Warum eine Körperseite dominant ist

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Wie oft stellt man fest, dass einige Übungen mit der rechten Hand extrem gut funktionieren, aber die linke schon fast grobmotorisch ist. Warum schafft also eine Hand, die Feinstarbeit zu verrichten und die andere kann gerade so eine Flasche Wasser halten?

Dieses Phänomen, dass eine Seite besser funktioniert als die andere, ist nicht nur bei den Händen, sondern auch bei den Füßen und bei Drehrichtungen unseren Körpers zu beobachten. Dieser Kuriosität hat sich die Sportwissenschaft unter dem Namen „Seitigkeit“ angenähert. Ob die eine Seite die Arbeit besser verrichten kann als die andere, hängt sehr eng mit unseren beiden Gehirnhälften zusammen. Warum die Dominanz einer Körperseite aber notwendig ist, wie man die „schwächere“ Seite am besten trainiert und fit hält und wie sich die Dominanzen in den einzelnen Sportarten verteilen, erfahren Sie innerhalb der nächsten 3 Teile.

 

Glossar

Seitenkorkondanz – Seitenübereinstimmung

Seitendiskordanz – gekreuzte Seitigkeit, z. B. Rechtshänder/Linksfüßer

morphologisch – formgebend

Lateralität – Seitigkeit

Ambidextrie – Beidseitigkeit

Vestibularapparat – Gleichgewichtsorgan

 

Definition

Die Seitigkeit stellt im menschlichen Körper einen Oberbegriff für alle Kennzeichen von Symmetrie und Asymmetrie bei paarig angelegten Organen dar. Morphologisch-anatomisch gesehen überwiegt die Tätigkeit einer Extremität bzw. einer Körperhälfte, was sich auf die Hemisphärendominanz und individuelle Entwicklung zurückführen lässt. Beobachtet man konkret aus anatomischer Sicht, spielen sich alle notwendigen Prozesse zur Auswahl einer besonderen Extremität als Erstes im Gehirn ab. Erst die funktionelle Sichtweise trifft eine Aussage über den Gebrauch einer Extremität für konkrete Tätigkeiten.

 

Entwicklung der Lateralität

In erster Linie basiert die Ausdifferenzierung funktioneller Dominanzen (Hemisphärendominanz) auf einem komplex angeborenen Organisationsplan. Es ist aber gleichzeitig an die umweltbezogenen Lernleistungen gebunden.

 

Phylogenetische (stammgeschichtliche) Begründung

Immer kompliziertere Arbeitsvorgänge erzwangen eine manuelle Spezialisierung. Dabei unterscheidet man die Aktionshand und die Hilfshand, welche sich für die Spezialisierung, also für temporäre und präzise Handkontrolle, herausbilden konnten.

Ontogenetische (individuelle Entwicklung) Ursache

Lange Zeit wurde von einer Ambidextrie bei Säuglingen ausgegangen. Die Seitendifferenzierung macht sich aber früh deutlich, z. B. durch die bevorzugte laterale Kopfdrehung bei Säuglingen oder das Kopfdrehen infolge akustischer Lokalisation von Geräuschen.

Turkewitz stellte bereits 1977 fest, dass 88 % der Säuglinge den Kopf lieber nach rechts und nur 9 % lieber nach links drehen. Jedoch dürfte es sich in dem jungen Säuglingsalter um ein reflektorisches Verhalten handeln, das sich erst allmählich durch zerebrale Entwicklung und Umweltadaptation differenziert. Das Kopfdrehen hat eine Einwirkung auf den Vestibularapparat. Dadurch werden die ersten Erfahrungen mit verschiedenen Richtungen und der Schwerkraft gemacht.

Die Handlateralisation wird bis zum 1. Lebensjahr ausdifferenziert. Die Handgeschicklichkeit wird dagegen erst mit dem 6. oder 7. Lebensjahr erreicht.

Ist die Lateralisation einmal erfolgt, kann die Seitigkeit durch ein kontralaterales Training nicht mehr umgepolt werden. Ab jetzt wirkt sich ein Üben der subdominanten Seite in einem Leistungstransfer auf die dominante Seite aus. Beide Seiten profitieren vom Training.

