Prävention und Rehabilitation bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

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Ist Krafttraining, anders als bislang angenommen, bei der Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinnvoller als ein Ausdauertraining?

In der kardialen Rehabilitation und im Präventionstraining wurden bis vor kurzem hauptsächlich Ausdauertrainingsformen vorgeschlagen. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass Krafttrainingsmethoden bei verschiedenen Patientengruppen deutliche Vorteile hinsichtlich Trainingseffektivität und Trainingseffizienz aufweisen und einem rein aeroben Training vorzuziehen sind oder als mindestens gleichwertig betrachtet werden können.

 

Die Bedeutung von Krafttraining in der Rehabilitation

Bereits ab dem 30. Lebensjahr nehmen die Kraftfähigkeiten jährlich um etwa 1 % ab, wenn es an den entsprechenden Bewegungsreizen fehlt. Die negativen Effekte dieser Unterforderung des Körpers zeigen sich nicht erst bei sportlicher Betätigung. Wenn bereits ein schwerer Einkaufskorb eine zu hohe Last darstellt, können Selbstständigkeit und damit Lebensqualität massiv eingeschränkt werden. Überlastungsschäden aufgrund falscher Bewegungsausführung in Verbindung mit mangelnder Stützleistung der Muskulatur führen dann zu weiterem Bewegungsmangel, Immobilisation und Kraftverlusten. Ein regelmäßiges Training der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur erhält Koordinations- und Gleichgewichtsfähigkeiten, die das Risiko von Sturzverletzungen mindern. Sollte es dennoch zu einem Sturz kommen, können gut trainierte und schnellkräftige Muskeln den Körper abfangen und Schlimmeres verhindern. Ferner senkt ein regelmäßiges Fordern des Bewegungsapparats das Risiko von Arthrosen oder Knochenerkrankungen und wirkt sich insgesamt positiv auf sämtliche Stoffwechselprozesse aus.

Da die Vorbelastung durch Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems vor allem bei älteren Patienten nicht unwahrscheinlich ist, muss ein entsprechendes Training der Kraftfähigkeiten die Vorerkrankungen berücksichtigen und ist dem Training rekonvaleszenter Patientengruppen bezüglich Intensitäts- und Übungsauswahl sehr ähnlich.

Auch in der kardiologischen Rehabilitation und bei Patienten mittleren Alters, die an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems leiden, gewinnt das Krafttraining zunehmend an Bedeutung. Diese Patienten haben durch die krankheitsbedingte oder krankheitsauslösende Belastungsreduktion, lange Bettlägerigkeit und eine die Proteinsynthese hemmende Glucocorticoid-Therapie (z. B. bei Herztransplantationen) signifi kant an Muskelmasse und damit an Muskelkraft verloren. Ebenso kann die Knochendichte in der Zielgruppe soweit herabgesetzt sein, dass die Wahrscheinlichkeit, bei Überbelastungen im Alltag Knochenbrüche zu erleiden, deutlich ansteigt. In der Rehabilitation befindliche Patienten aller Altersgruppen haben demnach ebenso wie ältere Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder -Risikofaktoren einen hohen Bedarf an einem Training, das individuell auf die jeweilige Krankheitsdisposition zugeschnitten ist und das Ziel verfolgt, die Personen so schnell wie möglich auf Alltags- und Freizeitbelastungen vorzubereiten. Das Krafttraining wirkt direkt auf die Leistungsfähigkeit der Patienten, indem die aerobe Kapazität sowie die Kraftkapazität ansteigen. Indirekt wirkt die Intervention dadurch, dass geringe Alltagsbelastungen durch eine ökonomischere Arbeitsweise der Muskulatur erst gar nicht als eine solche wahrgenommen werden.

 

Belastungskonfiguration des Krafttrainings

Aus den Charakteristika der Patientengruppe und den zu erreichenden Zielen lässt sich die Zielstellung des Krafttrainings grob umreißen. Das Programm muss innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu einer signifikanten Steigerung von aerober Kapazität und Muskelkraft führen und dem Patienten damit ermöglichen, Alltags- und Freizeitbelastungen auch im fortgeschrittenem Alter selbständig und ohne unangemessene kardiovaskuläre Reaktion zu meistern. Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind verständlicherweise kardial nicht ausbelastbar. Als ungünstig werden starke Herzfrequenzanstiege und ein hoher arterieller Mitteldruck angesehen. Vor allem letzterer wird im klassischen Hypertrophietraining erreicht, weshalb dem Krafttraining in der kardialen Rehabilitation oft reserviert begegnet wird.

