Ich erinnere mich, wie ich vor einigen Jahren eine Nahaufnahme des früheren Formel-1-Weltmeisters Damon Hill in seinem Rennwagen sah, in der sein Kopf von einer Seite zur anderen schwankte. Das Merkwürdige an dieser Aufnahme war, dass Hill in einem stehenden Wagen saß und darauf wartete, die Garage zu verlassen.
Tatsächlich gab es eine einfache Erklärung für Hills Verhalten: Wie viele Spitzensportler nutzte er die verbleibende Zeit bis zum Start, um im Geiste zu proben und (in seinem Fall ohne Zweifel) sich vorzustellen, wie er korrekt über die Rennstrecke und durch jede Kurve steuerte.
Studien über Spitzensportler haben gezeigt, dass Elitesportler aus verschiedenen Disziplinen nicht nur Zeit aufwenden, um ihre sportliche Leistung zu verbessern. Zusätzlich investieren sie auch noch Zeit, um vor wichtigen Wettkämpfen mental ihre Runden zu laufen, Bahnen zu ziehen oder Speere zu werfen.
Ziel dieses Artikels ist es, mehr Athleten zu ermutigen, ihre Vorstellungskraft zu nutzen und weiterzuentwickeln. Und jenen, die dies bereits tun, Ratschläge zu geben, wie sie diese Fähigkeiten am effektivsten nutzen können. Es ist bekannt, dass das Schaffen oder Wiederherstellen einer alle Sinne betreffenden Erfahrung tiefgreifende Auswirkungen auf die körperliche Leistung und psychische Abläufe hat. Einmal verinnerlicht, kann die Vorstellungskraft auf viele Weisen angewendet werden, um Sportlern zu helfen. Sie ist eines der am häufigsten verwendeten Hilfsmittel der Sportpsychologen. Neuere Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass Sportler und Trainer den Inhalt ihrer mentalen Bilder sehr sorgfältig auswählen sollten, um einen maximalen Nutzen daraus ziehen zu können.
Ich werde nicht zu viel Zeit darin investieren, eine Lanze zu brechen für die Vorstellungskraft. Wissenschaftliche Untersuchungen unterstützen ihre Verwendung als Ergänzung zum körperlichen Training. Skeptiker, die noch überzeugt werden müssen, sollten folgende Argumente in Betracht ziehen:
Eine kürzlich erschienene innovative Studie, in der umfangreiche Auswirkungen festgestellt wurden, ist besonders hervorzuheben. Eiskunstläufer, die ihre Figuren durchgingen oder auf Papier aufzeichneten, während sie sich die Bewegungen zu der ausgewählten Musik vorstellten, zeigten enorme Leistungssteigerungen im Vergleich zur Kontrollgruppe, die keine Vorstellungskraft verwendete.(4)
Wissenschaftler befassen sich nicht länger mit der Frage, ob der Einsatz von Vorstellungskraft funktioniert – verständlich, nach den überzeugenden Beweisen, dass sie es tut –, sondern mit der Frage, wie sie funktioniert. An diesem Punkt scheiden sich die Geister und die Debatte darüber ist noch im Gange. Manche Experten glauben, dass kleine neuromuskuläre „Zündungen“, die in einigen Forschungsstudien vorgeführt wurden, ein ausreichendes Feedback für die vorgestellten Stimuli schaffen, um Leistungsänderungen zu beeinflussen.
Entwurf für Ihre Leistung
Andere argumentieren, dass die Vorstellungskraft helfen kann, einen mentalen Entwurf für Ihre Leistung zu entwickeln. In etwa so, wie Sie planen, was Sie während eines wichtigen Telefongesprächs sagen werden. Eine andere Beweiskette legt nahe, dass die Vorstellungskraft eher indirekt funktioniert: durch die Veränderung der psychologischen Verfassung einer Person, indem sie Zuversicht aufbaut, die Motivation fördert und die Leistungsangst reduziert.
