Die perfekte Kniebeuge: Die richtige Ausführung

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Die Kniebeuge ist eine Übung, deren exzentrischer Anteil die vollständige Beugung des Kniegelenks und eine nahezu maximale Flexion des Hüft- und des Sprunggelenks umfasst. Während des konzentrischen Anteils der Kniebeuge findet primär eine simultane Extension des Knie- und Hüftgelenks mit minimaler Beteiligung der Knöchelstreckung statt.

Kniebeugen richtig ausführen

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Die perfekte Kniebeuge
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Ein wichtiger Faktor zur optimalen Ausführung jeder Variante der Kniebeuge besteht darin, alle drei arbeitenden Gelenke – die Hüfte, das Knie und das Sprunggelenk – über ihren größtmöglichen übungsspezifischen Bewegungsbereich zu führen. Die tiefste Position ist dort, wo die Oberschenkelrückseite die Waden komplett bedeckt. Dies sorgt dafür, dass der volle Bewegungsradius im Kniegelenk erhalten bleibt, verbessert die Kniestabilität, mobilisiert das Weichgewebe und aktiviert die involvierte Muskulatur vollständig.

Während des Absenkens werden die Knie so weit über die Zehenspitzen geschoben, bis ein vollständiger Kontakt zwischen Oberschenkelrückseiten und Waden besteht. Dieser vollständige Bewegungsbereich versorgt den Knorpel mit Nährstoffen und das Gelenk mit Gelenkflüssigkeit, rekrutiert die beteiligte Muskulatur und verbessert Flexibilität und Mobilität. Nur parallel oder höher zu kniebeugen verursacht eine Veränderung in der Rekrutierung, die eine ungleiche Verteilung von Muskel- und Gelenkkräften schafft.

Wie tief bei Kniebeugen?

Die Position mit der höchsten Instabilität des Knies ist 90 Grad. Dies ist der Grund dafür, weshalb Sportärzte und Physiotherapeuten die Kniestabilität unter Anwendung des Drawer-Tests bei 90-Grad-Kniebeugung beurteilen und nicht in der tiefen Kniebeugenposition, welche tatsächlich der stabilste Teil im Bereich der Kniebeugung und -streckung ist.

Ungeachtet der allgemeinen Meinung in Fitnessstudios ist es gefährlicher und führt auf langer Sicht zu einer Destabilisierung der Knie, einer verringerten Entwicklung des Vastus medialis, einem im Verhältnis überentwickelten Vastus lateralis, einem inadäquat rekrutierten Beinbizeps und Gluteus und zu suboptimaler Gelenkführung, wenn jemand Kniebeugen konstant nur über einen Teil des Bewegungsbereichs ausführt.

Was bringen Kniebeugen?

Gelenke sind dazu gemacht, um be- und entlastet zu werden, und für die optimale lumbo-pelvische Mechanik muss das Iliosakralgelenk (ISG) in einem Bewegungsablauf vor- und zurückkippen. Ein Mangel an Mobilität im ISG steht mit Schmerzen im unteren Rücken in Verbindung. Die volle Kniebeuge gestattet es dem ISG, sich zu bewegen, hält es mobil und gesund und aktiviert zudem die tiefen Hüftstabilisatoren wie den Piriformis, die Gemelli, die Obturatoren und den Quadratus femoris. All dies ist genau das, was passiert, wenn die Oberschenkelrückseite Kontakt mit den Waden in der tiefsten Position herstellt. Dies sorgt für Langlebigkeit in den Gelenken – unabhängig davon, was immer noch für gewöhnlich in Fitnessstudios auf der ganzen Welt geglaubt und vermittelt wird.

Es gibt einigen wissenschaftlichen Rückhalt für die Überlegenheit der vollen Kniebeuge über die Teilbereich Kniebeuge. Zum Beispiel zeigte eine Studie aus Schweden, dass der beste Indikator für Knieverletzungen die Mobilität des Sprunggelenks ist. Eine weitere Studie aus der Schweiz konnte bei jugendlichen Fußballspielern nachweisen, dass diejenigen Sportler, die eine Überkopfkniebeuge, eine Variation der Kniebeuge, die primär als Test verwendet wird und bei der ein Holzstab mit einem breiten Griff vertikal über dem Kopf gehalten wird, über den vollen Bewegungsbereich ausführen konnten, die geringste Anzahl an Knieverletzungen, Leistenzerrungen und Muskelfaserrissen im Beinbizeps erlitten.