Zudem können komplexe mehrgelenkige Übungen gleichzeitig große Anteile der Gesamtmuskelmasse aktivieren und auf diese Weise eine deutliche Herz-Kreislauf-Reaktion hervorrufen. Um massive Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerungen im Training auszuschließen, müssen Intensität sowie Dauer der Kontraktion und der Anteil der involvierten Muskelmasse an das jeweilige Krankheits- oder Risikobild angepasst werden. Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die gewünschten Adaptationen auch mit Lasten unterhalb der klassischen Vorgaben erreichen lassen. Richtig dosiert werden im Krafttraining dann sogar geringere Blutdruck- und Herzfrequenzanstiege sowie maximale Blutdruckwerte verzeichnet, als bei einem vergleichbar intensiven Ausdauertraining. Dazu werden Lasten von etwa 50 % des Ein-Wiederholungs-Maximums empfohlen, die allerdings durch langsames Herantasten und keinesfalls durch vorab durchgeführte Maximalkrafttests ermittelt werden.

 

Keine Angst vor komplexen Übungen

Hohes Alter oder lange Sportabstinenz schließen nicht aus, komplexe und mehrgelenkige Übungen in das Training zu integrieren. Sofern keine medizinischen Ausschlussgründe vorliegen sind Übungen, z. B. mit der Langhantel, isolierten Geräteübungen sogar vorzuziehen, da sie den Zielbewegungen im Alltag, wie etwa Treppensteigen, Aufheben von Lasten oder Abfangen von Stürzen, sehr nahe sind.

Zu Beginn stehen das angeleitete Erlernen der korrekten Bewegungsausführung und neuronale Verbesserungen (inter- und intramuskuläre Koordination) im Vordergrund. Die dazu benötigten Lasten sind sehr gering und damit gut mit der Trainierbarkeit der Patienten vereinbar. Natürlich müssen vor allem ältere und lange immobilisierte Personen bei den entsprechenden Übungen besonders intensiv und geduldig betreut werden. Die Mühe wird sich lohnen: Selbst Personen hohen Alters können durch die spürbaren Trainingseffekte deutliche und nicht mehr erwartete Steigerungen der Lebensqualität erreichen.

 

Zielmuskulatur

Übung bei guter kardialer Belastbarkeit

Übung bei stark eingeschränkter kardialer Belastbarkeit

Wiederholungen

Beinmuskulatur komplex

Kniebeuge oder Kreuzheben

Beinpresse (evtl. einseitig)

10–15

Beinstrecker

Beinstrecken an der Maschine

Einseitiges Beinstrecken an der Maschine

10–15

Beinbeuger

Beinstrecken an der Maschine

Einseitiges Beinbeugen an der Maschine

10–15

Brust- und Armmuskulatur komplex

Bankdrücken

Brustpresse

10–15

Rückenmuskulatur

Vorgebeugtes Rudern oder Lat-Zug

Rudern am Seilzug oder Rudern (einseitig) mit der Kurzhantel

10–15

Armstrecker

Trizeps-Drücken beidseitig im Gerät oder am Seilzug

Einarmiges Trizeps-Drücken am Seilzug

10–15

Armbeuger

Bizeps-Curls mit der SZ-Stange oder am Seilzug

Einarmige Bizeps-Curls am Seilzug oder mit Kurzhanteln

10–15

Bauchmuskulatur

Alle bekannten Bauch-muskelübungen, z. B. auch auf einem Pezziball

Gerade oder seitliche Crunches

15–20

Untere Rückenmuskulatur

Hyperextension auch auf instabilen Trainingsmitteln

Hyperextension

15–20

Tab.1: Beispielhaftes Trainingsprogramm

 

Gegenanzeichen zum Krafttraining

Einschränkungen zur Trainierbarkeit bestimmter Patientengruppen ergeben sich vor allem aus der nach wie vor unzureichenden Studienlage. Den Empfehlungen zugrunde liegende Untersuchungen wurden größtenteils an männlichen Probanden mittleren Alters mit guter aerober Leistungsfähigkeit und stabiler Herzfunktion durchgeführt. Daher können die Empfehlungen nicht ohne Einschränkungen auf ältere oder weibliche Herzpatienten übertragen werden. Ebenso bedarf die Trainierbarkeit von Hochrisikopatienten einer weiteren empirischen Evaluation. Dazu zählen unter anderem Personen mit einer aeroben Leistungsfähigkeit von unter 1,4 Watt/kg Körpergewicht, Belastungsschmerzen unterhalb dieser Leistungsgrenze, unkontrollierbaren Herzrhythmusstörungen oder vom Arzt als potentiell lebensbedrohlich beurteilten Krankheitsbildern.

 

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Daniel Kilb

 

Literaturangaben:

1. Zeitschrift für Kardiologie, Bd. 93 (5), S. 357–370.

2. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Bd. 54 (3), S. 88–94. 3. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Bd. 55 (3), S. 70–74.

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Über den Autor

Daniel Kilb

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