Unser Körper ist ein biologisches Wunderwerk. Neben zahlreichen Anpassungsprozessen, die uns unsere sportlichen Leistungen ständig verbessern lassen, können wir auch unseren Alterungsprozess aktiv beeinflussen, denn: unser Körper hat die Fähigkeit, Zellen zu erneuern oder abzubauen, sollten diese ihr „Soll“ erfüllt haben. Humanmedizinerin Dr. Simone Koch erklärt, wie wir diesen Zellerneuerungsprozess, die Autophagie, mit Sport und Fasten aktiv in Angriff nehmen können. Die Umsetzung ist dabei für Sportler wie auch Laien machbar – man muss nur wissen, wie!
Inhaltsverzeichnis
- Ein Lebensabend ohne Medikamente
- Was ist Autophagie?
- Was hemmt die Autophagie?
- Wann beginnt die Autophagie beim Fasten?
- Stress raus, Ruhe rein
Ein Lebensabend ohne Medikamente
Als mein Uropa 98 Jahre alt war, beschloss er an einem schönen Spätsommertag Ende August, seine Pflaumen zu ernten. Wie in jedem Jahr holte er die schwere Leiter, schleppte sie zum Pflaumenbaum und stieg in die Krone. Leider war die Leiter diesmal nicht richtig aufgestellt. Als er sich zu weit nach vorn lehnte, kippte die Leiter zur Seite und mein Opa stürzte. Er brach sich mehrere Rippen und seine Lunge wurde dabei verletzt. Die Folge: eine Lungenentzündung – und mein Opa starb.
Auch wenn wir als Familie alle traurig waren, sollte der Fokus dieser Geschichte nicht darauf liegen, dass man seine Leiter beim Pflaumenpflücken besser aufstellen oder mit 98 Jahren nicht mehr auf eine Leiter steigen sollte. Es ist die Frage, wie man mit 98 Jahren noch so fit sein kann, dass man eine schwere Leiter problemlos durch den Garten tragen, in die Krone eines hohen Baumes steigen und Pflaumen pflücken kann – und das auch noch für das Selbstverständlichste der Welt hält!
Die Wahrscheinlichkeit, im Alter von 80 Jahren tatsächlich noch fit und gesund zu sein und das Leben einigermaßen so zu gestalten, wie man es will, liegt bei ca. 15 Prozent. Womöglich nimmt man dann ein verschreibungspflichtiges Medikament, leidet unter einer chronischen Krankheit, die das Leben jedoch kaum beeinträchtigt, und man freut sich jeden Morgen beim Aufwachen auf einen neuen Tag. Mit einer 30-prozentigen Wahrscheinlichkeit ist man jedoch multimorbide. Das bedeutet, dass man unter diversen chronischen Erkrankungen leidet, gegen die man mindestens drei verschiedene Medikamente dauerhaft nimmt. Diese verursachen wiederum Nebenwirkungen, gegen die man weitere Medikamente nehmen muss. Man kann weder seinen Hobbys nachgehen noch soziale Kontakte pflegen.
Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass man sich bester Gesundheit erfreut und keinerlei körperliche oder geistige Einschränkungen hat und ohne pharmakologische Hilfe all das tun kann, was man schon immer getan hat oder schon immer tun wollte, liegt unglücklicherweise bei gerade mal 5 Prozent. Nun Hand aufs Herz: Wollen wir nicht alle zu diesen 5 Prozent gehören und wie mein Uropa mit 98 Jahren bei bester Gesundheit noch losziehen, um Pflaumen zu ernten?
Was ist Autophagie?
Dank der Errungenschaften der modernen Medizin wird unser Leben immer länger. Was wir bisher nicht verlängern konnten, ist die Phase der uneingeschränkten Gesundheit. Wie bekommen wir aber unsere Zellen dazu, sich selbst zu erneuern? Wie schaffen wir es, dass Zellen selbst erkennen, dass sie quasi eigenständig ausgetauscht werden sollten? Den Vorgang, bei dem der Körper überprüft, wie der Funktionszustand einer Zelle ist und ob Teile oder gar die ganze Zelle zerlegt und recycelt werden sollte, nennt man Autophagie. Autophagie kann der Körper immer dann betreiben, wenn „Stoffwechselruhe“ herrscht. Doch was ist das?
Den normalen Betrieb in der Zelle kann man sich ungefähr so vorstellen wie die Großküche eines ausgebuchten Restaurants. Ständig geht eine neue Bestellung ein, alle Angestellten laufen und rufen wild durcheinander. Auf allen Flammen wird gekocht, es ist heiß und fast das ganze Equipment ist in Gebrauch. In dieser Situation ist es unmöglich herauszufinden, welcher Topf einen neuen Griff benötigt, welche Pfannenbeschichtung zerkratzt ist und welcher Herd möglicherweise ganz ausgetauscht werden sollte. Erst wenn der Betrieb beendet ist, kann alles gereinigt, aufgeräumt und überprüft werden. Für unsere Zellen heißt das: Solange Nahrung reinkommt und verbrannt werden muss, kann nicht aufgeräumt werden. Die Autophagie findet dann statt, wenn der Magen leer und die Nahrung im Darm verdaut und verstoffwechselt ist.
