Adenosintriphosphat wird oft als universeller Energiespender bezeichnet, aber eine bessere Bezeichnung wäre die „primäre Energiewährung“ des Körpers. So funktionierts!
Die 3 Wege der Energiebereitstellung
Wenn Sie zufällig versehentlich vor einen Bus liefen, würde Ihre weitere Existenz plötzlich davon abhängen, inwieweit Ihre Muskeln mit energiereichen Phosphaten versorgt sind. Zugegeben, unser Sehvermögen würde bei unserem Überleben auch eine Rolle spielen, aber es ist die Aufgabe der Muskeln, Sie aus der Gefahrenzone zu bringen, indem Sie gerade noch rechtzeitig vor dem Bus zur Seite springen. Und Aktivitäten dieser Art wird weitgehend von den Phosphaten bestimmt, die in Ihrem Muskel-Protoplasma im Umlauf sind.
Ihre Muskeln brauchen Energie, um sich vor der Stoßstange des Busses in Sicherheit zu bringen, aber Sie können nicht darauf warten, dass Ihr Herz auf Touren gebracht wird, dass eine Kaskade sauerstoffreichen Bluts durch die Arterien eilt oder dass der ankommende Sauerstoff beim Abbau von Kohlenhydrat oder Fett hilft, damit die erforderliche Energiemenge abgegeben wird. Den bedrohlich herannahenden Doppeldecker-Bus kümmern die Feinheiten Ihres aeroben Stoffwechsels nicht. Und sich auf diesen ziemlich mühseligen Prozess zu verlassen wäre, im wahrsten Sinne des Wortes, tödlich.
Was Ihre Muskeln in dieser Situation brauchen ist, dass die Energie in weniger als einem Bruchteil einer Sekunde geliefert wird, und jene Energie stammt von einer einzigartigen energiereichen Phosphatverbindung namens Adenosintriphosphat, auch ATP genannt. ATP ist in Ihren Muskelzellen immer vorhanden – und tatsächlich in allen lebenden Zellen Ihres Körpers; ohne ATP würden Ihre Zellen rasch aufhören zu arbeiten und absterben. Weil es alle Zellen mit Energie versorgt, wird Adenosintriphosphat (ATP) häufig der universelle Energiespender genannt, aber eine bessere Bezeichnung wäre die „primäre Energiewährung“ des Körpers.
Die Energie, die in jedem Lebensmittel, das Sie essen, enthalten ist – Kohlenhydrat, Protein, Fett – muss innerhalb der Adenosintriphosphat (ATP)-Moleküle als Energie gespeichert werden, bevor sie von irgendeiner Zelle Ihres Körpers genutzt werden kann. Um es anders auszudrücken – obwohl wir oft davon sprechen, dass Muskeln Kohlenhydrate zur Energiegewinnung „verbrennen“, so ist das Kohlenhydrat für Ihre Muskelzellen so unmittelbar nützlich wie Fremdwährung in Ihrem Supermarkt um die Ecke. Tauschen Sie jene Währung in Euro um, können Sie durchstarten; wechseln Sie die Kohlenhydratenergie um in Adenosintriphosphat (ATP), sind Ihre Muskeln bereit zu arbeiten.
Adenosinphosphat (ATP) liefert all die Energie, die für Muskelkontraktionen benötigt wird, für die Absonderung von Magensaft nach einer Mahlzeit, für die kognitiven Prozesse, die in Ihrem Gehirn ablaufen, während Sie diesen Artikel lesen, und wirklich für jede einzelne Aktivität, die Sie unternehmen. Kohlenhydrat, Fett und Protein sind von Zellen nicht direkt nutzbar, aber eben Adenosintriphosphat (ATP): tatsächlich ist es das einzige Energiemolekül, das unmittelbar zu gebrauchen ist.