 

Hemisphärendominanz oder Hirnigkeit

Bei Neugeborenen ist die nervale Verbindung zwischen den Hirnhälften nur unvollkommen angelegt. Erst in den folgenden Jahren bildet sich im Rahmen einer genetischen Programmierung und von Umwelteinflüssen eine Links-Rechts-Organisation. Die Seitigkeit ist bei Kindern unstabil und kann noch wechseln. Bis ungefähr zum Beginn des Schulalters legt sich die bevorzugte Körperseite nach der individuellen Entwicklung fest. Die Sprache zentriert sich – anfangs in 2 Hälften angelegt – ab dem 5. Lebensjahr auf die linke Hemisphäre. Dies ist der Fall bei 95 % der Rechtshänder und bei 70 % der Links- und Beidhänder. Blakesle (1982) berichtet, dass sich das Sprachzentrum bei 15 % der Menschen in der rechten und bei 15 % in beiden Hälften des Gehirns befindet. Zimmer (1984) sagt, bei 30 % befinde sich das Sprachzentrum in der rechten Hirnhälfte. Die Entwicklung des Sprachzentrums erfolgt bei Mädchen schneller als bei Jungen. Genauso wie das sprachliche Denken, Aufmerksamkeit und Genauigkeit.

Die Lateralität der Hirnfunktionen organisiert sich nach der Zuständigkeit der Hirnhemisphären.

Plastizität – nicht alle Funktionen sind streng lokalisiert. Das Gehirn legt ein Duplikat aller wichtigen Lernleistungen in der jeweiligen kontralateralen Hemisphäre an. Biologisch ist dies sinnvoll für den Fall einer Hirnschädigung.

Funktionalität – nicht alle neuronalen Areale sind gleichzeitig für die Steuerung der höheren Funktionen zuständig. In Stresssituationen kann es zu Epilepsie kommen. Lösung: funktionale Spezialisierung zentral und peripher.

 

Mit der Entwicklung der Gehirnhälften entwickelte sich eine Dominanz, d. h. dass eine Gehirnhälfte die Führung der Gehirnfunktionen übernimmt. Dass eine Gehirnhälfte ständig führt, verhindert andauernde Konflikte zwischen den Hemisphären, bzw. dass sich die speziellen Funktionen beider Hälften unkoordiniert unterscheiden.

Wie es bereits erwähnt wurde, entwickelt sich die Lateralität im Säuglingsalter, allerdings ist ein Wechsel im Kindesalter noch möglich. Warum sollte man unbedingt eine dominante Seite haben? Bei fehlender Seitigkeit fällt die Orientierung im Raum besonders schwer, genauso wie der Richtungssinn beim Lesen und Schreiben von rechts nach links. Eine eindeutige Seitigkeitsentwicklung ist also unabdingbar.

 

Zentrale Steuerung der motorischen Leistung

Ein interessantes Phänomen ist bei einem Jongleur zu beobachten: Beim Jonglieren von bis zu 4 Bällen wirkt die rechte Hand führend, ab dem 5. Ball wird die linke Hand plötzlich führend. Warum?

Es existieren laterale Unterschiede in den Kontrollleistungen der zuständigen Hemisphären. Aus neurologischer Sicht ist die linke Gehirnhälfte für die sequenzielle Information verantwortlich, die rechte dagegen stellt einen räumlich-ganzheitlichen Funktionsbereich dar. Die Kontrolle von 3-4 Bällen entsteht durch visuelles oder taktiles Feedback. Entsprechend ihrer Spezialisierung übernimmt die rechte Hand (linke Gehirnhälfte) die Führung, denn das temporale Feedback beträgt ca. 120 ms und das kinästhetische Feedback ca. 200 ms. Bei 5 Bällen wird die Reaktionszeit auf < 120 ms verkürzt. An dieser Stelle ist die rechte Hemisphäre überlegener. Die linke Hand übernimmt die Führung, da entscheidende Veränderungen im Bereich der Zeitstrukturen und der zentralen Kontrollleistung passiert sind.

 

Vorschau

Im nächsten Teil erfahren Sie, wie sich die Hemisphärendominanz auf die Präferenz der Hände, Füße und den Drehsinn auswirkt und welche Besonderheiten es dabei gibt.

 

Marina Lewun

 

Quellenangaben:

1. Oberbeck, H. (1989). Seitigkeitsphänomene und Seitigkeitstypologie im Sport. Karl Hoffmann: Schorndorf

2. Fischer, K. (1992). Lateralität und Motorik. Bd. 15: Motorik. Schorndorf: Hoffmann

3. Fischer, K. (1988). Rechts-Links-Probleme in Sport und Training. Schorndorf: Hoffmann

4. Springer, S. ; Deutsch, G. (1998). Linkes – rechtes Gehirn. Heidelberg: Spektrum, Akad. Verlag

5. Thienes, G. (2000). Lateralität und sportmotorische Leistungsfähigkeit. Bd.23: Motorik. Schorndorf: Hoffmann

Gesundheit

 

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