Körperspannung pur! (Teil III) – Der „Kreuzhang“ 

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Körperbeherrschung pur ist die „Königskobra“ unter Kunstturn- und Spannungs-Übungen: Der Kreuzhang!

In Teil I dieser Kolumnenserie hier in der trainingsworld-Kategorie Klettern habe ich Generelles zum Thema Körperspannung und eine erste Übung vorgestellt, die Hangwaage.

Im zweiten Teil beschrieb ich einige Favoriten meinerseits, die ich normalerweise jede Woche mehrmals durchführe. Übungen, die wie die Hangwaage größtenteils aus dem Turnsport stammen: Die Rückwärtshangwaage, der Spannungssitz, der Bauchaufzug, die Drachenfahne, die Bauchrolle bzw. der „Superman“ und als krönender Abschluss die Windfahne.

Das ist schon ein recht schönes Arsenal an Körperspannungsübungen. Wer jede Position dieser statischen Übungselemente zumindest 3-5 Sekunden halten kann und als Zugabe noch einige „Bauchaufzüge“ abliefert, darf sich nun mit einer noch größeren Herausforderung befassen: Dem Kreuzhang an den Ringen oder, wie auf den Fotos in diesem Artikel ersichtlich, an TRX-Bändern.

 

Die „Königskobra“ unter den Lat- und Spannungsübungen

Der Kreuzhang ist jene Übung, die fast jeder Laie, wenn die Rede aufs Gerätturnen kommt, spontan vor Augen hat. Dabei ist diese wohl populärste Kraftübung nicht einmal die schwierigste. Für uns Kletterer reicht sie allemal als fast schon ultimative Challenge außerhalb des Klettersports.

Bei uns in Österreich ist der Kreuzhang im Turner-Dialekt auch als „Christus“ bekannt. Ja, man könnte angesichts des Schweregrads fast katholisch werden, aber keine Angst: die Übung ist auch für Atheisten geeignet.

 

Vom Sinn und Unsinn solcher Übungen für Kletterer

Sollte bzw. muss man eine solche (extreme) Übung wie diese beherrschen, um besser zu klettern? Schwer zu beantworten, in Wahrheit helfen nur ein ehrliches Self-Assessment und die Berücksichtigung des Einzelfalls aus der Verlegenheit. Wo liegen die persönlichen Stärken, Schwächen und Vorlieben?

Einarmige Klimmzüge, Tauklettern, Hangwaagen, Kreuzhang und dergleichen „Zirkus-Kunststücke“ müssen auf ihre „Gesamtverträglichkeit“ geprüft werden, ebenso wie das Extrem-Klimmzug-Workout des russischen Boulder-Weltmeisters Dmitry Sharafutdinov. Dem einen verhelfen solche Trainingsinhalte zu immensen Leistungssteigerungen beim Hauptsport Klettern, den anderen reiten sie direkt in Übertraining oder Leistungsabfall. Es gibt eine ganze Menge Spitzenkletterer, die tatsächlich nur klettern und von Zusatzübungen so gut wie Nichts halten. Wer will mit denen streiten, solange sie erfolgreich sind?

Ich habe es schon mehrfach betont: Wer besser klettern will, muss zuvorderst klettern! Andererseits erreichen, laut dem amerikanischen Kletter-Experten Eric J. Hörst, die meisten Kletterer zuerst ihr technisches Optimum und haben dann noch ungenutzte Reserven in ihrer (Maximal-)Kraftentwicklung. Sicher bedenkenswert! Im Vordergrund steht dann aber spezifisches Krafttraining, der Kreuzhang gehört nicht dazu. Dennoch interviewte ich mittlerweile Spitzenkletterer (vor allem Boulderer) für ein weiteres Buchprojekt und auch mein Podcastportal Power-Quest.cc, welche mir entweder von Einzelzügen in ihren Boulderprojekten vorschwärmten, die sehr an die Endstellung dieser imposante Übung erinnern, oder die den Kreuzhang tatsächlich trainieren und beherrschen.

 

Von „den anderen“ über mich zu Ihrem Erfolg

So motiviert begebe ich mich – leider aufgrund des Klettertrainings wohl ein bisschen zu wenig ambitioniert – immer wieder auf den, oben bereits angedeuteten, absolut religionsneutralen „Pilgerpfad zum Christus“.

Jürgen Reis beim Kreuzhang

Zugegeben: Zwar zeigt mich das Bild nicht bei einem persönlichen Rekordversuch, sondern am Ende eines recht fordernden Klettertrainingstages… doch Sie sehen: Um den perfekten Kreuzhang zu beherrschen, bedarf es auch bei mir noch eine gehörige Portion mehr an Körperkraft. Schließlich bin ich Sportkletterer und kein Weltcupturner :). Doch brachten mir speziell in den letzten drei Jahren die Workouts, die ich als „Gast“ beim Vorarlberger Kunstturnkader absolvieren durfte, und die Fortschritte bei dieser Übung sehr wohl einige Pluspunkte auch für meinen Sport in punkto Rohkraft und Körperspannung. Doch Hand aufs Herz: Auch Ihnen schwebt vermutlich nicht sofort die olympische Bestnote in diesem auch im Turnsport als Königsübung gehandelten Wettkampfelement als Nahziel vor. Deshalb biete ich Ihnen diese Übung trotz des oben Gesagten als – na ja, reichlich intensive – „Nebenbeschäftigung“ an (1- bis 2-mal/Woche).

