Die Bedeutung des Krafttrainings für Kinder und Jugendliche wird kontrovers diskutiert. Das gilt für Kinder im Freizeitsport ebenso wie im Leistungssport. Trainer und Ärzte befürchten Verletzungen. Sportwissenschaftler empfehlen die leistungssteigernden und präventiven Aspekte des Krafttrainings.
In der allgemeinen Trainingsliteratur finden sich Befürworter, aber auch Kritiker des Krafttrainings im Kindes- und Jugendalter. Kritiker stellen dabei die Trainierbarkeit der Kraft unterhalb des 8.–10. Lebensjahres teilweise grundsätzlich infrage.(1) Als Argument wird dabei angeführt, dass im Kindesalter die androgenen Hormone, die erst während und nach der Pubertät vermehrt ausgeschüttet werden, fehlen. Gerade diese Hormone sind aber ein wichtiger Faktor beim Muskelaufbau und können die Entwicklung von Kraft positiv beeinflussen. Auch die Gefahr von Verletzungen wie Wirbelsäulen- oder allgemeine Knochendeformationen wird häufig als Kritikpunkt genannt.(2) Diese Befürchtungen werden u. a. damit begründet, dass die Wachstumsfugen der Knochen bis zum Abschluss des Längenwachstums nur in Form von knorpeligen Abschnitten existieren. Es gibt also vielfältige Argumentationen gegen ein Krafttraining bei Kindern.
Im Gegensatz dazu sehen die Befürworter die Trainierbarkeit der Kraftfähigkeiten aber schon bei Kindern ab dem 6.–7. Lebensjahr als gegeben an. Es werden sogar Vorteile für das Knochenwachstum und die Verletzungsprävention gesehen.(3) Viele Studien unterstützen diese Sichtweise heutzutage. Gerade auf internationaler Ebene hat sich so die Haltung gegenüber dem Krafttraining im Kindes- und Jugendalter deutlich verändert. Das Krafttraining gilt als eine sichere und vor allem effektive Ergänzung der sportlichen Ausbildung.(4) Oft werden aber in deutschsprachigen Publikationen die Erkenntnisse über das Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen eher unzureichend aufgegriffen.(4) Denn bei Studien fällt es oft schwer, Trainingseffekte von Wachstumseffekten zu trennen. Die so gewonnenen Aussagen begünstigen die oft sehr emotional geführten Auseinandersetzungen. Viele Aspekte eines Krafttrainings im Kindes- und Jugendalter werden pauschalisiert, ohne dass genaue Angaben zu den Belastungsvorgaben oder der Übungsauswahl und -gestaltung gemacht werden. Dennis Sandig erklärt die Grundlagen und gibt Empfehlungen zum richtigen Training.
Ist das Krafttraining im Kindesalter gefährlich?
Das Krafttraining im Kindesalter war lange Zeit umstritten, weil gerade in frühen Studien der 60er- und 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts keine oder nur geringe Kraftzuwächse in diesen Altersgruppen nachgewiesen werden konnten.(4) Von einem gezielten Krafttraining wurde also vor Vollendung der Geschlechtsreife – der Maturation – abgeraten.(5) Allerdings muss man berücksichtigen, dass diesen Studien zum Teil methodische Mängel zugrunde liegen. Dass keine oder nur geringe Wirkungen eines Krafttrainings nachgewiesen wurden, lag jeweils an einem zu kleinen Trainingsumfang und zu wenig Intensität in den Studien.(6)
Begründet wurden die Ergebnisse aber stattdessen eher mit dem mangelnden Hormonstatus.(7) Muskelaufbauende Hormone wie z. B. Testosteron sind in dieser Altersklasse kaum vorhanden oder fehlen ganz. Aus diesem Grund wurde lange Zeit angenommen, dass Trainingseffekte im Sinne einer Kraftanpassung nicht zu erwarten seien.(7) In der Kritik am Krafttraining im Kindes- und Jugendalter bezog man sich insbesondere auf die Lasten, die auf die unverschlossenen Wachstumsfugen im Körper wirken könnten. Man vermutete, dass sich diese vorzeitig schließen könnten und dass das Längenwachstum durch das Krafttraining beeinträchtigt würde. Außerdem ging man davon aus, dass von den Belastungen Gefahren für die Knochen und den Bandapparat ausgehen könnten. Das wurde zur Sicherheit so auch von einigen Studien zunächst bestätigt. Es wurden 20.489 Unfälle im Zeitraum von 1978 bis 1998 untersucht. Allerdings wurde nicht zwischen Krafttraining, Kraftdreikampf und Gewichtheben unterschieden.
