Krafttraining ist nicht nur dazu gut, um Muskelmasse zu generieren: auch Ausdauersportlern, bei denen es eher gefürchtet ist, können in Form von Leistungszuwächsen profitieren.
Die Muskulatur ist das massigste Organ des Körpers. Sie hält den Stoffwechsel im Gleichgewicht und ist bestimmend für den energetischen Grundumsatz des Organismus. In Ruhe realisiert die Muskulatur ca. 40 % des gesamten Stoffwechsels. Ihr Anteil am Gesamtkörpergewicht beträgt beim Mann in etwa 40-50 % und bei der Frau 25-35 %.(12) Durch ein Krafttraining kann der Anteil der Muskeln erhöht werden.
Krafttraining ohne Muskelaufbau
Krafttraining darf aber nicht allein mit Muskelaufbau (wie es beim Bodybuilding angestrebt wird) in Verbindung gebracht werden. Zumal es Trainingsmethoden gibt, die allein darauf abzielen, das vorhandene Muskelpotenzial maximal auszuschöpfen – ohne dabei den Muskelquerschnitt zu vergrößern (Hypertrophie). Mit der Methode des „Intramuskulären Koordinationstrainings“ lässt sich z. B. gezielt das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln verbessern.(5) Hierdurch lassen sich deutlich verbesserte Kraftleistungen erreichen. Bis zu einem gewissen Umfang kann daher ein Kraftgewinn auch ohne Zunahme von Muskelmasse erreicht werden. Je nach Anforderungen der Wettkampfsportart kann dies von Vorteil sein, besonders für Disziplinen mit Gewichtsklassen wie beispielsweise beim Ringen und Boxen. Auch Sportarten, bei denen ein leichtes Körpergewicht angestrebt wird, z. B. Radsport und Skispringen, können von diesen Trainingsmethoden profitieren.(10)
Masse ist nicht gleich Masse
Obwohl es – wie zuvor erwähnt – Trainingsmethoden gibt, die nicht auf ein Steigern der Muskelmasse abzielen, wird dem Krafttraining oftmals eine ungünstige Zunahme des Körpergewichts nachgesagt. Aus diesem Grund stehen besonders Ausdauersportler einem Üben im Kraftraum häufig skeptisch gegenüber.(9) Mehr Masse bedeutet auch mehr Gewicht. Und welcher Radfahrer oder Läufer möchte schon zusätzliche Last bewegen müssen – besonders bergauf. Hierbei muss zunächst einmal ganz klar zwischen dem Zuwachs aktiver Körpermasse (Muskulatur) oder passiver Körpermasse (Fett) unterschieden werden.
Krafttraining vs. Kalorien
Radfahrer berichten oftmals von einer Zunahme des Körpergewichtes besonders nach der wettkampffreien Zeit, die je nach Saisonplanung ungefähr von Oktober bis Februar andauert. Als Ursache hierfür sehen die Athleten immer wieder ein in den Wintermonaten verstärkt betriebenes Muskelkrafttraining. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine ungünstige Zunahme der passiven Körpermasse handelt. Diese Zunahme an Körperfett ist zurückzuführen auf eine erhöhte Kalorienzufuhr bei einem gleichzeitigen Reduzieren des Ausdauertrainings.(2) In den Wintermonaten ist der Trainingsumfang auf dem Rad meist deutlich reduziert. Die Witterungsbedingungen und das frühe Einbrechen der Dunkelheit schränken das Trainieren im Freien deutlich ein. Gleichzeitig begünstigt die Weihnachtszeit das Aufnehmen einer erhöhten Kalorienmenge.
Fett macht langsam
Die Zunahme um 2 kg Körperfett verschlechtert z. B. die Rennzeit über 4.000 m in der Einerverfolgung um 1,5 Sek. bzw. 20 m.(7) Aber nicht nur Fett und Ausdauer stehen in einem negativen Zusammenhang. Ein Mehr an Muskelmasse gilt für Ausdauersportler oftmals als Luxus – ein Überfluss der versorgt werden muss und damit negativ auf die Leistungsfähigkeit wirkt. Bei intensiven sportlichen Belastungen steigt der Energiebedarf beanspruchter Muskeln auf ein Vielfaches an. Dies führt zu einem entsprechend erhöhten Sauerstoff- und Energiebedarf. Ein dickerer Muskel benötigt dabei mehr Sauerstoff, was dazu führt, dass die Atemleistung eher an ihre Grenzen stößt. Ebenfalls gestalten sich bei einem vergrößerten Muskelquerschnitt die Diffusionsverhältnisse ungünstiger. Die Wege für den Austausch von Stoffwechselprodukten wie der Milchsäure verlängern sich. Zudem verlängert sich der Transportweg für den Sauerstoff, den er von den Arterien bis zu den Muskelfasern zurücklegen muss.(6) Hier ist jedoch Entwarnung zu geben! Für Ausdauersportler ist eine Muskelmasse, die die Ausdauerleistungen negativ beeinflussen würde, kaum zu erreichen. Selbst nicht bei einem intensiv durchgeführten Krafttraining in den Wintermonaten!
