Trainingssteuerung – Wie sie funktioniert und wie nicht

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Als Jürgen Klinsmann in Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaften 2006 in Deutschland neue Trainingsmethoden aus Amerika importierte, gab es quer durch die deutschen Gazetten kritische Stimmen. Journalisten und Trainer aus der Fußball-Bundesliga führten an, dass die in Deutschland etablierten Methoden bislang die Sportler ausreichend fit gemacht hätten. Dennis Sandig stellt Ihnen in diesem Beitrag einige kritische Gedanken zur Steuerbarkeit des Trainings vor.

Das führt zu der Frage, wie sich die deutsche Trainingslehre entscheidend verbessern lässt und welche Aspekte Sie in Ihr Training übernehmen sollten.

Definition von Trainingssteuerung

„Trainingssteuerung“ ist die „gezielte Abstimmung allser Maßnahmen der Trainingsplanung, des Trainingsvollzugs, der Wettkampf– und Trainingskontrollen und der Trainings- und Wettkampfauswertung zur Veränderung des sportlichen Leitungszustands im Hinblick auf das Erreichen sportlicher Leistungen und Erfolge.“  (Carl, 2003, S. 614)
 

Nutzen Sie Ihre Zeit effektiv

Sind Sie Leistungssportler und wollen einen Wettkampf erfolgreich bewältigen? Oder sind Sie eher ein Freizeitsportler und haben das Ziel, einen Jedermannswettbewerb im Radfahren oder Laufen zu bestreiten? In beiden Fällen stellt sich Ihnen die Frage, wie Sie Ihr Training steuern. Wenn man nicht einfach in den Tag hineintrainieren möchte, empfiehlt es sich, das Training zu strukturieren. Erst so schöpfen Sie alle Möglichkeiten zu Ihrer maximalen Leistungssteigerung aus. Grundsätzlich geht es also um die gezielte Beeinflussung des menschlichen Körpers durch das Training. Dabei steht immer die möglichst effektive Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit im Mittelpunkt der Planungen. Ein Profisportler muss also schauen, dass er das tagtägliche Training mit der freien Erholungszeit kombiniert, um Regeneration und Belastung in optimaler Abstimmung zu gewährleisten.
Komplizierter wird ein solches Planen beim arbeitenden Freizeitsportler. Das komplexere Zeitmanagement wird in diesem Fall von weitaus mehr Faktoren beeinflusst als beim Profi. Die Trainingszeit wird durch die Arbeit und die ohnehin oft knappe Freizeit mit der Familie bemessen. Dazu kommt, dass die Regenerationszeiten umso kürzer sind, je größer der Alltagsstress ist. Egal, welcher Kategorie Sie sich persönlich zuordnen, Sie werden das Gefühl kennen, dass steigende Konkurrenzsituationen aus Beruf oder Wettkampf neue Herausforderungen zur Folge haben. Sie als Sportler müssen also davon ausgehen, dass eine verbesserte Steuerung des Trainings zur Grundvoraussetzung für den sportlichen Erfolg wird.

Was beinhaltet die Trainingssteuerung?

Die Trainingssteuerung beschreibt den Vorgang der Verknüpfung von Entscheidungen innerhalb der Trainingsplanung. Damit verbunden werden die Ausführung Ihres Trainings und die darauffolgende Trainingswirkung auf Ihren Organismus. In diesem sehr mechanistischen Verständnis lässt sich der vermeintliche Wirkungsweg des Trainings anhand der folgenden Grafik verdeutlichen:

Abb.1: Wirkungsweise der Steuerung nach Carl

Sie können anhand der Beschreibung erkennen, dass diese Definition und auch das allgemeine Begriffsverständnis sich an der Sichtweise der Kybernetik orientieren. Die Denkweise der Kybernetik beschreibt das physikalische und mechanische Zusammenwirken und Steuern von Teilsystemen. Dazu gehört auch die dort übliche Unterscheidung zwischen „Steuerung“ und „Regelung“. Bis heute folgen viele Autoren aus der Trainingslehre und der Trainingswissenschaft diesen oder ähnlichen Theorien.

Training: Ein Prozess?

„Steuern“ und „Regeln“ sind Begriffe, die die Sportpraxis und die Trainingslehre aus der Kybernetik übernommen haben. Man möchte mit der Steuerung beschreiben, wie bei einem Vorgang in einem dynamischen System eine oder mehrere Ausgangsgrößen beeinflusst werden. Die Rahmenbedingungen sind dabei die  Zielvorgaben, die Eingangsgrößen und die Gesetzmäßigkeiten. Die Voraussetzung für die „Steuerung“ und damit auch für das Steuern des Trainings ist die, dass der Wirkungsweg geradlinig erfolgt. Das Steuern von Training wird deshalb oft als planmäßige Ableitung von Trainingsentscheidungen gesehen.