Eine sportwissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1989 kam zu dem Ergebnis, dass von allen getesteten Athleten und Nicht-Athleten Gewichtheber die beste Kniestabilität hatten. Der gemeinsame Faktor aller drei Studien lag in der Fähigkeit der Ausführung der vollen Kniebeuge.

Welche Muskeln werden bei Kniebeugen beansprucht?

Die primären Muskeln, die dynamisch an der Kniebeuge beteiligt sind:

• Hüft-Extension: Beinbizeps und Gluteus
• Knie-Extension: Quadrizeps
Der primäre Stabilisator ist der lumbale Erector spinae.

BETRACHTUNG DER ELEKTROMYOGRAFIE

Die Elektromyografie (EMG) ist eine elektrodiagnostische medizinische Technik zur Aufzeichnung und Auswertung der elektrischen Aktivität, die von den Skelettmuskeln produziert wird. Ein Elektromyograf erkennt die elektrischen Potenziale, die von Muskelzellen generiert werden, wenn diese elektrisch bzw. neurologisch aktiviert werden, und erstellt eine entsprechende Aufzeichnung, ein Elektromyogramm. Betrachtet man die EMG-Studien für die Kniebeuge, sind die Ergebnisse im Allgemeinen wie folgt:

• Bei 10° bis 70° – Maximum Beinbizeps
• Über 90° – Maximum Quadrizeps (Vastus lateralis)
• Unter 90° – Maximum Quadrizeps (Vastus medialis)
• Unter 90° – Maximum Gluteus

Ein wichtiger Faktor, den es bei der EMG-Betrachtung zu berücksichtigen gilt, ist, dass die Rekrutierung zwischen unterschiedlichen Personen basierend auf individueller Mechanik sowie Muskeln mit suboptimaler Flexibilität und Aktivierung und natürlich der verwendeten Technik variiert. Hat jemand zum Beispiel eine starke hintere Kette und schwachen Quadrizeps, wird er Mechanik, Rekrutierung und Techniken adaptieren, sodass die Muskeln der hinteren Kette mehr Arbeit verrichten als der Quadrizeps. Und umgekehrt. Das muss berücksichtigt werden, wenn man die Gültigkeit von EMG-Daten in allgemeinen und individuellen Fällen beurteilen will.

Wie mache ich Kniebeugen richtig?

DIE KNIE ÜBER DIE ZEHENSPITZEN SCHIEBEN ODER NICHT?

Die Knie über die Zehenspitzen zu schieben ist ein völlig natürlicher Bewegungsablauf. Man kann keine Treppe auf normale Weise hoch- oder runtergehen, ohne das Knie über die Zehenspitzen zu schieben. Das Kniegelenk ist dazu gemacht, um gebeugt und gestreckt zu werden.
In einer Studie zu genau diesem Thema, auf die der Personaltrainer und Autor Philip Schmieder mich vor einiger Zeit aufmerksam machte, verglichen Forscher der Universität von Memphis, Tennessee, Kniebeugen, bei denen die Zehenspitzen über die Knie geschoben wurden, mit Kniebeugen, bei denen das Vorschieben der Knie durch ein Holzbrett limitiert war.

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© riva Verlag München

Wie man sehen kann, ist es keine tiefe Kniebeuge, da diese nicht möglich ist, wenn die
Knie hinter den Zehenspitzen bleiben müssen. Doch selbst im Vergleich mit der parallelen
Kniebeuge (Oberschenkel parallel zum Boden) zeigten sich enorme Unterschiede.

Dies waren die Ergebnisse der Studie:

Variable Knie vor den Zehen Knie hinter den Zehen
Drehmoment Knie 150.1 ± 50.8 117.3 ± 34.2*
Drehmoment Hüfte 28.2 ± 65.0** 302.7 ± 71.2*, **

 

Offensichtlich war das Drehmoment der Knie während der unbegrenzten Kniebeuge (A) etwas höher als bei der limitierten Kniebeuge (B). Das Drehmoment in der Hüfte allerdings war während der limitierten Kniebeuge über 1000 % höher, verglichen mit der Kniebeuge, bei der die Knie über die Zehen geschoben wurden. Was bedeutet das?
Entweder die Belastung ist auf den Knien oder sie wird durch das exzessive Vorlehnen auf den unteren Rücken und die Wirbelsäule verlagert (was den Masseschwerpunkt nach vorne verlagert, um die Verschiebung des Gesäßes nach hinten auszugleichen).

