Schlafmangel: „Schlafen kann ich auch noch, wenn ich tot bin.“ Dieser Satz fällt häufig – besonders unter jungen Leuten, wenn es darum geht, mit einer kurzen Nacht und wenig Schlafstunden zu prahlen. Doch woher kommt diese ungesunde Einstellung, wo Schlafmangel doch allgegenwärtig ist und uns tagsüber wertvolle Energie raubt? Höchste Zeit, dem Schlaf ein besseres Image zu verpassen!
Inhaltsverzeichnis
- Sind 6 Stunden Schlaf zu wenig?
- Was sind die Folgen von Schlafmangel?
- Wie viel Schlaf brauchen Sportler?
- Wach = leistungsfähig?
- Welche Symptome zeigen sich bei Schlafmangel?
- Schlafhygiene im Spitzensport
- Regeneration im Schlaf
- Schlafkiller Konsumgesellschaft
Sind 6 Stunden Schlaf zu wenig?
Es geht ein Gespenst um in der gesamten westlichen Welt: ein Gespenst mit dem Namen Schlafmangel. Und im Unterschied zu Gespenstern älteren Datums, denen rasche und konsequente Verfolgung, Bekämpfung und Liquidierung sicher waren, verbünden sich heute keine Mächte mehr gegen dieses Phänomen. Im Gegenteil – außer lahmen und stereotypen Empfehlungen stehen alle Repräsentanten der Staatsmacht, der öffentlichen Meinung und des Common Sense passiv und ein wenig hilflos vor diesem beunruhigenden Trend. Vielleicht weil sie alle damit kokettieren, wie wenig Schlaf sie angeblich brauchen? „Vier Stunden schläft ein Mann, fünf eine Frau, sechs ein Idiot“, sagte einst Napoleon Bonaparte. Viele Unternehmer, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens fühlen sich bemüßigt – oder gezwungen –, dieser Parole Folge zu leisten. Von Napoleon ist bekannt, dass er gelegentlich auf dem Pferd einschlief. Auch bei Politikern ist gelegentliches Einnicken am Arbeitsplatz dokumentiert.
Was sind die Folgen von Schlafmangel?
Schlafmangel scheint – vergleichbar dem Burn-out– eine gern zur Schau getragene Narbe zu sein getreu dem Motto: „Schaut her, wie ich mich und meine Gesundheit für euch opfere.“ Schlaflosigkeit, chronische Müdigkeit, Sekundenschlaf und stundenlanges Wachliegen sind bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ein tagtäglich und vor allem allnächtlich präsentes Thema. Umfragen an Schulen ergaben, dass mehr als 70 Prozent der Schüler ihren Schlaf als „sehr schlecht und zu kurz“ beurteilen. Eine Vielzahl an Autounfällen geht auf Rechnung von Sekundenschlaf am Steuer. Kaum ein Fernfahrer hat ausreichend geschlafen. Und hier geht es leider nicht nur um Schläfrigkeit! Wenn wir schon die eingeschränkte Aufnahmefähigkeit unseres Nachwuchses beim schulischen Lernen in Kauf nehmen, gilt zu bedenken: Weltweit sterben jedes Jahr 1 Million Menschen bei Verkehrsunfällen. Das sind mehr Tote, als im gleichen Zeitraum bei kriegerischen Auseinandersetzungen oder Terrorattentaten und infolge von Morden und Selbsttötungen sterben.
Wie viel Schlaf braucht man, wenn man Sport macht?
Die Schlafforscherin Cheri Mah von der University of Stanford konnte in mehreren Studien zeigen, dass Sportler, die zwei Stunden pro Nacht länger schliefen, überwältigende Verbesserungen ihrer Leistungsfähigkeit erlebten. Das Erstaunliche lag nicht allein in der Breite der Leistungssteigerungen, die von der neuromuskulären Reaktionsfähigkeit über die Bewegungsschnelligkeit bis hin zur Genauigkeit bei Korbwürfen reichte. Das wirkliche Wunder war, dass jeder Einzelne der Versuchsteilnehmer in jeder gemessenen Disziplin Verbesserungen aufwies. Es gab keine Verschlechterungen!
