Der weitverbreitete Spruch »No pain, no gain« (wörtlich: Ohne Schmerz kein Gewinn) wird von jungen Sportlern oft falsch interpretiert. Sie denken, dass damit gemeint sei, man könne sich durch jede unangenehme Empfindung, von einer leichten Unannehmlichkeit bis hin zum heftigen Schmerz bei Verletzungen, hindurchkämpfen.
Hält man sich an den Spruch, um in einer Ausdauersituation gegen die Ermüdung anzukämpfen oder im Training eine Übung ein weiteres Mal zu wiederholen – dann ist er wahrscheinlich hilfreich, weil er motivierend wirkt.
Schmerzen hingegen deuten auf ein Problem hin, das unbedingt untersucht und korrigiert werden muss, um weiteren Schaden zu vermeiden. Viele Sportler und Fitnessfans kämpfen jedoch regelmäßig gegen ihre Schmerzen an. Um die Schmerzen auszublenden, setzen sie über längere Zeiträume Eissprays und entzündungshemmende Salben und Tabletten ein. Die meisten Menschen wissen nicht, wofür der Schmerz eigentlich steht. Unser Körper ist intelligent – durch den Schmerz signalisiert er uns, dass etwas nicht in Ordnung ist. In einer Zeit der medizinischen Wunder und schnellen Abhilfen sehen wir Schmerzen hingegen eher als ein Ärgernis, das uns von Wichtigerem, also dem Training, abhält. Tatsächlich sind Schmerzen jedoch immer ein Signal für eine tieferliegende Störung im Körper.
Die PECH-Behandlung
Bei entzündeten Sehnen, Gelenken, Bändern und Muskeln gibt es nichts Besseres als die altbewährte PECH-Behandlung. PECH steht für Pause, Eis, Compression und Hochlagern. Wenn Sie also pausieren, kühlen, einen Druckverband anlegen und auf richtige Lagerung achten, bleibt die Frage, wodurch bzw. warum es zur Verletzung kam.
Sind weder Sturz noch Aufprall der Grund, haben Sie es wahrscheinlich mit einem Mikrotrauma durch Überlastung zu tun – verursacht durch fehlgeleitete Energie, eine Schwachstelle, einen Be- oder Überlastungspunkt oder gar eine Zerrung. Wenn Sie auf Ihren Körper hören, wird sich das auf lange Sicht auszahlen. Es ist erstaunlich, wie viele Sportler sich weigern, auch nur eine oder zwei Trainingseinheiten auszusetzen, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Dabei wären sie doch – nach einer kurzen Trainingspause und mit ein wenig physiologischer Nachhilfe – in ein oder zwei Wochen mit einem neuen Verständnis ihrer Schwachstellen und vielleicht sogar mit besseren Bewegungsmustern wieder am Start.
Wahrnehmung ist alles!
Wenn Sie wissen, was Ihr Gegner vorhat, was hinter der nächsten Kurve lauert, wie ein Ball springen wird, dann sind Sie klar im Vorteil. Ihr Körper versucht, genauso vorauszublicken. Verhärtungen oder Schwachstellen sind nirgendwo erwünscht. Überlastete oder geschwächte Muskeln können zu Fehlstellungen im Gelenk führen. Steife Gelenke oder Gelenke mit einer Achsabweichung sind weniger tragfähig und arbeiten nicht effizient. Gleichzeitig leidet auch die Kommunikation innerhalb des Körpers und ist somit weniger effektiv. Ja! In der Tat: Gelenke können sprechen! Sie sprechen mit Ihrem Gehirn. Ebenso die Muskeln – auch sie kommunizieren mit dem Gehirn –, und Gelenke und Muskeln sprechen ihrerseits wiederum untereinander. Arbeiten Gelenke und Muskeln nicht effektiv zusammen, dann fehlen auch dem Gehirn die Informationen, die es zum Agieren und Reagieren mit korrekten Bewegungsabläufen benötigt. So fehlen beispielsweise wichtige Informationen wie »Der Haken ist zu scharf – du wirst wegrutschen« oder »Stoppe auf dem linken, nicht dem rechten Fuß – sonst verlierst du das Gleichgewicht«. Viele Athleten glauben, dass die Verbindung oder Kommunikation zwischen Kopf und Körper eine Einbahnstraße wäre. Natürlich erteilt das Gehirn dem Körper Anweisungen, doch der Körper antwortet auch. Es findet eine ständige Zwei-Wege-Kommunikation zwischen Körper und Kopf statt – wie ein Dialog. Gelenke und Muskeln übermitteln eine Menge Informationen, die für das Auge unsichtbar sind. Bei Training und Wettkampf, auf dem Spielfeld oder im Stadion können die Augen immer nur an einem Ort sein. Den Rest erzählt der Körper.
