Das psychologische Phänomen „Flow“ führt Sie zum Sieg

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Bis heute ist noch wenig über die positiven subjektiven Erfahrungen (Bewusstseinszustände) bekannt, die als Spitzenerfahrung, optimale Erfahrung, Spitzenleistung oder „Flow“ beschrieben wurden. In diesem Artikel stellt Lee Crust dieses Konzept vor und beschreibt die Charakteristika des „Flow-Zustands“.

Eine der verblüffendsten Charakteristika athletischer Leistungen sind die Schwankungen, die von einem Tag zum anderen auftreten können. Was an einem Tag wie eine rhythmische, einfache, fließende Leistung erscheint, kann am nächsten Tag erzwungen, schwierig und unzusammenhängend wirken. Natürlich gibt es viele interagierende Faktoren, die für solche Schwankungen bei Individuen verantwortlich sind. Menschen sind unglaublich komplex. Daher waren die Versuche, das verhaltensbestimmte Ergebnis – basierend auf psychologischen oder physiologischen Charakteristika – vorherzusagen, oft nicht erfolgreich.

Doch obwohl uns unsere Erfahrung sagt, dass wir nicht bei jedem Wettkampf eine Bestleistung abliefern können: Was wäre, wenn die Wissenschaft eine Reihe von vorbereitenden Umständen entdeckt hätte, die stark mit optimaler Leistung verbunden wären und Erfolg wahrscheinlicher machen würden? Sportpsychologen arbeiten seit kurzem daran, genau dies möglich zu machen.

Überraschenderweise tendierte dieses Forschungsgebiet dazu, von Wissenschaftlern übersehen zu werden, da der vorbestimmte Fokus auf der Überwindung negativer psychischer Zustände, wie z. B. Ängste, lag. Psychologen arbeiten häufig mit Athleten zusammen, um solche Probleme durch Techniken wie Vorstellungskraft oder Zielsetzung zu entschärfen. Es gibt eine Reihe möglicher Erfahrungen, die ein Athlet ununterbrochen erleben könnte, von Störungen (z. B. Ängstlichkeit) bis hin zu Harmonie (z. B. „Flow-Zustand“). In einer Teamsituation könnte sich dieses Kontinuum auf den Mannschaftszusammenhalt oder auf dessen Fehlen beziehen.

Was ist Flow?

Einer der wichtigsten Aspekte meiner Rolle als praktizierender Sportpsychologe ist das Gespräch mit Sportlern über ihre Erfahrungen, um so Einsicht in ihre Gedankenmuster und ihre typischen Verhaltensweisen zu bekommen. Dies ist eine Voraussetzung, um die Sportler optimal auf die Wettkämpfe vorzubereiten und effektiv zu intervenieren, und so negativen Prozesse wie z. B. Stress zu bekämpfen.

Zu diesem Ansatz gehört, dass ich die Sportler bitte, mir ihre schlechtesten und ihre besten Leistungen so detailliert wie möglich zu beschreiben, inklusive ihrer Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen, die sie mit diesen besonderen Ereignissen verbinden. Bei der Beschreibung ihrer Bestleistung geben Athleten aus verschiedenen Sportarten und auf verschiedenen Leistungsniveaus bemerkenswert ähnliche Antworten. (Wenn Sie ein Sportler sein sollten, möchten Sie vielleicht darüber nachdenken; wenn Sie ein Trainer sind, möchten Sie diesen Versuch vielleicht mit Ihrem Team machen.)

Tennisspieler haben beispielsweise beschrieben, gänzlich in ihrem Spiel aufzugehen, Dinge zu antizipieren, bevor sie geschehen, und das Gefühl zu haben, alle Zeit der Welt für ihre Schläge zu haben, während sie gleichzeitig ein Gefühl des automatischen Reagierens und der Kontrolle bemerken. Ein Spieler beschrieb sich als so fokussiert, dass der Tennisball von der Größe eines Footballs zu sein schien.

Eine Läuferin, die über einen Langstreckenübungslauf reflektierte, sprach davon, sich sehr wohl und leicht zu fühlen und so verbunden mit ihrer Aktivität, dass sie gänzlich die Zeit vergaß. Ein Fußballspieler berichtete von dem Gefühl, so auf das Spiel eingestellt gewesen zu sein, dass er sich keiner Zuschauer bewusst war und fühlte, wie er sich automatisch bewegte und ohne zu denken reagierte. Ein Golfer erinnerte sich an einen flüssigen, leichten Schwung und das Gefühl, dass er die absolute Kontrolle hatte und den Ball überallhin schlagen könne. Bei der Erinnerung an diese Ereignisse werden die Assoziationen der Sportler mit ihren positiven Emotionen sehr deutlich.

