Funktionell trainieren – Wie funktionell ist Functional Training wirklich?

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Funktionelles Training ist zu einer neuen Mode im Sport- und Fitness-Bereich geworden. Dabei wird oft betont, dass es dem klassischen Krafttraining überlegen sei. Hier soll geklärt werden, was funktionelles Krafttraining ist. Auch Ungereimtheiten in der aktuellen Diskussion werden diskutiert.

Funktionelles Training – die Basis?

Das funktionelle Training stammt aus den USA und wird im Wesentlichen den amerikanischen Autoren Gray und Cook zugeschrieben. In Deutschland werden insbesondere die Bücher von Michael Boyle zu diesem Thema vermarktet. Die zugrunde liegende Literatur bewegt sich dabei im Wesentlichen auf der Basis von Meisterlehren und es gibt kaum Studien, die sich mit dieser Trainingsform auseinandergesetzt haben! Somit basieren viele Annahmen auf Erfahrungen von Trainern. Die wichtigen Grundlagen müssen somit einer wissenschaftlichen Überprüfung erst noch unterzogen werden. Andererseits führen Trainer sportliche Erfolge an, die auf dieses Training zurückzuführen sind – was sind also die möglichen Effekte eines Funktionellen Trainings? Die wichtigste Aussage in diesem Zusammenhang ist, dass komplexe Bewegungen anstelle von isolierten Muskeln trainiert werden sollen.(1)

 

Die Funktion von Muskeln trainieren?

Muskeln verlaufen immer über mindestens ein Gelenk. Eine Kontraktion führt dabei zu einer Bewegung im Gelenk oder stabilisiert eine solche. Bei einem isolierten Krafttraining werden Muskeln mit wenigen Freiheitsgraden trainiert. Bei solchen Trainingsübungen werden ausschließlich einzelne Muskeln beansprucht. Hierbei werden die an freien Bewegungen beteiligten Muskeln nicht mehr zum Stabilisieren benötigt, so dass einzelne Muskeln sehr gezielt beansprucht werden können. Im Gegensatz dazu wird bei einem Training mit freien Gewichten vermehrt die Stabilisierungsfähigkeit geschult und Muskeln komplexer trainiert.(2) Die Vertreter des Funktionellen Trainings betonen, dass diese Trainingsform ganz gezielt Bewegungen trainiert. Diese Auffassung zum Training ist zunächst einmal sehr positiv, denn diese Trainingsform schult umfassend neben der Zielmuskulatur auch unterstützende Muskelgruppen, so dass komplexe Zielbewegungen unterstützt werden. Problematisch ist beim funktionellen Training jedoch, dass das Hauptaugenmerk nicht mehr auf den einzelnen Einflussgrößen der Kraft liegt, sondern dass Trainingsformen vermischt werden. So sollen oftmals gleichzeitig die Kraft, die Stabilität, das Gleichgewicht und die Bewegungsökonomie geschult werden. Diese Übungen werden so ausgewählt, dass sie möglichst identisch mit der Zielsportart sind.

 

Eine Frage der Anpassung

Ohne Frage sind sowohl Anpassungen in Bezug auf die Kraftentwicklung wünschenswert, als auch das Verbessern der Ansteuerung bzw. des Zusammenspiels der Muskulatur. Wenn es insgesamt um eine Optimierung des Zeiteinsatzes geht, ist zunächst einmal eine Unterscheidung in Anpassungen auf der Ebene der motorischen Eigenschaft Kraft sowie deren Einflussgrößen und in Anpassungen auf der Ebene der Motorik in Anlehnung an koordinative Anpassungen nötig. Auf der Ebene des Funktionellen Trainings werden Anpassungen hinsichtlich folgender Parameter unterschieden:

– Das Zusammenspiel von Muskeln (intermuskuläre Koordination)

– Stabilisation der Gelenke

 

Der erste Aspekt soll dabei durch das Ausführen von komplexen Bewegungen geschult werden, indem das Zusammenspiel der großen Muskelketten optimiert wird. Die Stabilisation der Gelenke hingegen wird in Form von sensomotorischem Training propagiert. Oftmals werden deshalb Übungen kombiniert, bei denen instabile Unterlagen dafür sorgen, dass eine Kraftübung gleichzeitig mit sensomotorischen Inhalten verbunden wird. Ein klassisches Beispiel sind Oberkörperrotationen in einer Ausfallschrittposition unter Verwendung von instabilen Unterlagen. So sollen Bewegungsmuster erlernt und gleichzeitig die Gelenkstabilität trainiert werden.

 

Wie viel Widerstand ist nötig?

