Sie wollen trainieren wie ein Profi, aber müssen auch Vollzeit arbeiten? Und auch Familie und Freund beanspruchen Zeit.. Wie Sie alles unter einen Hut bringen können, berichtet Kletterprofi Jürgen Reis.
Um bei einem Boulderwettkampf gut abzuschneiden, erreicht man mit einem Trainingsaufwand von 2 Stunden täglich schon sehr viel. Um beim Routenklettern vorn mitzumischen, darf man etwa 6 Stunden rechnen. (Timo Preußler (Weltcupsieger Sportklettern, Lead) im Interview)
Fakt ist
Als Kletterprofi trainiere ich 52 Wochen im Jahr bis zu 40 Wochenstunden. Um in der komplexen Kraftsportart Klettern leistungsmäßig höher hinauszukommen, ist der nötige Trainingsaufwand durchaus dem Gerätturnen und ähnlichen Sportarten vergleichbar. „Selbstverständlich“, denken Sie, „wäre ich Kletterprofi, täte ich auch nichts anderes, als den ganzen Tag trainieren.“
Schön, wenn‘s so wäre. Doch da im Klettersport nun mal wenig Geld, schon gar kein großes, zu verdienen ist, und auch ich von was leben muss, bin ich „nebenbei“ Unternehmer, Coach und Autor – mit respektablem Arbeitspensum. Einmal mehr dient mir Andreas Bindhammer als Riesenvorbild, nicht nur beim Klettern, sondern bei der gesamten Lebensplanung.
Satzpausen gehören genutzt. Selbst für Weltcupsieger. Unrealistisch, zu denken: „Ich habe ausgesorgt“. Nicht in meinem Sport! Ich arbeite sicherlich aus der Sicht eines normalen (Nicht-Sportler-)-Unternehmers ein wenig „anders“. Doch Smartphone, Laptop, WLAN & Co. ermöglichten mir, selbst in einem Trainingslagerurlaub in Südfrankreich 2011 8 Nettoarbeitsstunden, wohlgemerkt an einem Trainingstag. Ob ich dies für ideal halte? Evtl. wäre ich eine Spur stärker, könnte ich stattdessen in den Pausenzeiten einfach „nichts tun“. Letztlich ist es aber eine Frage nach den eigenen Ansprüchen und Werten im gesamtes Leben, die auch durch den Sport kommen, die jeder für sich selbst beantwortet. (Andreas Bindhammer, Weltcupsieger und Unternehmer (Geschäftsführer eXXpozed.com))
Wie bekommt man Training und Arbeit unter einen Hut?
Bevor ich Ihnen das verrate, müssen Sie sich erst eine Frage stellen: „Was ist mir wichtig? Was will ich erreichen? Was ist mein persönlicher Leitstern, der mir Richtung gibt?“
„Ich habe keine Zeit“ gibt es nicht!
„Ich habe keine Zeit“, ist eine der untauglichsten Ausreden, die es gibt. Wenn Sie nicht in ausreichendem Maße trainieren, um sich zu verbessern, hatten Sie nicht zu wenig Zeit – etwas anderes war Ihnen wichtiger!
Ich kenne viele Athleten, die Familie und Beruf haben, aber dennoch auf unzählige Wochentrainingsstunden, also 10 bis 15 aufwärts, in der Sportart ihrer Wahl kommen. Wie das gehen soll? Es geht – ALLES GEHT – wenn es Ihnen wichtig ist!
T.S.W.E – Train Sleep Work Eat
Dies ist meine Erfolgsformel, und das, was ich täglich authentisch praktiziere. „Ora et labora“ (bete und arbeite!), so heißt es bei den Benediktinermönchen. Ein schönes Motto, von dem man sich was abschneiden kann, aber Kletterasket oder Reserve-Heiliger bin ich noch keiner.