 

Kreuzhang – Schritt für Schritt

Nachdem bereits eine gute Kraftbasis erarbeitet worden ist, kann man sich an den Kreuzhang wagen. Die Hangwaage(n), eine erkleckliche Anzahl von Dips, die Zugstemme an den Ringen, die Fähigkeit, im Stütz am Barren (evtl. sogar an den Ringen) zu schwingen, Handstände (an der Wand), werden mehr oder minder vorausgesetzt.

Unter erleichterten Bedingungen erlernt man erst die richtige Technik und das Körpergefühl:

– Ganzkörperspannung aufbauen!

– So hart wie möglich die Ringe drücken („das Wasser aus dem Holz pressen“)

– So weit wie möglich mit den Händen „in die Ringe hineingreifen“. Ein Teil des Unterarmknochens (Elle) soll sogar auf den Ringen ruhen. Auf dem Foto in diesem Bericht sehen Sie übrigens die „Heimalternative“ am TRX-Band. Eine ideale Möglichkeit für alle, die evtl. keinen freien Eintritt in eine Kunstturnhalle zum Luxus ihres Trainingsalltags zählen dürfen. Zugegeben: An „echten“ Ringen ist die Übung, je nach Befestigungshöhe, noch anspruchsvoller… doch Sie sehen es an meinem eigenen, leicht verzerrtem Gesicht – evtl. genügt auch Ihnen diese Stufe fürs Erste.

– Ellbogen möglichst gestreckt halten. Der mehrfache bulgarische Ringe-Weltmeister Jordan Jovtchev rät, die Ellbogenbeuge nach unten, Richtung Boden, zeigen zu lassen, der ganze Arm wird in der Schulter nach vorne-unten gedreht! V.a. Turner sollten sich keine Unarten wie gebeugte Ellbogen einlernen, die bekommt man nämlich nur schwer wieder weg. Für Kletterer gilt mehr Nachsicht!

 

Besonders letztere Punkte sollten, sowie die Grundkraft vorhanden ist, besonders bewusst geübt werden, da sie sich im Grunde gegen den natürlichen Instinkt richten. Auf lange Sicht ist damit nach einer gewissen Eingewöhnungsphase die Gelenksicherheit wesentlich erhöht.

Anfänger sollten mit Gummibändern beginnen, auf die sie sich zwischen den Ringen mit den Füßen stellen. Die Entlastung, alternativ auch durch einen Trainingspartner an den Knien gesteuert, darf so weit gehen, dass man sich aus der untersten Position wieder hochdrücken kann, das ist im Idealfall der rechte Winkel zwischen Armen und Rumpf. Wenn sich das besonders krass anfühlt, darf’s auch höher sein! Ca. 3-5 Sek halten, dann wieder hochdrücken! Qualität vor Quantität: Sobald es unsauber wird, stoppen (zwischen 5-10 Versuche anstreben)!

Mein Trainingspartner Lukas Fäßler beim beinentlasteten Einstieg in die Übung

Im Turnsport gibt es Zusatzgeräte wie Rollpolster auf Schrägbrettern oder sog. „Kreuzhangtrainer“, eine Unterarmschiene, die den Lastarm auf verschieden einstellbare Längen verkürzt. Wer Zugang dazu hat nutze solche Hilfen, unbedingt nötig sind sie nicht, wie Sie auch an meinem Beispiel im Bild sehen. Den Lastarm verkürzen kann man auch, indem man den Unterarm in die Ringaufhängung legt.

Der einfachste Weg zum Erfolg: Nach und nach weniger entlasten und irgendwann mit dem Körpergewicht arbeiten! Ab einem gewissen Punkt ist Hochdrücken nicht mehr nötig oder möglich. Da konzentriert man sich lieber auf die perfekte Endstellung, und, wer weiß, vielleicht machen Sie bald sogar den einen oder anderen Turner neidisch mit Ihrem blitzsauberen Kreuzhang (zur Information: 2 Sekunden Haltezeit reichen im Turnsport zur Anerkennung des Elements)!

Das Fazit wäre selbstverständlich: Beweisvideo bei YouTube einstellen und den Champagnerkorken zum Kämpfer-Dinner knallen lassen 🙂 – Herzliche Gratulation!

 

Ihr Jürgen Reis (mit Nikolai Janatsch)

 

Fotos: Archiv Jürgen Reis – abgebildeter Athlet auf allen Fotos (Ausnahme: Bild „Lukas Fäßler“) ist Autor und Profisportkletterer Jürgen Reis

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