Athletiktraining

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In den letzten Monaten schwappte eine Welle spezieller und ganz neuer Trainingskonzeptionen von Amerika nach Europa über. Kleine „Keimzellen“, in denen ein „ehrliches“ Training im Vordergrund steht, bringen neue Trainingsformen in den Leistungs- und den Freizeitsport.

Erste Ansätze hat Jürgen Kliensmann in der Vorbereitung zur Fußball WM mit den so genannten „Fitnesstrainern“ im deutschen Fußball eingeführt. Gerade in Amerika ist diese ergänzende Position zum üblichen sportspezifischen Training sehr wichtig, denn dort ist der „Strength and Conditioning Coach“ für die umfassende konditionelle Ausbildung verantwortlich. Das Spezialwissen dieser Trainer wollen wir Ihnen in einer neuen Serie näherbringen. Gemeinsam mit dem Begründer von Deutschlands erster Sportgarage in Heidelberg, Klaus Cammann, stellt Dennis Sandig Ihnen die wichtigsten Grundübungen für eine gute Athletik vor. Profitieren Sie von diesen innovativen Trainingskonzeptionen – gepaart mit klassischen Turn- und Trainingsübungen!

Was bedeutet „Athletik“?

Im Gegensatz zu den bekannten konditionellen Eigenschaften der Kraft und der Ausdauer beschreibt die Athletik ein wesentlich komplexeres Bild der sportlichen Leistung. Neben den beiden konditionellen Grundeigenschaften gehören auch die Beweglichkeit, die Koordinationsfähigkeit, die Schnelligkeit und die so genannte Agility zu den Kernfähigkeiten der Athletik.(1) Je nach Sportart bilden unterschiedliche Anteile dieser Komponenten die sportartspezifische Athletik aus. Deshalb muss ein guter Athletiktrainer nicht nur in der Lage sein, ein großes Portfolio an verschiedenen Übungen zu vermitteln, er muss auch die Notwendigkeit und die Funktion der Übungen in Bezug auf die Sportart kennen. Innovationen, Ideen und Vorstellungen von neuen Übungen sind so die ständigen Begleiter des guten Trainers.

Das große Spektrum der zur Athletik gehörenden Teilbereiche erschwert die Zusammenstellung eines gezielten Trainings. Das liegt daran, dass die konditionellen Fähigkeiten – nämlich Kraft und Ausdauer – bereits klar strukturiert sind. Vorrangig kann man konditionelle von eher koordinativen Einflussgrößen unterscheiden. Das Zusammenspiel von Nerv und Muskel ist z. B. der Koordination zuzuordnen, während die Energiebereitstellung klar die konditionelle Seite einer Bewegung betrifft. Da die Wirkungen im funktionellen Athletiktraining komplexer sind, kann nicht immer genau gesagt werden, worin im Einzelnen die eigentliche Anpassung beim Sportler besteht. Gerade deshalb ist die Trainingsplanung ein wichtiger Bestandteil der Betreuung eines Sportlers.

Was sind die Geheimnisse der Athletik?

In der Fitnessbranche wird oft versucht, den Trainierenden die Ansicht zu „verkaufen“, dass Anpassungen und Trainingserfolge ohne Anstrengung und Zeitaufwand möglich seien. So werden die Elektrostimulation und Vibrationsplatten ebenso als effektives Training angepriesen wie hochglanzpolierte Maschinenparks. Wenn man sich allerdings die physiologischen Anpassungsmöglichkeiten von Sportlern anschaut, sind langfristig Stagnation und funktionelle Kraftverluste vorprogrammiert. Ein effektives Trainieren ist und bleibt mit Herzblut und Schweiß verbunden, und wenn Sie Ihre sportliche Leistungsfähigkeit wirkungsvoll verbessern wollen, ist eben auch ein gewisser Zeitaufwand zwingend notwendig. Dazu wollen wir Ihnen in unserem 1. Beitrag die theoretischen Grundlagen liefern und erste Übungen vorstellen. Dabei unterscheiden sich manche Übungen erst auf den 2. Blick von vielleicht bereits bekannten Inhalten. Kliensmanns Fitnesstrainern wurde nach dem 1. Auftritt in der Presse entgegengehalten, dass diese Übungen doch jeder bereits kenne. Oberflächlich betrachtet mag das sogar so sein. Wer allerdings die Übungsdetails genauer betrachtet, der entdeckt auch die Unterschiede. Ein wirkungsvolles Athletiktraining müssen Sie vor allem unter folgenden Gesichtspunkten angehen:

– Trainieren Sie schwerpunktmäßig die Rumpfstabilität mehr als die äußeren Extremitäten.

– Ziehen Sie ein Langhanteltraining und freie Übungen einem isolierten Maschinentraining vor.

– Trainieren Sie komplette Bewegungen anstelle einzelner Muskeln.

– Setzen Sie ausgeruht intensive Reize.