Die Grundhypothese dieser Untersuchungen war die Annahme eines Schlafdefizits. In Voruntersuchungen hatte die Forscherin festgestellt, dass die Spitzensportler im Schnitt nur 6,7 Stunden pro Nacht schliefen. Sie gab zehn Stunden als Zielgröße vor. Letzlich erreichte sie, dass die Sportler über den Versuchszeitraum von sechs Wochen durchschnittlich 8,7 Stunden pro Nacht schliefen. Wir Deutschen schlafen im Mittel 6,3 Stunden. Vor 40 Jahren waren es noch 8,7 Stunden, 2008 noch 7,7. Fakt ist, wir liegen zurzeit noch unter dem Ausgangsniveau der Sportler in Stanford. Vielleicht täte uns ein Selbstexperiment dieser Art einmal ganz gut. Denn rechnet man diese zwölf Stunden Schlafdefizit pro Woche hoch, so kommt man in einem Monat auf sechs Nächte, die fehlen – und im Jahr auf über zwei Monate Schlafdefizit.
Wach = leistungsfähig?
Arianne Huffington, die Begründerin der gleichnamigen Zeitung, schrieb kürzlich einen offenen Brief an Elon Musk, den CEO von Tesla, der sich in einem aufsehenerregenden Interview mit der New York Times damit gebrüstet hatte, er arbeite 120 Stunden die Woche. Sie schrieb: „Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden du wach bist. Tesla – und die Welt – wäre besser dran, wenn du regelmäßig Zeit zum Auftanken und wieder Verbindung mit deiner Kreativität und Innovationskraft hast. Die Arbeit in 120-Stunden-Wochen nutzt deine einzigartigen Qualitäten nicht, sie verschwendet sie. Niemand weiß besser als du, dass wir nicht zum Mars gelangen können, wenn wir die Gesetze der Physik ignorieren. Wir können auch nicht dahingelangen, wohin wir wollen, indem wir die wissenschaftlichen Gesetze in unserem täglichen Leben ignorieren.“ Und damit sind wir auch der Schlafqualität auf der Spur.
Welche Symptome zeigen sich bei Schlafmangel?
Ganz klar: Unser Leben spielt sich im wachen Zustand ab. Alles, was reizvoll, alles, was uns lieb und wert ist, alles, was uns wichtig erscheint, erleben wir nicht, wenn wir schlafen, sondern wenn wir aktiv und wach sind. Aber reicht „wach“ aus? Wollen wir im wachen Zustand nicht vielmehr qualitativ ansprechende Bewusstseins- und Leistungszustände erleben? Aber wer garantiert, dass wir diese Qualitäten jeden Tag aufs Neue zeigen können? Wovon sind diese qualitativen Eigenschaften abhängig? Von der Tagesform? Schlechten Tag erwischt, sagen Sie? Eher: schlechte Nacht!
Genauer: schlechte Schlafqualität. Alle qualitativen „Wach“-Synonyme werden von unserem Organismus im Schlaf geboren, erarbeitet und kreiert. Für jede einzelne Qualität gibt es optimale, suboptimale, aber eben auch indiskutable Schaffensbedingungen. Und in der Folge gibt es je nach Schaffensbedingung qualitative Abstufungen der entsprechenden Eigenschaften und Fähigkeiten. Das Tragische an den Synonymen von „wach“ ist ja gerade, dass sie nur gelingen, wenn der Schlaf – neben einer gewissen Mindestdauer – eine hohe Qualität aufweist. Fakt ist, dass die qualitativen Prozesse, die im Schlaf ablaufen, ganz konkrete Ergebnisse zur Folge haben – oder eben nicht!
