Bizeps: Der Umfang des Bizeps wird von Bodybuildern gern als Maßeinheit für männliche Stärke gehandelt. Was die armbeugende Muskulatur außer ihrer Optik zu bieten hat und warum ein funktionelles Training für diese Muskelgruppe wichtig ist, erklärt Nici Mende.
Was versteht man unter Bizeps? Die Anatomie von Bizeps und M. brachialis
Um die Funktion des M. biceps brachii zu verstehen, beginnen wir hier mit seiner Anatomie. Um es gleich zu erwähnen: Auch im Arm gibt es Septen, bindegewebige Schichten, die die Muskellogen bilden. Diese Logen sind ähnlich aufgeteilt wie die Beinlogen. Betrachten wir die Arme analog als „Vorderbeine“ und schauen uns die Muskeln der Beugeloge einmal genauer an.
Wie es der Name (bi = zwei) schon verrät, bildet sich der zweiköpfige Oberarmmuskel aus zwei Muskelbäuchen/ Köpfen (Caput). Der kurze Kopf (Caput breve) entspringt dem Rabenschnabelfortsatz (Processus coracoideus), einem knöchernen Vorsprung am Schulterblatt. Du kannst diesen Knochen ertasten, wenn du mit der Hand die Schulter umfasst und den Daumen mit etwas Druck durch eine „Mulde“ in Richtung vorderes Schlüsselbein schiebst. Die Begrenzung dieser Mulde ist der Rabenschnabelfortsatz.
Von hier zieht der kurze Bizepskopf, den Hakenarmmuskel (M. coracobrachialis) bedeckend, zum Unterarm. Auf seinem Weg gesellt sich, etwa mittig des Oberarms, der lange Kopf (Caput longum) dazu. Dieser findet seinen Ursprung oberhalb der Schultergelenkspfanne (Tuberculum supraglenoidale). Seine Ursprungssehne zieht über den Oberarmkopf in einer Art Rinne (Sulcus intertubercularis humeri) zum gemeinsamen Ansatz an einer knöchernen Aufrauung des Unterarmes, genauer gesagt der Speiche (Tuberositas radii).
Jedoch ist dies nicht der einzige Ansatz. Besonders für die weiterführende Kraftübertragung ist der Ansatz über die Aponeurose (Aponeurosis musculi bicipitalis brachii) zur Unterarmfaszie (Fascia antebrachii) nennenswert. Denn dieser Ansatz des M. biceps brachii zieht über die Schlagader (Arteria brachialis), u.a. den M. pronator teres (runder Einwärtsdreher) und den wichtigen mittleren, armversorgenden Nerv (Nervus medianus). Dieser Nerv (gelber Pfeil in Abb. 1) lässt sich bis zum Spinalnerv im Übergang der Hals- und Brustwirbelsäule (C6–Th1) zurückverfolgen. Er ist für die motorische Innervation fast aller Flexoren vom Unterarm bis zu den Fingern zuständig und sorgt u.a. für das Ballen einer Faust.
M. brachialis
Anschließend kommen wir zum engen Partner des Armbeugers, dem M. brachialis, der ebenfalls zur Gruppe der Armbeuger gehört. Er entspringt aus der vorderen Mitte des Oberarmknochens (Humerus) und der bindegewebigen Trennschicht des Oberarms (Septa intermuscularia mediale + laterale). Seinem Verlauf folgend, zieht er als eingelenkiger Muskel unter dem Bizeps entlang über den Ellenbogen. Seine Ansatzsehnen winden sich teilweise in dessen Gelenkkapsel, hauptsächlich verankern sie sich jedoch an der Tuberositas ulnae und dem Proc. coronoideus).
Funktionen von Bizeps und Brachialis
Die Armbeuger bewirken gemeinsam eine Beugung im Ellenbogengelenk (Flexion). Das Nach-vorn-Heben des Arms (Anteversion), die Stabilisierung des Oberarms im Schultergelenk und das seitliche Armheben (Abduktion) bei auswärtsgedrehtem Arm sind Aufgaben des zweiköpfigen Oberarmmuskels. Als Synergist unterstützt der kurze Kopf u.a. die Brustmuskulatur, denn er fördert die Adduktion auf Schulterhöhe (Transversalebene). Der lange Kopf übernimmt eine zentrierende Funktion im Schultergelenk.
Ich konnte bei einer Fortbildung in der Charité sehr deutlich erkennen, wie die aktivierte lange Bizepssehne den Oberarmkopf in Richtung Gelenkpfanne zieht – fast wie bei einem Flaschenzug; so verhindert sie das Absacken (Kaudalgleiten) des Oberarms beim Tragen von Gegenständen (Traktion). Nehmen wir die eingangs erwähnte Umfangsmessung von Kraftsportlern unter die Lupe, zeigt sich die Supinationsfunktion des Unterarms, die der M. biceps brachii vor allem bei gebeugtem Ellenbogen durchführt. Der Muskelbauch ist erst richtig gut zu erkennen, wenn der Unterarm den Daumen während der Armbeugung rückwärts dreht. Genauso findet eine optimale Kraftentwicklung statt. Wenn der Unterarm sich in die Gegenrichtung dreht, wickelt sich die Ansatzsehne des M. biceps brachii um die Elle und die Kraftentwicklung verebbt.
