Athletiktraining: Trainieren Sie Ihre Muskulatur spezifisch!

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Nicht allein die Dicke eines Muskels bestimmt, wie stark dieser wirklich ist. Viele weitere Bausteine sind an der Kraftentfaltung eines Muskels beteiligt.

Neben der Muskeldicke spielen auch der Trainingszustand der energieliefernden Systeme und neuronale Einflussgrößen eine sehr große Rolle bei der Muskelaktion. Dennis Sandig und Klaus Cammann stellen Ihnen in einem weiteren Teil unserer Serie zum Athletiktraining Übungen vor, mit denen Sie als Radfahrer oder Triathlet Ihre Stabilität und Ihre Kraftentfaltung verbessern können.

Trainieren Sie Kraft oder Athletik?

Sicher fragen Sie sich jetzt, wo der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen liegen soll. Nun, während das Krafttraining sich allein darauf bezieht, möglichst viel Kraft entfalten zu können, ist das Athletiktraining viel umfassender, weil es dabei auch um die Stabilisierungsfähigkeit der gelenkführenden Muskulatur oder die Leistungsfähigkeit von ganzen Bewegungsketten geht. Allerdings ist das kein Entweder-oder, denn beide Formen sollten wichtige Bestandteile Ihres Trainings sein, egal, welche Sportart Sie betreiben. Inhaltlich unterscheiden sich die Übungen und Trainingsinhalte der verschiedenen Sportarten dann aber voneinander.

Um einen hohen Übertragungsgrad der antrainierten Kraft und Stabilität auf Ihre Sportart gewährleisten zu können, sollten die Übungen möglichst spezifisch aufgebaut sein. Das bedeutet, dass Ihre Übungen in der Bewegungsausführung Ihrer Wettkampfbewegung immer weitgehend entsprechen sollten. Diese Spezifität hat aber auch 2 Seiten: So glauben viele Radsportler und Triathleten, dass sie mit einem Training am Berg mit einem schweren Gang und niedriger Umdrehungszahl ihre Kraftausdauer verbessern könnten. Das ist allerdings nicht der Fall, da die dem zugrunde liegenden Anpassungen keine Verbesserungen im Sinne einer Kraftentwicklung sein können. Das zeigen Analysen, die sich mit der Struktur der Kraft auseinandersetzen, ebenso wie Studien zum Kraftausdauertraining auf dem Rad.(1,2) Die Spezifität des Trainings ist also nur so lange sinnvoll, wie dabei auch die dem zugrunde liegenden Strukturkomponenten der angestrebten motorischen Eigenschaften berücksichtigt werden.

Beim Erstellen eines Athletiktrainingsplans steht also zunächst einmal die Frage im Raum, was Sie als Athlet verbessern möchten. Wenn Sie das geklärt haben, kann Ihr Trainer festlegen, wie die jeweilige Intensität und der Umfang gewählt werden, wobei vorrangig neuronale Anpassungen nur bei Lasten über 90 % von 1 RM zu erwarten sind. In einem Zirkeltraining und bei höheren Wiederholungszahlen zwischen 8 und 15 bei ca. 70–85 % von 1 RM werden Ihre Trainingsanpassungen eher im Bereich der Muskelstruktur liegen oder aber in dem energetischer Anpassungen. Wir empfehlen, das Training bei Ausdauersportlern im Jahresverlauf periodisch so zu gestalten, wie es für Ihre sportartspezifischen Trainingsinhalte ohnehin der Fall ist. Kein Radsportler trainiert das ganze Jahr über ausschließlich Grundlagenausdauer. Warum sollte also das Kraft- oder Athletiktraining nicht auch periodisiert werden? Die Inhalte richten sich dann nach Ihrem persönlichen Saisonziel. Dabei sollten Sie im Laufe der Periodisierung für die wichtigen Muskelgruppen auf jeden Fall eine Phase des Maximalkrafttrainings durchlaufen. Beim Athletiktraining liegt der Schwerpunkt hingegen durchgängig auf solchen Übungen, die die an der Zielbewegung beteiligten Muskelschlingen stabilisieren und die der Arbeitsweise der Muskulatur unter Belastung nahekommen.