Die 8 Charakteristika des Flows

Einige Autoren beziehen sich auf den Flow als einen veränderten Bewusstseinszustand, um einen Aufmerksamkeitswandel deutlich zu machen. Es ist jedoch weit davon entfernt, ein gewöhnlicher Funktionsmodus zu sein, und Experimente mit Spitzensportlern scheinen zu bestätigen, dass ein Flow nur selten erreicht wird.(2) Die oben aufgeführten subjektiven Beispiele stimmen mit Forschungsdefinitionen des Flows überein, welcher die folgenden 8 Charakteristika besitzt(1):

– ein empfundenes Gleichgewicht zwischen Herausforderung und Können,

– ein Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein,

– klar definierte Ziele und Feedback,

– totale Konzentration,

– ein Gefühl der Kontrolle,

– der Verlust der Befangenheit,

– Zeitverzerrungen,

– eine Erfahrung mit integrierter Belohnung.

    Um das erste Charakteristikum aufzugreifen: Bei einem Vergleich mit negativen Zuständen wie Angst – in denen ein empfundenes Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen der Situation und den Fähigkeiten des Athleten, diese zu bewältigen, besteht – scheint ein Flow in Bezug zu einem wahrgenommenen Gleichgewicht zwischen Herausforderung und Können zu stehen.(3)
    Zusätzlich wird behauptet, ein Flow trete besonders wahrscheinlich in Situationen von überdurchschnittlicher Herausforderung und außergewöhnlichem Können auf.

    Abbildung

    Neuere Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass dieses Modell eine zu starke Vereinfachung sein könnte, da ein Flow nicht zwingend in Situationen mit großen Herausforderungen und außergewöhnlichen Können auftritt. Tatsächlich hat es sich gezeigt, dass unter bestimmten Umständen ein Flow in Situationen mit geringer Herausforderung und großem wahrgenommenen Können auftritt, von denen man annahm, sie würden Langeweile begünstigen.

    Wenn Athleten ihre Flow-Erfahrung beschreiben, erzählen sie, dass die Dinge automatisch ablaufen, während sie an nichts Besonderes denken. Es ist, so sagen sie, als würden sie eins mit ihrer Aktivität sein. Dieser Zustand scheint am ehesten dann einzutreten, wenn Athleten klare Ziele haben, die ein Feedback bezüglich der Fortschritte in Richtung ihrer Zielvorstellungen erlauben.

    Totales Aufgehen in eine Aktivität ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein Individuum die Ziele für eine gegebene Aktivität kennt und versteht. Dies scheint Ordnung und Sicherheit statt Unordnung in einem Bewusstsein zu reflektieren.

    Eine der Erfahrungen, die einen Flow deutlich charakterisiert, ist ein Gefühl von totaler Konzentration auf aufgabenrelevante Stichworte, mit nur wenig oder gar keiner Verarbeitung von irrelevanten Informationen. Ablenkungen werden minimiert, und Athleten berichten häufig von einer Verengung ihres Fokus. Zur gleichen Zeit empfinden sie auch in der schwierigsten Situation totale Kontrolle und haben wenig Interesse daran, wie andere sie wahrnehmen.

    Abschließend berichteten Sportler über Zeitverzerrungen, die mit einem Flow assoziiert werden: Die Wahrnehmung von beschleunigter oder verlangsamter Zeit. Für Langstreckenläufer scheint die Zeit während eines Übungslaufs außergewöhnlich schnell zu vergehen, wenn sie sich vollständig auf die Aktivität konzentrieren und sich in sie versenken. Im Gegensatz dazu können Rückschlagspieler das Gefühl haben, eine Fülle von Zeit zu besitzen, in welcher sie eine passende Reaktion auf den Schlag auswählen und diese ausführen können. Im Grunde genommen ist das Endergebnis einer Flow-Erfahrung das Gefühl des „high“ seins.

    „Immanente Motivation“

    Es wird vermutet, dass der Genuss, der mit einem Flow assoziiert wird, mit der „immanenten Motivation“ verwandt ist – dem Verlangen, eine Aktivität um ihrer selbst Willen auszuüben. Dem gegenüber steht die äußerliche Motivation, die mit externen Belohnungen verknüpft ist, wie Preisgeld und Trophäen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Flow-Erfahrungen nicht erreicht werden können, während man eine äußerliche Belohnung verfolgt.

