Gerade vor dem Hintergrund der vielfältigen Rennbelastungen und unterschiedlicher Rahmenbedingungen von Freizeitsportlern im Radsport muss eine neue, qualitative Radsport-Trainingslehre berücksichtigt werden.
Der vielen Dopingskandale zum Trotz erfreut sich der Radsport zunehmender Beliebtheit. So verzeichnen die Veranstalter bei den großen Jedermannrennen in Deutschland auch 2013 ansteigende Startfelder. Veranstaltungen wie der Ötztaler Radmarathon sind 2013 in wenigen Stunden ausgebucht gewesen. Die Belastungsstruktur und die zur Verfügung stehende Trainingszeit variieren jedoch erheblich.
Die Trainingslehre unterliegt einem ständigen Wandel. Aus diesem Grund müssen Trainingsempfehlungen und Strategien beständig hinterfragt und erneuert werden. Aber nicht nur das Wissen zu Training, den physiologischen Anpassungen und den Möglichkeiten zur Trainingsoptimierung wächst. Auch Herausforderungen neuer Zielgruppen und Strukturen einer Sportart hinterfragen etablierte Trainingsinhalte.
Die neue Struktur im Radsport
Erst seit dem Radsportboom der 90er Jahre rund um die Erfolge von Jan Ulrich entwickelten sich in Deutschland Jedermannrennen. Vor dieser Zeit mussten Radsportler, die an einem Rennen teilnehmen eine Lizenz beim Dachverband, dem Bund Deutscher Radfahrer lösen. Die Voraussetzung dafür ist die Mitgliedschaft in einem Radsportverein. Bei Jedermannrennen können aber auch Sportler ohne Vereinszugehörigkeit und ohne Rennlizenz fahren. In Hamburg starten bei Deutschlands größtem Jedermannrennen jährlich 20.000 Starter in unterschiedlichen Rennklassen. Die Vereinsmitgliedschaft bietet dabei Vorteile, wie die Absicherung über eine Unfallversicherung. Dennoch sind die wenigsten Starter bei Jedermannrennen auch Vereinsmitglieder. Radsporttraining wird nur in wenigen Vereinen organisiert durchgeführt. Entsprechend gering ist auch die Quote derer, die mit einem Vereinstrainer trainieren. Oftmals besteht das Radsporttraining allein aus „Fahrradfahren“. Zunehmend legen aber auch Freizeitsportler ihre Trainingsplanung in die Hände professioneller Trainingsinsitute.
Radsport ohne Trainingsstruktur?
Allgemein gültige Trainingsempfehlungen gibt es im Radsport nur wenige. Der interessierte Sportler kann sein Wissen beispielsweise aus Radsportbüchern beziehen, wobei es in Deutschland kaum Literatur zum Thema gibt. Empfehlungen des Bundes Deutscher Radfahrer beziehen sich ausschließlich auf die Kadersportler der Nachwuchsklasse. Für berufstätige Radsportler und Späteinsteiger gibt es keine speziellen Informationen und Trainingsempfehlungen.
Methodenkritik
Lange Zeit wurde im Radsport das lockere Grundlagentraining bevorzugt. Studien konnten aber zeigen, dass das alleinige Sammeln von Umfängen nicht erfolgversprechend ist1. Trotzdem ist das Sammeln von Grundlagenkilometern eine wichtige Voraussetzung für das Optimieren der Leistungsfähigkeit auf dem Rad. In den letzten Jahren erfuhr das Intervalltraining große Aufmerksamkeit. In Studien konnten interessante Effekte von hochintensiven Intervallen aufgezeigt werden.(2) Dem hochintensiven Training wird zugeschrieben sowohl den aeroben, als auch den anaeroben Stoffwechsel zu verbessern.(2) Die nach dem Autoren der Studie „Tabata“ benannten TABATA Intervalle wurden schnell zur Allzweckwaffe erhoben. Die Annahme, dass Grundlagenausdauertraining durch Intervalltraining ersetzt werden kann, wie dies in Radsportmagazinen immer wieder dargestellt wird, ist jedoch grundlegend falsch. Die Erkenntnisse von Tabata beschränken sich darauf, dass physiologische Anpassungen durch hochintensives Intervalltraining sowohl den aeroben, als auch den anaeroben Stoffwechsel beeinflussen können. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass Intervalle die „bessere“ Trainingsmethode sind, ist physiologisch falsch. Anpassungen, die aus dem langsamen Sammeln von Radkilometern bestehen, haben ganz spezifische Anpassungen, die langfristig zu sehen sind. Dazu gehören beispielsweise die verbesserte Durchblutung und andere morphologische Veränderungen.
