lage und Größe. Wollt Ihr sein Leid nachvollziehen? Dann versucht Euch zu setzen oder geht lange Laufen, ohne die Finger aus der Tasche zu nehmen. Ihr werdet unmissverständlich verstehen, dass übermäßiges Laufen und Sitzen der »Feind« dieses Muskels sind. Eine Überbeanspruchung tritt hier recht schnell ein und macht sich mit Schmerzen im Knie oder am vorderen Hüftbereich bemerkbar.

Problematik

Unangenehm wird es also mit der Fascia lata und dem Tractus iliotibialis, wenn der Zug zu stark, zu schwach oder ungleich wird. Wir merken das leider zu spät. Schwierigkeiten beim Aufstehen oder eine laterale Knieinstabilität können nach diesem Verständnis auf einen zu schwachen, atrophierten M. gluteus maximus und eine schlecht gespannte Traktussehne hinweisen. Läufer andererseits kämpfen oft mit Knieschmerzen, die evtl. einer zu starken Sehnenspannung zuzuschreiben sind.

Mehr zum Thema: Hüftmuskulatur und Gluteus als Auslöser von Knieschmerzen

Mittlerer und kleiner Gesäßmuskel – Mm. glutei medius und minimus

Gesäßmuskulatur: Anatomie, Aufbau und Funktion des gluteus minimusDie zwei kleineren Gesäßmuskeln liegen in den tieferen Schichten der Hüfte und bilden eine funktionelle Einheit. Anatomie Den mittleren Gesäßmuskel (M. gluteus medius) führt es fächerartig, ca. einen Querfinger unterhalb des Darmbeinkamms, von der Darmbeinschaufel (Os Ilium) zum Rollhügel des Oberschenkelknochens (Trochanter major). Die Fasern des »Medius« verwinden sich A) M. tensor fasciae latae B) M. gluteus maximus C) M. gluteus medius Tractus ilio_bialis im Verlauf zu ihrem Ansatz. So führt der vordere Anteil des Muskels etwas überlappend über den hinteren Anteil hinweg.

Dieser Muskel bildet die zweite Schicht der Hüftmuskeln, denn er wird z. T. vom M. gluteus maximus und vom Tractus iliotibialis bedeckt (schematische Blauschattierung in Abb. 11.1.). Der kleine Gesäßmuskel (M. gluteus minimus) verläuft noch eine Schicht tiefer. Sein Ursprung und Ansatz befindet sich leicht versetzt, unter dem des M. gluteus medius. Als funktionelle Einheit erfüllen sie für uns absolut notwendige Aufgaben.

Funktion Mittlerer und kleiner Gesäßmuskel – Mm. glutei medius und minimus

Sie stabilisieren und bewegen, gemeinsam mit dem großen Bruder (M. gluteus maximus), die Hüfte bei jedem Schritt, den wir unternehmen. Dies geschieht im rhythmischen Wechsel: Standbein = stabilisiert das Becken vs. Spielbein = hebt das Becken und bewegt das Bein. Mit weiteren Partnern ermöglichen sie das Abspreizen (Abduktion) des Beins bzw. bei fixiertem Bein die Seitneigung des Rumpfes. Ihr seht, Punctum fixum und Punctum mobile sind wie immer ausschlaggebend.

Je nach Hüft-Bein-Position und angesprochenem Faseranteil unterstützen die Mm. glutei medius und minimus eine Beininnenrotation und Hüftflexion ventrale Fasern bzw. eine Außenrotation und Extension dorsale Fasern. Eine Lähmung, Atrophie oder Störung dieser fleißigen Helfer wird durch starke Beckenrotationen (Watscheln) und den dauerhaften Hochstand des Beckens sichtbar. Auch ein »Wegsacken« des Beins beim Gehen kann vorkommen.

Problematik: Eindeutig das SITZFLEISCH!

Gesäßmuskulatur: Anatomie, Aufbau und FunktionFür das Gros unserer industriellen Welt gilt: Wir sitzen zu viel! Leidtragend ist u. a. das Gesäß. Habt Ihr schon einmal versucht, einen sitzenden Gluteus als Anatomiebild bei Google zu finden? Es ist nahezu unmöglich, denn dieser Muskel ist funktionell dem aufrechten Gang/Stand gewidmet, wird entsprechend in seiner Funktionsstellung abgebildet. Nur ergibt sich das »urbane« Schmerzproblem sitzend.

Wir sind manchmal zusätzlich ein bisschen blind und trainieren dieses System teilweise sogar sitzend. Ein großer Fauxpas, denn wir erwirken durch langes Sitzen eine Unwucht im System. Ein geschmeidiges Gleiten der Muskelbäuche gegeneinander ist nicht gewährleistet, denn die hierzu beauftragten myofaszialen Strukturen verdichten und versteifen. Auflageflächen (Abb. 11.4./schwarze Zonen!) werden nicht ausreichend durchblutet.

