Ergänzendes Krafttraining: Übungsauswahl und Saisonplanung

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Experte Denis Tengler erläutert einige Übungen, welche sich für ergänzendes Krafttraining in allen Sportarten bestens eignen. Welche Übungen sollte der Athlet auswählen? Rein intuitiv oder doch nach Vorgabe? Und wie sieht die Saisonplanung aus?

Schauen wir uns ein lustiges Beispiel aus dem Studio an. Ein mir bekannter Fußballer auf Kreisniveau trainiert am Seilzug etwas Ähnliches wie eine Boxbewegung und sonst gar nichts. Darauf angesprochen, warum er denn immer nur diese eine Übung macht, entgegnet er mir: “Damit ich den Leuten besser auf die Fresse hauen kann!“.

Nun ja, das im Kreisfußball häufig vorhandene Aggressionspotenzial ist aus den einschlägigen Zeitungen hinreichend bekannt, aber was hat das mit deinem Training zu tun? Ich wollte einmal testen, ob du noch nicht zu gelangweilt bist. Ich bin sicher, dass, falls du keine Lust mehr hattest weiterzulesen, du jetzt wieder bei der Sache bist, denn jetzt kommt ein sehr wichtiger Teil, der deine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wird.

Also zurück zum Beispiel. Ein Schläger möchte Leuten „besser auf die Fresse hauen“ und führt dazu eine Boxbewegung am Seilzug aus. Ohne jemals eine Einweisung erhalten zu haben hat er sich eigenständig eine Übung ausgedacht, die seiner Primärbewegung – dem Schlag „auf die Fresse“ – entspricht. Entsprechend solltest du dir überlegen, welches deine Spezialbewegungen sind, die du in deiner Sportart benötigst. Damit hättest du einen der weiter oben angesprochenen Abschnitte bereits abgearbeitet und dir selber effektive Übungen gebastelt, die du vielleicht noch nirgends in dieser Form gesehen hast, die dir aber für deine Sportart unglaublich viel Nutzen bringen können.

Die nächsten Übungen, die sogar noch wichtiger sind als die Spezialübungen, weil Sie deinen Körper in seiner Gesamtheit stärken, sind die für dich relevanten Grundübungen aus dem Bodybuilding-Training:

– Tiefe Kniebeugen,

– klassisches Kreuzheben,

Klimmzüge zur Brust und

– Dips.

 

Allein durch diese 4 Übungen hast du bereits einen ganz, ganz erheblichen Teil deiner Muskulatur abgedeckt und ein Ganzkörpertraining, das deine Athletik vervollständigen kann.

Kniebeugen trainieren primär die Beine, sekundär jedoch durch statische Kontraktion den ganzen Körper mit entsprechend massiven Auswirkungen auf die Synthese körpereigener anaboler Hormone wie Testosteron, dem somatotropen Hormon und natürlich auch dem Wachstumsfaktor IGF1.

Mit Kreuzheben trainierst du die Beinrück- und vorderseite, den unteren Rücken und statisch auch wieder den übrigen Körper.

Klimmzüge decken neben deinen Ober- und Unterarmen besonders deine Schultern bis in den tiefen Rücken ab, wenn du stark genug wirst, einen entsprechenden Zug aus dem Rücken heraus zu verwirklichen, während Dips deine Brust und deine Trizepsmuskeln und einen anderen Bereich der Schultern ganz erheblich vorwärts bringen werden.

 

Spezielle Übungen, Grundübungen und Schwachpunktübungen

Nun hast du also bereits deine Spezialübungen selbst ausgesucht. Die wichtigen Grundübungen hast du eben genannt bekommen. Was jetzt noch fehlt sind die Schwachpunktübungen. Zum Beispiel wird bei vielen Sportarten der untere Rücken enorm malträtiert. Wenn du deinen Rücken nur mit Kreuzheben und Kniebeugen nicht stark genug bekommst, sind Hyperextensions und vielleicht auch der klassische Sit-Up eine sinnvolle Ergänzung.

Erneut, um das klar herauszustellen: NUR DANN sind Hyperextensions eine sinnvolle Alternative, wenn dein Rücken nicht bereits durch die vorher genannten Übungen stark genug wird! Wenn du merkst, dass der untere Rücken dich beim Steigern des Gewichts bei Klimmzügen und Kreuzheben nicht limitiert, ist es evtl. unproduktiv, zusätzlich noch Hyperextensions auszuführen. Du solltest Übungen auswählen, die deinen Schwächen entsprechen und die belasteten Gelenkstrukturen damit stützen.

Nun hast du alle relevanten Übungen selbst zusammengestellt und stellst fest:

Training ist eine höchst individuelle Geschichte und alles, was du bisher über die pauschale Übungsauswahl und fixe Trainingspläne gelesen hast, wird dir leider keine optimalen Erfolge bescheren, weil deine anatomische Konstitution, die Lage deiner Muskeln und deren individuell abweichende Verbindung über Sehnen an den Knochen, dein Kapsel-Bandapparat und die dadurch umschlossenen Gelenke dabei nicht berücksichtigt werden! Du musst deine Bewegungen und deine Schwächen individuell analysieren und danach deine Übungen auswählen, um langfristig deine Leistungsfähigkeit forcieren zu können. (Strength Coaching: Trainingsgrundlagen)

  

Wie oft trainieren?

Wir haben 4 Grundübungen festgelegt. Vielleicht kommen noch 2-3 Schwachpunktübungen und 2 Spezialübungen dazu, macht zusammen gerade einmal um 8-9 Übungen. Wie oft du trainieren sollst, kann ich dir nicht pauschal beantworten, denn hier kommt ins Spiel

– wie viel Krafttraining du verkraften kannst

– wie groß der Trainingsumfang deiner eigentlichen Sportart ist.