Das Beschreiben des Trainings als einen Prozess, der Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die planbar sind und „wissenschaftlich“ kontrollierbar erscheinen, findet man auch in den Trainingsvorgaben von Sportverbänden. Auch Sie haben sicher in Ihrer Sportart schon von der „systematischen“ Organisation des Trainings gesprochen und kennen das damit verbundene kybernetische Verständnis, den Körper beeinflussen zu können.

Das Erreichen dieser Ziele wird also dadurch erschwert, dass

– Ihre anzusteuernde Leistung in der Zukunft erbracht wird,

– Ihre Leistung von beinflussbaren und unbeeinflussbaren Faktoren abhängt,

– die Leistungen der Gegner in der Zukunft unbekannte Größen darstellen,

– der individuelle Erfolg nicht allein von der eigenen Leistung, sondern auch von der Leistung der Mitbewerber abhängt.

    Sie sind als Sportler darauf angewiesen, Ihre maximal mögliche Form zu erreichen, um mit Bestleistungen im Wettkampf überzeugen zu können. Das gilt auch, wenn Sie sich „nur“ die Teilnahme an einem Volkslauf vornehmen, denn auch einen solchen Wettkampf überstehen Sie am besten, wenn Sie so gut wie möglich in Form sind.

    Allgemeine Modelle zur Trainingslehre

    Das sportliche Training ist eine der Grundvoraussetzungen für Ihre sportliche Leistungsfähigkeit. Wir wissen dabei, dass das Ausmaß der Anpassung an entsprechende Funktionssysteme von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist. Als hinreichend belegt gilt im Allgemeinen die Annahme, dass muskuläre, kardiologische und chemische Anpassungsreaktionen durch das Training hervorgerufen werden. Exakte Dosierungen sind jedoch das große Rätsel und stellen den Gegenstand interdisziplinärer Diskussionen dar.(1) Selbst mit modernen mathematischen Modellen können die Anpassungsreaktionen des Körpers nur sehr verkürzt dargestellt werden. Das liegt daran, dass die biologischen Reaktionen des Körpers keineswegs in festen zeitlichen Abständen erfolgen. Die Wiederherstellung der Energiespeicher und Ähnliches können zeitlich schwanken.(2) Da das aber eine wichtige Voraussetzung darstellt, um das Training planen zu können, fehlt ein gesichertes Wissen um den jeweiligen Umfang. Wenn wir also Trainingsprozesse konzipieren und folglich auch optimieren wollen, müssen wir das Verständnis der komplexen Wechselwirkung von Belastung und Leistung innerhalb der physiologischen Anpassungen kennen.(3) Ihre sportliche Leistung ist das Ergebnis zahlreicher Faktoren, deren Ausbildung die Folge von einem langfristig ausgerichteten Training ist. Sie sollten beim Planen des Trainings kontinuierlich den aktuellen Leistungszustand überprüfen. So können Sie erfahren, ob Ihre Planung sich in den Reaktionen des Körpers widerspiegelt.

    Wie funktioniert „das Trainieren“?

    Mit „Training“ beschreibt man das Beeinflussen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Diese soll angehoben werden, indem auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten und Modellen Belastungen geplant werden, die auf jede der konditionellen bzw. motorischen Eigenschaften übertragen werden können. Wir gehen beim Trainieren davon aus, dass die Entwicklung von Kraft, Ausdauer oder Koordination von gesetzmäßigen Abläufen bestimmt wird. Diese Regeln sollen – unabhängig davon, ob Sie davon wissen oder nicht bzw. es akzeptieren oder nicht – immer gleich ablaufen.(4) Die zugrunde liegende Trainingsbelastung und die Anpassungen infolge von Beanspruchungen des Athleten werden unter Verwendung eines Reiz-Reaktions-Modells erklärt. Dabei werden die Belastungsreize durch physikalische Parameter beschrieben. Das können ebenso Geschwindigkeits- oder Gewichtsvorgaben sein wie Vorgaben der Leistung auf einem Rad. Die Trainingsanpassungen werden durch die Anweisungen des Trainers also über externe Sollvorgaben gesteuert. Was dabei oft fehlt, ist die Berücksichtigung der Reaktionen des einzelnen Sportlers. Gibt ein Trainer Ihnen vor, dass Sie eine bestimmte Anzahl von Intervallen bei einer bestimmten Geschwindigkeit laufen sollen, erwartet er bestimmte Anpassungen. Sie sollten sich jetzt aber die Frage stellen, wie denn diese Anpassungen aussehen könnten. Je nach Ernährung, Schlafdauer oder auch Trainingszustand können die Reaktionen des Körpers auf die Belastung unterschiedlich ausfallen. Wenn ein Trainer Ihnen und Ihrer Trainingsgruppe also dieselben Aufgaben für alle stellt, kann die Beanspruchung letztendlich für jeden Mitsportler komplett unterschiedlich ausfallen. Wir sehen, dass ein Trainer, je individueller er plant, einen größeren Informationsbedarf hat.

