Oft wird bei der Wadenmuskulatur nur an den Zwillingswadenmuskel und den Schollenmuskel gedacht. Diese bilden zwar den dreiköpfigen Wadenmuskel (Trizeps surae), sind aber nicht die einzigen Muskeln im hinteren Unterschenkel. Nici Mende hat diese muskuläre Gemeinschaft genauer untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist der M. gastrocnemius?
- Was macht der M. soleus?
- Der M. plantaris
- Der flexor digitorum longus
- Der hallucis longus
- Was ist der M. gastrocnemius?
- Wo ist die tibialis posterior?
- Was ist die Aufgabe der Wadenmuskulatur?
- Woher könnten Schmerzen der Wadenmuskulatur kommen?
- Wie kann man die Wadenmuskulatur stärken?
Was ist der M. gastrocnemius?
Tatsächlich befinden sich viele verschiedene Muskelpartner in unseren Waden. Sie sind vielschichtig angeordnet, durch zahlreiche faszialen Schichten getrennt und unterstützen sich in ihrer Arbeit. Dementsprechend möchten sie funktionell gefördert werden. Beginnen wir, wie immer, mit der Anatomie:
Der Zwillingswadenmuskel hat, wie sein Name verrät, zwei Muskelbäuche, die aus unterschiedlichen Ursprüngen an den seitlichen Knochenvorsprüngen des Oberschenkels (Epicondylus medialis/lateralis femoris) in relativ mächtige Muskelbäuche ziehen. Wenngleich der Name „Zwilling“ auf Gleichheit schließen lässt, sind die beiden Muskelbäuche in Stärke und Form ziemlich unterschiedlich. Bei Läufern und Radfahrern erkennt man sie deutlich an den zwei bis zu tennisballgroßen Auswölbungen. Der Muskel zieht somit von der Kniekehle bis zum Fersenbein. Sein Weg führt ihn über vier Gelenke: das Kniegelenk sowie die drei Einzelgelenke des Fußgelenks (oberes und unteres Sprunggelenk (USG), letzteres bestehend aus dem vorderen und hinteren USG). Der Zwillingswadenmuskel teilt sich seine sehr lange Ansatzsehne, die Achillessehne (Tendo calcaneus) mit dem Schollenmuskel. So finden beide Muskeln ihren Ansatz am hinteren Fersenbein (Tuber calcanei).
Was macht der M. soleus?
Der Schollenmuskel (M. soleus) entspringt am hinteren Wadenbeinköpfchen (Collum fibulae), der benachbarten Schienbeinkante und dem sich hier spannenden Sehnenbogen (Arcus tendineus m. solei). Dieser Bogen verbindet Schien- und Wadenbein und führt den Schienbeinnerv (N. fibularis). Der eher platte, gefiederte Muskelbauch des Soleus zieht von diesen Ursprüngen ebenfalls in die Achillessehne hinein. Hier setzt er, genau wie sein über ihm verlaufender zwillingsbäuchiger Partner, am Fersenbein an. So bildet sich aus diesen beiden Partnern ein dreiköpfiger Muskel, der als Triceps surae bekannt ist.
Der M. plantaris
Der Fußsohlenmuskel (M. plantaris) wird in den gängigen anatomischen Leitwerken als dem Trizeps surae zugehörig beschrieben. Warum ist das so? Er zieht aus seinem Ursprung direkt neben dem Ursprung des Gastrocnemius über die Kniekehle hinweg zum Fersenbein. So klein und schmal der Muskelbauch ist, so lang ist die Ansatzsehne (ca. 30–40 cm). Erwähnenswert ist hier, dass dieser Muskel nur bei ca. 25 Prozent der Menschen vorhanden ist. Und er ist definitiv kleiner als auf vielen Zeichnungen. Ich durfte mich diesem Thema unlängst unter hochgradig fachlicher Betreuung widmen. Seine Sehne gleicht einem herkömmlichen Blumenbindeband, und sein Muskelbauch ist winzig, etwa so groß wie ein flacher Lakritz-Salino. So kann dieser kleine Muskel absolut vernachlässigt werden, wenn es um Funktionen geht, und der Triceps surae bleibt dreiköpfig. Zur besseren Orientierung sind der M. plantaris und der M. popliteus nur schattenhaft gezeichnet (Abb. 1).