Biomechanisch ist dies fundamental unvorteilhafter als die etwas höhere Belastung auf den Knien und eine ganz klar schlechtere Position für die Bandscheiben und den unteren Rücken. Wird die Kniebeugen richtig ausfgeführt, bzw. bei einer optimal ausgeführten Kniebeuge, wird die Belastung auf Knie und Rücken verteilt.

Wie die Studie ebenfalls gezeigt hat, bedeutet das auch: je aufrechter die Haltung während
einer Kniebeuge, desto besser für den Rücken und die Hüfte.

WARUM IST ES SCHLECHT, WENN MAN AUSSCHLIESSLICH HALBE KNIEBEUGEN AUSFÜHRT?

Weil man die Knie destabilisiert, wenn man nur halbe Kniebeugen ausführt. Man trainiert nur im oberen Teil des Bewegungsbereichs. Auf diese Art verliert man – wie schon das Sprichwort »use it or lose it« (Nutze es oder verliere es) besagt – Mobilität, Kraft und Gelenkgesundheit in dem Bereich, der nicht trainiert wird, während die Kraft in dem trainierten Bereich zunimmt. Es wird eine Dysbalance zwischen der Kraft des Vastus lateralis und des Vastus medialis geschaffen, die einen negativen Effekt auf die Gelenkführung und primär auf die sagittale Stabilität des Knies hat.

DIE HAUPTVORTEILE VON VOLLEN KNIEBEUGEN

Volle Kniebeugen:

  • dehnen das Weichgewebe im Unterkörper, indem sie einen hohen Bewegungsbereich nutzen, und verbessern so die Mobilität in allen Hauptgelenken
  • gewährleisten die Gesundheit des Knorpels von Hüfte, Knie und Sprunggelenk, indem sie mit Kompression und Dekompression über einen vollen Bewegungsbereich den Knorpel mit Nährstoffen versorgen
  • verbessern Sprunggelenksmobilität und somit Kniestabilität und -gesundheit
  • trainieren den Vastus medialis und erhöhen dadurch die Kniestabilität sowie Sprint- und Sprungleistung
  • trainieren den Gluteus und Beinbizeps über einen großen Bewegungsbereich und generieren so muskuläre Balance in der hinteren Kette
  • verbessern und erhalten Schultermobilität durch optimale Ellbogenposition.

Autor: Wofgang Unsöld

Unser Tipp aus der Redaktion:

Die perfekte Kniebeuge – Technik, Methoden und Varianten

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Die perfekte Kniebeuge
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Die Kniebeuge, auch Squat genannt, gehört zu den populärsten und effektivsten Ganzkörperübungen im Krafttraining. Weil keine andere Übung effizienter die muskuläre Balance, Beweglichkeit und Kraft trainiert, wird sie auch gern »The King of all Exercises« genannt.
Auch der Strength Coach und Trainer Wolfgang Unsöld, auf dessen Know-how Profisportler und Athleten aus der ganzen Welt schwören, setzt bei seinen Trainingsprogrammen auf diese All-in-one-Übung, die über 400 Muskeln beansprucht. Aber die wenigsten führen Kniebeugen richtig aus. Es ist sogar so, dass der größte Teil der Trainierenden falsch trainiert. Dieses Buch deckt die gängigsten Mythen und Irrtümer auf, erklärt in Wort und Bild die unterschiedlichen Techniken und geht ausführlich auf die Steigerung der Leistung ein. Von Frontkniebeugen und Kniebeugen mit flachen oder erhöhten Fersen über Klokov und Medvedev Squats bis zu Jump Squats und Rumänischem Kreuzheben werden alle wichtigen Kniebeugen-Varianten vorgestellt. Der Leser erfährt, wie und wann diese für optimale Ergebnisse zum Einsatz kommen müssen.
Das Buch beinhaltet über 10 verschiedene Trainingsprogramme wie z. B. den YPSI Kniebeugen Urlaub, ein Intensivprogramm, das aus 18 Trainingseinheiten in 6 Tagen besteht und eine durchschnittliche Steigerung von ca. 15 Kilo Zusatzgewicht in der Kniebeuge zum Ergebnis hat – einschließlich des Verlustes von ca. 1,5 Prozent an Körperfett und einem Zugewinn von ca. 3 Kilo an magerer Muskelmasse!

Das Buch können Sie hier bei uns im Shop oder über Amazon bestellen.

 

 

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