Übertraining ist ein verbreitetes Phänomen. Trotz verschiedener und langjähriger Forschungsansätze sind die Symptome nicht immer eindeutig zu erkennen. Trainer müssen das Problem mit viel Fingerspitzengefühl angehen.
Im Vorfeld gilt es zwei Begrifflichkeiten voneinander zu unterscheiden. Overreaching und Overtraining hängen zwar in der Praxis häufig eng zusammen, sind aber der Literatur voneinander zu differenzieren. Unter Overreaching versteht man die systematische Kumulation von Trainingsreizen mit der daraus resultierenden überproportionalen Superkompensation, wie es beispielsweise bei einem klassischen (Wochen-)Stoßtraining der Fall ist. Dort setzt man mehrere Trainingsreize bewusst nacheinander, ohne dem Sportler eine entsprechende vollständige Regenerationsphase zuzugestehen.
Overtraining hingegen bezeichnet einen Zustand, bei dem die Superkompensation ausbleibt und der Sportler sein ursprüngliches Leistungsniveau nicht beziehungsweise nur ganz langsam wieder erreicht.
Trainingsmonotonie kann ein Auslöser sein
Wichtig ist hierbei das Bewusstsein, dass die Auswirkungen und Ursachen verschiedene Gründe haben können und entsprechend beurteilt und angegangen werden sollten. Neben andauerndem Leistungsrückgang zeigen vor allem Antriebslosigkeit im Alltag und geringe Motivation, dass es sich nicht um ein isoliertes Problem handelt, sondern die Problematik auf einer systemischen Erschöpfung des Sportlers beruht. Dabei reicht es häufig nicht aus, Trainingsumfang und -intensität zu reduzieren. Entsprechend den beiden Beschreibungen erkennt man die Gratwanderung und das benötigte Fingerspitzengefühl eines Trainers, Trainingsreize sowohl aus physiologischer als auch aus psychologischer Sicht adäquat zu setzen.
Bezüglich der Entstehung gibt es verschiedene und auch sicherlich parallel stattfindende Prozesse. Ähnlich wie bei den Symptomen können auch die initialen Auslöser unterschiedliche sein. Neben einer psychischen Überlastung, zu vergleichen mit einem Burnoutsyndrom eines Managers, nennt die Literatur aus physiologisch-neuronaler Sicht unterschiedliche Aspekte. Eine entscheidende Rolle scheint dabei die Trainingsmonotonie zu spielen. Studien zeigen, dass bei gleichem Trainingsumfang und bei gleicher Trainingsintensität Übertrainingszustände vermehrt auftreten, wenn sich die einzelnen Trainingseinheiten gleichen. Hier zeigt sich, nicht nur aus Gründen eines optimalen Leistungsfortschritts, die Notwendigkeit einer sinnvollen Trainingsvariation.
Auf Anzeichen von Erschöpfung achten
Neben der Trainingsmonotonie hängen Übertrainingszustände häufig mit einer Glykogenverarmung des Körpers zusammen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass vor allem in Verbindung mit einem gezielten Carbo-loading, wie es im Rahmen von Taperingprozessen in den Ausdauersportarten häufig praktiziert wird, der Trainer ganz bewusst auf Anzeichen einer systemischen Erschöpfung achten muss. Aus biochemischer Sicht sind so auch der Abbau von Muskelmasse und eine durch vermehrte Ausschüttung von Serotonin hervorgerufene Antriebslosigkeit zu erklären.
Die Symptome des Übertrainings lassen sich auf drei Bereiche definieren:
Physiologische Aspekte
✚ verringerte Leistungsfähigkeit
✚ verlängerte Erholung
✚ anormaler Blutdruck
✚ Magen-Darm-Beschwerden
✚ Appetitverlust
✚ reduzierter Mineralgehalt der Knochen
✚ Abnahme von Serumeisen
✚ Müdigkeit
Immunologische Befunde
✚ erhöhte Infektanfälligkeit
✚ verringerte Lymphozytenzahl
✚ Infektionsneigung
Psychologische Veränderungen
✚ depressive Verstimmungen
✚ generelle Apathie
✚ Gereiztheit
✚ Herzklopfen
✚ Konzentrationsmangel
✚ Empfindlichkeit gegenüber externen Reizen wie Lärm oder Licht
Trainingsumfänge und Intensität reduzieren
Durch den reduzierten Mineralgehalt können auch strukturelle Schädigungen auftreten. Auch die Verschiebung des Testosteron-Kortisol-Quotienten deutet auf tendenziell katabole Prozesse des Körpers hin, wobei man bei der Entwicklung eines Übertrainingszustands aus chronologischer Sicht zwischen einem vorerst sympatikotonen und dem darauf folgenden parasympatikotonen Erscheinungsbild unbedingt unterscheiden sollte. Dies ist auch der Grund dafür, dass sich die Erscheinungsformen nicht zwingend, wie oben dargestellt, zeigen müssen, sondern je nach erreichter Phase zu bewerten sind.
Wird ein Übertrainingszustand oder eine entsprechende Tendenz erkannt, sollten aus sportwissenschaftlicher Sicht unbedingt der Trainingsumfang und die Intensität reduziert werden. Zusätzlich sollte der Sportler insbesondere mit Blick auf die psychologischen Komponenten entsprechende Ausgleichsmöglichkeiten zum Training bekommen. Häufig begünstigen Veränderungen im privaten Umfeld oder dem Arbeitsplatz Übertrainingszustände. Die Aufgabe des Trainers ist somit vielfältig, wenn es darum geht, den Sportler wieder langfristig und nachhaltig an das Training und seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit heranzuführen.
Lutz Herdener
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