    Obwohl eine zufriedenstellende Forschungsbasis gefunden wurde, steckt unser Verständnis des Flows noch in den Kinderschuhen. Von größtem Interesse für Athleten ist die Forschung nach den Umständen, die einen Flow am wahrscheinlichsten machen. In 2 Forschungsstudien(2,5) haben Spitzensportler angedeutet, dass sie einen Flow aktiv begünstigen können, obwohl bewusstes An- und Ausschalten nicht möglich wäre.

    Es ist wahrscheinlich am sinnvollsten, sich auf Faktoren zu konzentrieren, die als notwendige Vorläufer des Flow identifiziert wurden:

    – eine positive geistige Einstellung,

    – die Zuversicht, die Herausforderung zu meistern,

    – mentale Pläne,

    – eine körperlich gute Vorbereitung,

    – Zielorientiertheit,

    – optimale umgebungs- und situationsrelevante Bedingungen,

    – ein positiver Teamzusammenhalt,

    – eine hohe Motivation,

    – Freude an der Sache,

    – die Beibehaltung eines angemessenen Fokus.

    Die ersten beiden Faktoren stimmen mit den theoretischen Arbeiten überein, die den Flow mit den Situationen in Verbindung bringen, in denen das wahrgenommene Können der Herausforderung gewachsen ist. Ein Athlet muss Vertrauen in seine Fähigkeiten haben, um einen Flow erfahren zu können.

    Mentale Pläne und eine gute körperliche Vorbereitung wurden kürzlich mit Bestleistungen olympischer Athleten in Zusammenhang gebracht. Eine gute Vorbereitung wird Unsicherheiten zerstreuen und totale Konzentration auf das gestatten, was getan werden muss, um Erfolg zu haben.

    Die Bedeutung der Zielorientierung

    Eine der innovativsten Studien auf diesem Gebiet konzentrierte sich auf die Rolle der Zielorientierungen und wie diese potenziell mit Flow-Erfahrungen verbunden sind.

    Bei der Zielorientierung geht es darum, was Erfolg dem Einzelnen bedeutet und wie er seine Leistung bewertet. Erfolg kann in Begriffen wie Qualität der Leistung – ungeachtet von Gegnern und Zielergebnissen (aufgabenorientiert) – oder Vergleich mit anderen (selbstorientiert) beurteilt werden.

    Ein Marathonläufer zum Beispiel könnte es als Erfolg bewerten, unter den ersten 50 ins Ziel zu kommen (Vergleich mit anderen/sich selbst) oder unter 2,5 Stunden zu bleiben (Qualität/Aufgabe). Die aufgabenorientierte Zielsetzung ist hier zu favorisieren, denn Sie können Ihre persönliche Bestzeit unterbieten, sich aber trotzdem nicht unter den ersten 50 befinden. Schließlich können Sie nicht kontrollieren, wie schnell andere Menschen laufen, sehr wohl aber Ihre eigene Leistung.

    Daher scheint die Aufgabenorientierung eng mit der intrinsischen Motivation und dem Durchhaltevermögen verwandt zu sein, die Selbstorientierung dagegen eher mit der Angst (welche ein Hindernis für einen Flow ist).

    „Intrinsische Motivation“

    Sport auf Eliteniveau ist sehr vom Konkurrenzdenken geprägt, unterstützt die wettbewerbsbetonte Zielorientierung und verschiebt die Betonung von der Aktivität weg und hin zur externen Belohnung. Daher spekulieren einige Forscher, dass ein Flow eher von Sportlern auf niedrigerem Niveau erfahren wird. Neuere Studien zeigen, dass äußerliche Belohnungen wie Preisgeld die intrinsische Motivation reduzieren oder sogar ersetzen können. Anstatt der reinen Freude an der eigenen Leistung wird die Belohnung der Grund für die Teilnahme an Wettkämpfen.

    Eine nachgewiesene Beziehung zwischen Flow und intrinsischer Motivation würde bedeuten, dass alles, was den Genuss und das Gefühl von Selbstverwirklichung potenziell reduziert, auch die Möglichkeit einer Flow-Erfahrung verringert. Jedoch ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt – auch wenn 81 % der Hochleistungssportler von nur seltenen Flow-Erfahrungen berichteten – noch unklar, ob ihre Sportkollegen in den unteren Leistungsklassen diese öfter erfahren.