    Das sollten Sie berücksichtigen

    Wir können aus dem letzen Abschnitt also schließen, dass Ihre Leistungsfähigkeit das Wirken vieler verschiedener leistungsbestimmender Faktoren abbildet. In der sportwissenschaftlichen Literatur wird allgemein häufig zwischen Modellen zum Training und solcher zur Trainings- bzw. Leistungssteuerung unterschieden. Eines davon, das so genannte Superkompensationsmodell, beschreiben wir in dem Artikel „Vorsicht bei vereinfachenden Trainingsprinzipien“, den Sie in unserer Sammlung finden. (http://www.sport-und-training.de/artikel/vorsicht-bei-vereinfachenden-trainingsprinzipien)
    Anhand der Kritik an diesem Modell und der hier vorgestellten Theorien müssen wir uns fragen, wie denn alternative Vorschläge aussehen könnten. Wichtig ist vor allem, dass die Trainer immer so viele Informationen wie möglich berücksichtigen. Sie als Sportler sollten für sich und auch für Ihren Trainer über Ihr gesamtes Training Buch führen. Schreiben Sie auf, was Sie wann und wo wie oft gemacht haben. Auch Ihre subjektiven Einschätzungen sind wichtige Informationen. Auf diese Weise kann sich aus den beschriebenen kybernetischen Modellen etwas ganz Neues entwickeln: so zu trainieren, dass anhand von Informationen objektiver und auch subjektiver Art geplant wird. Abseits der gängigen festen Modelle und Regeln für die Trainingsplanung muss es das Ziel sein, eine neue Art der Trainingslehre zu entwickeln. Statt an den Trainingsplänen der erfolgreichen Sportler sollte diese sich an etwas Speziellem orientieren: an Ihrem Körper und dessen Reaktionen. Letztendlich kann eine freie Leistungsphysiologie auf der Basis von physiologischen und psychologischen Anpassungen etwas erreichen, das mit gängigen Modellen nur schwer beherrscht werden kann: Das Trainieren spielt sich jeweils nur bei Ihnen ab – lernen Sie, Messwerte mit Ihrem persönlichen Empfinden zu kombinieren. Ihr Körpergefühl ist ebenso wichtig wie der Pulsmesser und der Kilometerzähler!

    Wie steuerbar ist denn nun das Training?

    Wenn wir die eingangs beschriebenen Annahmen zur Steuerung und zum Training betrachten, gehen Viele im Sport davon aus, dass das Training sehr gut steuerbar ist. Gerade Trainer von Olympiasiegern und Weltmeistern geben im Interview nach dem Sieg immer an, dass das Training genau auf das Ziel ausgerichtet war.
    Ich möchte dem widersprechen und glaube, dass die gängigen Trainingsmodelle nicht so steuerbar sind, wie es den Anschein erweckt. Ihnen fehlen die wichtigsten Komponenten der subjektiven Belastungssteuerung. Das zeigte sich exemplarisch in einer Studie mit den erfolgreichen deutschen Bahnradfahrern: Die besten unter ihnen halten sich am wenigsten an die Rahmentrainingspläne des Bundes Deutscher Radfahrer! Wie Recht hat da der Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik Verbandes, Eike Emrich, wenn er im Anschluss an die Leichtathletik-WM in Berlin feststellt, dass die Leistungsbürokratie nicht funktioniert. Die Zukunft ist auch im Training nicht beherrschbar.

    Dennis Sandig M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians Universität Würzburg und Doktorand an der Universität des Saarlandes; Mitbegründer der iQ athletik GmbH

    Quellenangaben

    1. Scandinavian Journal of Medicine and Science in Sport, 2000, 10 (3), S. 123–145.

    2. Perl, J., 2004, Unveröffentlichter Abschlussbericht zum Projekt „Wirksamkeit Fördersystem“. Frankfurt a. M.: DSB

    3. Leistungssport, 2000, Bd. 30 (1), S. 43–51.

    4. Haber, P., 2005, Leitfaden zur medizinischen Trainingsberatung, Rehabilitation bis Leistungssport, 2. Aufl. Wien, New York: Springer.

    Weiterführende Artikel:

    HRV analysieren – Training optimieren

    Vorsicht bei vereinfachenden Trainingsprinzipien

     

    Fachsprache:

    Kybernetik – beschreibt die mechanische Auffassung vom Steuern nach Gesetzmäßigkeiten

    Superkompensation – Modell, das auf Trainingsanpassungen angewendet wird, aber nur für ein Enzym im Kohlenhydratstoffwechsel nachgewiesen wurde

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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