Da Adenosintriphosphat (ATP) so wichtig ist, denken Sie vielleicht, dass Ihre Zellen einen riesigen Vorrat von dem Zeug anlegen, aber so läuft es nicht ab. Hartnäckig weigern sich Ihre Zellen, einschließlich Ihrer Muskelzellen, große Mengen des wertvollen energiereichen Phosphats zu speichern. Stattdessen sind sie viel mehr daran interessiert, Kohlenhydrat und Fett zu horten. Deswegen und weil Muskelbelastung auf die ständige und oft umfassende Bereitstellung von Adenosintriphosphat (ATP) angewiesen ist um für die Energie zu sorgen, die für Muskelkontraktionen benötigt wird, brauchen Muskeln verlässliche „Stoffwechselwege“, die Adenosintriphosphat (ATP) schnell und verlässlich zur Verfügung stellen können. Falls nicht viel Adenosintriphosphat (ATP) „bereit“ sein sollte, muss es einen Weg geben, es schnell zu produzieren.
Phosphokreatin: Die beste Quelle für schnell verfügbare Energie
Es trifft sich, dass Menschen 3 solcher ATP produzierenden Wege haben (d.h. 3 spezifische und verschiedene Reihen chemischer Reaktionen, die als einzigen Zweck haben, ATP zu produzieren). An dem einfachsten und schnellsten Weg (und somit dem nützlichsten bei einer Konfrontation mit einem schlingernden Bus) ist ein ziemlich spendabler kleiner Bursche namens Phosphokreatin beteiligt, den man in Muskelzellen findet. Phosphokreatin kann keine Energie für Muskelkontraktionen direkt liefern (nur ATP kann das). Es ist jedoch gewillt, einer chemischen Verbindung namens ADP eine energiereiche Phosphatgruppe zu schenken, um das zu bilden, womit die ganze Energieproduktion steht und fällt – Adenosintriphosphat (ATP). Diese ungemein wichtige Reaktion (bei der Phosphat und ADP sich verbinden, um ATP zu bilden) wird von einem Enzym namens Kreatinkinase katalysiert, welches sich folglich in beträchtlichen Konzentrationen in Muskelzellen findet. Die weite Verbreitung von Kreatinkinase im Muskelgewebe erklärt, warum hohe Werte von Kreatinkinase im Blut mit Muskelzusammenbrüchen in Verbindung gebracht werden, darunter den Arten von Katastrophen, die im Herzmuskelgewebe nach einer Herzattacke vorkommen können.
Eine schöne Eigenschaft von Phosphokreatin ist es, dass sein intramuskulärer Spiegel nach oben nicht so eng begrenzt ist, wie es Adenosintriphosphat (ATP)-Konzentrationen sind. Während Ihre Muskeln danach streben, Adenosintriphosphat (ATP)-Werte ziemlich niedrig zu halten, ermöglichen sie Phosphokreatin-Konzentrationen im Prinzip ziemlich dramatisch hochzuschnellen. Natürlich trägt dies mit dazu bei zu erklären, warum Kreatin-Ergänzung bei kraftintensiven Sportarten so erfolgreich gewesen ist; der Nahrung hinzugefügtes Kreatin wird schnell absorbiert und gelangt zu den Muskeln, wo es sich mit den Phosphaten, die immer herumliegen, verbindet, um Phosphokreatin zu bilden. Wenn Sie eine beträchtliche Menge an Phosphokreatin in Ihren Muskelzellen haben, sollten Sie in der Lage sein, viel ATP in sehr kurzer Zeit zu erzeugen. Sie werden jemand sein, der keine Schwierigkeit hat, Bussen auszuweichen – und wenn Sie Sportler sind, werden Sie auch das Potential haben, Ihre Hochsprung- und Kurzsprintfähigkeiten zu verbessern.
Wie das Phosphagensystem am besten funktioniert
Alle physiologischen Systeme haben jedoch ihre Grenzen, und das System, das wir eben beschrieben haben, das auch unter dem Namen „ATP-PC-System“ oder „Phosphagensystem“ bekannt ist, hat eindeutige Grenzen. Zum einen kann das System wahrscheinlich für nicht mehr als ungefähr 8-10 Sekunden intensiver Muskelbelastung Energie liefern, sogar bei einer Person, die ihre Muskeln „mit Kreatin geladen“ hat. Dies reicht selbstverständlich aus, um Ihnen zu helfen, Ihr Dilemma mit dem Bus zu überleben (es sei denn, der Bus „entscheidet“ sich perverserweise, Ihnen die Straße runter zu folgen), und das System funktioniert fantastisch bei Hochspringern, Power-Gewichthebern, 50-m-Sprintern, Stabhochspringern, Werfern beim Cricket, Fußballern und anderen Sportlern, deren Sportarten kurze explosive Bewegungen hochintensiver Belastung erfordern.