Außerdem relativiert sich das Gefahrenpotenzial, wenn man weiß, dass nur bei 2,3 % der festgestellten Verletzungen eine Aufnahme in ein Krankenhaus nötig wurde. Dazu kommt, dass sich die Unfälle in den meisten Fällen zu Hause beim Hantieren mit Hanteln ereigneten. Vergleicht man diese Unfallzahlen mit denen anderer Freizeitaktivitäten, stellt man fest, dass überhaupt nur 25 % der analysierten Verletzungen dem organisierten Sport zuzuordnen sind. Die restlichen 75 % passieren bei Aktivitäten wie Reiten, Inlineskaten, Skateboard fahren oder Spielen.
Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Studie zur Verletzungshäufigkeit. Dabei wurde für das Krafttraining eine Verletzungsrate von 0,0012 pro 100 Stunden Krafttraining und Gewichtheben festgestellt.(8) Im Vergleich dazu liegen die Zahlen in der Leichtathletik bei 0,57 und beim Fußball bei 6,2 Verletzungen. Wir können daraus schließen, dass das Krafttraining als sichere Sportart einzustufen ist, so lange die Übungseinheiten angeleitet werden. Die Knochen, Sehnen und Bänder von Kindern werden bei alltäglichen Bewegungen viel mehr beansprucht als beim Krafttraining. Beim Springen oder Rennen treten teilweise 2- bis 3-fache Belastungen des Körpergewichts auf. Kein Kind dürfte aber in der Lage sein, das Doppelte des eigenen Körpergewichts im Krafttraining zu bewegen. Wir können also schlussendlich festhalten, dass vom Krafttraining kein besonderes Verletzungsrisiko ausgeht.
Und wie sieht es mit dem Nutzen aus? Was soll denn das Krafttraining bringen? Grundsätzlich hat es sich unter vielen präventiven und rehabilitativen Aspekten einen wichtigen Stellenwert erarbeitet. Das gilt für alle Altersgruppen. Gerade in Zeiten, in denen ständig von Übergewicht und Haltungsschäden bei Kindern die Rede ist, muss klar diskutiert werden, was denn ein Krafttraining bringen kann. An erster Stelle steht dabei die Tatsache, dass das Krafttraining die Knochendichte erhöhen kann und so eine wirkungsvolle Osteoporose-Prophylaxe darstellt. Präventiv kann ein Krafttraining das Verletzungsrisiko bei anderen sportlichen Betätigungen vermindern. Außerdem wird die Körperzusammensetzung zugunsten fettfreier Körpermasse verschoben. Auch psychische Auswirkungen wie die Einflussnahme auf Depressionen und die Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens sind wichtige Effekte. Ganz banal gesagt: Das Krafttraining vermehrt einfach die Muskelkraft, was sich positiv auf die aktive Lebensgestaltung auswirken kann.(9)
Anpassungen durch das Krafttraining bei Kindern
Nachdem wir festgestellt haben, dass das Krafttraining im Kindesalter nicht gefährlich ist und dass Kinder durchaus vom Krafttraining profitieren können, muss ein weiteres verbreitetes Missverständnis ausgeräumt werden, nämlich dass Krafttraining bei Kindern zu einer Reduzierung der Beweglichkeit und somit der Leistungsfähigkeit in bestimmten Sportarten führt.(10) Dass dies nicht richtig sein kann, zeigen die aktuellen Meinungen zum Krafttraining: Kraft macht schnell und kann – richtig eingesetzt – eine wirkungsvolle Leistungsreserve darstellen. Gerade auch bei Kindern!
Wenn Sie mit Kindern im Kraftraum arbeiten, müssen Sie aber die Grundlagen der Anpassung kennen. Deshalb sollen Ihnen hier die verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten dargestellt werden. Wie bereits erwähnt, werden die fehlenden androgenen Hormone im Kindes- und Jugendalter mit geringen Chancen auf Muskelwachstum in Verbindung gebracht. Der Muskelquerschnitt wird aber mit der Größe der zu erzeugenden Kraft assoziiert. Dabei wird oft das Wissen darüber vernachlässigt, dass es noch andere Einflussgrößen auf die Kraft gibt. Dazu gehören vor allem die Anpassungen der neuronalen Strukturen, womit die Einheiten aus Nerv und Muskel und deren Zusammenspiel gemeint sind. Hierbei geht es vor allem darum, das Zusammenspiel der Fasern innerhalb eines Muskels und das Zusammenwirken verschiedener Muskeln zu verbessern. Das geschieht durch einfaches Bewegungslernen und kann durch Gewichtsbelastungen ganz leicht noch mehr verbessert werden.