Übungen des funktionellen Trainings werden mit Gummibändern, Medizinbällen oder Langhanteln durchgeführt. Langhantelübungen werden dabei kombiniert mit instabilen Unterlagen. Bezogen auf die Kraftentwicklung bietet eine solche Trainingskombination erhebliche Probleme, da die Belastungsintensität niedriger liegt. Die Frage, ob ein solches Training denn überhaupt noch ein Krafttraining darstellt, muss also gestellt werden. Aufgrund der Tatsache, dass viele morphologische Anpassungen des tendomuskulären Systems ebenso wie die des neurophysiologischen Systems eine Mindestlast erfordern, ist funktionelles Training oft von einem Krafttraining im Kern abzugrenzen. Von einem Training der Kraft können wir auf Basis der physiologischen Grundlagen erst dann sprechen, wenn bei einer Kontraktion mindestens 50 % des individuellen Kraftmaximums aufgewendet werden. Demnach sind viele Übungen aus dem funktionellen Training eher unter dem Begriff „Athletik-“ oder „Konditionstraining“ zu subsumieren, bei dem im Gegensatz zum reinen Krafttraining neben den Kraftanpassungen auch Verbesserungen auf der Ebene der Ausdauer und Fitness angestrebt werden.

 

Was leistet funktionelles Training wirklich?

Der Einsatz von funktionellem Training wird einerseits im Bereich der Leistungssteigerungen und andererseits in Bezug auf Verletzungsprophylaxe gesehen. Die Effekte sollen dabei beruhen auf:

 

Leistungssteigerung:

– der komplexen Schulung von Bewegungsmustern,

– verbesserter Muskelansteuerung durch das Zentrale Nervensystem,

– dem Steigern der Beweglichkeit,

– dem Steigern der Kraft,

– dem Steigern der Schnelligkeit,

 

Verletzungsprophylaxe:

– dem Verbessern der Gelenkstabilität und

– dem Vermeiden einseitiger Muskelentwicklung.

 

In Bezug auf Kraft und Schnelligkeit ist in diesem Zusammenhang zu sagen, dass Anpassungen vermutlich bei Anfängern durchaus erkennbar sein können. Bei erfahrenen Athleten und bei Leistungssportlern ist es jedoch nötig, insbesondere mit großen Lasten zu arbeiten. Dabei fallen instabile Unterlagen weg.

 

Als Ursache für die Wirkung gelten:

– das Erhöhen der Muskelkraft,

– das Verbessern der inter- und intramuskulären Koordination,

– das Trainieren der stabilisierenden Muskulatur und

– das Verbessern der Bewegungsökonomie.

 

Insgesamt scheint das funktionelle Training tatsächlich eher ein Training koordinativer Fähigkeiten zu sein, bei dem ein Verbessern der Propriozeption die Basis für den Trainingserfolg zu legen scheint.

 

Trainieren Sie komplexe Übungen mit großen Lasten

Die Basis für Leistungssteigerungen bieten immer komplexe Übungen des Krafttrainings, wie:

1. Tiefe Kniebeuge (Nacken- oder Frontkniebeuge)

2. Kreuzheben

3. Umsetzen

4. Reißen

 

Ergänzende Übungen aus dem Programm des funktionellen Trainings sind grundsätzlich möglich, wenn es die Zeit zulässt. Jedoch muss klar sein, dass nach derzeitigem sportwissenschaftlichen Forschungsstand keineswegs eine Überlegenheit dieser Trainingsvariante festgemacht werden kann. Insbesondere die Tatsache, dass es sich bei dem Funktionellen Training um ein Kombinationstraining handelt, stellt ein Problem dar. Bei den so genannten Mischmethoden, bei denen verschiedene Anpassungen angestrebt werden, sind die wichtigen neuromuskulären Anpassungen an ein Krafttraining nicht zu erwarten. Diese setzen eine geringe Wiederholungszahl bei möglichst hoher Intensität voraus. Ermüdende Aspekte führen hier unmittelbar zu einer ermüdungsbedingten Reduktion der möglichen neuronalen Anpassungen.

 

Fazit: Nicht alles macht Sinn

Dass dabei Erfolge erzielt werden können, ist zunächst einmal unstrittig, da es sich häufig um eine Erweiterung des bestehenden Trainings mit neuen Reizen handelt. Soll die Leistungsfähigkeit langfristig verbessert werden, besteht ein Training im Schwerpunkt jedoch aus dem gezielten Einsatz eines klassischen Krafttrainings mit den komplexen Übungen aus dem Gewichtheben. Auch wenn das Funktionelle Training sich großer Beliebtheit erfreut, beruhen die Empfehlungen auf Erfahrungsberichten und Meisterlehren. 

  

Tipps für Ihr Training

– Trainieren Sie Ihre Kraft komplex.

– Nehmen Sie klassisches Langhanteltraining als Basis Ihrer Leistungsentwicklung.

– Funktionelle Übungen können ergänzend in Ihr Training eingeplant werden.

Funktionelles Training alleine kann Ihre Kraftfähigkeit nicht optimal entwickeln.

Lesen Sie auch: Wie wichtig sind Beweglichkeit und Mobilität beim Functional Training? 

 

Dennis Sandig

 

Literaturangaben:

1. Schurr, Stefan, 2011, Funktionelles Krafttraining mit dem Gymnastikband. Books on Demand GmbH: Norderstedt.

2. European Journal of Applied Physiology, 2005, Bd. 95, S. 436–446.

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Über den Autor

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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