Leider ist das Phosphagensystem aber wenig hilfreich bei Aktivitäten, die länger als 10 Sekunden dauern. Wenn Sie beispielsweise so schnell wie möglich über 200 m laufen wollten, würde Ihr Phosphagensystem Sie normalerweise Ihrem Ziel weniger als zur Hälfte näher bringen. Ohne einen anderen ATP produzierenden Weg, auf den Sie sich verlassen könnten, würden Sie erschöpft zusammenbrechen, weit vor Ihrem Ziel. Übrigens erklärt diese Begrenzung des Phosphagensystems, warum Kreatin-Ergänzung oft mit besseren Leistungen bei kraftintensiven Sportarten kurzer Dauer in Verbindung gebracht worden ist, aber nicht mit Ausdauerwettkämpfen. (1)
Der Umstand, dass das Phosphagensystem nur etwa 8-10 Sekunden „arbeitet“, verblüfft Sie vielleicht etwas. Denn schließlich, wenn sich das Kreatin noch in den Muskelfasern befindet, nachdem es sein Phosphat an ADP gespendet hat, warum kann es dann nicht einfach etwas von dem Phosphat (das ein natürlicher Bestandteil von Zellen ist) aufnehmen und so wieder Phosphokreatin bilden und dadurch den Prozess der ATP-Produktion auffrischen? Das ist gut gedacht, aber das Adenosintriphosphat (ATP) wird von der Belastung nicht dazu genutzt mitzuhelfen, dass sich die Muskeln zusammenziehen.
Glücklicherweise besitzen alle Menschen einen wichtigen 2. ATP produzierenden Weg, der es ermöglicht, dass intensive Aktivität längere Zeit durchgehalten wird. Dieses 2. System, bekannt als Glykolyse, dauert etwas länger, bis es in Gang kommt, aber nach etwa 8-10 Sekunden kann es anlaufen. Damit ist es eine willkommene Ergänzung zum Phosphagensystem. Glykolyse umfasst den Abbau von Kohlenhydrat (Glukose oder Glykogen) in Muskelzellen, um 2 Moleküle Brenztraubensäure oder Milchsäure zu bilden. Wie beim Phosphagensystem ist nicht einmal ein Tröpfchen Sauerstoff notwendig, damit dies passiert. Glykolyse hängt jedoch nicht von Phosphokreatin ab; es ist vielmehr so, dass die in einem Glukosemolekül eingeschlossene Energie auf eine Art und Weise genutzt wird, die es einer Phosphatgruppe erlaubt sich mit ADP zu verbinden und einmal mehr unseren alten Freund ATP zu bilden. Mit jedem Glukosemolekül, das während der Glykolyse gespalten wird, werden 2 widerstandsfähige Moleküle von verwertbarem ATP gebildet.
Glykolyse ist das vorherrschende Produktionssystem für Adenosintriphosphat (ATP) bei anstrengenden Aktivitäten, die mehr als 10 Sekunden dauern, aber in weniger als 2 Minuten abgeschlossen sind. Von Ihrer Fähigkeit, Energie mittels Glykolyse zu produzieren, wird manchmal als Ihrer „anaeroben Kapazität“ gesprochen, da kein Sauerstoff erforderlich ist, damit dies erfolgt.
Bei Aktivitäten, die länger als 2 Minuten dauern, hat der bekannte „aerobe“ Weg für die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP) fest die Fäden in der Hand. Während aerober Bildung von Adenosintriphosphat (ATP), die innerhalb spezieller Zellstrukturen vonstatten geht, die Mitochondrien heißen, werden energiehaltige Wasserstoffe von Segmenten von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten abgelöst und dazu verwendet, Phosphat mit ADP zu verbinden, um – richtig geraten – ATP zu bilden!
