Schmerz ist ein sehr komplexes Thema. Eine der einflussreichsten Theorien dazu war die Kontrollschranken- oder Gate-Control-Theorie, die erstmals psychische Faktoren bei der Schmerzentstehung, -wahrnehmung und – hemmung berücksichtigte. Mittlerweile gilt sie jedoch als überholt. An ihre Stelle sind mehrere andere Modelle getreten.
Welche Art von Schmerzen gibt es?
Die beiden aktuell wichtigsten sind die Neuromatrix-Schmerztheorie [12] und das biopsychosoziale Modell [13], das den Schmerz im Kontext unseres Alltagslebens genau zu klassifizieren versucht.
Das biopsychosoziale Schmerzmodell geht davon aus, dass es biologische, psychologische und soziale Faktoren gibt, die Einfluss auf körperliche Schmerzen haben. Diese Faktoren wirken sich, neben einigen weiteren, auf unsere Schmerzwahrnehmung aus.
Einflussfaktoren Schmerz: Das biopsychosoziale Schmerzmodel
Biologische Faktoren
Schmerzen durch anhaltenden Stress, Verletzungen oder Traumata, Nervenschäden, Krankheiten und ähnliche Phänomene, die den Körper selbst betreffen.
Psychologische Faktoren
Die Auswirkungen von Gedanken und Gefühlen, Stimmungen, Zuwendung, Schlaf und Schlafmangel, Besorgnis, Depressionen, Angst, Vertrauen und Vertrauensverlust sowie andere Faktoren, die zu einem veränderten Verhalten führen können.
Soziale Faktoren
Sowohl körperliche als auch seelische Schmerzen, die Ihre gesellschaftlichen Aktivitäten, Ihre Beziehungen sowie Ihre Arbeit beeinflussen und Sie isolieren.
Weitere Faktoren
Dabei handelt es sich in der Regel um externe Faktoren, die einen der oben genannten drei Bereiche verändern. Als Beispiele wären Medikamente, fehlende ärztliche Betreuung oder finanzielle Probleme zu nennen.
Die Neuromatrix-Theorie
In ähnlicher Weise befasst sich die Neuromatrix-Theorie insbesondere eingehend mit den verschiedenen biologischen und psychologischen Faktoren. Die sechs zentralen Bereiche, die darüber entscheiden, wie wir Schmerzen erleben, sind:
Kognitive Aspekte
Erinnerungen an vergangene Erfahrungen, die Bedeutung, die vergangenen Erfahrungen zugeschrieben wird, und Angst.
Sensorische Aspekte
der nozizeptive Input (Schmerzsignale) von kutanen (über die Haut aufgenommenen), viszeralen (aus den Eingeweide stammenden) und muskulären Sinnesempfindungen
Emotionale Aspekte
Das limbische System und Stressmechanismen. Das limbische System steuert im Gehirn unter anderem die Reaktion auf Bedrohungen.
Schmerzwahrnehmung
Sensorische (die Sinneswahrnehmungen betreffende),gefühlsmäßige und kognitive (das Denken betreffende) Aspekte beeinflussen, wie unser Gehirn Schmerzen deutet.
Handlungen
Sowohl bewusste als auch unbewusste. Wenn Sie sich Ihr Knie verletzen, werden Sie es willkürlich oder unwillkürlich mit der Hand reiben, um die Schmerzen ein wenig zu lindern.
Stress
Das Immunsystem verstärkt unter Stress die Abwehr; Cortisol und andere Stresshormone werden ausgeschüttet.
Welche Verhaltensmuster tragen zur Schmerzsteigerung bei?
Beide Modelle führen Faktoren an, von denen wir wissen, dass sie zu Schmerzen beitragen. Stress, Angst und Schlafmangel zum Beispiel verstärken tatsächlich das Schmerzempfinden. Sich etwas zu untersagen, das einem wirklich Spaß macht, kann einen Schmerzen ebenfalls stärker empfinden lassen. Es ist wichtig, diese Faktoren zu kennen, denn nur so lassen sich Verhaltensmuster, die zur Schmerzsteigerung beitragen, vermeiden. Auf der anderen Seite kann man sich auch Verhaltensweisen aneignen, die den Schmerz lindern, wie etwa tiefes Atmen, Meditieren oder andere Entspannungstechniken.