Der Schlüssel liegt in perfekter Trainingsplanung. Termine mit anderen müssen z.B. verlässlich klappen, Mahlzeiten bzw. Kämpfer-Snacks vorbereitet werden, und alles andere, was an Tagesnotwendigkeiten erledigt werden muss, ist flach zu halten nach dem KISS-Prinzip (Keep it simple stupid). Ein Beispiel gefällig? Einkäufe erledige ich auf Zwischenwegen, und zwar dann, wenn möglichst wenige Leute die Kassen blockieren. Und erwähnte ich soeben das Thema der Sporternährung. Die Kämpfer-Diät (Kolumnen #33 bis #36) spart hier bereits unter Tags meist mehrere Stunden (!). Davon konnten sich auch zahlreiche meiner Coachies bereits (leistungssteigernd) überzeugen. Sicher, ich kann mir meine Zeit weitgehend frei einteilen, das erlaubt mir mein selbständiges Unternehmertum.
Haben Sie schon daran gedacht, sich selbständig zu machen? Ich verspreche Ihnen damit nicht weniger Arbeit (im Gegenteil!), aber mehr Autonomie! Des Weiteren habe ich ein kleines, aber feines Team um mich geschart, die meisten davon sind enge Freunde. Arbeitsteilung und Delegieren sind anerkannte Strategien zur Steigerung der Ökonomie.
In meiner Hauptbeschäftigung, also meinem Athletendasein, folge ich einem Rahmen, meinem Master-Peak-Plan (Siehe auch Kolumnen #37 bis #41), der zwar klare Ansagen macht, aber ebenso Raum für Flexibilität bereitstellt. Im Training schiele ich nicht auf die Uhr, da zählt für mich nur eines – Qualität! Interessanterweise sind Athleten, die es ebenso halten, die zeiteffizientesten.
Tipps für optimale Nutzung der Zeitressourcen
Hier mein bewährtes Inventar an Ratschlägen, wie man Satzpausen sinnvoll nutzen und Zeit sparen kann:
1. Bewegen Sie sich in Satzpausen laktazider Intervalltrainings gezielt, um Milchsäure aus den Muskeln zu befördern. Aktivität verkürzt Regenerationszeit!
2. Helfen Sie Ihrem Trainingspartner während Ihrer Satzpausen mit vollem Einsatz. Gesteigerte Qualität = mehr Effizienz … (Siehe auch Kolumnen #43 bis #47 bzw. die #39 zuvor)
3. Absolvieren Sie niedrigschwelliges, propriozeptives und Ausgleichstraining (z. B. Wackelbrett, Slacklining etc.), dann haben Sie Ihr Präventionsprogramm auch gleich abgehakt. Nähere Infos dazu finden Sie auch in den Kolumnen 16 und 17.
4. „Überbewegen“ Sie sich bzw. „Stretching“ lautet das Zauberwort. Ich absolviere mein Beweglichkeitstraining (bis zum Spagat) oft „zwischendurch“. Die vor kurzem hier auf www.trainingsworld.com veröffentlichten Kolumnen #48 und #49 werden auch Ihnen „NO EXCUSES“ für Muskelverkürzungen & Co. liefern.
5. (Sport-)Meditieren Sie. Mentales Training wird in Kürze in einer meiner Artikel hier behandelt.
6. Lernen, Notizen machen, arbeiten, korrigieren … nicht ideal natürlich, aber manchmal nötig und bei gutem Willen absolut möglich.
„Jürgen, wann schreibst du eigentlich deine Bücher und bereitest deine Projekte vor – so viel wie du trainierst!?“ Diese Frage durfte ich mir in den vergangenen Jahren, wie Sie sich leicht denken können, mehrfach anhören. Die Antwort ist simpel: Tolle Ideen notiere ich oft direkt in den Satzpausen. Das Korrekturlesen der Texte und Manuskripte folgt meist direkt in den Stretchingeinheiten am Ruhetag. Und mit ein wenig Glück … wie bei einer, in meinem zweiten Buch Peak Power beschriebenen, fortgeschrittenen Spagat-Stretchingtechnik (Bild oben), entsteht selbst dabei gleich noch ein Unterkapitel quasi als „Nebenprodukt“!
Multitasking
„Multitasking“ (ich weiß, geht nicht wirklich), also kreative Verschränkung verschiedener Aktivitäten hilft Ihnen, Ihr Training auf ein anderes Level zu heben und trotzdem beruflich oder als Schüler/Student produktiv zu sein. Mein Tipp: Wenn andere grübeln und herumstehen… TUN Sie es einfach – am besten sofort!
Ihr Jürgen Reis mit Nikolai Janatsch