Ohne Sauerstoff würde die aerobe Energiefreisetzung zum Erliegen kommen
Der Weg wird als aerob bezeichnet, weil Sauerstoff beim Gesamtprozess der abschließende Wasserstoffakzeptor ist und ohne ihn die ganze Reihe von energiefreisetzenden Reaktionen zum Stillstand kommen würde. Genauso kann die Rate, mit der ATP aerob erzeugt wird, nur erhöht werden im Einklang mit einer gesteigerten Rate von Sauerstoffzufuhr zu Muskelzellen. Wenn Sie diese Grundlagen begreifen, werden Sie auch verstehen, warum eine Erhöhung der VO2max („maximale Sauerstoffaufnahme“) oft zu Verbesserungen in der Ausdauerleistung führt. Einfach gesagt: wenn Ihre Muskeln Sauerstoff mit einer höheren Rate verwerten können (um Wasserstoffe zu akzeptieren), können sie auch Adenosintriphosphat (ATP) mit einer höheren Rate erzeugen, und somit haben Sie das Potential, sich bei Ausdauerwettkämpfen intensiver zu bewegen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die 3 Adenosintriphosphat(ATP)-Wege im Allgemeinen mit 3 verschiedenen Bewegungsgeschwindigkeiten in Verbindung gebracht werden und dass das Phosphagensystem in unseren Vorstellungen mit maximaler Schnelligkeit gepaart wird, das glykolytische („anaerobe“) System mit schnellen Geschwindigkeiten und der aerobe Prozess mit mäßigeren Geschwindigkeiten.
Insgesamt werden 3 Arten von Trainingsformen unterschieden. Sportler, deren Wettkämpfe nicht mehr als 10 Sekunden dauern, trainieren für gewöhnlich, indem sie kurze Belastungsintervalle machen, die weniger als 10 Sekunden dauern. Wenn sie ein wenig physiologisches Bewusstsein besitzen, sagen sie vielleicht, dass sie die Phosphagensysteme beanspruchen.
Wie Trainingsformen Energieproduktionssyteme widerspiegeln
Unterdessen laufen Sportler, deren Wettkämpfe 10-120 Sekunden dauern, ein wenig langsamer während des Trainings, und ihre Belastungsintervalle spiegeln im Allgemeinen ihre Wettkampfzeiten wider, wie man dies erwarten würde. Solche Sportler sprechen vielleicht davon, anaerobe Kapazität aufzubauen oder – weniger häufig – ihr glykolytisches Potential zu maximieren.
Sportler schließlich, deren Wettkämpfe länger als 120 Sekunden dauern, neigen dazu, bei langsameren Geschwindigkeiten in Intervallen zu trainieren, die 2-10 Minuten dauern, und während fortgesetzter Anstrengungen, die möglicherweise bedeutend länger dauern. Diese Ausdauerathleten sind darauf aus, ihre aeroben Kapazitäten zu maximieren und sprechen möglicherweise von verbesserter Herzfunktion, gesteigerter Atmungskapazität, von Reben-gleichem Wachstum von Kapillaren um ihre Muskelfasern herum und von der verbesserten Fähigkeit ihrer Muskeln, Sauerstoff zu gebrauchen.
Ist dieses Denken richtig? Sollte beispielsweise der 100-m-Sprinter, der auf Phosphagen setzt, längerem glykolytischen oder aeroben Laufen vollkommen aus dem Wege gehen? Sollte der Glykolyse liebende Sportler mit einem 90-sekündigen Wettkampf Belastungen vermeiden, die Phosphagen verbessern oder Anstrengungen, die mehr als 2 Minuten dauern, da solche Aktivitäten das „falsche“ Energieproduktionssystem beanspruchen? Und sollte der aerobe Ausdauerathlet von phosphagenen und glykolytischen Anstrengungen ausgeschlossen werden?
