Psychotherapie bei Adipositas

0

Psychotherapie bei Adipositas: Eine Adipositas-Erkrankung geht nicht selten mit einer psychischen (Vor-)Belastung der Betroffenen einher. Diese gilt es zu behandeln, denn nur aus mentaler Stärke heraus wachsen Selbstdisziplin und Motivation, ohne die eine Gewichtsabnahme schwer möglich ist. Corinna Pfeiffer macht im Interview darauf aufmerksam, dass eine Verhaltenstherapie hierbei von elementarer Bedeutung ist.

Frau Pfeiffer, warum fällt es übergewichtigen bzw. adipösen Menschen so schwer, abzunehmen?

Viele Betroffene probieren es auf eigene Faust mit Diäten oder Abnehmprogrammen, z. B. Weight Watchers. Die Hoffnung dahinter: Wenn man auf bestimmte Nahrungsmittel verzichtet, geht das Gewicht schnell runter. Am Anfang einer Diät ist dies zwar tatsächlich der Fall – nach kurzer Zeit kommen aber die Heißhungerattacken und der Jo-Jo-Effekt, was eine langfristige Gewichtsreduktion verhindert. Meist fehlt eine professionelle Hilfe und Anleitung von außen – vom Hausarzt, von Coaches oder Fitnesstrainern.

Was macht Übergewicht mit der Psyche?

Adipöse leiden besonders unter Stigmatisierung, Diskriminierung und Selbstwertreduktion. Ein Teil der Patienten hat eine Essstörung, die letzten Endes zu der Krankheit führte: das Binge Eating. Dieses geht mit unkontrollierten Essanfällen ohne gegenregulatorische Maßnahmen einher und ist eine ernst zu nehmende psychische Erkrankung. Oft bleibt sie über Jahre unerkannt und wird zu spät diagnostiziert.

Die Ursachen einer Adipositas sind oft sehr komplex und multifaktoriell bedingt. Die Genetik spielt eine Rolle, ebenso Umweltfaktoren, das gesamte Setting des Patienten, sein familiäres und soziokulturelles Umfeld. Die Nahrungsaufnahme erfüllt neben der Sättigung auch wichtige andere Funktionen, die sich unter dem Begriff der Gefühlsregulation zusammenfassen lassen. Oft erfolgt eine Koppelung von negativen emotionalen Zuständen und der Nahrungsaufnahme. Im Vergleich zu Normalgewichtigen sind adipöse Menschen prozentual deutlich anfälliger für psychische Störungen, insbesondere für Depressionen, Angst- und somatoforme Störungen.

Welche Psychotherapie ist bei Adipositas sinnvoll?

Die Verhaltensänderung ist eine der drei wichtigsten Säulen beim Abnehmen – neben Bewegung und Ernährung. Eine Psychotherapie ist dann sinnvoll bzw. gefordert, wenn psychische Probleme vorliegen, die der Patient alleine nicht überwinden kann. Neben der Behandlung durch einen Psychotherapeuten sind aber auch Selbsthilfeprogramme unter Gleichgesinnten erfolgversprechend.

Es gibt immer wieder neue Überlegungen in diesem Bereich. Jede Menge kontrollierter Studien zeigen jedoch, dass die kognitive Verhaltenstherapie ganz klar die Methode der Wahl ist, der State of the Art in puncto Gewichtsabnahme.

Ob auch nach Gewichtsabnahme eine Psychotherapie angestrebt bzw. fortgeführt werden sollte kommt auf die konkreten Beschwerden an, die nach einer erfolgreichen Gewichtsabnahme vorliegen. Ist der Patient psychisch noch belastet, sollte die Therapie fortgeführt werden; fühlt er sich hingegen wohl und mental stabil, kann er die Behandlung beenden.

Wie können Fitnesstrainer adipöse Menschen motivieren?

Sportliche Ziele müssen realistisch sein und individuell mit dem Patienten besprochen werden. Außerdem sollte ein Abgleich stattfinden zwischen dem, was dem Patienten vorschwebt, und dem, was tatsächlich möglich ist. Sporttreiben braucht Zeit, das Gesamtkonzept muss also auch zum Tagesablauf passen. Sport sollte Spaß machen und nicht als lästig empfunden werden. Je nach Schweregrad der Adipositas kann der Arzt Empfehlungen vorab geben, die der Fitnesstrainer kreativ umsetzt. Entscheidungen darüber darf man aber nicht über den Kopf des Patienten hinweg treffen, sondern müssen ihn immer miteinbeziehen.

