Perturbationstraining: Die Stabilität der Wirbelsäule wird unter anderem reflexiv vom Rückenmark, dem Kleinhirn und dem Hirnstamm kontrolliert. Um diese Kontrolle aufrecht zu erhalten und uns während Bewegungen Sicherheit zu geben, bedarf es einem optimalen Zusammenspiel aus diesen verschiedenen neuronalen Arealen.
Was ist Perturbationstraining?
Der Begriff steht für Training oder Übungen, bei denen der Muskulatur spontan Störreize gesetzt werden. Z.B. das Balancieren auf wackligen bzw. weichen Untergrund. Oder das Ausgleichen von seitlichen Irritationen des Gleichgewichts.
Perturbationstraining: Sinnvolle Ergänzung zum klassischen Krafttraining
Das Kleinhirn sorgt mit seiner Vermis primär für die Funktion unserer axialen Muskulatur und hilft uns bei der Erzeugung einer spinalen Extension, die uns den aufrechten Gang ermöglicht. Haltungsdefizite, Stress, muskuläre Atrophie und sogar visuelle Defizite, können unsere Haltung negativ beeinflussen.
Neben dem direkten Training der Rückenmuskulatur hilft das Training des Kleinhirns bei der Aufrechterhaltung unserer posturalen Kontrolle und sorgt somit für einen optimalen Muskeltonus in der Bewegung. Um die spinale Stabilität zu verbessern ist es sinnvoll klassisches Krafttraining mit spezifischen Übungen für das Kleinhirn zu ergänzen. Auf diese Weise sorgen wir für eine optimale Software, die unseren Muskeltonus reguliert, und für eine optimale Hardware, die die eigentliche Bewegung und Entwicklung von Kraft ermöglicht. Das Kleinhirn hat die Aufgabe Bewegungen zu koordinieren, unsere Balance aufrechtzuerhalten und den Tonus der axialen Makulatur zu gewährleisten.
Perturbationstraining als Fehlerkorrektur in Bezug auf unsere Bewegungsausführung
Dabei vergleicht es immer wieder den aktuellen Zustand mit der erwünschten Bewegung. Über Feedbackschleifen kann man auf diese Weise Bewegungen immer wieder kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren. Daher sorgt das Kleinhirn immer für eine Fehlerkorrektur in Bezug auf unsere Bewegungsausführung. In diesem Zusammenhang bedeutet die reflexive Stabilität immer auch gleichzeitig das Vermeiden von ungewollten Bewegungen. Je genauer unser Kleinhirn arbeitet, desto stabiler sind wir und vermeiden somit ungewollte Bewegungen. Dabei ist Perturbationstraining eine einfache Maßnahme Krafttraining mit den Eigenschaften des Kleinhirns zu verknüpfen. Perturbationstraining stört uns von außen und sorgt für eine reflexive Kontrolle unserer Stabilität.
Je mehr man uns aus unserer Balance bringt, desto stärker müssen wie neuronal ausgleichen, um ungewollte Bewegungen, die durch die Perturbation entstehen, zu vermeiden. Dabei entsteht Perturbation jedoch auch immer beim Erlernen neuer Bewegungen. Neue Bewegungen führen zu einem suboptimalen Zusammenspiel der in der Bewegung beteiligten Muskeln. Agonisten, Antagonisten und Synergisten müssen zuerst lernen miteinander die Zielbewegung auszuführen. Während der Bewegung versucht unser Nervensystem die aktive Gelenkstabilität über Co-Kontraktionen zu erreichen.
Das muskuläre Zusammenspiel
Am Anfang ist das muskuläre Zusammenspiel noch sehr eingeschränkt. Die inter- und intramuskuläre Koordination muss erst noch trainiert werden. Störungen von außen sorgen für eine Verbesserung der Co- Kontraktion, da unser Nervensystem versucht die aktive Gelenkstabilität aufrecht zu erhalten. Diese Bewegungskorrektur erfolgt zum Teil auf spinaler Ebene und zum Teil auf Ebene des Kleinhirns.
Perturbationstraining sorgt primär für eine Aktivierung des mittleren Teil des Kleinhirns, des Vermis, der neuronal die Kontrolle der Wirbelsäule ermöglicht. Perturbation entsteht immer auch beim Bewegungslernen. Wenn ein Anfänger das erste Mal Kniebeugen oder Bankdrücken ausprobiert wird das Wackeln während der Bewegung auffällig. Um das Wackeln zu reduzieren muss das Kleinhirn die Bewegungsfehler korrigieren. Im Laufe der Zeit passt es sich in der Regel an und verbessert die Stabilität während der Bewegung. Eine gezielte Perturbation von außen kann diesen natürlichen Effekt simulieren, sollte jedoch nur dann ausgeführt werden, wenn der Körper nicht schon von sich aus wackelt.
Wie wird Perturbationstraining ausgeführt?