 

Wenn du jemanden kennst, der 4 Krafteinheiten pro Woche zusätzlich zur eigentlichen Sportart trainiert, dann hast du hier zumeist schon einen Ausnahmeathleten vor dir oder jemanden, der gnadenlos übertrainiert ist. Letzteres ist wahrscheinlicher! Für die meisten Athleten gilt: 1 Einheit pro Woche ist zu wenig, 4 Einheiten sind zu viel. Um noch präziser zu werden: Für die meisten Athleten sind 2 harte oder 3 harte und möglicherweise noch eine 3. leichte Krafttrainingseinheit pro Woche das Optimum! Viele Athleten verkraften nur eine harte und eine leichte Einheit und realisieren damit ähnliche Erfolge wie Athleten, die öfter trainieren. Es kommt immer auch darauf an, wie die Einheit gestaltet wird.

Sagen wir, du hast insgesamt 10 Übungen. Jetzt kannst du die Übungen z. B. auf 2-mal pro Woche aufteilen und hättest dann gerade einmal 2 Einheiten zu je 5 Übungen, die dich in deiner Primärsportart auf das nächste Level befördern. Ist das nicht fantastisch? Du wirst jede Übung mit 1 bis maximal 3 Sätzen trainieren und inklusive einem ausführlichen Auf- und Abwärmen mit Aufwärmsätzen, einem kurzen Cardio zu Beginn und zum Schluss und vielleicht etwas autogenem Training gerade einmal 45 Minuten im Fitness-Studio, im Wald oder bei dir im Keller sein. Gleichzeitig hast du nicht nur irgendetwas gemacht, um besser zu werden, nein du hast sogar das Maximum gemacht, was du nur machen konntest und wirst somit maximale Erfolge damit erzielen.

Du kannst guten Gewissens sagen, dass es nichts bringt, länger, härter und öfter zu trainieren, weil du das für dich optimale Training selbst gestaltet hast! Wer sollte dir da noch reinreden können? Vielleicht jemand, der übertrainiert ist?

 

Ungleichgewichte

Dysbalancen sind wenn du die Grundübungen trainierst nicht zu erwarten, da du immer den ganzen Körper trainierst. Absolute Voraussetzung dafür ist das Einhalten der korrekten Technik. Dies möchte ich in aller Eindringlichkeit erwähnen. Du wirst immer daran arbeiten müssen, deine Übungstechnik zu verbessern. Das Optimieren der Technik, insbesondere der Grundübungen, ist die allerwichtigste Vorbedingung, um deine Leistungsfähigkeit, und damit auch deine Gesundheit, zu steigern.

Solltest du dennoch feststellen, dass sich z. B. Haltungsschwächen einschleichen oder du eine Fehlhaltung einnimmst, so kannst du überlegen, zusätzlich zu deiner jeweiligen Spezialübung noch die genaue Gegenübung dazu auszuführen, die du dir auch wieder selber zurechtbastelst. Wenn du sehr unbeweglich bist und z. B. bei Kniebeugen nicht runterkommst, wirst du nicht um Dehnübungen umherkommen. Die Dehnübungen solltest du aber nicht nach dem Krafttraining absolvieren, sondern z. B. nach deinem sportartspezifischen Training, um die zuvor trainierte Muskulatur nicht zu überfordern, denn du weißt: auch vom Dehnen kann man bereits Muskelkater bekommen.

Es gilt: Ein Muskel wächst dann, wenn du ihn ausreichend dazu reizt. Trainierst du ihn zu hart, verzögert oder verhindert das deine Erholung ganz erheblich und führt zu keinem Zugewinn an Leistungspotenzial.

 

Saisonplanung und Zusammenfassung

Deine Übungen werden dann im Jahreskontext ins sonstige Trainingsprogramm integriert und auf die unterschiedlichen Trainingsphasen der eigentlichen Sportart abgestimmt. Du wirst auch während der Wettkampfperiode ein Krafttraining mit leichterer Intensität trainieren, denn andernfalls würdest du deine Bewegungsökonomie vernichten und an Wettkampfleistung einbüßen. Auch auf Olympianiveu wird während der Olympischen Spiele noch trainiert. Radrennfahrer fahren auch an den Ruhetagen, damit der Körper nicht aus dem Rhythmus gerät.

Hierbei wird insbesondere auch der eigentliche Charakter der geleisteten Arbeit eingeordnet. Dies bedeutet, dass Athleten einer vornehmlich aeroben Disziplin einen gänzlich anderen Trainingsaufbau benötigen, als die Athleten einer anaeroben Disziplin. Das Belastungspotential verschiedener Trainingsformen in vielleicht sogar mehrmals täglichen Trainingseinheiten darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Wird die langfristige Belastungstoleranz des Gesamtorganismus überschritten, ist Übertraining die erste Konsequenz. Ähnlich wie die Belastungen der eigentlichen Sportart langsam ansteigen müssen, um langfristigen Erfolg zu generieren, muss auch beim ergänzenden Krafttraining auftrainiert werden und die gegebene Konstitution der Athleten beim Trainingsaufbau berücksichtigt werden.

Beim ergänzenden Krafttraining gilt daher: So viel wie möglich, so wenig wie nötig. Das Krafttraining steht hier im Dienste der Primärsportart. Das Training von Bodybuildern unterscheidet sich daher, von den sportartenspezifischen Übungen und den Saisontrainingsphasen abgesehen, vornehmlich durch quantitative und weniger durch qualitative Unterschiede. Die im Bodybuilding entwickelten Trainingsprinzipien passen also exzellent in den Kontext anderer Sportarten, wenn es um Zeitersparnis in Verbindung mit maximaler Effektivität geht.

 

Denis Tengler

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