Beide Modelle führen Faktoren an, von denen wir wissen, dass sie zu Schmerzen beitragen. Stress, Angst und Schlafmangel zum Beispiel verstärken tatsächlich das Schmerzempfinden. Sich etwas zu untersagen, das einem wirklich Spaß macht, kann einen Schmerzen ebenfalls stärker empfinden lassen. Es ist wichtig, diese Faktoren zu kennen, denn nur so lassen sich Verhaltensmuster, die zur Schmerzsteigerung beitragen, vermeiden.
Auf der anderen Seite kann man sich auch Verhaltensweisen aneignen, die den Schmerz lindern, wie etwa tiefes Atmen, Meditieren oder andere Entspannungstechniken.
Schmerzschulungen
Wie Studien und Übersichtsarbeiten gezeigt haben, sorgen Schmerzschulungen im Hinblick auf die oben genannten Faktoren für eine sofortige Schmerzlinderung (gemessen vor und nach der Maßnahme). Schmerzschulungen verringern nachweislich den Grad körperlicher Einschränkungen. [14]
Ein zentraler Bestandteil dieser Schulungen ist es, dem auf Angst vor dem Schmerz begründeten Vermeidungsverhalten ein Ende zu setzen. Allgemeinplätze wie »Die Schmerzen existieren nur in deinem Kopf« – mögen sie auch ein Fünkchen Wahrheit beinhalten – helfen Betroffenen nicht dabei, mit ihren Schmerzen zurechtzukommen. Ganz im Gegenteil:
Aussagen wie diese können sich sogar kontraproduktiv auswirken und die Schmerzen mit der Zeit noch verschlimmern. Hingegen können Sätze wie »Schmerz bringt dich nicht um«, »Bleib aktiv« oder »Geh möglichst schnell wieder arbeiten« Betroffene vor Verhaltensweisen bewahren, die sich psychologisch und sozial negativ auswirken. [15]
Schmerz als Schutzmechanismus
Allgemein gesprochen ist Schmerz ein Schutzmechanismus und nicht unbedingt das Symptom einer Schädigung. [16] Die Schmerzleitung und -verarbeitung kann so gestaltet sein, dass Betroffene extrem empfindlich reagieren und bereits normale Positionen oder Bewegungen Schmerzen auslösen. Das ist einer der Faktoren, die zu chronischen Schmerzen führen können. Daher hat die Art und Weise, wie man
mit Schmerzen umgeht, einen wichtigen Einfluss auf die Genesung. [17]
Das limbische System und das Nervensystem durch tiefes Atmen, Meditation und andere Entspannungstechniken weniger empfindlich zu machen, kann ebenfalls hilfreich sein, wenn gleichzeitig ein Verständnis für den Schmerz aus einer biologischen, psychologischen und sozialen Perspektive gegeben ist. [18]
Menschen mit schmerzhaften Problemhaltungen sollten sich über die Faktoren im Klaren sein, die das Schmerzempfinden und die Genesung beeinflussen. Für den Verlauf der Rehabilitation ist es entscheidend, Schmerzen nicht zu einer Katastrophe aufzubauschen, nicht aufgrund der Schmerzen auf verschiedenste Aktivitäten zu verzichten und nicht den Lebensstil so zu ändern, dass sich das gesamte Dasein um den Schmerz dreht.
Schmerzen und Übungen
Wir machen das unseren Klienten gern klar, indem wir ihnen davon abraten, Übungen zu absolvieren, die die Schmerzen verschlimmern. Manche Übungen können Schmerzen hervorrufen, verbessern aber die Leistung und Funktion des verletzten Bereichs (oder der verletzten Bereiche) nach der Übung und/oder bei der nächsten Trainingseinheit.
Andere Übungen hingegen lösen keine Schmerzen aus, verschlimmern aber die Verletzung im Hinblick auf das Schmerzempfinden und die körperlichen Funktionen im Nachgang. Schmerzen sind also nicht unbedingt ein Anzeichen für Verletzungen oder Beeinträchtigungen.