Zurzeit sind die Mechanismen, nach denen Verbildlichung funktioniert, noch unklar. Kürzlich veröffentlichte Arbeiten, die bildgebende Techniken zur Darstellung des Gehirns einsetzten, haben unser Wissen jedoch erweitert: Es ist nun bekannt, dass die rechte Hirnhälfte das primäre Vorstellungszentrum beinhaltet.
Wenn Sie Kinder beim Spielen beobachten, können Sie schnell feststellen, wie kreativ und imaginativ sie sind. Beschäftigen sich Kinder mit Puppen oder anderem Spielzeug, erschaffen sie ihre eigene innere Welt, wobei sie die rechte Gehirnhälfte beanspruchen. Unglücklicherweise konzentriert sich das Schulsystem sehr stark auf logische und analytische Prozesse, welche die linke Hirnhälfte beanspruchen und die von Erwachsenen scheinbar bevorzugt werden. Das Problem besteht darin, dass das Vorstellungszentrum des Gehirns ohne eine ständige Beanspruchung in der gleichen Weise reagiert, wie es Ihre Muskeln ohne Training tun: Es verkümmert. Um eine weitere Körperanalogie zu gebrauchen: Wenn Sie nach einer langen Zeit der Nichtnutzung dieses Gehirnareal wieder einsetzen möchten, ist es, als wären Sie wieder bei der allerersten Übungsstunde. Es ist wie beim körperlichen Training: Je mehr Sie trainieren, desto schneller kommen Sie rein und desto einfacher wird es für Sie.
Obwohl Sie die Vorstellungskraft auch in sehr dynamischen Situationen einsetzen können, ist es am besten, wenn Sie sie in ruhigen wettkampffreien Phasen erlernen. Beginnen Sie mit einer Entspannung – schließen Sie Ihre Augen und konzentrieren Sie sich auf tiefe, rhythmische Atemzüge. Gehen Sie nicht halbherzig an diese Sache heran. Geben Sie sich dem Prozess hin, und versuchen Sie, schon im Voraus zu entscheiden, was Sie sich vorstellen werden. Vielleicht könnten Sie sich sogar dazu entschließen, Anweisungen auf Band aufzunehmen, die ihnen helfen, Ihre Vorstellung in die richtige Richtung zu lenken.
Ihr 3-stufiger Entwicklungsplan
Bei der Entwicklung einer systematischen Annäherung an den Einsatz Ihrer Vorstellungskraft empfiehlt der Sportpsychologe Rainer Martens: Arbeiten Sie zuerst an einer Steigerung Ihrer sensorischen Wahrnehmung.(5) Dabei ist es fundamental wichtig, dass Visualisierung und Vorstellungskraft nicht dasselbe sind. Die Vorstellungskraft sollte weit mehr als eine Visualisierung sein. Sie sollte z. B. beinhalten, wie sich Bewegungsabläufe anfühlen, und auch Geräusche, Gefühle und in einigen Fällen sogar Gerüche mit einschließen.
Ein Schlagmann beim Cricket etwa könnte versuchen, sich des sensorischen Prozesses stärker bewusst zu werden, indem er sich wichtige visuelle Merkmale der Umgebung in Erinnerung ruft, wie das Geräusch des einlaufenden Werfers und das Geräusch des durch die Luft rauschenden Balles. Er könnte sich in Erinnerung rufen, wie sich das Schwingen des Schlägers und dessen Kontakt mit dem Ball anfühlen. Die anschließenden Geräusche – das Zusammentreffen von Ball und Schläger, der Zuruf seines Partners, er solle losrennen – könnten auch in Betracht gezogen werden. Das Gefühl von Kontrolle, wenn der Ball die Spielfeldgrenze erreicht, das Gefühl von Entschlossenheit und der Duft von frisch gemähtem Gras können helfen, alle Sinne zu stimulieren. Martens schlägt eine erste Stufe vor, die der Wertschätzung von Dingen gewidmet ist, die der Einzelne als selbstverständlich betrachtet.