Muskeln wachsen langsam
Um ein fassbares Muskelwachstums überhaupt erreichen zu können, ist mit einer Trainingszeit von mehreren Wochen bis Monaten auszugehen.(8,11) In den ersten 2-3 Monaten eines Krafttrainings resultieren die Kraftgewinne zu einem Großteil aus neuronalen Anpassungen. Zahlreiche Untersuchungen konnten innerhalb der ersten Trainingswochen kein statistisch signifikantes Dickenwachstum der Muskulatur feststellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es innerhalb dieses Zeitraumes zu keinem Verändern des Muskelquerschnitts bzw. der Muskelmasse kommt. Die Sensitivität der Messmethoden und das langsam voranschreitende Wachstum der Muskeln nehmen Einfluss auf den Zeitpunkt, an dem Hypertrophieeffekte festzustellen sind.(11) Selbst wenn komplexe und mehrgelenkige Krafttrainingsübungen wie Kniebeuge und Beinpresse trainiert werden, sind im Durchschnitt erst nach 10 Wochen Hypertrophieeffekte nachzuweisen.(1) Der Kraftzuwachs innerhalb der ersten Trainingswochen ist hierbei besonders auf ein Verbessern der intermuskulären Koordination zurückzuführen, quasi auf das Erlernen einer Bewegungsausführung.
Keine Angst vor dicken Muskeln
Dass selbst bei einem Krafttraining mit komplexen Übungen, ein messbares Dickenwachstum der Muskeln erst nach Wochen festzustellen ist, macht deutlich, wie langsam die Muskulatur wächst. Selbst bei einem intensiven Training. Jedes Kilo mehr an Muskelmasse verlangt eine konsequente und harte Arbeit im Kraftraum. Besonders für Ausdauersportler. Für diese ist ein voluminöser Muskelaufbau ohnehin nur schwierig zu erreichen. Das Krafttraining wird im Ausdauersport nicht als Haupttrainingsmittel eingesetzt, weshalb der Trainingsumfang nicht ausreicht, um ein massiges Muskelwachstum zu erreichen. Kontraproduktiv wirkt zudem das hohe Gesamtvolumen des Ausdauertrainings.(4,3) Das weit verbreitete Bedenken von Ausdauersportlern, massige Muskeln durch ein Krafttraining aufzubauen, ist daher unbegründet. Wie bereits erwähnt können zudem Trainingsmethoden eingesetzt werden, die auf ein verbessertes Nerv-Muskel-Zusammenspiel abzielen. Die Muskelmasse bleibt hierbei fast unberührt.
Andreas Wagner
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Quellenangaben:
1. Banovcic, K. (2007). Einsatz- versus Mehrsatztraining – Effekte zweier Krafttrainingsmethoden auf dynamische und isometrische Maximalkraft (unveröffentlichte Magisterarbeit). Frankfurt am Main: J. W. Goethe-Universität, Institut für Sportwissenschaften.
2. Burke, R. & Newton, H. (1983). Improved Cycling Performance Through Strength Training. National Strength and Conditioning Association Journal, June-July, 6-7 und 70-71.
3. Chromiak, J. & Mulvaney, D. (1990). A Review: The effects of combined strength and endurance training on strength development. Journal of Applied Sports science Research, 4 (2), 55-60.
4. Fleck, S. J. & Kraemer, W. J. (2004). Designing Resistance Training Programs (Third ed.). Champaign IL: Human Kinetics.
5. Güllich, A. & Schmidtbleicher, D. (1999). Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 50 (7+8), 223-234.
6. Mattes, R. (2006). Zur Problematik des Krafttrainings im Radsport: Die Wirkung von Krafttraining auf die Ausdauerleistung. Eine Literaturanalyse. Examensarbeit Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Sport und Sportwissenschaft, veröffentlicht im Grin Verlag.
7. Olds T. S., Norton K. I., Lowe E. L., Olive S., Reay F. & Ly S. (1995). Modeling road-cycling performance. Journal of Applied Physiology, 78 (4), 1596-1611.
8. Sale, D. (1994). Neuronale Adaptionen im Verlauf eines Krafttrainings. In: P. Komi (Hrsg), Kraft und Schnellkraft im Sport (249-265). Köln: Deutscher Ärzte Verlag.
9. Sandig, D., Wirth, K. & Schmidtbleicher (2006). Krafttraining im Radsport – ein Diskussionsbeitrag zu Struktur, Anpassung und Trainingsmethoden. Leistungsport, 6, 16-20.
10. Wagner, A., Mühlenhoff, S. & Sandig, D. (2010). Krafttraining im Radsport. Methoden und Übungen zur Leistungssteigerung und Prävention. München: Urban & Fischer bei Elsevier. www.krafttraining-im-radsport.de
11. Wirth, K. (2004). Trainingshäufigkeit beim Hypertrophietraining. Dissertation, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.
12. Zimmermann, K. (2002). Gesundheitsorientiertes Muskelkrafttraining. Theorie-Empirie-Praxisorientierung (2. unveränderte Auflage). Schorndorf: Hofmann.