Trainingsmethoden und Trainingsbereiche
Die Anpassungen an Trainingsreize sind sehr komplex und vielfältig. Ebenso verhält es sich mit den vielfältigen Trainingsmethoden. Oftmals werden Trainingsbereiche mit bestimmten Traininsgmethoden in Verbindung gebracht. Dieser Denkfehler führt dazu, dass Trainingsinhalte nicht auf die physiologischen Bedürfnisse eines Sportlers abgestimmt werden. Beispielsweise kann eine Verbesserung der aeroben Grundlagenausdauer durch das Trainieren in einem niedrigen Intensitätsbereich durchgeführt werden. Grundlegend sind Anpassungen der Grundlagenausdauer aber auch durch intervallartige Trainingsmethoden in höheren Intensitätsbereichen möglich. Trainingsbereiche und Trainingsmethoden müssen also getrennt betrachtet werden. Diese Erkenntnis ist eine wichtige Basis für ein modernes Trainingsverständnis.
Trainingsbereiche | Intensität | Abkürzung |
---|---|---|
Kompensationsbereich | Regenerativ / rein aerob | KB |
Grundlagenausdauer 1 | Rein aerob, geringer Laktatanstieg | GA 1 |
Grundlagenausdauer 2 | Aerob / anaerober Mischstoffwechsel unterhalb der anaeroben Schwelle | GA 2 |
Entwicklungsbereich | Knapp unterhalb bis knapp überhalb der individuellen anaeroben Schwelle | EB |
Spitzenbereich | Oberhalb der individuellen anaeroben Schwelle | SB |
Tab. 1: Die Trainingsbereiche im Radsport
Prinzipien und Regeln
Ihr Radtraining muss auf Ihre Ziele abgestimmt werden. Nur wer sein persönliches Ziel festgelegt hat, kann auch sein Training optimal zusammenstellen. Letztendlich muss ein Trainingsprogramm in der Lage sein, die Fähigkeiten zu verbessern, die für das Erreichen eines Zieles notwendig sind. Ob es dabei um das Absolvieren eines Jedermannrennens, den Sieg in einem Kriterium oder einfach das gesunde Radfahren geht, ist dabei immer aus der Sicht des Sportlers zu bewerten. Bei der Trainingsplanerstellung muss das Ziel des Sportlers neben der Ausgangslage des Athleten den Kern der Planung bilden. Je nach Autor finden sich in der Literatur zur Trainingslehre bis zu 52 Trainingsprinzipien, die den Rahmen der Trainingsplanung bilden sollten. Moderne Trainingstheorien, wie die „Qualitative Trainingslehre“ reduzieren diese unübersichtliche Masse auf lediglich 6 praxisrelevante Trainingsprinzipien.(3)
Prinzip der Regelmäßigkeit
Wichtig ist, dass diese Trainingsregel auf die verschiedenen Trainingsinhalte ebenso angewendet werden muss, wie auf das Training allgemein. Alle Trainingsinhalte sollten regelmäßig in Ihr Training eingeplant werden. Wenn Sie ein Intervalltraining nur alle 2-3 Wochen durchführen, werden Sie keine spürbaren Trainingseffekte haben.