Der nächste Schritt besteht darin, Klarheit zu entwickeln. Es stimmt, dass einige Menschen in der Lage sind, sehr deutliche und lebhafte Vorstellungen abzurufen, während andere sich verzweifelt bemühen, überhaupt eine Vorstellung zu erschaffen. Mit Übung gelingt es jedoch den meisten, ihre Vorstellungskraft so zu schärfen, dass wiedererkennbare sensorische Erfahrungen offensichtlich werden. Das ist die Stufe, auf der Sie kreativ und experimentierfreudig sein dürfen. Hier können Sie Szenen und Erfahrungen nutzen, die Ihnen vertraut sind. Diese Übungen müssen anfangs nicht sportspezifisch sein. Der Gedanke, der dahintersteht, ist der, eine allgemeine Klarheit zu fördern. Versuchen Sie die folgende Übung, um die Klarheit in Ihrer Vorstellungskraft zu fördern.
Die letzte Stufe Ihres Entwicklungsplans beinhaltet Kontrolle. Wenn Sie im Geiste proben, was Sie tun wollen, ist es wichtig, die Kontrolle über Ihre mentalen Bilder zu haben. Die Vorstellungskraft kann sowohl hilfreich als auch zerstörerisch sein. Wenn sich eine Golferin beispielsweise den Weg des Golfballs über die Wiese vorstellt, sich selbst beim Einlochen jedoch ständig versagen sieht, so ist das wenig hilfreich. Das große Geheimnis der Vorstellungskraft liegt darin, dass sie Ihnen, auch wenn Sie als Golfer tatsächlich beim Einlochen versagt haben, eine Möglichkeit bietet, Fehler zu korrigieren.
Diese Stufe ist sportspezifischer und sollte Ihr gewünschtes Ergebnis beinhalten. Sie sollten die Bewegung fühlen und ein positives Ergebnis vor Augen haben, wie etwa einen Golfball, der dem richtigen Weg folgt und im Loch landet. Wenn Sie beginnen, sich negative Resultate vorzustellen, versuchen Sie, sich an einen früheren Erfolg zu erinnern. Oder sehen Sie einer anderen Person zu, die erfolgreich eine Leistung erbringt. Versuchen Sie dann, sich dieses Ereignis mit sich selbst als erfolgreichem Sportler vorzustellen. Um Kontrolle zu entwickeln, sollten Sie die unten stehende Übung ausprobieren.
Obwohl die offensichtlichste Anwendung von Vorstellungskraft im Erlernen und Ausüben sportlicher Fähigkeiten liegt, gibt es noch viele andere Möglichkeiten, diese Technik zu nutzen.
Die Vorstellungskraft kann auch dazu verwendet werden, Strategien zu üben, Erregungslevel zu manipulieren, Stress zu managen, Zuversicht aufzubauen, Schmerzen und Verletzungsperioden zu handhaben sowie eine angemessene Konzentration zu entwickeln.(3)
Forscher haben kürzlich empfohlen, dass Athleten den Inhalt oder die Art ihrer Vorstellungskraft dem gewünschten Ergebnis angleichen sollten, um einen maximalen Effekt zu erreichen.(6) Hier sollten Sie sorgfältig über die Komponenten ihrer imaginierten Erfahrung nachdenken und sich selbst fragen, was Sie erreichen möchten. Wollen Sie sich das Erlernen und Ausüben von Fähigkeiten und Strategien erleichtern? Versuchen Sie, Ihr Selbstbewusstsein aufzubauen? Oder sich gar selbst aufzuputschen?
