Auch wenn eine genauere Beschreibung der Gefahren für Leistungsfähigkeit und Gesundheit durch chronischen Stress hier nicht möglich ist, dürfte klar werden: Es ist wichtig, auf ein so balanciertes Leben zu achten, dass die Gefahr der „chronischen Stressfalle“ bestmöglich eingedämmt wird.
Stress und Trainingsprinzipien
In den vergangenen Artikeln wurden verschiedene Aspekte des so komplexen Stressgeschehens unter die Lupe genommen. Dabei wurde immer wieder betont, dass das Verständnis dieses Phänomens gerade auch für Sportler sehr relevant ist, weil „Stress“ aus evolutionsbiologischer Sicht bedeutsam für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Organismus ist, wie die Sportpsychologie weiß. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die so genannten „Trainingsprinzipien“ hingewiesen. So weiß zum Beispiel jeder Sportler und Trainer, dass die Trainingsreize „wirksam“ sein müssen (das heißt weder zu schwach, noch zu stark sein dürfen), damit es überhaupt zu einer beständigen Leistungssteigerung kommen kann. Derartige „optimal überschwellige“ Trainingsreize sind aber im Grunde nichts anderes als „wohldosierte Stressreize“! Genauso bekannt ist Sportlern und Trainern das Trainingsprinzip des „optimalen Wechsels zwischen Belastung und Erholung“. Der Mechanismus der „Superkompensation“ tritt nur dann ein, wenn der Organismus nach einem Trainingsreiz in quantitativer wie qualitativer Hinsicht ausreichend Gelegenheit bekommt, sich physisch und psychisch von der Trainingsbelastung zu erholen. An dieser Stelle denken Sportler und Trainer sofort an das ominöse Phänomen beziehungsweise die Problematik des „Übertrainings“ oder besser des „Übertrainingssyndroms“.
„Kurzzeitprogramm versus Langzeitprogramm“
Damit zurück zum Stress. Wie im letzten Artikel beschrieben, liegt der biologische Sinn kurzfristiger Stressreize insbesondere darin, den Organismus blitzschnell auf eine Anforderung und Leistungssituation adäquat einzustellen. Nach getaner Arbeit erhält der Organismus dann die Gelegenheit, sich vom Stress zu erholen. Er ist nun wieder bereit, der nächsten Herausforderung zu begegnen. Die evolutionäre Stress-Reaktion ist also ein „urzeitliches Kurzprogramm“. Für die Lebensbedingungen in der Urzeit war diese Form der Stress-Reaktion biologisch absolut sinnvoll (und stellte für einen gesunden Organismus keine Gefahr dar). Und ob wir wollen oder nicht: Dieses urzeitliche Kurzprogramm arbeitet in uns heute immer noch genauso wie in der Frühzeit. Der Unterschied ist, dass die Art des Stresses sich heute stark verändert hat. Heute sind es nicht mehr „Säbelzahntiger & Co“, die uns akut bedrohen, und denen wir durch Flucht oder Angriff blitzschnell begegnen, und dadurch die Stresssituation beenden. Heute sind es permanente Stressreize, mit denen wir umgehen müssen. Vor allem die andauernden Leistungsstressoren und psychosozialen Stressoren spielen heute eine herausragende Rolle. Um es mit einem Bild zu verdeutlichen: Es ist heute nicht mehr „sozialverträglich“ vor dem unliebsamen Vorgesetzen oder Kollegen wegzurennen, wenn man mit ihm „Stress“ hat. Genauso wenig kann man wie in der Steinzeit die Keule rausholen und den Stress damit beenden! Vielmehr trifft auf die moderne Welt das Bild des „Hamsterrades“ zu. Es gibt den ganzen Tag über immer wieder Stresssituationen, aus denen man nicht so einfach aussteigen kann. Entgegen der evolutionären Entwicklung der kurzfristigen Stress-Reaktion haben wir es heute mit einem „modernen Langzeitprogramm“ zu tun, für das wir evolutionär eigentlich nicht so richtig gemacht sind. Dies kann negative Konsequenzen für unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit haben. Diese „chronische Stressfalle“ betrifft im Grunde jeden, besonders aber auch den ambitionierten Sportler!
Alles unter einen Hut
Gerade Leistungs- und Profisportler haben einerseits ein hohes Trainingspensum zu absolvieren, müssen dieses andererseits aber auch in Einklang bringen mit der Bewältigung der Aufgaben rund um den Sport beziehungsweise neben dem Sport. Familie/Partnerschaft, Verwandte und Bekannte, Beruf/Studium/Schule, Hobbys und anderes mehr müssen mit dem Sport unter einen Hut gebracht werden. Eine permanente Anforderung an Sportler (und möglicherweise auch für seine engen Bezugspersonen). Diese ständige Belastungssituation kann auf lange Sicht gesehen durchaus zur Überforderung mit weitreichenden Konsequenzen führen. Nicht ohne Grund bekennen immer häufiger prominente Sportler, dass sie sich überlastet fühlen. Leistungsdruck kann z. B. wirkungsvoll durch mentales Training abgebaut werden.
Chronischer Stress kann gefährlich werden
Während kurzfristige, akute Stressreize bei einem gesunden Menschen kein gesundheitliches Problem darstellen, kann chronischer Stress zahlreiche negative Konsequenzen haben. Für Sportler dürfte in diesem Zusammenhang interessant sein, dass sich zum Teil durchaus Parallelen zwischen chronischen Stresszuständen und dem oben angedeuteten „Übertrainingssyndrom“ finden lassen!
Im letzten Artikel wurden typische Reaktionen beschrieben, mit denen sich der Organismus beziehungsweise verschiedene Organsysteme auf akute Stresssituationen einstellen. Ein gesunder Organismus bewältigt akuten Stress ohne Probleme. Die Belastung der Organsysteme verändert sich jedoch ungünstig, wenn aus akutem Stress chronischer Stress wird. Chronischer Stress wird heute als ein wichtiger Faktor bei Entstehung und Verlauf zahlreicher Gesundheitsprobleme und „Zivilisationserkrankungen“ eingestuft. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass viele Organsysteme durch Dauerstress belastet werden und erkranken können. Dazu abschließend und kompakt noch einige Beispiele für den möglichen Zusammenhang von Gesundheitsproblemen und chronischem Stress:
Das Immunsystem wird bei chronischem Stress dauerhaft geschwächt, so dass der Organismus anfälliger gegenüber Krankheitserregern wird. Gleichzeitig heilen bestehende (chronische) Krankheiten schlechter aus. Im Herzkreislaufsystem scheint chronischer Stress beteiligt zu sein an der Entstehung von Bluthochdruck, Arteriosklerose, bis hin zu Herzerkrankungen und Herzinfarkt. Chronischer Stress kann die geistige Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinträchtigen, sogar bis zur Veränderung der Gehirnstruktur mit beispielsweise Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung führen. Bei Dauerstress scheint die Wahrscheinlichkeit eines erhöhten Cholesterin- oder/und Blutzuckerspiegels zu steigen. So genannte „psychosomatische“ Erkrankungen, deren genaue Zu- und Einordnung in fest umschriebene Krankheitsbilder schwerfällt, hängen wahrscheinlich eng mit Dauerstress zusammen. Das immer häufiger erwähnte Phänomen „Burnout“ ist schließlich das „Ende der Fahnenstange“ von sehr lang anhaltendem Stress. Hierbei ist der Organismus irgendwann auf verschiedenen Ebenen total erschöpft und kann sich nicht mehr ohne Weiteres regenerieren.
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Jörg Schönenberg