Wie Sie Ihre Kraft auf das Pedal übertragen

Mit unseren Übungen wollen wir Ihnen Anregungen geben, Ihre unteren Extremitäten so zu schulen, dass Sie im Rahmen einer Tretbewegung entsprechende Kräfte entfalten. Die Kraftentfaltung während des Trainings ist hier an die eigentliche Belastung während des Radfahrens angepasst, Ihre Muskeln trainieren also direkt die geforderte Bewegung. Dabei ist die Aktivierung der Muskulatur wesentlich komplexer als bei einer einfachen Beinstreckung und einer Beinbeugung, wie sie häufig im Fitnesscenter von Trainern empfohlen werden. Sie können aufgrund der unterschiedlichen Bewegungsmuster deshalb von einem alleinigen Training auf einer Beinstreckmaschine oder auf einer Beinbeugemaschine nicht profitieren. Das liegt daran, dass beispielsweise Ihr Beinbeuger (Musculus biceps femoris) in der hinteren Tretphase nicht als Beinbeuger, der das Bein im Knie beugt, agiert. Vielmehr streckt der Muskel Ihre Hüfte und arbeitet so bei der Tretbewegung quasi als deren Strecker. An der Hubbewegung während des Tretzyklus ist zudem noch der Hüftbeuger (Musculus iliopsoas) beteiligt, der oftmals vollständig vernachlässigt wird. Wir haben deshalb eine Übungskombination entwickelt, bei der Sie Ihre Muskulatur ebenso wie bei einem Tretzyklus belasten.

 

Seilzugübung „Tretzyklus 1“

Für die Übungsausführung benötigen Sie einen Seilzug. Meist haben gut ausgerüstete Studios an einem Seilzug immer auch eine Möglichkeit zur Befestigung des Beins. Dafür wird in der Regel eine Lederschlaufe benutzt. Stellen Sie den Seilzug nun auf die niedrigste Position ein, und positionieren Sie sich mit dem Rücken zum Seilzug. Ziehen Sie nun das Seil aus der gestreckten Position nach oben, wobei Sie den Oberschenkel bis zur Waagerechten ziehen können. Das Gewicht lässt sich dann je nach der Phase des Trainings variieren und anpassen.

Abb. 1a: Ausgangsposition

Abb. 1a: Ausgangsposition

Abb. 1b: Endposition

Abb. 1b: Endposition

 

Seilzugübung „Tretzyklus 2“

Nachdem wir einen Teil der Bewegungen einer Pedalumdrehung durch die vorhergehende Übung abgedeckt haben, folgen nun einige Ausführungen über den speziellen Einsatz der Beinmuskulatur. Es handelt sich um die Phase des Tretzyklus, bei der das Bein das Pedal nach unten drückt. Dabei werden verschiedene Anteile der Streckerkette trainiert, die aber nicht durchgängig als Strecker im Kniegelenk agieren. Vielmehr sind verschiedene Bewegungsmuster erkennbar. Stellen Sie für diese Übung die Rolle des Seilzugs so ein, dass das Seil von oben nach unten läuft. Positionieren Sie sich wieder auf einer Erhöhung mit dem Gesicht zum Gerät. Befestigen Sie dann die Schlaufe am Fuß – am besten so, dass Sie mit dem Fußballen in der Befestigung stehen. So wird gewährleistet, dass Ihre Wadenmuskulatur den Fuß beim Nach-unten-Treten stabilisieren muss, wie es auch auf dem Rad der Fall ist. In der Ausgangsposition ist Ihr Oberschenkel waagerecht zum Boden, und Sie treten nach unten, bis Ihr Fuß wieder parallel zum Standbein steht.