Schlafhygiene im Spitzensport
Wie es in die richtige Richtung gehen kann, zeigt wieder ein Beispiel aus dem Sport: Robert Lewandowski, Mittelstürmer beim FC Bayern München, wurde 2020 zum Weltfußballer gekürt. „Er hat es nach dieser überragenden Saison verdient“, sagte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, der 1991 selbst diese Wahl gewonnen hatte. Für Lewandowski sprachen 34 Saisontore in der Bundesliga, wettbewerbsübergreifend sogar 51 Tore in 43 Spielen. Lewandowski befindet sich in der Form seines Lebens.
Ein Grund für die Leistungssteigerung auf hohem Niveau war eine wichtige Veränderung abseits des Fußballplatzes: Lewandowski arbeitet mit einem Schlaf- und Erholungstrainer zusammen. „Wir treffen uns regelmäßig und besprechen, wie ich mich besser erholen kann. Er erklärte mir, wie wichtig es ist, alle Lichtquellen im Schlafzimmer vollständig zu vermeiden. Wir haben sogar die Position besprochen, in der ich schlafen soll“, berichtete Lewandowski in einem Interview. Er sei Rechtshänder und sein Schussbein ebenfalls rechts. „Deshalb ist es für mich besser, auf der linken Seite zu schlafen“.
Die positive Wirkung von Schlaf belegt auch eine Bachelorarbeit der „Fachgruppe Sportwissenschaft“ an der Universität Konstanz. Dabei wurde in einer sechswöchigen Studie mit U19-Bundesligafußballern des SSV Ulm nachgewiesen, dass ein konsequentes Schlafcoaching eine signifikante Verbesserung der Schlafqualität bewirken kann. „Dies kommt konkret in allen schnellkräftigen Aktionen wie Antritt oder durch die höhere Sprintfähigkeit und allgemein im Spiel durch das ‚Wachsamsein‘, also eine schnelle Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie eine bessere Konzentration, zum Vorschein“, heißt es im Fazit der Bachelorarbeit.
Wie regeneriert sich der Körper im Schlaf?
„Die Bedeutung des Schlafs für die sportliche Leistung gewinnt in den letzten Jahren im Spitzensport immer mehr Beachtung“, sagt auch Gerhard Oechsle, Geschäftsführer von „Respofit“, einem Rehasport- und Fitnesspark in Geislingen. Dort wird seit Jahren mit einem HRV-Auswertungsprogramm gearbeitet. „Damit können wir den exakten Prozentsatz errechnen, während dem sich der Proband im Tiefschlaf befindet“, erläutert Oechsle, einst selbst als Bob-Bremser Vizeweltmeister und Europameister.
Die Schlafforschung, so Oechsle, fokussiere sich laut neuesten Studien auf die Tiefschlafphase, die am Anfang der Nachtruhe stattfinde. Mindestens drei der elementar wichtigsten Regenerationsprozesse laufen in diesem Zeitraum ab. Nämlich die Ausschüttung des Wachstumshormons, die neuronale Entgiftung und der Informationstransfer vom Hippocampus zum Cortex. Alle drei Vorgänge tragen kurz-, mittel- und langfristig zur Sicherung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit bei. „Für Hochleistungssportler ist eine optimale Tiefschlafphase eine elementare Bedingung für den Erfolg“, so Oechsle. „Die besten Athleten sind auch die besten Tiefschläfer.“
Unser Buch zum Thema „Richtig schlafen“: Geschrieben von unseren Trainingsworldexperten!
Endlich richtig ausgeschlafen – Bewährte Konzepte für gute Nächte
Was raubt uns eigentlich den Schlaf? Alkohol, Essen, Stress, anstrengender Sport, Koffein, Elekrosmog, schlechtes Raumklima…
Dies sind nur einige dieser gemeinen Schlafräuber, die uns oft schon – ohne dass wir es bewusst merken – weit vor dem Zubettgehen begegnen. Wie wir ihnen bewusst und entschlossen entgegentreten können, erklären zwei renommierte Schlaf- und Regenerationsexperten anhand vieler individueller Beispiele in diesem praxisorientierten Ratgeber.
