Sarkopenie: Altersbedingter Verlust von Kraft und Muskelmasse. Seit dem 1. Oktober 2016 hat die Sarkopenie mit dem Diagnoseschlüssel „ICD-10-GM Version 2018 M 62.50“ einen eigenen Code. Dieser Umstand führt zu einer deutlichen Aufwertung dieses geriatrischen Syndroms innerhalb des Therapie- und Medizinbereichs. Zusätzlich ist es dadurch auch möglich, für Behandlungskosten eine Erstattung durch die Krankenkassen zu beantragen.
Was ist eine Sarkopenie?
Die Sarkopenie ist ein altersassoziierter Verlust an Muskelmasse, -kraft und -leistung. Aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer stetig wachsenden Anzahl älterer Menschen wird die Sarkopenie zukünftig in den Industrienationen eine immer gewichtigere Rolle spielen. Doch nicht nur im Alter, sondern auch nach längerer Inaktivität ist die Gefahr eines Muskelabbaus altersunabhängig signifikant erhöht.
Die Sarkopenie äußert sich meistens nicht direkt, sondern in einem schleichenden Prozess. Oftmals erkennen die Betroffenen die Einschränkungen erst, wenn der Abbau der Muskulatur bereits massiv fortgeschritten ist. Aus diesem Grund sollten sich Betroffene als Trainingsziel den Muskelaufbau und eine verbesserte Stabilität setzen. Um einen guten Muskelaufbau zu erreichen, sollte beim Training eine höhere Intensität erreicht werden. Dies ist bei vielen älteren Menschen nicht immer einfach umsetzbar, da hierfür im Idealfall hohe Gewichte zu Einsatz kommen sollten.
Viele Patienten erreichen leider oft nicht mehr die Intensität der Muskelaktivität, die für ein Muskelaufbautraining notwendig wäre. Es sollten also immer individuell geeignete Übungen vom jeweiligen Trainingsexperten ausgesucht werden. Der Einsatz von EMS-Anwendungen könnte bei der Therapie und beim Training eine wertvolle Unterstützung für Sarkopenie-Patienten sein.
Ist EMS sinnvoll?
Viele Pathologien verschiedener Fachbereiche, z. B. Orthopädie, Neurologie, Geriatrie und Innere Medizin, zeigen teilweise massive Atrophien der Muskulatur (Birchmeier 2019, Munakomi 2018, Sisto 2018, Goubert 2016, Patel 2013, Volpato 2014). Wissenschaftliche Untersuchungen belegen direkte Zusammenhänge zwischen Muskelmasse, Kraftwerten und Aktivitäten des täglichen Lebens, kardiovaskulären Problemen oder auch der Lebenserwartung (McGrath 2018, Petersein 2017, Stessman 2017, Karvonen-Guiterrez 2018, Stenholm 2014).
Darum ist der Einsatz von Kraft- und Stabilisationsübungen – ergänzend auch EMS-Anwendungen – aus zahlreichen Gründen vor allem für die Therapie und Prävention von Sarkopenie besonders interessant. Lokale Muskelstimulation, Kraft- und Stabilisationstraining sind bereits seit vielen Jahren Bestandteil der Medizin und Therapie. Die Ganzkörper-Elektrostimulation setzt man aus diesem Grund vermehrt auch bei der Behandlung von Sarkopenie ein. Durch die Stimulation werden alle Muskeln – auch in tieferen Schichten – intensiv, gezielt und schnell trainiert, ohne dass sich der Nutzer übermäßig anstrengen müsste.
Aus diesem Grund ist die EMS-Anwendung als eine absolute Innovation und sehr effektive Unterstützung jeglichen Therapieansatzes zu sehen. Die EMS-Therapie ist als lokales und globales Training immer wieder Bestandteil vieler wissenschaftlicher Untersuchungen – mit überzeugenden Ergebnissen (Afridi 2019, Hauger 2018, Lee 2017 und Kemmler 2010). Als Ergänzung zur „normalen“ Therapie mit Patienten erfreut sie sich zunehmender Beliebtheit. Die Möglichkeiten, mit EMS vielen eingeschränkten Patienten das tägliche Leben zu erleichtern, sind mannigfaltig.
Was hilft gegen Sarkopenie?
Da es sich bei Sarkopenie-Patienten fast durchweg um ältere Personen handelt, sind bei einem Training bzw. einer Therapie folgende Rahmenbedingungen zu beachten:
- Achten Sie bei der Übungsauswahl immer auf einen stabilen Stand der Kunden bzw. Patienten und auf die Möglichkeit, dass sich der Trainierende irgendwo festhalten kann.
- Wählen Sie Übungen im Stehen oder im Sitzen aus, damit die trainierenden Personen ohne großen Bodenkontakt (kein Hinlegen) das Training sicher durchführen können.
- Wenn Sie EMS einsetzen möchten, stellen Sie immer ein sofortiges Abschalten der Stromzufuhr sicher. Beenden Sie bei Problemen sofort die Impulssteuerung.
- Das Training bzw. die Therapie sollte nur in Anwesenheit eines qualifizierten Trainers durchgeführt werden, damit dieser jederzeit eingreifen kann und optimale Unterstützung bietet.
- Vermeiden Sie beim Training den Einsatz von zu vielen Zusatzmaterialien, damit sich der Kunde oder Patient optimal auf jede einzelne Übung konzentrieren kann.
- Machen Sie zwischen den Einheiten immer etwas Pause, um die Konzentration des Kunden optimal hochzuhalten.
- Beachten Sie bei Ihren Kunden die ideale Versorgung mit Nährstoffen (z. B. mit hochwertigen Eiweißen), um einen weiteren größeren Muskelabbau zu vermeiden.
Welcher Sport hilft bei Muskelschwund?