Kraft, Ausdauer und Stabilität als Schlüssel zur Schmerzfreiheit
Der Schlüssel für den Fortschritt in der Rehabilitation ist die aktive Steigerung der Kraft, der Ausdauer und der Stabilität in einem bestimmten Bereich – sei es mit oder ohne Schmerzen. Im Zuge der folgenden Rehabilitationsmaßnahmen verschwinden die Schmerzen oftmals.
Wenngleich schmerzhafte Übungen nicht zwingend von Nachteil sind, vermeiden wir es, Betroffene Übungen absolvieren zu lassen, die während des Rehabilitationsprozesses Schmerzen hervorrufen. Der Grund dafür ist, dass Schmerzen sich unter Umständen nachteilig auf die technische Ausführung der Übungen auswirken und die Patienten zu Ausgleichshaltungen und -bewegungen neigen.
Außerdem können Schmerzen die Motivation der Betroffenen verringern und sie psychologisch und sozial beeinträchtigen. Wenn es daher geeignete Rehabilitationsübungen gibt, mit denen sich Schmerzen vermeiden lassen, ziehen wir sie schmerzauslösenden Übungen vor. Welchen Weg Sie für sich selbst auch wählen:
Schmerzschulung ist ein Muss
Da es Fälle gibt, in denen es von Nachteil sein kann, wenn man über die Schmerzen hinweg trainiert, raten wir dazu, schmerzhafte Übungen nur in Begleitung eines Reha- Experten durchzuführen. Ein Großteil der Patienten und Sportler hat nur eine sehr vage Vorstellung davon, welche Art von Übungen und welche Trainingsumfänge für den Rehabilitationsprozess erforderlich sind.
Es kommt oft vor, dass sich jemand auf eigene Faust an schmerzhaften, aber nützlichen Übungen versucht und es dabei übertreibt, sodass sich die Verletzung oder die Dysfunktion der betreffenden Körperstrukturen noch verschlimmert. Daher ist es wichtig, bei Verletzungen den Rat eines Fachmanns einzuholen.
Autoren:
Quellen:
13] Rober J. Gatchel; Yuan Bo Peng; Madelon L. Peters; Perry N. Fuchs; Dennis C. Turk: »The Biopsychosocial Approach to Chronic Pain: Scientific Advances and Future Directions«. In: Psychological Bulletin, Juli 2007, DOI: 10.1037/0033-2909.133.4.581
14] Adriaan Louw; Ina Diener; David S. Butler; Emilio J. Puentedura: »The Effect of Neuroscience Education on Pain, Disability, Anxiety, and Stress in Chronic Musculoskeletal Pain«. In: Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 2011, DOI: 10.1016/j.apmr.2011.07.198 Cormac G. Ryan; Heather G. Gray; Mary Newton, Malcolm H. Granat: »Pain Biology Education and Exercise Classes compared to Pain Biology Education Alone for Individuals with Chronic Lower Back Pain; A Pilot Randomised Controlled Trial«. In: Manual Therapy, 2010, DOI: 10:1016/j.math.2010.03.003 Lorimer Moseley; Michael K. Nicholas; Paul W. Hodges: »A Randomized Controlled Trial of Intensive Neurophysiology Education in Chronic Lower Back Pain«. In: The Clinical Journal of Pain, 2004, DOI: 10.1097/00002508-200
15] Bart W. Koes; Maurits van Tulder; Chung-Wei Christine Lin; Luciana G. Macedo; James McAuley; Chris Maher: »An Updated Overview of Clinical Guidelines for the Management of Non-Specific Lower Back Pain in Primary Care«. In: European Spine Journal, Dezember 2010, DOI: 10.1007/s00586-010-1502-y
16] Ebd.
17] Adrian C. Traeger; G. Lorimer Moseley; Markus Hübscher et. al.: »Pain Education to Prevent Chronic Lower Back Pain: A Study Protocol for a Randomised Controlled Trial«. In: The BMJ, Juni 2014; DOI: 10.1136/bmjopen-2014-005505
18] G. Lorimer Moseley; Alberto Gallace; Charles Spence: »Bodily Illusions in Health and Diesease: Physiological and Clinical Perspectives and the Concept of a Cortical ›Body Matrix‹«. In: Neuroscience & Biobehavioral Reviews, Januar 2012, DOI: 10.1016/j.neubiorev.2011.03.013