Der flexor digitorum longus
Entfernt man mit dem Trizeps surae die oberflächliche Beugeloge, kommen weitere wichtige Muskeln zum Vorschein: die tief liegende Wadenmuskulatur mit dem M. flexor digitorum longus. Der „lange Zehenbeuger“ hat kurze, aber weit nach unten verlaufende Ursprungssehnen. So findet sich der Ursprung vom hinteren Schienbein bis etwa zur Mitte des Schienbeinschaftes (Facies posterior tibiae). Lasse dich nicht vom Namen verwirren: „Facies“ bedeutet in der Übersetzung „Außenfläche“ oder „Oberfläche“. So zieht also der lange Zehenstrecker zu den Endgliedern der Zehen. Also hat er fünf Ansätze, an jedem Zeh einen. Sein Weg zu den Fußspitzen führt am inneren Fersenbein entlang und kreuzt im Bereich der Fußsohle den folgenden Wadenmuskel.
Der hallucis longus
Dieser „lange Großzehenbeuger“ verläuft auf der Wadenbeinseite mit ebenfalls kurzen, aber weiten Ursprungssehnen von der Hinterfläche des Wadenbeins (Facies posterior fibulae) und der zwischen Schien- und Wadenbein liegenden Membran (Membrana interossea curis) zum Endglied der Großzehe (Endphalanx der Großzehe). Um zu seinem Ansatz zu gelangen, muss der Muskel von der Beinaußenseite zum inneren Fersenbein ziehen, um hier weiter zur Großzehe zu gelangen.
Du kannst diesen Weg gut erspüren, wenn du den Fuß fest auf den Boden stellst und dann die Großzehe nach außen bewegst. So spielt er eine untergeordnete Rolle im Kampf gegen den verbreiteten „Ballenzeh“ (Hallux valgus). Aber zurück zur Anatomie. Uns fehlt noch ein letzter Muskel, um die tiefe Wadenmuskulatur zu komplettieren:
Wo ist die tibialis posterior?
Der „hintere Schienbeinmuskel“ liegt zwischen den langen Zehen- und Großzehenbeugern. Er entspringt den Rückseiten von Schien- und Wadenbein und vor allen Dingen der zwischenliegenden Membran (Membrana interossea curis). Diese Membran siehst du hellblau gezeichnet in Abb. 2. Die sehr kurzen Ursprünge finden sich im gesamten Verlauf bis kurz vor seiner Umlenkung am inneren Fersenbein. Auch dieser Muskel zieht hier in die Fußsohle, setzt aber schon am kleinen Höcker des Kahnbeins (Os naviculare), dem Keilbein (Os cuboideum) und den Mittelfußknochen von Zeige-, Mittel- und Ringzeh (Os metatar sale II–IV) an.
Was ist die Aufgabe der Wadenmuskulatur?
Was tun nun diese unzähligen Muskelpartner? Sie sind, wie auch der Oberschenkel, in fachähnlichen faszialen Sektoren eingebettet und verfolgen gemeinsame oder ähnliche Ziele. Bezugnehmend auf das Fußgelenk, das alle erwähnten Muskeln überspannen, ermöglicht deren Arbeit die Plantarflexion im oberen Sprunggelenk (OSG). Dies ist eine sehr verwirrende Funktion, denn sie sieht aus, als würde man das Fußgelenk strecken, aber die Begrifflichkeit ist wie beschrieben oder im Fachjargon „flex“. In die Gegenrichtung spricht man von Dorsalextension „point“. Fällt die Unterscheidung schwer, orientiere dich an der Fußsohle. „Flex“ bedeutet „Faust im Fuß“.
Im unteren Sprunggelenk (USG) ergeben sich Hebebewegungen der Fußränder: innerer Rand = Supination (schöpfend SUPpe essend!) und äußerer Rand = Pronation (trinkend – PROst!). Gemeinsam ergibt sich die Inversion (Supination & Plantarflexion & Adduktion) und die Eversion (Pronation & Dorsalflexion & Abduktion). Differenzierter betrachtet, unterstützt der M. gastrocnemius die Kniestabilisierung und die Beugung im Kniegelenk (Flexion). Die Wadenmuskeln stabilisieren das Fußgelenk, während die Mm. flexor digitorum longus und hallucis longus, je nach Ansatz, die entsprechenden Zehen beugen (Flexion).
Woher könnten Schmerzen der Wadenmuskulatur kommen?