Verletzungen des Bizeps
Gerade im Bereich der Ursprungssehnen des Bizeps kämpfen viele Menschen mit Problematiken. Eine unfunktionelle, innenrotierte Arbeitshaltung, eine schlechte Muskelansteuerung oder einseitige Belastungen führen im Bereich der Sehnen zu strukturellen Veränderungen. Daraus resultieren häufig anhaltende schmerzhafte Reizungen (Tendinose) und Entzündungen der Sehnen (Tendinitis) oder Sehnenscheiden (Tendovaginitis), bei andauernder Überlastung sogar Risse (Ruptur).
Die Sehne des langen Kopfes verläuft in einer Sehnenscheide in der bereits erwähnten Rinne. Damit dieser Verlauf geschützt bleibt, finden sich hier fasziale Verbindungen, unter anderem enge Partnerschaften zu den Schultermuskeln (Mm. subscapularis + supraspinatus). Hier kann eine falsch dosierte Reibung bzw. Zug- oder Drucklast viel Unheil anrichten. Schulterschmerzen haben ihre Ursache häufig im schlecht funktionierenden Bizeps (-> Bizepssehnensyndrom). Sie äußern sich eher oberflächlich, stören nicht durch Nachtschmerz und verebben beim „Schürzengriff“ (Arme hinter dem Rücken). Unter Belastung wird ein Kraftverlust bei der Armbeugung deutlich.
Tennis- und Golferarm
Im Bereich der Ansatzsehnen tritt ein weiteres Problem auf, das Phänomen des „Tennis-“ oder „Golferarms“ (Epicondylitis humeri lateralis bzw. medialis), das sich durch Schmerzen im Bereich des inneren bzw. äußeren Ellenbogengelenks bemerkbar macht. Auslösemechanismen werden hier eher im Unterarm vermutet, aber oft trägt ein Dysfunktion der myofaszialen Partner die Mitschuld. Wenn feste, unbewegliche Strukturen u.a. den o.g. Nervus medianus (entspringt aus dem Plexus brachialis) irritieren, wird das Ballen der Hand zur Qual.
Ziehe als Test ein enges Langarmshirt bis über die Finger und balle dann eine Faust. Wenn du das Shirt am Oberarm festhältst, kannst du durch die Stoffspannung die verschiedenen Fehlzüge gut erkennen. Viele meiner Kunden kämpften lange mit lokalen Maßnahmen gegen diese Schmerzen, doch der langfristige Erfolg stellte sich erst nach einem funktionellen Training der gesamten Arme sowie der Schulter-Nacken-Strukturen mit Fokus auf aufrichtende Bewegungen ein. Sofortige Entspannung in beiden Bereichen (Ursprungs- und Ansatzsehnen) finden die schmerzenden Strukturen u.a. durch Traktion. Schulter- und Armschmerzen lassen sich bei jedem Gang durch eine Tür bekämpfen: Blockiere den betroffenen Arm am Türrahmen, lehne dich mit deinem Körpergewicht dagegen. Spüre die Dehnung und bewege die Hand unter Druck gegen den Türrahmen. Die Übung dauert nur 1–2 Minuten und entlastet den Arm, den kleinen Brustmuskel und den Kopfwender.
Die besten Übungen für Bizeps und Brachialis
Traktion & Nervenmobilisation
Um einen entlastenden Zug und eine geschmeidige Beweglichkeit für die erwähnten Nerven zu erreichen, wähle ein Gewicht aus, das deinem Kunden angenehm schwer (A) erscheint. Wenn das Halten (Faustballen) erschwert ist, stecke das Gewicht in einen Beutel (B) und halte die Hand gespreizt. Ein angenehm-leichtes Pendeln in alle Richtungen mit Kopfneigen und allem, was sich gut anfühlt, wechselt mit unbelasteten gegenläufigen Hand- und Kopfbewegungen (C + D) am gestreckten Arm. Der Arm wandert hier auf verschiedene Höhen. Die Hände sollten nicht irritiert reagieren (Kribbeln …)
Punktlandung
Eine Kombination aus Bizepscurl und koordiniertem Absetzen von Gewicht findet sich in dieser Übungskombination. Nimm eine einseitig beladene Langhantel und platziere eine Hantelscheibe schräg vor dir. Fasse die Langhantel nahe der Scheibe und führe sie nach vorn (A), der Arm beugt sich im Ellenbogen bis 90° (Hantelstange senkrecht). Aus dieser Position supiniert der Unterarm (B), der Bizepscurl wird mindestens zweimal sauber ausgeführt (C). Die Hantelstange wird senkrecht einmal in die Hantelscheibe am Boden eingetippt (D) und wieder zurück in die Ausgangsposition gebracht.
Einweiser
Mit dem deepRING kann man die Armbeuger fördern und fordern. Hierzu liegt der Ring auf dem Unterarm auf (A) und die Kugeln werden vor und neben dem Körper kreisend bewegt. Wenn sie sich im gleichmäßigen Lauf finden, kann beschleunigt und eine Hebelvariante (B) nach vorn (Anteversion) gewählt werden. Progressiv lagert der deepRING auf einem Medizinball (C) oder wird frei gefasst (D). Durch die Drehung der Hand (Supination/ Pronation) werden unterschiedliche Faseranteile und Muskelpartner erreicht.
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„Die Definition von Wahnsinn ist es, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten (Albert Einstein). Das Werk von Nici Mende ist ein erfrischend anderes Buch. Es kombiniert Fachwissen mit spielerisch-kreativen Trainingsvorschlägen, die viel Raum zur individuellen Trainingsgestaltung bieten.“ Prof. Dr. med. Werner Klingler