Die 5 Hauptkategorien der Vorstellungskraft wurden wie folgt eingeteilt:
- Motivationsspezifisch (MS) – Sie sehen, wie Sie selbst einen Wettkampf gewinnen, wie Sie eine Trophäe oder Medaille erhalten, und wie andere Athleten Ihnen gratulieren. Motivationsspezifische Vorstellungskraft kann Ihre Motivation und Anstrengung während des Trainings ankurbeln und Ihnen bei der Zielsetzung helfen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Sie nur mit motivationsspezifischer Vorstellungskraft eine Leistungsverbesserung erzielen.
- Allgemeine Motivation zur Problembewältigung (AMP) – Sie sehen sich selbst, wie Sie mit schwierigen Situationen klarkommen und Herausforderungen bewältigen. Diese Methode hilft Ihnen, sich auf das Positive zu konzentrieren, auch wenn Sie im Rennen hinten liegen, um dann vorzustoßen und zu gewinnen. Sie erscheint wichtig für die Entwicklung von Erfolgserwartungen und Selbstvertrauen.
- Allgemeine Motivationserregung (AME) – Diese Methode reflektiert Gefühle von Entspannung, Stress, Angst oder Erregung in Bezug auf sportliche Wettkämpfe. Es gibt viele Hinweise darauf, dass diese Methode die Herzfrequenz – ein Index von Erregung – beeinflussen und als „Aufputschstrategie“ verwendet werden kann.
- Wahrnehmungsspezifisch (WS) – Sie sehen sich selbst bei der Ausübung einer bestimmten Fertigkeit, wie dem Aufschlag beim Tennis, dem Putten beim Golf oder dem 3-fachen Lutz beim Eiskunstlaufen. Wenn es um das Lernen und die perfekte Ausführung einer Technik geht, scheint diese Methode die effektivste zu sein.
- Allgemeine Wahrnehmung (AW) – Dies beinhaltet Vorstellungen von Strategien und Plänen in Verbindung mit Wettkämpfen. Ein Beispiel könnte die Verwendung einer Serveand-Volley-Strategie beim Tennis sein. Fallstudien befürworten den Einsatz dieser Art von Vorstellungskraft, obwohl Beweise aus kontrollierten Studien noch ausstehen.
Natürlich besteht die Möglichkeit einer Überschneidung der verschiedenen Kategorien, z. B. wenn Sie sich eine spezifische sportliche Fähigkeit wie das Putten beim Golf vorstellen (WS) mit dem begleitenden positiven Ergebnis und Wettkampfresultat (MS).
Wählt man jedoch die falsche Methode, ist es Forschungsberichten zufolge unwahrscheinlich, von ihr zu profitieren. Ein Beispiel: Eine Studie zeigte, das die WS-Vorstellungskraft Leistungen bei Sit-ups bedeutend verbesserte, während die AMP-Vorstellungskraft wirkungslos blieb.(7) Umgekehrt haben andere Studien gezeigt, dass die AMP-Vorstellungskraft das Selbstvertrauen effektiver stärkt als die WS-Vorstellungskraft.(8,9) Der Trick besteht darin, zu entscheiden, was Sie eigentlich erreichen möchten. Dann richten Sie den Inhalt Ihrer Vorstellungen nach Ihren Zielen aus.
Lee Crust
Quellenangaben
1. Murphy, S., Jowdy, D. und Durtschi, S., 1990, Report on the US Olympic Committee Survey on Imagery Use in Sport, US Olympic Training Center
2. Athletic Journal, 1976, Bd. 57, S. 74–80
3. Weinberg, RS. & Gould, D., 2003, Foundations of Sport & Exercise Psychology, Bd. 3, Human Kinetics
4. The Sport Psychologist 1998, Bd. 12, S. 1–15
5. Martens, R., 1987, Coaches Guide to Sport Psychology, Human Kinetics
6. The Sport Psychologist, 1999, Bd. 13, S. 245–268
7. Journal of Sport & Exercise Psychology, 1999, Bd. 12, S. 66–73
8. The Sport Psychologist, 1996, Bd. 10, S. 171–179
9. Journal of Applied Sport Psychology, Bd. 9, S. 241–253