Sprints im Fußball, Sprungkraft im Basketball – in Mannschaftssportarten kann die Explosivität, also Schnellkraft, über Sieg oder Niederlage entscheiden. Norbert Stein, Leichtathletik-Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln und Konditionstrainer der Frauenfußball-Nationalmannschaft, erläutert im Interview die Grundlagen des Schnellkrafttrainings für Basketballer.
trainingsworld:Wie oft trainieren Sie mit der Mannschaft pro Woche während der Saison-Vorbereitung gezielt die Sprungkraft?
Dr. Norbert Stein: Während der allgemeinen Vorbereitung auf die Saison wird 2-mal pro Woche ein reines Sprungkrafttraining mit separaten Übungen durchgeführt; darüber hinaus kommt 2-mal pro Woche das Sprungkrafttraining in komplexen Übungsformen vor.
trainingsworld: Was sind das für komplexe Übungen?
Dr. Norbert Stein: Vor allem Basketball-spezifische Koordinationsübungen mit Schwerpunkt auf Beinarbeit, Wendigkeit und Sprungabschluss. Vorteil des Basketball-Trainings ist in spielorientierten Einheiten ein automatisch integriertes Sprungkrafttraining, jedoch ist ein gezieltes Training zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit dringend notwendig.
trainingsworld: Wie viele Minuten dauert eine Sprungkrafteinheit?
Dr. Norbert Stein: Zwischen 10 und 30 Minuten, je nach Intensität. Bei hoher Intensität ist der Umfang eher 10 Minuten, was völlig ausreichend ist.
trainingsworld: Legen Profi-Vereine in den diversen Ballsportarten genügend Wert auf die Entwicklungssteigerung der Sprungkraft?
Dr. Norbert Stein: Ich schon! Ich bin von der Wichtigkeit eines Sprungkrafttrainings überzeugt. Man kommt ohne nicht aus. In der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Athen habe ich mit der Frauenfußball-Nationalmannschaft häufig gezielt die Sprungkraft trainiert. Wie Kollegen von mir arbeiten, kann ich schlecht beurteilen. Aus Gesprächen hinaus denke ich, dass es gute Ansätze gibt, aber teilweise auch nur oberflächlich die Sprungkraft trainiert wird. Jeder hat seine Arbeitsweise, es ist stark personenabhängig.
trainingsworld: Ab welchem Alter ist die Sprungkraft trainierbar?
Dr. Norbert Stein: Im Alter von 10-12 Jahren kann ein koordinativ-orientiertes Training als Basis für ein Sprungkrafttraining angelegt werden, was für ein gutes Reaktivtraining (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus) von entscheidender Bedeutung ist. In Deutschland gibt es in der Jugendarbeit ein großes Manko; es wird zu wenig Wert auf „elementare Schnellkraftfähigkeit“, was Sprungkrafttraining beinhaltet, gelegt.
trainingsworld: In welchem Alter ist sie am effektivsten trainierbar? Und woran liegt das?
Dr. Norbert Stein: In Phasen von Längenwachstum gibt es große Leistungsdiskrepanzen aufgrund von veränderten Hebelverhältnissen, Umstrukturierungen in der Muskulatur und der Gewichtszunahme der Jugendlichen. Daher sind Zuwächse im „präpubertalen“ Alter, sowie zwischen 16 und 18 Jahren am besten zu realisieren. Ich vertrete jedoch die Meinung, in der Pubertät an der Leistungsstagnation zu arbeiten.
Es ist eine Frage des Bewusstseins; Schnellkrafttraining (Schnelligkeit, Koordination und Sprungkraft) sollte latent – ohne Periodisierungen – ganzjährig trainiert werden. Ein Jugendlicher muss sich in der Pubertät neuen Hebelverhältnissen anpassen und daher aktive Fußarbeit trainieren. Besondere Priorität sollte ein Ganzkörpertraining erhalten, speziell die Rumpfkraft ist entscheidend für eine gute Sprungkraft, was viele Anfänger nicht wissen.
trainingsworld: Welche Fehler begehen besonders Anfänger beim Sprungkrafttraining? Ist dadurch eine erhöhte Verletzungsgefahr bei Anfängern durch Sprungkrafttraining gegeben?