Wir können mit der leichtesten Antwort anfangen: der „Phosphagen-Sportler“ muss sich keine Gedanken um Trainingsbelastungen machen, die auf das glykolytische oder aerobe System zurückgreifen. Wie Sie es auch drehen und wenden, es ist nicht möglich ein zwingendes Argument für solch ein Training zu entwickeln, besonders da wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Belastungsintervalle von längerer Dauer schnell zuckende Muskelzellen in langsam zuckende umwandeln. Natürlich ist das Anfachen des Phosphagensystems nicht die ganze Geschichte für solche Athleten. Einfache Manipulationen von Phosphokreatin und Kreatinkinase könnten einem Sportler sicher helfen, dass er schneller sprintet, aber sie allein werden nicht die bestmöglichen Leistungen eines Athleten hervorbringen. Dabei geht es um mehr als um chemische Verbindungen. Kurzstreckensprinter werden auch die Größe der Beinmuskeln steigern wollen, um mehr Vortriebskraft zu erzeugen und die Steuerung des Nervensystems ihrer Muskeln zu verbessern, so dass Kraft schneller und effizienter erzeugt werden kann.
Wie ist es mit dem Ausdauerathleten?
Sollte er/sie die Art von Training machen, die für gewöhnlich in den Bereich von Phosphagen- oder Glykolyse-Sportlern fällt? Stellen wir uns zur Beantwortung dieser Frage eine reale Lebenssituation vor. Wir könnten jede Ausdauersportart als ein Beispiel verwenden, aber lassen Sie uns annehmen, Sie sind ein trainierter Wettkampf-Radfahrer, der an einem 100-km-Straßenrennen teilnimmt – ein wirklicher Ausdauerwettkampf. Sie halten sich sehr gut, aber etwa 25 m vor Ihnen ist ein Sportler, den Sie gerne „abschießen“ würden. Sie wissen, es wird ein harter Kampf, aber Sie schalten in einen höheren Gang und erhöhen die Umdrehungen pro Minute und werden schneller. In ungefähr 10 Sekunden sind Sie an ihm dran, aber Sie sind ein wenig erschöpft von Ihrem Sprint und befürchten, dass er sie wieder hinter sich lässt; also behalten Sie Ihr plötzliches Voranpreschen volle 60 Sekunden lang bei, bevor Sie auf Ihr normales Tempo zurückfallen, und wenn Sie über Ihre Schulter zurückschauen, sind Sie zufrieden, dass Sie Ihren Konkurrenten im Staub zurückgelassen haben oder wenigstens ein bisschen hinter Ihnen auf dem Asphalt.
Auf welche ATP-Systeme waren Sie bei Ihrem plötzlichen Sprint angewiesen – Ihrem unglaublichen Tempoausbruch? Haben Sie von Ihrem Phosphagensystem Gebrauch gemacht, um Ihren Rivalen in 10 Sekunden einzuholen, dann von Ihrem gykolytischen System, um die nächsten 50 Sekunden lang an ihm vorbeizurasen?
Wenn Sie diese Fragen mit „ja“ beantwortet haben, dann verdienen Sie eine „1“ dafür, dass Sie diesen Artikel bisher aufmerksam verfolgt haben. Leider wären aber Ihre außerordentlich logischen Annahmen falsch: die Wahrheit ist, dass der Großteil der Energie für den Sprint, sowohl der superschnelle 10-sekündige Bestandteil als auch das folgende 50-sekündige Voranpreschen, mittels des aeroben Wegs erzeugt würde.
Warum die Regeln für die Energieproduktion sich ändern
Um Ihre Fehler einzusehen, müssen Sie sich einfach daran erinnern, dass die Regeln, die wir bis hierher festgelegt haben (zufolge derer das Phosphagensystem Anstrengungen steuert, die 10 Sekunden oder weniger dauern, Glykolyse Belastungen steuert, die 10-120 Sekunden dauern und der aerobe Weg alles, was zeitlich darüber hinausgeht, dominiert) zutreffen, wenn die Belastung von einem relativen physiologischen Ruhezustand ausgehend beginnt. Wenn Sie, physiologisch gesehen, „bei Null“ anfangen, ist das Phosphagensystem bereit loszulegen, aber es dauert etwa 10 Sekunden, bis die Glykolyse in Gang kommt und 2 Minuten, bis Sauerstoff Ihre Zellen in beträchtlichen Mengen wirklich durchdrungen hat, so dass der aerobe Stoffwechsel greift.