Was hemmt die Autophagie?
Bei meinem Großvater gab es Frühstück gegen 7:30 Uhr, nachdem er bereits 1½ Stunden im Garten und bei den Tieren war. Dann gab es täglich um 11:30 Uhr Mittagessen und ein frühes Abendessen gegen 17:30 Uhr. Jeder Tag bestand aus harter körperlicher Arbeit auf den 2 000 Quadratmetern Nutzgarten. Nach dem Abendessen gab es konsequent nichts mehr an Nahrung bis zum nächsten Morgen. Als er ins Bett ging, war die leichte Abendmahlzeit bereits weitestgehend verdaut und sein Körper hatte somit die ganze Nacht Zeit, um „aufzuräumen“.
In der heutigen Zeit essen viele vom Aufstehen bis zum Schlafengehen permanent und die Abendmahlzeit ist oft schwer und reichhaltig. Außerdem schlafen viele weniger, als zur vollständigen Erholung nötig wäre. Der Körper hat dann keine Zeit und Muße, „aufzuräumen“ und die Zellen sorgfältig zu kontrollieren. Für unsere Zellen bedeutet das, dass sich überalterte Zellen und solche, die durch Giftstoffe, Viren, Bakterien, Strahlung oder Ähnliches geschädigt sind, weiter „durchmogeln“. Schließlich erreichen sie einen Status, in dem sie ihre Funktion nicht mehr wahrnehmen können. Gleichzeitig aber auch einfach nicht sterben wollen. Diese Zellen nennt man auch „Zombiezellen“. Wie Zombies in Horrorfilmen sind sie in der Lage, umliegende Zellen zu infizieren und sie ebenfalls zu Zombiezellen zu machen, sodass ganze Zellverbände unnütz werden.
Dem Körper ab und an eine Stoffwechselruhe zu gönnen, optimalerweise auch länger im Rahmen von Fastenphasen (intermittierend oder längerfristig), ist essenziell, damit sich Zellen erneuern und wieder funktionstüchtig werden können.
Wann beginnt die Autophagie beim Fasten?
Normalerweise dürfte man 16 bis 24 Stunden keine Nahrung zu sich nehmen, bis die Autophagie intensiv im Körper einsetzt. Wer jedoch gewisse Dinge beachtet, kann den Körper austricksen und dieses Zeitfenster reduzieren, um die Autophagie in Gang zu setzen. Beispiele:
- Im fastenden Zustand 30 Minuten hochintensives Intervalltraining betreiben,
- 30 bis 45 Minuten bei unter 60 Grad saunieren oder mehrere 90-Grad-Saunagänge machen,
- ein 45- bis 60-minütiges Kraft- oder Cardiotraining durchführen oder
- sekundäre Pflanzenstoffe oder bestimmte Medikamente (siehe Infobox) einnehmen.
Stress raus, Ruhe rein
Wir müssen unseren Zellen die Chance geben, sich regelmäßig selbst zu erneuern. Dann haben wir eine größere Wahrscheinlichkeit, im Alter fit und gesund zu bleiben – geistig wie auch körperlich. Um den Zellerneuerungsprozess, die Autophagie, in unserem heutigen oftmals durchgetakteten und stressigen Alltag zu erreichen, müssen wir uns ausreichend bewegen und das Zeitfenster, in dem wir Nahrung zu uns nehmen, einschränken oder das Zeitfenster, in dem wir nichts essen, erhöhen. Intermittierendes Fasten allein bringt dabei nur wenig. Kombiniert man es jedoch mit entsprechenden sportlichen Tätigkeiten, kann man die Zellerneuerung positiv beeinflussen. Trainierende und Coaches sollten daher beim Training immer im Hinterkopf behalten: Ein Training dient nicht nur der Verbesserung des Stoffwechsels und der Leistung. Es dient auch dem Fettabbau und dem Zellerneuerungsprozess – und ist somit eine Investition in ein langes Leben voller Energie.
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Autorin: Simone Koch ist Gründerin und Leiterin ihrer Praxis für funktionelle Medizin. Sie ist Autorin von fünf Bestsellern. Ihre besonderen Spezialgebiete sind die Themen „Antientzündung“, „Langlebigkeit“ und die „Behandlung von Autoimmun- und Umwelterkrankungen“. Auf ihrem Instagram-Account versucht sie, ihr umfassendes Wissen unabhängig von ihrer ärztlichen Tätigkeit einem möglichst großen Publikum zur Verfügung zu stellen.