Mit dem High Intensity Training lässt sich innerhalb kürzester Zeit ein enormer Muskelaufbau erzielen. Die Trainingsform verspricht bessere Erfolge durch weniger Training. Prof. Dr. Dr. Jürgen Gießing erklärt, warum HIT so wirksam ist, was zu beachten ist und welche Übungen im Trainingsplan nicht fehlen dürfen.
Hochintensives Training ist voll im Trend
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es produziert erstaunliche Fortschritte bei überschaubarem Zeitaufwand. Gemeint ist hier aber nicht das inzwischen gut bekannte hochintensive Intervalltraining (HIIT), das hauptsächlich zur Verbesserung der Ausdauer eingesetzt wird. Vielmehr ist hier die Rede vom intensiven Muskeltraining, der „Urform“ des Hochintensitätstrainings, das seit inzwischen 50 Jahren eine etablierte Methode des Muskelaufbautrainings ist.
Was versteht man unter High Intensity Training?
Das Prinzip beim HIT lässt sich einfach zusammenfassen: Nimm ein Gewicht, mit dem du zehn Wiederholungen schaffst, und mach dann einfach elf. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, lässt sich mit anderen Worten klarer formulieren: Du beendest den Satz nicht, wenn du denkst, dass du die nächste Wiederholung wahrscheinlich nicht mehr schaffst, sondern trainierst so lange, bis du die letzte Wiederholung tatsächlich nicht mehr schaffst. Bei Liegestützen kann es also sein, dass man während der letzten Wiederholung mit der Nase über dem Boden schwebt und sich trotz größtmöglicher Anstrengung nicht mehr hochdrücken kann. Bei Klimmzügen schafft man es bei der letzten Wiederholung vielleicht nur noch, sich ein paar Zentimeter hochzuziehen, bevor das Muskelversagen einsetzt, die Bewegung also komplett zum Erliegen kommt.
Beim Eintreten des Muskelversagens lässt man sich dann aber nicht einfach „herunterfallen“. Stattdessen hält man die Position noch einige Sekunden lang isometrisch und senkt sich dann ganz langsam in die Ausgangsposition ab. Beim Hanteltraining verfährt man in gleicher Weise. Nach dem Erreichen des Muskelversagens wird das Gewicht kurz gehalten und dann ganz langsam und kontrolliert abgesenkt.
Wie funktioniert High Intensity Training? – Die Grundlagen
Das Training ist zwar hochintensiv, dafür muss von jeder Übung aber nur ein Satz ausgeführt werden (Aufwärmsätze nicht eingerechnet). Außerdem trainiert man nur zwei- bis viermal pro Woche, je nachdem ob man ein Ganzkörper- oder ein Splitprogramm trainiert. Pro Workout werden maximal zehn bis zwölf Übungen trainiert.
Alle Übungen sollten mit lupenreiner Technik und betont langsam ausgeführt werden. Abfälschen und/oder Schwungholen sind absolut tabu. Der konzentrische Teil der Bewegung sollte zwei bis drei Sekunden dauern, der exzentrische Teil drei bis vier Sekunden. Zusätzlich sollte man die Bewegung an beiden Umkehrpunkten kurz stoppen und die Muskeln dabei unter isometrischer Spannung halten. So entsteht eine „Time under Tension“ von mindestens sieben Sekunden pro Wiederholung. Dadurch werden gleich zwei wichtige Ziele erreicht. Zum einen wird sichergestellt, dass die jeweils trainierten Muskeln die ganze Arbeit leisten müssen. Zum anderen sinkt das Verletzungsrisiko praktisch auf null. Durch die lupenreine und gleichzeitig langsame Bewegungsausführung muss das verwendete Gewicht etwas leichter sein als beim konventionellen Training.
Ist High Intensity Training nicht schädlich?
Damit sind wir auch schon beim ersten Missverständnis. Bedenken gegenüber dem hochintensiven Training werden häufig damit begründet, dass diese Trainingsform gefährlich sei, weil man dafür besonders schwere Gewichte verwenden müsse. Wie bereits erläutert, ist das Gegenteil der Fall. Auch der Begriff „Muskelversagen“ weckt bei manchen Sportlern ausgesprochen negative Assoziationen. Der Begriff „Versagen“ hat definitiv keinen guten Klang, teilweise gilt das auch im Sport. Beim Muskelversagen ist diese Assoziation allerdings völlig unbegründet, da der Begriff lediglich den Moment beschreibt, an dem der Muskel durch das Training so ermüdet ist, dass er die Bewegung nicht mehr vollständig ausgeführen kann. Da das Herbeiführen einer momentanen Erschöpfung einen zentralen Reiz zum Kraft- und Muskelaufbau darstellt, ist das Erreichen des Muskelversagens das Signal, an dem der Trainierende weiß, dass er erfolgreich einen Trainingsreiz gesetzt hat.
Wie effektiv ist High Intensity Training?