Alles ändert sich jedoch, wenn Sie schon eine Weile trainiert haben. Tatsächlich ist es so, dass sich alles ändert, wenn Sie sich auch nur 2 Minuten bewegt haben. Kommen wir wieder zu unserem Rad-Beispiel zurück. Während Sie die Straße in Ihrem 100-km-Rennen entlang fuhren, hatten Sie wahrscheinlich eine Belastung von 85 % Ihrer maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max). Während Ihres plötzlichen 1-minütigen Sprints schnellten Ihre Werte auf etwa 95 % Ihrer VO2max hinauf; mit anderen Worten: Ihr aerobes ATP erzeugendes System hatte genug „Platz“, mit der Steigerung der Fahrintensität fertig zu werden. Sie haben einfach nur die Rate erhöht, mit der Sie Sauerstoff genutzt haben, Wasserstoff in Ihren Muskelzellen zu „fangen“. Sie fuhren schnell, aber Ihr aerobes System war gut genug, mit Ihrer Geschwindigkeit umzugehen. Sicherlich, die Glykolyse lebte auf, als Sie wie wild in die Pedale traten. Allerdings erzeugt der aerobe Weg für jedes aufgespaltene Glukosemolekül ungefähr 19-mal so viel nutzbare Energie wie die Glykolyse. Daher fällt es schwer zu behaupten, dass die Glykolyse (oder Ihre anaerobe Kapazität) Sie durch Ihren Sprint gebracht hat; der Beitrag des Glykolysesystems war in Wirklichkeit ziemlich mickrig. Sie können auch das Phosphagensystem vergessen, das seinen Geist schon nach nur 10 Sekunden Ihrer Fahrt aufgegeben hat.
Das sorgt dafür, dass es so scheint, als ob der Ausdauersportler sich um Glykolyse keine Gedanken machen muss. Dasselbe gilt für das Phosphagensystem oder sogar die schnellen Trainingsgeschwindigkeiten, die mit der Verbesserung jener Systeme in Verbindung gebracht werden. Aber Moment: wenn wir den Wettkampf leicht abändern, ergibt sich ein anderes Bild. Denken Sie zum Beispiel an den 1500-m-Läufer, der im Wettkampf das Beste aus sich herausholt. Per Definition ist diese Person ein Ausdauerathlet, dessen Leistung in erster Linie von dem aeroben Weg für die Erzeugung von ATP abhängt (da der Wettkampf wenigstens 3:26 Minuten – der momentane Weltrekord – dauert, bis er abgeschlossen ist). Nach 2 Minuten ist unser Sportler aber schon bei der maximalen Sauerstoffaufnahme angekommen, und deshalb kann der „Spurt“, der während der letzten Runde stattfindet, nicht durch den fortgeschrittenen Gebrauch des aeroben Wegs angetrieben werden: Glykolyse muss die Lücke ausfüllen. Daher ist es offensichtlich, dass Ausdauerathleten, die die maximale Sauerstoffaufnahme während ihrer Wettkämpfe erreichen, wie Glykolyse-Wettkämpfer trainieren müssen, genauso wie sie ihr aerobes Training durchführen. Im Allgemeinen werden Sportler, die Wettkämpfe bestreiten, die 12-13 Minuten oder weniger dauern, während des Wettkampfs auf die maximale Sauerstoffaufnahme „treffen“, und somit wird ihr Schicksal im Wettkampf stark von der glykolytischen Kapazität abhängen.
Was ist mit denjenigen, die längere Wettkämpfe bestreiten? Es kommt vielleicht überaschend, dass sie auch wie die glykolytischen Gladiatoren trainieren müssen. Sogar ein Marathonläufer oder 100-km-Radfahrer, von denen jeder womöglich weniger als 1 % des gesamten ATPs während des Wettkampfs durch Glykolyse erhält, sollte viel Zeit damit verbringen, Schnelligkeit zu trainieren und dabei auf Belastungsintervalle von nur 30 Sekunden Dauer zurückgreifen. In Bezug auf die ATP-Bildung würde dies als nicht logisch erscheinen, aber es ist wichtig nicht zu sehr Gefangener unseres Musterbeispiels für die Bildung von ATP zu werden. Andere Faktoren neben der Entwicklung des ATP-Wegs sind auch wichtig für den sportlichen Erfolg. Ein solcher Faktor ist die Maximalschnelligkeit: wenn die maximale Schnelligkeit eines Sportlers sich verbessert, fühlen sich die üblichen Laufgeschwindigkeiten leichter an und sind leichter aufrechtzuerhalten. Eine Möglichkeit die maximale Geschwindigkeit zu steigern ist, kurze hochintensive Intervallbelastungen aus dem Bereich des glykolytischen Trainings durchzuführen.