Daher wird Perturbationstraining primär in statischen Positionen ausgeführt, da diese leichter kontrolliert werden können als dynamische Bewegungen. Statische Bewegung erfordern ebenfalls eine Kontrolle des Kleinhirns. Daher ist die Verknüpfung von statischen Positionen mit Perturbationstraining eine der einfachsten Möglichkeiten gezielt das Kleinhirn zu aktivieren. Eine Aktivierung des Kleinhirns wirkt sich immer auch positiv auf die reflexive spinale Kontrolle aus.
Grundsätzlich sollten Bewegung zuerst proximal (zum Rumpf hin verlaufend) perturbiert werden, da es dabei den Sportlern einfacher fällt die jeweilige Position zu halten und mögliches Wackeln zu korrigieren. Je distaler (weiter von der Körpermitte bzw. vom Herzen entfernt liegend) man perturbiert, desto schwieriger ist es, das Gleichgewicht zu halten. Außerdem erfordert eine proximale Perturbation mehr spinale Stabilität als eine distale Perturbation, die eher eine lokale Gelenkstabilität in den Extremitäten erfordert.
Die Perturbation kann mit einem Partner manuell oder mit einem Widerstandsband ausgeführt werden, was um das jeweilige Gelenk verankert wird. Eine proximale Perturbation lässt sich leichter manuell ausführen, während man eine Perturbation der Gelenke besser mit einem Widerstandsband ausführt.
Perturbationstraining mit Widerstandsband
Vor allem wenn in der Bewegung perturbiert wird, ist in der Praxis ein Widerstandsband sinnvoller, da die Perturbation leichter in der Bewegung mit einem Band ausgeführt werden kann als mit den Händen. Perturbationstraining macht natürlich nicht nur im sportlichen Kontext Sinn. Vor allem bei chronischen Rückenbeschwerden und stark ausgeprägter Rückenflexion kann diese Form des neurozentrierten Trainings sinnvoll sein.
Auch bei Gleichgewichtsproblemen bedingt durch Ansteuerungsdefizite im Kleinhirn findet das Perturbationstraining Verwendung. Dabei ist die Intensität und die Auswahl der Übungen an die jeweilige Kapazität der betreffenden Person anzupassen. Im Folgenden haben ich zwei Beispiele für das Perturbationstraining aufgeführt. An Hand der Übung „Liegestütz“ zeige ich auf, wie man diese mit einem Partner manuell und von außen mit einem Widerstandsband ausführen kann.
Perturbationstraining am Beispiel der Übung Liegestütz
Beispiel A „Liegestütze Perturbation manuell“
Hier erfolgt die Perturbation manuell. Hierbei wird zuerst in der oberen Position perturbiert (A1), dann in der untersten (A2, bevor in der Bewegung dynamisch perturbiert wird. Die Perturbation erfolgt an beiden Körperhälften und an unterschiedlichen Gelenken von Schulter bis zu den Knien.
© riva Verlag
Übung Liegestütz mit manueller Perturbation
- Beginne in der oberen Liegestützposition, während der Partner dich an verschiedenen Stellen stört. Halte dabei die Körperspannung so gut wie möglich.
- Die Perturbation sollte auch am Unterkörper ausgeführt werden.
- Auch in der tiefen Position sollte perturbiert werden.
- Als fortgeschrittene Variante führt der Partner die Perturbation während der Bewegung aus.
Beispiel B „Chaos Liegestütz mit Widerstandsband“
Den Chaos Liegestütz übt man alleine aus. Ein starkes Widerstandsband ist hier notwendig, welches quer zum Beispiel über Safety Pins an einem Rack gespannt ist (B1-B2). Je breiter der Griff, desto leichter ist die Perturbation. In diesem Fall sorgt der instabile Untergrund für die Perturbation. Grundsätzlich bezeichnet man diese Form der Perturbation auch als „unstable surface training“.
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- Eine schwierige Form der Perturbation ist der Chaos-Liegestütz. Spanne ein Widerstandsband quer über die Safety Pins an einem Rack oder an einer anderen Befestigung. Greife das Band und stabilisiere dich, bevor du die Arme beugst. Je breiter du greifst, desto einfacher wird der Liegestütz.
- Beuge die Arme langsam und halte dich während des Liegestützes so stabil wie
möglich. Halte die tiefe Position für ein paar Sekunden.
Autor: Patrick Meinart
Näheres zur Perturbation und dem neurozentrierten Krafttraining erfährst du in dem Buch „Das neue Krafttraining“ von Patrick Meinart, ab dem 10. November im riva Verlag.
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Die „Angewandte Neurologie“ ist ein Behandlungsansatz für Trainer und Therapeuten, welcher sich genau mit diesen Problemen beschäftigt und einen Lösungsansatz auf neurologischer Ebene bietet. Dabei stehen bewegungsorientierte Trainings-und Therapiemethoden genauso im Fokus wie die Auswahl einer optimalen Ernährung und Mikronährstoffe, sowie die Betrachtung individueller Biomarker.