Wie sollten Fitnesstrainer das Problem der Adipositas adressieren?

Den meisten Patienten ist sehr wahrscheinlich bewusst, dass sie an Übergewicht leiden. Manche möchten sich die Erkrankung jedoch nicht eingestehen. Viele haben im Vorfeld schon eine ärztliche Diagnose bekommen zum Schweregrad ihrer Erkrankung und zu möglichen Begleiterscheinungen. Zu Beginn einer Trainingsplanerstellung im Studio sollte man zuerst einmal Größe und Gewicht erheben und den BMI ermitteln. Dieser ist ausschlaggebend dafür, ob „nur“ Übergewicht oder eine Adipositas vorliegt. Selbst eine Adipositas ist nicht gleich Adipositas; hier gibt es drei verschiedene Schweregrade: Stufe 1, 2 und 3. Idealerweise weiß der Fitnesstrainer, wo das Gewicht einzuordnen ist und klärt im Zweifelsfall den Patienten hierüber auf. Es sollte auf alle Fälle kommuniziert werden, dass Sport sehr hilfreich ist, aber alleine nicht ausreichen wird, um abzunehmen. Meiner Meinung nach macht es Sinn, dass Trainer die Patienten beispielsweise auch zu einer Ernährungsberatung motivieren.

Macht eine Kombination von Psychotherapie und Fitnesstraining Sinn?

Eine Kooperation von Psychotherapeut und Fitnesstrainer macht absolut Sinn. Es gibt durchaus schon einige Psychotherapeuten, die gezielt eine adipöse Patientenklientel ansprechen und behandeln und an Sporteinrichtungen weiterverweisen bzw. Sport dringend empfehlen. Dennoch besteht hier definitiv noch Ausbaupotential. Wünschenswert wäre, die Patienten frühzeitig zu erreichen und ihnen den Zugang zu adipositasspezifischen Behandlungsprogrammen zu ermöglichen, die von Beginn an die drei Säulen der Adipositastherapie – Ernährung, Bewegung und Verhalten – beinhalten.

Wie kann man Adipositas neben einer Psychotherapie noch behandeln?

Eine langfristige Gewichtsabnahme erfordert viel Zeit und Geduld und setzt das Umkrempeln des gesamten Lebensstils voraus. Ohne eine gute Portion Eigenmotivation fällt das Dranbleiben schwer. Abnehmen ist eine aktive Entscheidung, denn wenn sich „im Außen“ etwas ändern soll, muss sich auch „im Inneren“ etwas ändern – und umgekehrt. Der Startschuss fällt meist erst, wenn der Patient zu der Selbsterkenntnis gelangt, dass es ihm nicht gut geht und er so nicht mehr weitermachen kann und will. Das ist schon mal die halbe Miete. Auf Grundlage dieser Selbstreflexion und mit einem klaren Ziel vor Augen können dann weitere Maßnahmen ergriffen werden; hier kommen wieder die drei o. g. Säulen ins Spiel.

 Unser Tipp aus der Redaktion

Die Fachzeitschrift body LIFE ist das führende Fachmagazin für Inhaber und Manager großer, mittlerer und kleiner Fitness-Anlagen jeglicher Art. Es enthält eine professionell abgestimmte Vielfalt an Artikeln versierter Fachautoren zu verschiedenen Themen:

  • Business & Best Practice
  • aktuelle und hilfreiche Informationen aus der Branche,
  • Infos über den Markt, über Produkte und Konzepte,
  • Medical Fitness
  • Training.

 

Die body LIFE gibt es seit über 30 Jahren. Seit jeher erfährt die body LIFE von ihrer treuen Leserschaft größte Aufmerksamkeit und höchsten Zuspruch.

JETZT MEHR ERFAHREN

Interview mit: Corinna Pfeiffer, Oberärztin der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Schwerpunkt Ess- und Gewichtsstörungen), LVR Klinikum Essen

Teilen

Über den Autor

Trainingsworld

Leave A Reply