Ich erblickte das Licht der Welt zwar, so wie wir alle, mit der Veranlagung zum Klettern, jedoch gewiss nicht als Profi. Zu diesem wurde ich erst verhältnismäßig spät, mit 19 Jahren – in dem Alter haben andere, nach etlichen Weltcupsiegen mittlerweile schon (fast) wieder Veteranen-Status.
Überhaupt habe ich erst relativ spät mit dem Klettern begonnen, mit 17 Jahren, doch startete ich so raketenmäßig durch, dass ich als Resultat kurze Zeit später vor der Entscheidung stand, Profi werden zu können. Eine Chance, die (m)ich ergriff! Keine Angst, noch schreibe ich hier keine Memoiren, aber ich bin sicher, ein Thema interessiert Sie brennend: Wie ich mich als Jugendlicher vor meinem Einstieg ins Sportklettern so konditioniert habe, dass ich schon in den ersten Wochen als Sportkletterfokussierter, weit erfahrenere Athleten rasch überholen und, ob im Training oder im Wettkampf hinter mir lassen konnte?
Gute Gene? Jein. Mit der körperlichen Grundausstattung schlanker „Leichtbautyp“ hat man sicherlich eine leidlich gute Voraussetzung, doch besaß ich andererseits nicht jene Rohkraft, die das Jahrhunderttalent, den „Freak“, den geborenen Weltcupsieger, vom Rest unterscheidet. Veranlagung spielt für den Spitzensport zweifellos eine gewichtige Rolle. Aber als Ausrede für mangelnden Einsatz darf sie nicht herhalten, das tut sie aber oft genug! – Ich für meinen Teil glaube fest an harte, smarte, gezielte und tägliche Arbeit!
Und sicherlich nicht nur ich … Ich präsentiere Ihnen hiermit erstmals im Web einen kurzen Auszug aus einem Interview mit dem russischen Elitesportler Valentin Tschebrukow, welches ich in meinem zweiten Buch Peak Power veröffentlichen durfte. Tschebrukov wurde Weltcup-Sieger im Ringen 1983 in Griechenland und meinte, von mir zu den „Geheimnissen seines Profisporterfolgs“ befragt: „Jürgen … das ist vergleichbar mit dem Bau eines Hauses. Wer ein schönes Haus bauen will, braucht ein gutes Fundament.“ Meine Frage an ihn, wie ein motivierter Sportler sein großes Ziel, beispielsweise den Sieg bei einem Weltcup erringt beantwortete er mit den Worten: Indem er jeden Tag etwas für sein großes Ziel tut. Als ich noch jung war, hat mein Trainer zu mir gesagt: „Dein Ziel ist wie ein Haus, du musst jeden Tag einen Stein auf den anderen legen.“ Erst wenn du jeden Tag etwas für dein Ziel tust, wirst du erfolgreich sein. Der eine wird Weltcup-Sieger, der andere Europameister, aber der Erfolg kommt immer – ganz bestimmt!
Hierzu gleich ein auditiver Tipp: Valentin Tschebrukow live on tape gibt’s auf www.Power-Quest.cc GOLD-Podcast #26. GPP – General Physical Prepardness, allgemeines Grundlagentraining Doch von der Weltcupringerfront zurück zu mir. Ich stellte vor allem in meinen späteren Profijahren, im Vergleich zu „nur-Kletterern“, v.a. im Hobbybereich schnell fest: Meine Grundlagen, die mir quasi den vorhin erwähnten „Leistungssprungturbo“ im Klettersport ermöglichten, erwarb ich mir als Jugendlicher auf eine – nun sagen wir – interessante, unkonventionelle Art und Weise. Eben diese könnte für junge Aspiranten und auch die meisten Hobbykletterer, wie Sie noch lernen werden, durchaus vorbildhaft sein.
Bereits meine eigene Kindheit und Jugend waren im wahrsten Sinne „bewegt“, lebhaft, spielerisch, viel an der frischen Luft, aber noch ohne konkreten Inhalt oder bestimmtes Ziel. Zwar kam ich leider nie in Berührung mit dem genormten Wettkampfsport. Der einfache Grund: Dieser war damals selbst international noch so gut wie nicht existent. Dennoch fühlte ich den Kletterer in mir. Radrennen, Skisprung u.a. konnten mich also nicht fesseln, blieben episodisch. Die das Feuer entfachende Herzensangelegenheit wurde schlussendlich doch das Klettern. Eine der ersten Weltcup-Übertragungen im Fernsehen säte wohl unbewusst den Keim in mir. Jedoch – wie eben erwähnt – war diese Sportart zu jener Zeit, vor allem im kleinen Vorarlberg kein Thema – für mich utopisch weit entfernt. So blieb es bei den „anderen TV-Stars“, die wohl alle pubertierenden Jugendlichen damals als sportliches Ideal auserkoren hatten: Bruce Lee, Jean-Claude van Damme, Sylvester Stallone … Kämpfer, Sieger, Athleten eben, und so wollten wir – ich und mein bester Freund Robert – damals mit 14 (Robert war 15) auch sein!
