Wie Sie Schmerzen im Rücken verstehen und richtig einordnen

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Schmerzen geben Ihnen eine wichtige Orientierung: Indem Sie den Schmerzsignalen und den Reaktionen Ihres Körpers ausreichend Gehör schenken und angemessen handeln, sammeln Sie die für die Selbstbehandlung nötige Erfahrung. Sie lernen, wann es nötig ist, einzugreifen, und was genau Ihnen hilft.

Woher kommen Schmerzen im Rücken?

Schmerzen haben immer eine Warnfunktion, sie sind eine Art Alarmsignal. Sie können sie ignorieren oder einfach als Symptomtherapie ein Schmerzmittel einnehmen – besser wäre es jedoch, die Ursache des Schmerzes zu ermitteln. Was könnte der Auslöser sein? Hier kommen Überlastung, Unterforderung, Verkühlung, ein Trauma oder auch übermäßiger Stress mit Anspannung infrage.

Die Schmerzsensoren in Haut und Faszien nehmen die eintreffenden Reize in Sekundenbruchteilen auf und leiten sie über die Rückenmarksebene zum Gehirn. Dort werden sie erkannt, beurteilt und verarbeitet. Keine andere Sinnesempfindung ist so stark von der vegetativen und emotionalen Ausgangslage des Menschen abhängig – also davon, wie angespannt oder entspannt Sie sind –, wie der Schmerz.

Wie äußern sich Nervenschmerzen im Rücken?

Immer wieder werden Sie sich die Frage stellen: Kommt das vielleicht von den Nerven; ist das neurologisch? Allein die Frage macht schon nervös, oder? Ich erkläre Ihnen nachfolgend einige Zusammenhänge zur Vorsicht und Rücksicht.

  • Kommt das von der Bandscheibe? Die Bandscheibe selbst macht keine Schmerzen. Sie kann jedoch verrutschen, einreißen oder zwischen zwei Wirbelkörpern austreten. Dann besteht die Gefahr, dass ein oder mehrere Nerven irritiert werden. Das führt, ausgehend von der Lendenwirbelsäule, zu Beschwerden in den Beinen.
  • Was lähmt mich? »Hilfe, ich kann meinen Fuß nicht richtig hochziehen!« – Aussagen wie diese sind ein Alarmsignal und können ein Anzeichen für eine nervale Kompression im L4/L5/S1-Bereich sein. Bevor Sie aber panisch reagieren, überlegen Sie erst einmal, ob Sie vielleicht die Beine lange übereinandergeschlagen hatten, lange auf Ihren Fersen saßen oder eine Fußverletzung haben. In diesen Fällen kann auch eine periphere Nervenstörung die Ursache sein, der motorische Nerv ist nicht vom Rücken her, sondern im Verlauf gestört.
  • Warum kribbelt es im Bein? Es gibt im Nervensystem motorische, also Bewegungsanteile, und sensible Anteile, die ein Gespür oder Gefühl betreffen. Ein Kribbeln kann Anzeichen für eine zentrale Nervenbeteiligung, also von der Bandscheibe ausgehend, sein. Dann kribbelt, juckt oder zuckt es im Beinverlauf. Ebenso kann auch hier eine periphere Beteiligung die Ursache sein, zum Beispiel durch eine lang andauernde ungute Sitzhaltung.
Schmerzen geben eine wichtige Orientierung für die Selbstbehandlung. Lernen Sie, wie Sie Ihre Rückenschmerzen einordnen und behandeln können.

Kompressionen der Nervenwurzeln durch die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern L4/L5 und L5/S1 können in den von ihnen versorgten Beinarealen zu Kraftminderungen oder sensiblen Störungen führen.

 

Was kann hinter Rückenschmerzen stecken?

Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Bei Überlastungsschmerzen liegt der Auslöser meist auf der Hand, während es bei pseudoradikulären Schmerzen schon schwieriger sein kann, die Ursache zu finden. Ich möchte Sie im Folgenden mit dem nötigen Wissen versorgen und dazu ermutigen, Ihre Beschwerden auf dieser Grundlage selbst zu erkunden. Auf diese Weise lernen Sie, gravierende Schmerzen von solchen, die sich leicht beheben lassen, zu unterscheiden und ihnen auf den Grund zu gehen.