Eine weitere Einflussgröße auf der Ebene der Nerven ist die Übertragung der Impulse auf die Muskeln. Es gibt also weitaus mehr Wirkmechanismen auf die Kraft als das reine Muskelwachstum. Ein Krafttraining ist eben nicht untrennbar mit Muskelbergen in Verbindung zu bringen. Letztendlich gibt es zum Muskelwachstum durch das Krafttraining bei Kindern derzeit kaum eine Forschungsbasis.(9) Das ist wohl auch der Grund, warum die meisten Erklärungsmuster und Studien aus den letzten Jahren neurophysiologische Ansätze verfolgen.(11)
Es gibt aber durch das Krafttraining sowohl neuromuskuläre als auch muskelphysiologische Anpassungsprozesse bei Kindern.(11) Es wurden zudem koordinative und hormonelle Adaptionen beobachtet. Ähnlich wie beim Erwachsenen scheinen jedoch die Anpassungen zu Beginn eines Trainings allein auf neuronaler Ebene eine Rolle zu spielen. Die messbaren Wirkungen auf die Kraft sind so auf Lerneffekte zurückzuführen. Wenn auch die Ausschüttung androgener Hormone eher gering ist, sind jedoch andere potente Wachstumsfaktoren, wie das Wachstumshormon (HGH) und der insulinähnliche Wachstumsfaktor (IGF 1), vorhanden. Der im Laufe der Pubertät steigende Hormonspiegel unterstützt weiterhin das Muskelwachstum.
Die Vorteile
Dem Bewegungsapparat sind Knochen, Muskeln, Sehnen, Gelenkknorpel und Bänder zuzuordnen. Im Laufe des Lebens unterliegen diese Strukturen unterschiedlichen Wandlungsprozessen. In der Kindheit und der Pubertät werden die an den Knochenenden befindlichen, aus Knorpel bestehenden Wachstumsfugen zunehmend fester. Der kindliche Knochen ist bei Belastungen stärker biegbar und nimmt so mehr Energie auf, bevor es zu Knochenverletzungen kommen kann. Allerdings geht dies einher mit einer geringeren Federkraft, so dass er bei Belastungen eher bricht als der erwachsene Knochen.
Körperliche Belastungen, wie durch exzentrische Aktionsformen oder Sprünge, stellen auch große Belastungen für den Sehnenbandapparat dar. Allerdings zeigt es sich, dass ein Training in diesen Bereichen auch zu guten Anpassungen führt. Sehnen und Bänder sollen durch ein Krafttraining größer, kräftiger und verletzungsresistenter werden. Auch die Knochendichte soll durch das Krafttraining beeinflussbar sein. Dabei kann schon ein frühes Krafttraining eine Erhöhung der Knochenmineralisierung bedeuten und damit möglicherweise eine Osteoporose-Prophylaxe sein. Die passiven Strukturen des Bewegungsapparats werden durch das Krafttraining also insgesamt belastbarer und stärker.
Trainingsempfehlungen für Kinder
Bei Beginn eines Krafttrainings sollten Sie zuallererst darauf achten, ob ein Kind mental reif dafür ist. Gerade im Krafttraining müssen die Anweisungen des Trainers gut verstanden und umgesetzt werden können. Grundsätzlich gilt aber, dass Kinder, die Sport treiben können, auch reif genug sind, ein Krafttraining zu absolvieren. Allgemein gültige Trainingsempfehlungen wird es kaum geben, da die Entwicklungsunterschiede einfach zu groß sein können.
Gerade bei Kindern bietet es sich an, schon früh freie und komplexe Übungen zu machen. Dabei kann anstelle einer Langhantel am Anfang ein Besenstil helfen, Basisübungen wie die Kniebeuge zu erlernen. In der 1. Trainingsphase sollten die Gewichtsbelastungen eher gering sein. Ergänzend können schon früh Übungen zur Rumpfstabilisierung aufgenommen werden, um wichtige Voraussetzungen für die meisten Krafttrainingsübungen zu schaffen. Vor einer Steigerung der Intensität sollte zunächst einmal auf Umfangssteigerungen gesetzt werden.