Eine unausweichliche Atrophie der Gesäßmuskeln sowie deren konstante Gewebekompression in den Beckenkamm, den Steiß- und Sitzbeinbereich ist oft Auslösemechanismus für Schmerzen in Rücken, Hüfte oder im Knie, sogar im Fuß. Die Zugmechanismen des Tractus iliotibialis und auch der Bein- und Rückenfaszie (TLF) werden, wie beschrieben, massiv gestört. Die folgende Aussage polarisiert sicherlich, aber leider trifft sie nur allzu häufig zu. Je flacher, schwächer das Gesäß, desto häufiger leidet der Inhaber an Rückenschmerzen.

Training

Wir Trainer sollten uns auf ein stets funktionelles Training, darf ich sagen, einschwören?! Das bedeutet für den Bereich der Hüfte:

  • Partnerfunktionen: Nutzung der funktionellen Ketten
  • Optimale ROM: volle Bewegungsamplitude
  • Sicherung: dynamische und statische Stabilität
  • Intensiv: ausreichender Trainingsreiz
  • Technische Ausführung: sensomotorische Ansteuerung
  • Impuls: reaktive Förderung
  • Viskoelastisch: Mobilisieren der Gleit- und Fließeigenschaften

Diese Umsetzung lässt sich natürlich auf fast alle Regionen anwenden. Jedoch erscheint es für ein effektives Training dieser Muskelpartner wirklich erwähnenswert.

Welche Sportarten sind gut für den Po?

Betrachten wir ausschließlich die Gluteusfunktionen, sollten wir möglichst abwechslungsreiche, multidirektionale Sportarten im Stand wählen. Es bieten sich im Fitnessmarkt unendlich viele Auswahlmöglichkeiten.

Für mich findet sich hier eine nachhaltige Bestätigung, das gute alte Kursmodell der Step-Aerobic weiterhin anzubieten. Aber auch alle Walking-, Lauf-, Sprung-, Kletter- und Tanzkurse haben bei der Gesäßförderung die Nase vorn. Egal, welche Kursart gewählt wird, wir sollten versuchen unsere Teilnehmer ausreichend »standhaft« zu belasten. Sitzkapazitäten haben wir in den Industrienationen mehr als genug. Dauersitzen beginnt übrigens ab 4,5 Stunden täglich. (A. Lopéz-Valenciano 2020)

Hier finden Sie effektive Übungen für einen schönen Po!

Exkurs: Schmerzfrei durch »Schrubben«

»Schrubbt« bzw. reibt in Rückenlage mit aufgestellten Füßen das Gesäß so schnell wie möglich am Boden. Hierbei ergibt sich eine sehr angenehme Wärme, die durch die Verschiebung der bindegewebigen Steißbeinstrukturen in den Rücken, das Gesäß und die Beine weitergetragen wird. (Wirkt schmerzlindernd im Bereich Gesäß und untere Rücken.) Die Übung darf gern in ein Rückwärtsrobben am Boden erweitert werden.

Autorin und Sportexpertin: Nico Mende

nici mendeNici Mende ist A-lizensierte Trainerin in mehreren Bereichen des Fitness- und Gesundheitssports und TÜV-zertifizierte Personal Fitnesstrainerin. Ihre Passion entdeckte sie 2012 im Bereich der faszialen Fitness. Als Schülerin der Fascial Fitness Association ließ sie sich zur Advanced Trainerin Fascial Fitness ausbilden, weiter Ausbildungen zur Fachtrainerin für medizinische Prävention und Rehabilitation vollendete sie 2016 mit ihrer Studienarbeit zur Dipl. Trainerin medizinische Fitness.

Dies rundet für sie den ganzheitlichen Fitnessauftrag ab. Nici gibt ihre Erfahrungen als Dozentin in der Trainer-Aus- und Weiterbildung in Deutschland und dem europäischen Ausland weiter. Im Fokus steht für sie stets ihre Leidenschaft, Menschen mit vielen bildlichen Vergleichen das alltagsnahe Bewegungskonzept des Körpers zu vermitteln.

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Über den Autor

Nici Mende

Nici Mende ist A-lizensierte Trainerin in mehreren Bereichen des Fitness- und Gesundheitssports und TÜV-zertifizierte Personal Fitnesstrainerin. Ihre Passion entdeckte sie 2012 im Bereich der faszialen Fitness. Als Schülerin der Fascial Fitness Association ließ sie sich zur Advanced Trainerin Fascial Fitness ausbilden, weiter Ausbildungen zur Fachtrainerin für medizinische Prävention und Rehabilitation vollendete sie 2016 mit ihrer Studienarbeit zur Dipl. Trainerin medizinische Fitness. Nici gibt ihre Erfahrungen als Dozentin in der Trainer-Aus- und Weiterbildung in Deutschland und dem europäischen Ausland weiter.

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