Prinzip der Belastungssteigerung
Wenn Sie Intervalle und Dauermethode in den verschiedenen Trainingszonen optimal aufeinander abgestimmt in Ihr Training einbauen, müssen im Jahres- und Mehrjahresverlauf Belastungssteigerungen stattfinden. Die Belastung können Sie dabei über die Intensität oder den Trainingsumfang steigern!
Prinzip der Variation im Training
Nur wenn Sie Ihr Training abwechslungsreich gestalten, sind langfristige Trainingsanpassungen möglich. Monotonie und gleichförmige Trainingsinhalte sind langweilig, fordern Sie nicht und stellen über die Zeit keinen trainingswirksamen Reiz mehr dar.
Prinzip der Bewegungslust
Training muss Spaß machen! Aus diesem Grund ist das Trainerhandeln immer auch ein Kommunikationsprozess. Wenn Sie keinen Spaß am Training haben, werden Sie die Inhalte nicht optimal umsetzen können. Ihr Trainer muss aus dem riesigen Portfolio von Trainingsmethoden lernen, für Sie interessante Trainingsinhalte zusammen zu stellen.
Prinzip der Blockbildung
Trainingsanpassungen funktionieren immer nur dann, wenn Ihr Training einen Reiz darstellt, auf den Ihr Körper mit
Veränderungen reagiert. Dazu haben sich Trainingsblöcke als erfolgreiches Modell im Ausdauertraining allgemein und im Radsport im Speziellen erwiesen. Trainieren Sie an 2 -4 Tagen hintereinander und legen Sie dann einen Entlastungstag ein.
Prinzip der Dokumentation
Sie sollten ein Trainingstagebuch führen, in dem Sie neben Ihren Trainingsdaten zu Intensität, Umfang und Geschwindigkeit auch subjektive Trainingsinformationen eintragen (z. B. Wie haben Sie sich gefühlt?).
Den Leistungszustand erkennen
Intervalltraining, extensive Belastungen und die Grundlagenkilometer müssen letztendlich in der Zusammenstellung immer auf das Ziel abgestimmt sein. Neben dem Ziel müssen Sportler und Trainer aber auch den aktuellen Leistungszustand des Sportlers kennen. Regelmäßige, leistungsdiagnostische Analysen können helfen, das Training langfristig zu kontrollieren und die Trainingsinhalte anzupassen. Im Freizeitsport reichen dazu 1-2 Leistungstests pro Jahr aus. Ob Sie dabei eine Spiroergometrie oder einen Laktatstufentest absolvieren, hängt von Ihren Fragestellungen ab. Beide Testverfahren eigenen sich aber nur dann, wenn Sie bei einem renommierten Diagnostikinsitut absolviert werden. Alternativ können auch einfache Tests mit einem Leistungsmesser auf einer definierten Strecke Informationen geben.
Fazit
Trainer benötigen Informationen zu den Zielen und zum aktuellen Leistungszustand des Sportlers, um das Training inhaltlich optimal abstimmen zu können. Aus einer Fülle von Trainingsmethoden und Trainingsintensitäten lassen sich qualitativ hochwertige Trainingsinhalte zusammenstellen. Die Zeit, in denen die Qualität des Trainings allein an der Intensität bemessen wurde und Tonnenideologien den Trainingsinhalten zu Grunde lagen, ist vorbei. Die neue „qualitative Trainingslehre“ ist die Zukunft des Radsporttrainings!(3) (Lesen Sie auch: Trainieren mit einem Leistungsmesser?)
Literaturangaben:
1. Leistungssport, 2005, Bd. 35, (6), S. 8–12.
2. Sports Medicine, 2002, Bd. 32, (1), S. 53–73.
3. Sandig, Dennis & Lange, Harald, 2011 Training qualitativ betrachtet – zur Komplexität des sportlichen Handelns. In: Lange, Harald (Hrsg.) Tagungsband zur Dgfe Tagung in Würzburg 2011.