Bewegungsökonomie ist auch äußerst wichtig für Ausdauerathleten. Ökonomie ist einfach der Sauerstoffaufwand bei einem bestimmten Tempo (d.h. die Rate des Sauerstoffverbrauchs verbunden mit der Geschwindigkeit). Wenn die Ökonomie sich verbessert, werden bestimmte Geschwindigkeiten bei einem niedrigeren Durchschnitt der maximalen Sauerstoffaufnahme aufrechterhalten und fühlen sich merklich leichter an. Das ermöglicht es dem Sportler bei Wettkämpfen zu höheren Geschwindigkeiten „aufzusteigen“. Wie sich herausstellt, deutet wissenschaftliche Forschung an, dass sehr schnelles Training, bei dem Sie Belastungsintervalle verwenden, die 10-120 Sekunden dauern, einer der wirkungsvollsten Wege ist, die Ökonomie zu verbessern.
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Eine zur Verbesserung der Glykolyse entwickelte Trainingseinheit
Und vergessen Sie nicht unsere Kontinuitätsregel. Wenn ein Ausdauersportler eine Trainingseinheit beginnt, indem er 30 Sekunden lang sehr schnell dahinrast, kommt ein beträchtlicher Teil der Energie vom Phosphagensystem und ein noch größerer Teil von der Glykolyse. Der aerobe Weg steuert fast nichts bei. Wenn allerdings die Trainingseinheit weitergeht (angenommen der Sportler verwendet typische Erholungsintervalle von 30 Sekunden), wird die Rate des Sauerstoffverbrauchs dramatisch ansteigen. Tatsächlich trainiert der Sportler nach der 7. oder 8. Pause genau an der maximalen Sauerstoffaufnahme und wird dort wahrscheinlich für den Rest der Trainingseinheit bleiben. Bewegungswissenschaftler glauben, dass Training an der maximalen Sauerstoffaufnahme einer der besten Wege ist, den aeroben Adenosintriphosphat (ATP)-Weg zu verbessern; also haben wir scheinbar eine Trainingseinheit entwickelt, um die Glykolyse zu verbessern. In Wirklichkeit ist sie unglaublich gut für die aerobe ATP-Produktion.
Was ist mit Sportlern, die an Wettkämpfen teilnehmen, die 10-20 Sekunden dauern? Wie sollten sie trainieren? Schnelle Starts sind essentiell in solchen Wettkämpfen. Also werden sie etwas Training machen müssen, das eine Ähnlichkeit hat mit dem Training des phosphagenen Sportlers, dessen Wettkampf weniger als 10 Sekunden dauert. 10-sekündige maximale Belastung aus dem Stand mit sehr langen Pausen, um dem Phospagensystem zu ermöglichen sich „wiederherzustellen“, sollte den Zweck erfüllen. Der Athlet, dessen Wettkampf zwischen 10-120 Sekunden dauert, muss auch ein wenig herkömmliches aerobes Training machen und dabei Intervalle verwenden, die länger als 2 Minuten dauern. Der Grund dafür ist: auch wenn der Wettkampf nur 30 Sekunden dauert, steuert der aerobe Weg 20 % der benötigten Energie bei. Wenn der Wettkampf 60 Sekunden dauert, fügt er 30 % des „Sprits“ hinzu, usw. Deswegen wird der Athlet, dessen Wettkampf 10-120 Sekunden dauert und der möglicherweise niemals die maximale Sauerstoffaufnahme während der Wettkämpfe erreichen wird, dennoch das aerobe System ein Stück weit entwickeln müssen, um sicherzustellen, dass es bereit ist, während des Rennens seinen kleinen Teil vom Energiekuchen beizusteuern.
Quellenangaben:
1. Journal of the American College of Nutrition, Bd. 17, 216-234, 1998