Intuitiv multisportiv
Mit Nahe-Null-Wissen über Trainingslehre u. dgl., dafür mit unendlichem Enthusiasmus ausgestattet, machten wir im Nachhinein betrachtet doch so einiges richtig. Zu dieser Zeit, ich war gerade in der Ausbildung zum Bürokaufmann, begann der tägliche Trainingsteil von Montag bis Freitag täglich kurz vor 18 Uhr. Erst holte ich Robert bei seiner Elternwohnung ab, dann weiter zum Dornbirner Fitness-Parcours, alles im lockeren Laufschritt natürlich. Dann folgten Sprints auf der 4 x 400 Meter Finnenbahn (das ist eine mit Holz-Schnipseln gedämpfte Laufstrecke, die ein leichtes Gefälle und eine Steigung als „Endspurt“ hat).
Anschließend absolvierten wir alle 20 Stationen des Fitnessparcours Dornbirn. Klimmzüge in verschiedensten Griffvariationen, die Hangelleiter, Seilklettern, Dips, Wechselsprünge mit einbeinigen Kniebeugen auf Holzpflöcken, Treppenspringen, Balanceübungen, Körperspannungsübungen etc. Aus 3 Klimmzügen wurden innerhalb von nur 2 Jahren 23. Danach gab es noch unsere eigene Interpretation von Karate – Kata und Kumite –, die wir aus Büchern gelernt haben. Ein freundschaftliches Rennen mit Schlusssprint nach Hause bildete den krönenden Abschluss. Alleine trainierte ich im Anschluss daran zu Hause weiter. Ich absolvierte bis ca. 22.00 Uhr knappe zwei Stunden Krafttraining und Beweglichkeitstraining … Liegestütze, Situps, usw. (Lesen Sie auch unseren Expertentipp: So schaffen Sie mehr Liegestütze)
Hatten wir Muskelkater? Waren wir müde? Darauf können Sie wetten! Waren wir übertrainiert? Damals kannten wir dieses Wort gar nicht. Vielmehr schuf ich mir in diesen „Lehrjahren“, sie waren es letztlich auch für meine Kletterkarriere, eine breit aufgestellte konditionelle Basis! Dieses intuitiv multisportive Vorgehen deckt sich mit sportwissenschaftlichen Erkenntnissen: allzu frühe Spezialisierung erwies sich als kontraproduktiv, sie provoziert bald unüberwindliche Leistungsgrenzen. Gerade Jugendliche sollten vielfältigste elementare Bewegungserfahrungen sammeln: Laufen, Springen, Werfen („Leichtathletik“), Rangeln („Kampfsport), Herumtollen („Turnen“), Schwimmen, Ballspielen etc. Klar kann und t.w. muss man schon früh mit gewissen Sportarten beginnen, auch mit dem Klettern – aber auch hier geht es zunächst um Grundlagen. Mit dem Turnen muss man für spätere Höchstleistungen sicher sehr früh beginnen, aber es ist zugleich die Grundlagensportart per se, auf der man später (fast) auch alles andere weiterführend aufbauen kann. Erst die Basis verbreitern, umso höher wird die Spitze (Pyramiden)!
Und heute? GPP oder Conditioning bleibt fixer Bestandteil
Heute gehört der Hauptteil meiner Trainingszeit natürlich dem Klettern. Doch gibt es immer noch Raum für einen multisportiven Ausgleich – als Grundlagentraining, Reha und Prävention und einfach nur als Ausgleich und …? Erraten: Viel Spaß! Und schrieb ich soeben „für Jugendliche“? Mehr zu den Details und dem Hintergrund meiner „klet-tersportunspezifischen Trainingsausführungen“ erfahren Sie freilich in den 4 (!), noch folgenden Kolumnenteilen hier auf www.trainingsworld.com. Der Grund meiner Ausführlichkeit: Ich will, dass Sie mit neuen Blickwinkeln bzw. einer selbstkritischen Sichtweise das „Maximum des Ihnen Möglichen“ bzw. das erreichbare „Top“ via Ihres Master-Peak-Plans noch einmal gründlich hinterfragen. Denn eins ist z.B. für mich glasklar: Vor allem Erwachsene, denen es an den konditionellen Grundlagen für den Klettersport mangelt, und das sind in meine Augen im Hobbykletterbereich weit über 90% der Aktiven, lege ich zwei Dinge ans Herz:
1. Diese Kolumne noch einmal in Ruhe lesen und bereits jetzt die eigenen Schlüsse in Bezug auf konstantes Training & Co. auch in Bezug auf meine eben erwähnten Master-Peak-Plan bzw. „Nicht-Periodisierungs-Kolumnen“ #37 bis #41 ziehen.
2. Weiter dranbleiben hier auf www.trainingsworld.com den bereits in der nächste Kolumne gibt’s weitere, motivierende Facts zu meinem „early years system“!
Ihr Jürgen Reis mit Nikolai Janatsch