Übungen | Ausführung | Wirkung | Vorteile |
Kniebeuge |
Reißkniebeuge mit Besenstil Kniebeuge mit Langhantel Kniebeuge mit Medizinball |
komplexe Übung schult alltagsrelevante Muskulatur stabilisiert Gelenke |
Training der Beinund Rückenmuskulatur |
Bankdrücken |
auf der Matte liegend eine Schulbank nach oben drücken klassisches Bankdrücken mit Lang- oder Kurzhantel |
stärkt den Oberkörper ist relevant für Alltagsbelastungen |
umfassendes Training der Rumpf- und Oberkörpermuskulatur |
Klimmzüge |
liegend mit Beinabstützen am Barren klassisch an der Reckstange |
trainiert den Rücken beugt Haltungsschäden vor |
kein Materialaufwand |
Tab. 1: Krafttrainingsübungen für Kinder
Zum Trainieren mit und an Geräten ist anzumerken, dass alle verwendeten Geräte auf die Körpermaße einzustellen sein müssen. Gerade bei Kindern sind umfassende Einstelloptionen wünschenswert. Es existieren mittlerweile sogar spezielle Krafttrainingsgeräte für Kinder, bei denen die Gewichtsabstufungen und die Einstellungsmöglichkeiten auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sind. Grundsätzlich ist gerade bei Kindern der Einsatz von Freihantelübungen wünschenswert. Dabei können die Gewichte sehr fein dosiert und die Übungen an das individuelle Leistungsvermögen angepasst werden. Hinzu kommt, dass über freie Gewichte die Koordination trainiert wird. Machen Sie komplexe Übungen wie die Kniebeuge in verschiedenen Varianten. Kinder lieben die Herausforderung, und wenn Sie mit Übungen die Langhantelübungen vorbereiten, wecken Sie garantiert deren Interesse und den Spaß daran. Klimmzüge und Liegestütze bleiben interessant, wenn Sie mit Spielen verbunden werden. Vergessen Sie also den Spaßfaktor nicht!
Das Krafttraining ist eine sichere Sportart. Auch für den Schulsport! Warum sollen sich Kinder im Schulturnen bei Übungen wie dem Reckaufschwung die Kraft – auch bei unzähligen Fehlversuchen – antrainieren, wenn ein gezieltes Krafttraining eine wirkungsvolle Unterstützung sein kann?
Fachsprache:
Maturation – die Vollendung der Geschlechtsreife
Dennis Sandig M.A., Doktorand an der Universität des Saarlandes; Leiter der Abteilung „Forschung“ iQ athletik GmbH
Quellenangaben
1. Hollmann, W. & Hettinger, T. (2000), Sportmedizin – Arbeits- und Trainingsgrundlagen Stuttgart, New York: Schattauer.
2. Harre, D. (1986), Trainingslehre. Einführung in die Theorie und Methodik des sportlichen Trainings. Berlin: Sportverlag.
3. Fleck & Kraemer (1997), Designing Restistance Training programs. Champaign, Illinois: Human Kinetics.
4. Granacher, U., Kriemler, S., Gollhofer, A. & Zahner, L. (2009), Neuromuskuläre Auswirkungen von Krafttraining im Kindes- und Jugendalter: Hinweise für die Trainingspraxis. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Bd. 60 (2), S. 41–49.
5. American Acedemy of Pediatrics (1983), Weigth training and weight lifting: Information for the pediatrician. Physician and Sports Medicine, Bd. 11, S. 157–161.
6. Vrijens, J. (1978), Muscle strength developement in the pre- and post- pubescent age. Medicine and Sports, Bd. 11, S. 152–158.
7. Pitton, P. (1992), The effects of resistance training on strength gains in Prepubescent children. National Strength and Conditioning Journal, Bd. 14 (2), S. 55–57.
8. Hamill (1994), Relative safety of weightlifting and weight training. Journal of Strength and Conditioning Research Bd. 8 (1), S. 53–57.
9. Fröhlich, M., Pieter, A., Gießing, J., Klein, M. Strack, A., Felder, H., Sandig, D., Blischke, K., Stening, J., Emrich, E. & Schmidtbleicher, D. (2009), Kraft und Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen – aktueller Stand. In: Leistungssport Bd. 39 (2) – Beilage.
10. Guy JA, Micheli L. J. (2001), Strength training for children and adolescents. Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons, Bd. 9 (1), S. 29–36.