  • Anlaufschmerz: Der Anlaufschmerz verschwindet bei Bewegung wieder. Er tritt vorwiegend morgens oder vorübergehend nach längerem Sitzen auf und verliert sich dann.
  • Blockierungsschmerz: Blockierungsschmerzen werden oft als hell und stechend beschrieben und machen sich bei der kleinsten Bewegung bemerkbar. Sie können 8 bis 48 Stunden anhalten. Beim akuten Blockierungsschmerz gibt es einen unmittelbaren Auslöser, beispielsweise wenn Sie sich verhoben, verrenkt oder mit zu hohem Krafteinsatz bewegt haben. Dann blockiert das Gelenk, es macht zu – ganz einfach, um weiteren Schaden zu verhindern. Der Körper versucht zusätzlich, das blockierte Gelenk durch myofasziale Verspannungen zu schützen. Sanfte Mobilisationen bringen Linderung.
  • Gelenkschmerz: Bei Reizungen eines Gelenks treten Wärmeanzeichen auf wie beispielsweise Rötung, leichte Schwellung und Überwärmung. Das Gelenk ist berührungsempfindlich und möchte weitere Belastungen vermeiden. Eine Gelenkentzündung verursacht höllische Schmerzen. Gelenkschmerzen entstehen häufig durch einen zu großen knöchernen Aufdruck im Gelenk. Dann verschließt sich die Gelenkkapsel und es entsteht ein Ungleichgewicht in den Faszien, die wiederum den Gelenkdruck erhöht – ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt.
  • Arthrotischer oder rheumatischer Schmerz: Das Liegen auf dem Rücken löst einen dumpfen, ziehenden Schmerz aus. Der arthrotische Ruheschmerz tritt häufig nachts auf. Die myofasziale Umgebungsstruktur strahlt zusätzlich schmerzhaft aus. Dosierte Belastung und Wärme können Abhilfe schaffen.
  • Myofaszialer Schmerz: Alles fühlt sich schwer, behäbig und dumpf an, die Gelenkbeweglichkeit ist eingeschränkt. Ein myofaszialer Schmerz kann sich aufgrund von Inaktivität, einseitigen Bewegungsstereotypen oder Überbeanspruchung einstellen. Die faszialen Gewebeschichten verkleben und verfilzen.

Wie merke ich, dass ich mich zu wenig (oder zu viel) bewege?

  • Inaktivitätsschmerz – zu wenig Bewegung: Inaktivitätsschmerzen zeigen sich dumpf, verkrampft und ziehend. Auslöser ist ein chronischer Bewegungsmangel; dieser löst den Inaktivitätsschmerz aus. Der Teufelskreis aus Nichtbenutzung der muskuloskelettalen Strukturen und Verfilzungen der Faszien im Rückenstreckerbereich, zum Beispiel nach regelmäßig zu langem Sitzen, führt zu chronifizierten Rückenschmerzen.
  • Überlastungsschmerz – der Umzug war zu viel für mich: Das Gewebe reagiert bei Berührung druckempfindlich und die Gelenkbewegungen können einige Tage lang eingeschränkt sein. Überlastungsschmerzen sind zwar unangenehm, aber ihre Ursache ist leicht auszumachen. Ungewohnte Bewegungen und Überlastungen führen zu einem Muskelkater. Eigentlich müsste man sagen »Faszienkater«, denn das myofasziale Gewebe macht in solchen Fällen buchstäblich zu, es übersäuert, verkrampft sich und verfilzt. Entlastungshaltungen und physikalische Maßnahmen wie ein körperwarmer Salzwickel oder eine Eiseinreibung helfen sehr gut.

Wie erkenne ich, ob ein Bandscheibenvorfall die Schmerzen auslöst?