– Trainieren Sie Ihre Kraft mehr als die Schnelligkeit.

    Die Vorteile, die sich aus den freien und komplexen Übungen für das Steigern Ihrer Leistung ergeben, sind sehr vielfältig. Trainieren Sie einzelne Muskeln nur isoliert an Maschinen, lernt Ihre Muskulatur auch nur in bestimmten Bewegungsmustern und aus speziellen Winkeln, Kraft zu entfalten. Dabei fällt aber jegliche stabilisierende Muskulatur weg, die eine solche Bewegung normalerweise unterstützen müsste.(2) Wenn Sie z. B. die Übung „Butterfly“ für die Brustmuskulatur an einer Maschine ausführen, sind die Bewegungen sehr stark vorgegeben. Wenn Sie nun die Brustmuskulatur in Ihrer Sportart einsetzen, z. B. im Schwimmen, als Tennisspieler oder in einer Ballsportart wie Handball, sehen die Bewegungsabläufe aber wesentlich komplexer aus. Bei einem seitlichen Spiel mit dem Tennisschläger sind unterschiedliche Bewegungsabläufe denkbar, abhängig z. B. von der Höhe des Balls. Wenn Sie also umfassende Verbesserungen für Ihre Sportart anstreben, sind freie Übungen für die Brust, wie z. B. „Fliegende einarmig am Kabelzug“, besser geeignet. Bei dieser Ausführung ziehen Sie einen Viertelkreis einarmig vor der Brust, wobei Sie seitlich zum Kabelzug stehen. Nur mit Trainingsarten, die auch koordinative Anpassungen erfordern, ermöglichen Sie eine Übertragung auf Ihre Hauptsportart. Isolierte Übungen sind meistens nur für Bodybuilder von Interesse, die so gezielt Muskelpartien „aufpumpen“ wollen. Das Athletiktraining beinhaltet deshalb eher freie Übungen und solche mit speziellen Gerätschaften wie Gummiseilen, Medizinbällen und Turnringen.

    Lernen Sie die freien Übungen neu kennen

    Ziel des Athletiktrainings ist es vor allem, die Leistungen in einer Sportart ergänzend zu unterstützen. Wir möchten Ihnen deshalb Übungen vorstellen, die Ihnen für fast alle Sportarten Vorteile bringen können. Dabei zielen wir neben der Bewegungsmuskulatur in den Beinen oder den Armen vor allem auf den Rumpf ab. Das schult die Muskulatur, die Sie bei jeder sportlichen Bewegung stabilisiert und unterstützt.(3) Die Rumpfmuskulatur (Core) überträgt alle Muskelaktionen in Bewegung und umfasst den Bereich von der Mitte der Oberschenkel bis zum Rippenbogen. Erst mit einem stabilen Rumpf kann die volle Kraft von den Beinen über die Körpermitte in den Schlagarm beim Tennis übertragen werden. Auch der Fußballer muss mit dem Rumpf stabilisieren, wenn er einen zielgerichteten und kräftigen Schuss abgeben will.

    Am meisten vernachlässigt wird diese Muskelpartie jedoch bei den Ausdauersportlern. Nur selten trifft man auf Triathleten, Läufer oder Radsportler, die ihr Training um wichtige Übungen ergänzen. Zu oft sieht man Sportler, die beim Training auf dem Rad ihren Oberkörper im Rhythmus des Tritts hin und her bewegen. Da der Rumpf aber bei der Übertragung der Kraft auf das Pedal eine entscheidende Rolle spielt, geht so jedes Mal wertvolle Leistung verloren. Wenn das Pedal nach unten bewegt wird, muss nämlich die Körpermitte alle Kräfte vom Lenker in die Beine übertragen. Athleten, die denken, dass diese spezielle Muskulatur auch allein durch das Radtraining ausgebildet werden kann, liegen damit leider falsch.

     

    Dennis Sandig M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Doktorand an der Universität des Saarlandes; Mitbegründer der iQ athletik GmbH

    Klaus Cammann, Spezialist für Funktionelles Trainieren und Athletik-Trainer zahlreicher Spitzensportler und Gründer der iQ athletik Sportgarage Heidelberg

    Quellenangaben

    1. NSCA Performance Training Journal, 2009, Bd. 8 (2), S. 11.

    2. NSCA Performance Training Journal, 2009, Bd. 8 (5), S. 10–12.

    3. NSCA Performance Training Journal, 2009, Bd. 8 (5), S. 8–9.

    Fachsprache:

    Koordinative Anpassungen – um das Zusammenspiel von Nerv und Muskel, aber auch das verschiedener Muskeln zu verbessern

    Agility – bedeutet wörtlich übersetzt „Beweglichkeit“, beschreibt aber auch Schnelligkeit, Wendigkeit und Reaktionsvermögen und ist ein wichtiger Trainingsbestandteil aller Ballsportarten.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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