An dieser Stelle möchte ich eine tolle Übung eines sehr kompetenten und sympathischen Experten und Referenten vorstellen, der im Jahr 2020 leider viel zu früh verstorben ist: Dr. med. Martin Runge, ehemaliger ärztlicher Direktor der Aerpah-Klinik Esslingen-Kennenburg (Spezialklinik für geriatrische Behandlungen) und Urheber der Bewegungsform „Fünf Esslinger“. Er hat mit den „Fünf Esslingern“ ein Trainings- und Bewegungsprogramm erstellt, das ideal bei Sarkopenie eingesetzt werden kann. Die „Fünf Esslinger“ sind ein von „Dienste für Menschen“ (DfM) erprobtes und wissenschaftlich geprüftes Bewegungsprogramm für Menschen in der zweiten Lebenshälfte.
Die Übungen zielen auf die Schwachstellen beim Älterwerden, die die Wissenschaft gründlich erforscht hat: im Alter schwinden Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Koordination und außerdem die Balance. Der Fokus der oben vorgestellten Übung – eine der „Fünf Esslinger“ – liegt auf der Ganzkörper-Anspannung unter Beteiligung aller großen Muskelgruppen. Durch Anspannung aller wichtigen Muskelgruppen wird ein Ganzkörper-Kräftigungseffekt bewirkt. Zusätzlich kann diese Übung mit jedem Level durchgeführt werden.
Sollte der Kunde/Patient trotzdem Schwierigkeiten bei der Umsetzung haben, kann er sich zu Beginn auch an einem Gegenstand festhalten. Diese Übung dient auch dazu, bei Menschen die optimale Stabilität so zu überprüfen, dass eine gute Sturzprophylaxe besteht. Sollten Menschen bei dieser Übung Schwierigkeiten haben, ist die Durchführung eines umfassenden Stabilitätsprogramms von Vorteil (siehe weitere Übungen der „Fünf Esslinger“, www.dienste-fuer-menschen.de/ ueber-uns/fuenf-esslinger.html).
Dr. Martin Runge brachte es mit einem einfachen Satz genau auf den Punkt: „Einer mit weniger Muskeln ist schneller im Rollstuhl.“ Aus diesem Grund ist regelmäßiges und sinnvoll strukturiertes Training bei Sarkopenie ideal, um einen Muskelabbau selbst bis ins hohe Alter zur reduzieren, zu verlangsamen und aufzuhalten.
Seitlicher Wiegeschritt in den Einbeinstand
Balance ist wichtig für uns Menschen, da wir beim Gehen die meiste Zeit auf einem Bein stehen – genauer: den Körperschwerpunkt dynamisch auf ein Bein verlagern. Die kontrollierte Gewichtsverlagerung auf ein Bein ist die Essenz der menschlichen Balance. Mit dieser Übung haben wir die Möglichkeit, einen Test durchzuführen und zusätzlich eine Kräftigung und eine optimale Stabilität zu schulen.
- Aufrecht in leichter Grätschstellung, Füße stehen mehr als schulterbreit auseinander, Fußspitzen sind nach vorn gerichtet.
- Verlagerung des Gewichts auf die andere Seite und dann in einem schnellen Wechsel wieder auf die erste Seite.
- Abfolge: rechtes Bein – linkes Bein –rechtes Bein und auf diesem vier Sekunden stehen bleiben.
- Danach wieder wechseln.
Die richtige Ernährung bei Sarkopenie
Gewöhnen Sie sich und Ihren Kunden oder Patienten von Anfang an daran, genügend kohlensäurearmes oder stilles Wasser mit einem guten Nährstoffgehalt vor, während und vor allem nach dem Training aufzunehmen. Gerade ältere Menschen trinken häufig zu wenig, was u. a. die Konzentration negativ beeinflusst. Da beim Training auch geschwitzt wird, sollte das Wasser genügend Mineralstoffe beinhalten. Achten Sie darauf, dass auch ein gutes Verhältnis zwischen Magnesium und Calcium vorliegt (z. B. 200 mg Calcium und ca. 60–70 mg Magnesium).
Wenn man nach dem Training noch etwas Obst isst, kann das im Mineralwasser vorkommende Magnesium deutlich besser verwertet werden. Zusätzlich sorgt das Obst für eine positive Kaliumversorgung, die für die Leistungsfähigkeit des Gehirns und für die optimale Nervenversorgung nach dem Training wichtig ist und auch die Muskulatur unterstützt.
Was bei einer Sarkopenie von überaus großem Wert ist: Eiweiß! Damit der Körper wieder genügend Strukturen aufbauen kann, ist es wichtig, die biologische Wertigkeit von Eiweißen zu beachten. Biologische Wertigkeit bedeutet: Wie viel Gramm Körpereiweiß kann der Mensch aus 100 g Fremdeiweiß, das aufgenommen wurde, aufbauen? Je höher die biologische Wertigkeit, desto weniger Eiweiß braucht der menschliche Körper, um seine Bilanz aufrechtzuerhalten. Prinzipiell ist tierisches Protein für den Menschen biologisch hochwertiger als pflanzliches. Die biologische Wertigkeit steigt, wenn sich viele Eiweiße in ihrem Aminosäurespektrum ergänzen und aufwerten können. So kann durch bestimmte Kombinationen verschiedener Proteine mehr Körpereiweiß aufgebaut werden kann als durch ein einzelnes Eiweiß allein.
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Autor: Stephan Müller
Der Vorstand des Bundesverbandes Personal Training (BPT e.V.) bildet als Inhaber des GluckerKollegs seit über 25 Jahren Trainer und Therapeuten weltweit aus. Der mehrfache Buchautor ist monatlich live als Experte bei ARD und SWR im Fernsehen und im Radio im Einsatz.