Dr. Norbert Stein: Methodisch gesehen entsteht der erste Fehler dadurch, dass ein zu hoher Umfang bei Anfängern zu Ermüdungssituationen führt. Anfänger sollten muskulär auf die Belastungen vorbereitet werden. Probleme entstehen oft beim passiven Bewegungsapparats (Knochen, Bänder, Sehnen), der sich nicht optimal einer schnell wachsenden Muskulatur anpassen kann.
Ein zweiter Fehler ist eine zu hoch gewählte Intensität; beispielsweise zu hohe Fallhöhen beim Tiefsprungtraining.
Dritter Fehler ist ein grundsätzlich falsches Training. Beim Reaktivtraining, das im Basketball von entscheidender Bedeutung ist, sollte man mit kurzen Bodenkontakten trainieren und explosiv durch den Sprung in die Kontraktion übergehen. Leider schulen Anfänger ungewollt effektiv die Kraftausdauer durch zu lange Kontakte oder durch ein zu extensives Training, was jedoch nicht zur gewünschten, explosiven Sprungkraftverbesserung führt.
Allgemein sollte man beim Training spielähnliche Situationen simulieren. Es fehlt oft an der Erkenntnis eines intelligenten Trainings. 50-mal vom Kasten hoch und runter springen bringt einem Basketballer nicht den gewünschten Erfolg. Eine hohe Übereinstimmung mit der Bewegungsausführung sollte vorhanden sein.
trainingsworld: Wie wichtig sehen Sie den Anteil von Sprungkraft im Basketball, Volleyball und Handball im Vergleich?
Dr. Norbert Stein: In allen drei Sportarten ist Sprungkrafttraining hoch anzusehen. Eine prozentuelle Einschätzung wäre spekulativ. Jede Sportart hat ein spezielles Training; es gibt 3 verschiedene Formen der Sprungkraftentwicklung.
Beim Volleyball ist besonders das „Startkraftvermögen“ wichtig, aus einer ruhenden Körperlage in eine tiefe Schwerpunktlage.
Beim Basketball ist es besonders das Reaktivvermögen, oftmals aus der Sprintbewegung (beim Korbleger). Der Sprung ist meist in den Bewegungsablauf eingebettet.
Handball ist vom Sprungverhalten der Spieler am komplexesten. Die Sprungkraft ist stark mit Kraft-Ausdauer Aspekten gekoppelt. Spieler haben im Vergleich zu den anderen Sportarten die intensivsten Laufwege.
trainingsworld: Gibt es eine besonders effektive Übung für die Verbesserung der Sprungkraft?
Dr. Norbert Stein: Mischübungen, die Koordination beinhalten. Laufübungen, die mit Sprung abschließen. Ich nenne eine Beispielübung: Parcour-Slalom-Lauf mit anschließendem Tiefsprung und möglichst hohem Sprung ans Brett. Spieler sollten komplexe Aufgaben körperlich und geistig bewältigen. Eine Simulation von Spielsituationen erhöht die Motivationslage.
Wie beim Sprinttraining macht es nur Sinn immer alles zu geben. Voller Einsatz, d. h. maximal hoch springen, sowie hohe Konzentration sind bei allen Übungen erforderlich. Der Sportler muss intern Druck aufbauen.
trainingsworld: Ihr persönlicher Tipp um die Sprungkraft langfristig zu verbessern?
Dr. Norbert Stein: Immer am Ball bleiben. Keine Zyklen im Sprungkrafttraining, sondern Kontinuität. Weniger ist oft mehr! In einer Trainingseinheit sollte Sprungkraft kurz, prägnant, aber mit hoher Qualität einbezogen werden. Ein zu langes Training mit hohen Reizen ist zwecklos, weil das Zentrale Nervensystem schneller als das muskuläre System ermüdet. Die Steuerungsfähigkeit des ermüdeten Nervensystems schränkt die körperliche Leistung ein.
mit Ramy Azrak