    Andere, neuere Arbeiten beschreiben, dass Flow-Erfahrungen für einige Personen wahrscheinlicher sind als für andere. Das liegt an prädestinierten (persönlichen) Faktoren wie der Zielorientierung, der empfundene Sportfähigkeit, der Veranlagung zu Versagensängsten und an der intrinsischer Motivation.

    Auch umweltbedingte Faktoren sollten in Betracht gezogen werden: Eine neue Studie mit 1.231 Aerobic-Tänzern fand heraus, dass die Einschätzung der motivierenden Eigenschaften von Musik während der Trainingsstunden mit der Einschätzung des Flow korreliert.

    Motivierende Musik kann das Vergnügen steigern, und gerade bei Aktivitäten, bei denen Musik und Bewegung aufeinander abgestimmt sind, ist es wahrscheinlicher, dass Teilnehmer in der Aktivität aufgehen und positive Effekte erfahren. Es sind jedoch weitere Forschungen notwendig, bevor ernsthafte Schlussfolgerungen über die effektivsten Faktoren, die einen Flow ermöglichen, gezogen werden können.

    Und was ist mit den Faktoren, die einen Flow sogar verhindern können? Die Beseitigung bekannter Hindernisse für einen Flow ist ebenso wichtig, wie die Stärkung der Faktoren, die für eine
    Unterstützung des Flows bekannt sind. Folgende Faktoren wurden als hinderlich für einen Flow eingestuft:

    – körperliche Probleme wie Verletzungen,

    – eigene oder von Teamkollegen begangene Fehler,

    – Ablenkung und Verlust der Konzentration,

    – negative mentale Einstellung,

    – niedriges Selbstvertrauen,

    – niedrige intrinsische Motivation.

      Zusammenfassung

      Der Flow ist eng mit Spitzenleistungen und optimalen Erfahrungen bei Sport und Training verwandt und sollte daher als der Heilige Gral der Athleten, Trainer und Sportpsychologen betrachtet werden.

      Es ist offensichtlich, dass ein Flow nicht einfach so passiert, da bestimmte Vorzeichen registriert wurden. Es wäre unrealistisch, bei jeder Leistung einen Flow zu erwarten, da er von der Interaktion einer Kombination mentaler, physischer und umweltbedingter Faktoren abhängig ist.

      Zum heutigen Zeitpunkt ist es unmöglich, mit Sicherheit vorherzusagen, ob und, wenn ja, wann wir diesen erreichen werden, und in vielerlei Hinsicht ist dies Teil der intrinsischen Herausforderung des Sports. Wir können jedoch einen Weg finden, um unsere Chancen auf einen Flow zu maximieren, indem wir uns mental und physisch vorbereiten, die Herausforderungen des Trainings und des Wettkampfes zu bestehen.

      Flow ist ein schwer messbares Phänomen und kann nicht einfach durch psychometrische Techniken quantifiziert werden. Die Entwicklung von Methoden wie der „Flow-Zustandsskala 2“ verspricht jedoch weiterführende Untersuchungen. Sollten sie Erfolg haben, ermöglichen uns die Forschungen zum Flow-Phänomen vielleicht schon bald herausragende Erlebnisse und sportliche Spitzenleistungen.

      Abschließend bleibt zu sagen, dass es wichtig ist, im Hinterkopf zu behalten, welche Faktoren in engem Bezug zum Flow stehen. Indem wir die Herausforderungen im Sport annehmen und die Reise zu unseren Zielen genießen, führen uns die intrinsischen Belohnungen automatisch in Richtung weiterer positiver Erfahrungen.

      Lee Crust ist Dozent und Forscher im Gebiet der Sportpsychologie und arbeitet an der St. John’s Fachhochschule in York.

      Quellenangaben

      1. Optimal Experiences in Sport: A Flow Experience. In: Horn, T. (Hrsg.): Advances in Sport Psychology. 2. Ausg., Champaign, S. 510–527

      2. Journal of Applied Sport Psychology, Bd. 4, S. 161–180

      3. Csikszentmihalyi, M. (1990): Flow: The Psychology of Optimal Experience, New York

      4. Journal of Applied Sport Psychology, Bd. 4, S. 144–160

      5. Journal of Applied Sport Psychology, Bd. 7, S. 135–163

      6. The Sport Psychologist, Bd. 6, S. 156–171

      7. The Sport Psychologist, Bd. 6, S.156–171

      8. Ultra-fit, Bd. 8, S. 30–33

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