  • Radikulärer Schmerz – ist es die Bandscheibe? Die Schmerzen sind messerscharf, konstant und strahlen in die Bereiche, die der Nerv versorgt, aus. Sie folgen dem Verlauf der Nerven im Körper, beispielsweise am Bein, und sind dort ganz genau aufzeigbar. Husten und Niesen verstärken den Schmerz deutlich. Hinzu können neurologische Symptome wie Taubheit oder motorische (Teil-)Ausfälle, zum Beispiel eine Fußheberschwäche, kommen. Ein radikulärer Schmerz tritt bei einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) auf, wenn eine Bandscheibe zu stark auf einen aus der Wirbelsäule austretenden Nerv drückt. Ruhe und Entlastung helfen am besten. Wichtig sind auch rückenschonende Haltungen und Bewegungen wie richtiges Bücken, Heben und Tragen. Eine Kontraindikation für alle Übungen ist ein Kontrollverlust der Blasen- und Mastdarmfunktion und der motorische Totalausfall zum Beispiel beim Auftreten beziehungsweise Fuß- oder Handhochziehen. Das sind Hinweise auf einen Bandscheibenvorfall (Prolaps), bei dem Sie sich unmittelbar in klinische Behandlung begeben sollten.
  • Pseudoradikulärer Schmerz – kommt nicht von der Bandscheibe: Die Schmerzen sind dumpf und diffus und das Schmerzareal ist nur ungenau flächig aufzeigbar. Husten und Niesen haben keine schmerzverstärkende Wirkung. Ein pseudoradikulärer Schmerz hat nichts mit der Bandscheibe zu tun. Er kann aber ebenfalls in das Bein ausstrahlen und wird daher oft als radikulärer Schmerz fehlgedeutet. Auslöser für pseudoradikuläre Schmerzen am Bein können beispielsweise Beckenringstörungen mit Becken- oder Hüftblockaden oder ein Piriformis- beziehungsweise Iliopsoassyndrom sein.

Wie kann man Schmerzen einschätzen?

Es gibt drei Möglichkeiten, mit dem Schmerzgeschehen umzugehen:

  • Die typische Reaktion auf einen Schmerz: Sie tritt ein, wenn der einwirkende Reiz unerwartet kommt und die eigenen Körperkräfte übersteigt, wie zum Beispiel beim Tritt in eine Reißzwecke
  • Die gleichgültige Reaktion: Sie tritt ein, wenn der Reiz schwächer ist als die eigenen Körperkräfte. Ein fieser Faszienkater zum Beispiel ist zwar unangenehm, aber der Körper weiß, dass er keinen Schaden anrichtet und vorübergehen wird. Es besteht kein weiterer Handlungsbedarf.
  • Die Wohlweh-Reaktion: Sie tritt ein, wenn der Reiz zwar stark ist, aber die eigenen Körperkräfte nicht übersteigt. Wohlweh hilft bei der Heilung, da die Schmerzrezeptoren, das Rückenmark und das Gehirn lernen, angemessen mit Schmerzreizen umzugehen. Bei der Selbstbehandlung eines Akupressurpunkts spüren Sie zum Beispiel, dass der Schmerz wohltuend ist und die Beschwerden lindert.

Eine Schmerzstärke ist immer subjektiv, da jeder Mensch ein unterschiedlich starkes Schmerzempfinden hat. Ein Spitzensportler, der kurz vor einem Erfolg steht, nimmt seine Schmerzen vorübergehend gar nicht wahr. Ein IT-Mann im Homeoffice mit nicht enden wollender monotoner Arbeit hingegen spürt seine Schmerzen oft besonders heftig. Wichtig ist Ihr ganz persönliches Gefühl und Ihre Einschätzung. Daran können Sie täglich messen, wie es Ihnen geht. Die Schmerzskala bietet Ihnen die Möglichkeit, im Laufe des 30-Tage-Programms tagesaktuell Erfolge zu messen. Sie ist eine Weiterentwicklung der in der Medizin bekannten visuellen Analogskala (VAS). Mit dieser fragen auch Ärzte oft beim Patienten den jeweiligen Istzustand der Schmerzen ab.

Autorin: Gabriele Kiesling

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