Das Zustandekommen eines trainingswirksamen Reizes ist die Grundlage jedes Trainingsprozesses. Wenn die Trainingsintensität zu gering ist, um einen trainingswirksamen Reiz zu produzieren, kommt es nicht zu einer körperlichen Anpassungsreaktion. Deshalb führt die endlose Wiederholung der immer gleichen Bewegung nicht zu einem Muskelzuwachs, selbst bei z. B. bei Fließbandarbeitern, die über acht Stunden hinweg zusammengerechnet mehrere Tonnen bewegen. Solange die Einzelreize unterhalb der erforderlichen Reizschwelle liegen, kann die Bewegung beliebig oft wiederholt werden, ohne dass eine Hypertrophie ausgelöst wird. Das ist vergleichbar mit dem Sonnenbaden: Ist die UV-Strahlung intensiv genug, reichen wenige Minuten, um die Pigmente zu stimulieren und eine Intensivierung der Hautbräune auszulösen. Ist die Strahlungsintensität zu gering, z. B. an einem trüben Novembertrag, kann man das Sonnenbaden auf zehn Stunden ausgedehnen, ohne dass es zu der entsprechenden Reaktion kommt.
Für wen ist HIT geeignet?
Der geringe Zeitaufwand und die leichte Planbarkeit eines HIT verleiten unter Umständen zu der Fehlannahme, dass ein HIT die ideale Trainingsmethode für den Einstieg ins Training sei. Das ist aber nicht der Fall. In der Regel ist mindestens ein halbes Jahr regelmäßiges Training erforderlich, bevor man in der Lage ist, alle Übungen mit der gebotenen Sorgfalt und der nötigen hohen Intensität auszuführen.
Das HIT eignet sich nicht nur für fortgeschrittene Breitensportler, sondern auch sehr gut für den Leistungssport. Selbst im Bodybuilding, das ja meist mit einem sehr hohen Trainingsumfang assoziiert wird, findet es Anwendung – und das auf allerhöchstem Niveau. So haben in der Vergangenheit schon mehrmals Athleten die beiden wichtigsten Meisterschaften im Bodybuilding („Mr. Universum“ und „Mr. Olympia“), die mit einem HIT für diese Wettbewerbe trainierten.
Was bedeutet progressives Training?
Ein HIT sorgt für kontinuierliche Verbesserungen, indem das Training progressiv gestaltet wird. Dazu versucht man zunächst, mehr Wiederholungen mit demselben Gewicht auszuführen. Da die Ausführung einer Übung immer gleich ist (langsam und mit korrekter Technik) und in jedem Training bis zum Muskelversagen trainiert wird, hat man eine optimale Vergleichsmöglichkeit. So sieht man sofort, ob man sich gegenüber dem letzten Training steigern konnte. Spätestens wenn man mit einem Gewicht mehr als 15 Wiederholungen schafft oder die Anspannungszeit eines Satzes mehr als 120 Sekunden beträgt, wird das Gewicht erhöht. Auf diese Weise ist die erforderliche Progression im Trainingsprozess stets gewährleistet. Wer stattdessen versuchen würde, die Progression über das Trainingsvolumen herzustellen, müsste alle paar Wochen zusätzliche Trainingssätze hinzunehmen. Bei nur einem einzigen zusätzlichen Satz pro Woche ist man dann nach einem Jahr schon bei 52 zusätzlichen Sätzen, nach zwei Jahren müsste man über hundert weitere Sätze pro Woche machen.
Beim HIT liegt der Schwerpunkt auf den elementaren Mehrgelenksübungen wie Kniebeugen, Dips oder Klimmzügen. Auf diese Weise trainiert man mit relativ wenigen Übungen sehr viele verschiedene Muskeln.
Das HIT in der Praxis
Das Hochintensitätstraining sollte in der Praxis am besten als Ganzkörpertraining erfolgen. Ich empfehle, ein bis drei Workouts pro Woche durchzuführen und mindestens 48 bis 72 Stunden Abstand zwischen den einzelnen Trainingseinheiten einzuhalten. Das Training sollte mit einem leichtem Aufwärmen beginnen, dann jeweils ein Satz bis hin zum Muskelversagen folgen. Ich empfehle circa sieben Sekunden pro Wiederholung und acht bis zwölf Wiederholungen, bis das Muskelversagen erreicht wird. Im Training sollte die Konzentration auf den Grundübungen liegen.
HIT-Training im Fitnessstudio
Leichtes Aufwärmen, dann:
- Bankdrücken
- Latziehen
- Dips
- Rudern
- Beinpressen
- Beinstrecken
- Beinbeugen
- Crunches
- Bizepscurl
- Trizepsdrücken
Beispiel für ein HIT-Training ohne Studiogeräte
Leichtes Aufwärmen, dann:
- Klimmzüge mit breitem Obergriff
- Liegestütze mit erhöhten Füßen
- Klimmzüge mit schulterweitem Untergriff
- Liegestütze mit geringerem Handabstand, Betonung auf Trizeps
- Kniebeugen
- Ausfallschritte
- Kniebeugen einbeinig
- Crunches
- Plank
Autor und Sportexperte: Prof. Dr. Dr. Jürgen Giessing
Prof. Dr. Dr. Jürgen Giessing ist Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Landau. Er forscht zu den Themen Muskelaufbau und Gesundheit und gilt als führender Experte auf dem Gebiet des Hochintensitätstrainings.
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