Abb. 2a+b: Ausgangs- und Endposition

Abb. 2a+b: Ausgangs- und Endposition

 

Seilzugübung „Zug am Lenker“

Nach dem Training der Beine in den verschiedenen Mustern des Tretzyklus werden wir nun das des Oberkörpers zu behandeln. Vor allem bei Triathleten und Radfahrern fällt es auf, dass der Oberkörper häufig die eigentliche Schwachstelle der Kraftübertragung ist, denn erst über den stabilen Körper kann die Kraft auf das Pedal übertragen werden. Dabei muss der Rumpf eine Rotationsbewegung kompensieren, da ein Bein nach unten drückt und die Arme – entgegengesetzt – Kraft am Lenker erzeugen. Das wird ganz deutlich, wenn Sie sich ein Foto von einem Sprint beim Radrennen ansehen und die Arm- und Beinhaltung des Sportlers betrachten. Diese Bewegung imitieren wir heute mithilfe des Liegestützes und einer Hantel: Stellen Sie sich in den Liegestütz, wobei jede Hand auf einer Hantel abgestützt ist. Heben Sie nun in dieser Position eine Hand mit der Hantel ab, und ziehen Sie den Arm in Richtung der Schulter, wobei dieser relativ nah am Körper bleibt. Wechseln Sie dann beide Seiten miteinander ab. Ähnliche Übungen mit denselben Effekten lassen sich auch am Seilzug entwickeln.

Abb. 3a: Ausgangsposition
Abb. 3b: Endposition

Abb. 3b: Endposition

In diesem Beitrag haben wir Ihnen bereits ein wichtiges Geheimnis unserer Arbeit vorgestellt: Wir wollen nicht nur einzelne Muskeln trainieren, wie es in vielen Anatomie- und Trainingsbüchern dargestellt wird, sondern verfolgen das Ziel einer besseren Zusammenarbeit mehrerer Muskeln. Immer wieder trifft man auf die Vorstellung, der Muskel sei isoliert in seiner Gelenkbewegung zu sehen. Das greift unserer Meinung nach aber zu kurz. So wie wir Ihnen heute Übungen für Radfahrer und Triathleten präsentiert haben, existieren auch spezielle Übungen für vielerlei andere Disziplinen. Fernab von den allgemeinen Fitnesstrends geht es uns um die Stabilisierung der gesamten Muskulatur. Bedenken Sie bei Ihrem Training immer, dass Sie freie Übungen miteinander kombinieren sollten und dass ein geführtes Maschinentraining eher als problematisch anzusehen ist. Achten Sie auf die richtige Ausführung und Ihre Körperhaltung dabei, dann werden Sie gewiss mit einer Leistungssteigerung belohnt werden.

Trainingstipps

– Trainieren Sie mit freien Gewichten und am Seilzug.

– Trainieren Sie Bewegungen, die denen in Ihrer Sportart ähneln.

– Wählen Sie Ihre Übungen ganz spezifisch aus.

– Das Kraft- und das Athletiktraining helfen in jeder Sportart, Ihre Leistung zu verbessern.

 

Dennis Sandig M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians- Universität Würzburg, Doktorand an der Universität des Saarlandes, Mitbegründer der iQ athletik GmbH

Klaus Camann, Athletiktrainer zahlreicher Spitzensportler, Gründer der Sportgarage Heidelberg

 

Quellenangaben

1. Isokinetics and Exercise Science, 2008, Bd. 16 (3), S. 189

2. Leistungssport, 2006, Bd. 36 (6), S. 16–20.

 

Fachsprache:

1 RM – 1 Repetition Maximum ist das Gewicht, das bei einer Bewegung 1-mal bewältigt werden kann

Musculus biceps femoris – Beinbeuger, auch Kniebeuger genannt: Muskel an der Oberschenkelrückseite, der das Bein im Kniegelenk beugt

Musculus iliopsoas – Hüftbeugemuskel, zieht vom Becken an den Oberschenkel

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