Bei so umfangreichen Funktionen bleiben Probleme nicht aus. Im Beinquerschnitt ist deutlich zu sehen, wie viele Trennschichten (Septen) die Funktion der Muskulatur sichern. Gerade in diesen faszialen Hüllschichten kann es bei Überbelastung, z.B. durch Sprung- und Laufsportarten, zu Gewebesteifigkeiten, Durchblutungsstörungen und so zu krampfauslösenden, schmerzhaften Einschränkungen kommen. Sie treten meist unter Belastung auf und ebben anschließend wieder ab. Werden diese Symptome missachtet, kann sich ein chronisches funktionelles Kompartmentsyndrom entwickeln. Wie der Name verrät, kommt es dabei durch Überlastung der faszialen Logen (Kompartimente) zu einer Ödembildung. Diese erhöhen den Druck auf die Gefäße massiv und können sogar eine Operation erforderlich machen. Im Training sollten wir daher auf eine geschmeidige Gleitfähigkeit der Waden mit ausreichender Regeneration achten.
Ebenso wichtig ist eine gut ansteuerbare Wadenmuskulatur. Sie gewährleistet den optimalen Fluss in unseren Beinvenen und Lymphgefäßen. Auch Beschwerden wie dem Hallux valgus oder Zehendeformationen kann mit einem differenzierten Waden- und Fußtraining gut vorgebeugt werden; ebenso ist mit ihm sogar eine Behandlung solcher Beschwerden möglich. Je früher mit einem gezielten Training begonnen wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten.
Wie kann man die Wadenmuskulatur stärken?
Um die Wade zu dehnen, sollten im Knie sowohl Beuge- als auch Streckpositionen gewählt werden. Die effektive Dehnung der tiefen Schichten erfolgt erst mit gebeugtem Kniegelenk. Auch durch das Spielen mit den Sprung- und Fußgelenken werden stets andere Fasern sowie Strukturen beansprucht.
Trotz der aktuellen „Anti-Dehn-Kampagne“ ist ein regelmäßiges Dehnen meiner Meinung nach für manche Trainingsziele sehr förderlich. Es ist, wie so oft, die Frage: was und wie viel? So sollte z.B. bei Wadenkrämpfen immer individuell nach dem Auslöser gesucht werden: Liegt eine Überforderung durch zu wenig Muskelkraft vor oder eine Überforderung dank zu starker Muskelleistung? Trainieren wir also Stoffwechsel + Ansteuerung + Kraftaufbau oder Geschmeidigkeit durch Stoffwechsel + Dehnung + Ansteuerungsoptimierung? Unter dem Strich sollte immer die gesunde funktionelle Wadenkraft gefördert werden.
Wie stärkt man die Wadenmuskulatur?
4 Punkt Marsch: Bei dieser Übung werden sämtliche Fußstrukturen trainiert. Marschiere auf der Stelle oder im Raum und setze nur mit dem Ballen auf (A). Das Anheben der Zehen stellt einen zusätzlichen Reiz für die Ansteuerung der Muskeln dar. Dann setze jeweils nur die Außenkante (B), die Ferse (D) und die Innenkante (C) auf. Auch auf der Stelle stehend ist die Punktbelastung eine Herausforderung.
Tretmühle liegend: Spanne aus der Rückenlage ein Handtuch (A) breit über die Fußsohle und die Zehen. Dann wird in das Tuch hinein getreten, gebeugt, gestreckt und sämtliche Fuß- und Zehengelenke werden in alle Richtungen bewegt (B). Wechsle zwischen gebeugtem und gestrecktem Kniegelenk (C). Diese Übung ermöglicht eine gezielte Wadenansteuerung. Gleichzeitig wird der Lymph- und der Venenfluss unterstützt.
Wadensitz mit Rolle: Entspanntes Sitzen auf der Rolle (A) gibt die Möglichkeit, den Druck auf die Wade zu dosieren. Je mehr die Last des Gesäßes auf der Rolle lagert, desto höher steigt der Druck auf das Gewebe. Verschiebst du das Gesäß seitlich, verschiebt sich auch das Gewebe. Lagern die Fußgelenke auf einer zweiten Rolle (B), kannst du mit den Füßen spielend das Gewebe von innen verschieben.
Autorin und Sportexpertin: Nici Mende
TÜV zert. Personaltrainerin, Dipl.-Trainerin med. Fitness, Adv.Trainerin Fascial Fitness. Die Autorin ist Ausbilderin beim Glucker Kolleg Stuttgart, Konzeptentwicklerin von „Fascial Coach“, „Rückenfrei“ und „Faszienfitness für Senioren“ und Erfinderin des FASCIAL COACH deepRING.
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