Tänzer zu sein bedeutet, körperliche Höchstleistungen und künstlerische Hingabe miteinander optimal zu verbinden und den Zuschauer in den Bann zu ziehen. Eine der wichtigsten körperlichen Voraussetzungen für den Tänzer ist eine außergewöhnlich gute Beweglichkeit, insbesondere der Hüftmuskulatur.
Gelenkbeweglichkeit als Leistungsvoraussetzung
Wozu genau ist eine gute Beweglichkeit im Spitzensport, unabhängig von der Sportart, notwendig? In erster Linie: „Eine gute Beweglichkeit impliziert Schutz vor Verschleiß. Beweglichkeit bedeutet Gelenkhygiene, sie schont das Gelenk und erhöht seine Belastbarkeit“.(1) Im Einzelnen ist die Präzision und Kontrolle bei technisch schwierigen Bewegungsabläufen gefragt. Solche Bewegungskombinationen findet man in erster Linie bei den Sportarten mit künstlerischem Aspekt, aber auch beim Hürdenlauf, beim Stabhochsprung und beim Fußball. (Können Athleten sich ihren Weg zu Beweglichkeit ertanzen?)
Determinanten – ausschlaggebende Faktoren
Die Beweglichkeit unterliegt physiologischen Faktoren, die für deren Ausmaß verantwortlich sind. Als erste stellt die anatomische Konstruktion des Gelenkes einen entscheidenden Faktor dar. Im Ballett und im zeitgenössischen Tanz spielt das Hüftgelenk eine überaus wichtige Rolle bei der Berufswahl. Im Idealfall ist die Hüfte so konstruiert, dass ein En dehors von 120° durch die beiden Hüftgelenke erreicht wird, und dass ein Spagat en avant (nach vorn) und à la seconde (zur Seite) im vollen Ausmaße möglich ist. Die restlichen 30° auf jeder Seite werden durch das Ausdrehen des Knies und vor allem durch das Bewegungsausmaß des oberen und unteren Sprunggelenkes ermöglicht.(5,6,7)
Eine weitere anatomische Voraussetzung für eine optimale Beweglichkeit bildet die Elastizität der Bänder, Gelenkkapseln und Sehnen. Die optimale Länge dieser Bestandteile sorgt für eine bestmögliche Muskel-Gelenk-Beziehung und somit für eine gute Kraftübertragung.(1,2,3,4)
Adaptive Mechanismen
Anpassung kollagener Strukturen
Die muskulären und sehnenartigen Strukturen können sich bereits nach mehreren Monaten des regelmäßigen Trainings sehr gut anpassen. Der Muskel an sich wird in seinen Bausteinen nicht nur länger, sondern auf der neu gewonnenen Länge auch viel aktiver.(8,9,10)
Anpassung neurophysiologischer Prozesse
Das Kontrollorgan für die Registrierung der Längenveränderung innerhalb der Muskulatur ist die Muskelspindel, die von der Muskulatur ständig mitgedehnt wird.(11) Sobald die Muskulatur in irgendeiner Weise schnell gedehnt wird, erfolgt als sofortige Antwort der monosynaptische Dehnungsreflex, der als eigenständiger Mechanismus agiert. Es kommt zu einer blitzartigen Muskelkontraktion, um den Muskel vor möglichen Verletzungen zu schützen.
Wenn man also eine größere Bewegungsamplitude in einem Gelenk erarbeiten möchte, empfiehlt es sich die Dehnung langsam auszuführen, um die vollständige Entspannung des Muskels zu erreichen und damit die neuronale Komponente zu reduzieren.(11)
Arten des Dehnens und deren Effektivität
Es ist empfehlenswert, die Auswahl der Dehnmethoden im Beweglichkeitstraining nach den Anforderungen zu treffen und möglicherweise sogar einen Methodenpluralismus zu betreiben, was die abwechselnde Einbeziehung zahlreicher Dehntechniken ins Training bedeutet.
Passiv-statisches Dehnen
Passiv-statische Dehnungen sind essentiell für die Vergrößerung der Gelenkwinkel. Dabei empfiehlt es sich, eine Dehnübung ca. 20-30 Sek. lang zu halten und jede Übung 2-mal durchzuführen. Des Weiteren hat es sich herausgestellt, dass häufigere und dafür etwas kürzere Trainingseinheiten viel bessere Erfolge bringen. Es ist also sinnvoll jeden zweiten (oder sogar jeden Tag) die Beweglichkeit für 10 Minuten zu schulen, anstatt 1-mal pro Woche und dafür 30 Minuten lang dafür zu trainieren. Besonders eine große Hüftbeweglichkeit in alle möglichen Richtungen spielt beim Tänzer eine außerordentliche Rolle.
Die Schulung der dynamischen Dehnung ist besonders für die Ausführung der schnellen Bewegungen wie z. B. Battement nach vorn notwendig. An dieser Stelle führt man die Bewegung mit Schwung, aber trotzdem sehr kontrolliert aus. Es ist empfehlenswert, die Hüftmuskeln in alle denkbaren Richtungen 5 bis 10-mal dynamisch zu bewegen. Diese Dehnmethode ist erst dann im Verlauf einer Trainingseinheit zu wählen, wenn der Muskel bereits vorher passiv-statisch gedehnt wurde, damit die passive Dehnlänge der Muskulatur lang genug ist.
Marina Lewun
Literatur
1. Israel, S. (1995). Gelenkbeweglichkeit als Leistungsvoraussetzung bei Spitzensportlern. Leistungssport (4), S. 13-15
2. Wydra, G. (1997). Stretching – ein Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Sportwissenschaft 27 (4), S. 409-427
3. Wiemann, K.; Klee, A. (2000). Die Bedeutung von Dehnen und Stretching in der Aufwärmphase vor Höchstleistungen. Leistungssport 30 (4), S. 5-9
4. Klee, A. (2005). Beweglichkeit/Dehnfähigkeit. Schorndorf: Verlag Karl Hoffman
5. Ullrich, K.; Gollhofer, A. (1994). Physikalische Aspekte und Effektivität unterschiedlicher Dehnmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 45 (9), S. 336-345
6. Freiwald, J.; Engelhardt, M. (1994). Beweglichkeit und ihre Einschränkungen: Vor Training und Therapie Faktoren genau analysieren!. Therapiewoche: TW-Sport und Medizin 6 (5), S. 327-336
7. Huwyler, J. (1995). Der Tänzer und sein Körper : Aspekte des Tanzens aus ärztlicher Sicht. (2. Auflage). Balingen: PERIMED-spitta, Med. Verl.-Ges.
8. Wiemann, K. (1991). Beeinflussung muskulärer Parameter durch ein zehnwöchiges Dehnungstraining. Sportwissenschaft 21 (3), S. 295-306
9. Klee, A. (2003). Methoden und Wirkungen des Dehnungstrainings. Schorndorf: Verlag Karl Hofmann
10. Chagas, M. H.; Schmidtbleicher, D. (2004). Auswirkungen von Beweglichkeitstraining auf die Bewegungsamplitude, Dehnungsspannung und Dehngrenze nach einer Trainings- und Detrainingsperiode. 1. Teil: Untersuchungsmethodik und Untersuchungsergebnisse. Leistungssport 34 (5/6), S. 28-32 / S. 27-36
11. Schönthaler, S. R.; Ohlendorf, K.; Ott, H.; Meyer, T.; Kinderman, W.; Schmidtbleicher, D. (1998). Biomechanische und neurophysiologische Parameter zur Erfassung der Dehnbarkeit von Muskel-Sehnen-Einheiten. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 49 (7/8), S. 223-230