So gibt es ganz unterschiedliche Ansätze, die eigene Schlafqualität zu verbessern: von kleinen Helferlein und Tools über eine entspannungsfördernde Schlafzimmereinrichtung bis hin zu spezieller Ernährung sowie präventivem Stressmanagement.
Plus: Ein Selbsttest, anhand dessen jeder ganz individuell ermitteln kann, was ihm in puncto Schlaf besonders wichtig ist.
Was führt zu Schlafmangel?
Die Zeiten ändern sich langsam. Der Schlaf wird erforscht und als Ressource erkannt. Es gibt bereits fundierte Coachingverfahren, die an der Verbesserung der individuellen Schlafqualität arbeiten. Denn wäre es nicht fahrlässig, mit diesem Humankapital weiterhin so rücksichtlos zu verfahren? Setzt sich langsam so etwas wie ein gesunder Menschenverstand durch? Und welche Ursache könnte die lethargische Reaktion der Öffentlichkeit auf das Phänomen Schlafmangel noch haben? Reed Hastings, CEO von Netflix, sagte, der größte Konkurrent für Netflix seien nicht Amazon, Youtube oder traditionelle Fernsehprogramme. Größter Konkurrent sei der Schlaf. Wenn natürlich die finanzstärksten Firmen des globalen Marktes unsere Aufmerksamkeit, unsere Zeit und letztlich unseren Schlaf als Objekt ihrer Begierde definieren, wird es schwer. Wer kann sich schon dem perfiden Dopaminangebot dieser Organisationen entziehen?
Spannende Geschichten, angeboten zur physiologischen Einschlafzeit auf einem Flatscreen, dessen unphysiologisches Licht unsere Melatoninproduktion stoppt, sind die reinsten Tiefschlafkiller. Zumal Serien wahres Suchtpotenzial entfalten können. So bleibt es oft nicht bei einer Folge am Abend; nicht selten wird die ganze Staffel am Stück angeschaut. Ähnlich dem Konsum von Schokolade: Es bleibt oft nicht bei einem Rippchen (wie geplant), die ganze Tafel muss dran glauben. Die Konsumindustrie spielt sich da gegenseitig in die Karten. Aber das Endresultat ist der mit Fantasiegeschichten gesättigte, mit Zucker abgefüllte, übernächtigte Verbraucher, der sich am Morgen nicht fit und freudestrahlend und schon gar nicht ausgeschlafen zur Arbeit schleppt. So erinnert er ein wenig an ein Gespenst, das sich an diesem Morgen (wieder einmal) schwört, in der kommenden Nacht aber hundertprozentig früher ins Bett zu gehen.
Erschienen in der body LIFE
Die Fachzeitschrift body LIFE ist das führende Fachmagazin für Inhaber und Manager großer, mittlerer und kleiner Fitness-Anlagen jeglicher Art. Es enthält eine professionell abgestimmte Vielfalt an Artikeln versierter Fachautoren zu verschiedenen Themen:
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Die body LIFE gibt es seit über 30 Jahren. Seit jeher erfährt die body LIFE von ihrer treuen Leserschaft größte Aufmerksamkeit und höchsten Zuspruch.
Autoren:
Anna-Lena Oechsle ist Sportwissenschaftlerin und absolviert zurzeit ihren Master in Sport Science an der Universität Konstanz. aloechsle@respofit.de
Harald Stock ist HRV-Spezialist beim „Respofit“ in Geislingen, ehemals Athletic Coach beim VfB Stuttgart (Ralf Rangnick) und FSV Mainz 05 (Thomas Tuchel) sowie Dozent an der Universität Stuttgart für medizinische Rehabilitation. hrv@respoft.de