Die innere Ausgeglichenheit fördert auch das äußere Gleichgewicht.
Die Gelenke machen Angaben zur Stellung und Lage des Körpers anhand ihrer Position und Bewegung. Muskeln geben durch ihre Anspannung Aufschluss, wie und mit welchem Intensitätsgrad Sie sich bewegen. Das Gehirn sortiert diese Informationen und kombiniert sie mit dem, was Sie hören und sehen. Aus all diesen Detailinformationen wird die Wahrnehmung dessen, was Sie gerade tun, zusammengesetzt und abgespeichert. Diese Wahrnehmung ist wichtig, und Sie müssen noch nicht einmal aktiv darüber nachdenken. Denkprozesse im Wettkampf, wo es auf schnelle Entscheidungen und Abläufe ankommt, dauern einfach zu lang und signalisieren, dass Sie offensichtlich den durch Training und wiederholtes Üben angeeigneten und somit automatisierten Fertigkeiten nicht trauen. Das soll nicht heißen, dass Planung und Vorbereitung nicht notwendig wären und Sie einen Wettkampf quasi stets automatisch bestreiten. Tatsächlich machen Planung und Vorbereitung es erst möglich, mit der notwendigen Lockerheit an den Start zu gehen. Bleiben Sie also »relaxed«, trotzdem aber konzentriert und bereit für die Wahrnehmungen Ihres Körpers, damit Sie die notwendigen Bewegungsmuster ohne ständige reflektierende Kontrolle abrufen können. Im Training verhält es sich genauso: Reißen Sie nicht nur Ihre Übungen runter – hören Sie auf Ihren Körper! Das Konzept der Wahrnehmung kann auch auf den Bereich der Schmerzen angewandt werden.
Wenn Sie Schmerzen haben, sollten Sie sich dessen auch bewusst sein.
Behandeln Sie sie nicht als Hindernis, sondern wie ein Puzzle. Es ist eine Aufgabe, die Sie lösen müssen. Sportmediziner, Trainer und Physiotherapeuten können Ihnen dabei helfen, aber es ist und bleibt Ihr Problem. Wenn Sie selbst es nicht lösen können, holen Sie sich so lange Hilfe, bis Sie jemanden finden, der Ihnen eine logische Erklärung und einen möglichen Ausweg bieten kann. Für schnelle Lösungen und Verschleierung von Schmerzen werden Sie auf lange Sicht teuer bezahlen müssen. Denken Sie immer daran: Wenn Sie Schmerzen verdrängen, verdrängen Sie auch eine Schwachstelle, einen Energieverlust, und Sie verpassen eine Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln und eine bessere Wahrnehmung des eigenen Körpers zu erlangen. Auch wenn ein Sportarzt Ihnen in Sachen Schmerzen hilft , müssen Sie trotzdem herausfinden, wo die Ursache des Problems liegt. Machen Sie Ihrem Arzt deutlich, dass Sie die Schmerzen nicht unterdrücken wollen. Fragen Sie ihn, ob nicht eine tiefer liegende Schwachstelle im Körper zu dem aktuellen Problem geführt haben könnte. Fragen Sie, wie Sie dieses Problem in Zukunft vermeiden können. Seien Sie ein intelligenter Athlet, ein aufgeklärter Patient. Ein Sportler mit einer unterschwelligen oder langwierigen Verletzung oder einem ungelösten Problem sollte sein Training nicht auf dieser fehlerbehafteten Grundlage weiterführen geschweige denn aufbauen.
Gehen Sie das Problem aktiv und intelligent an. Hüten Sie sich vor schnellen Patentlösungen und »Helfern«, die weder erklären können, warum das Problem aufgetreten ist, noch nachweisen können, wie man es unter Kontrolle bringen kann. Die Fachleute der Sportmedizin sind da nicht anders als die Trainer: Sie vertreten eine festgelegte Meinung und halten bei dem, was sie tun, an ihr fest. Verhalten Sie sich also wie ein informierter Verbraucher bzw. Patient, und stellen Sie sicher, dass die Problemerklärung (Diagnose) und die Abhilfe (Therapie) sinnvoll sind. Sind sie das nicht, lassen Sie sich die Situation nochmals erläutern, oder wenden Sie sich an einen anderen Experten.
Von Gray Cook – Der perfekte Athlet: Spitzenleistungen durch Functional Training
GRAY COOK ist Physiotherapeut und zertifizierter Orthopäde. Er ist in Schulen, Colleges und Profi Sportverbänden als Fitnesstrainer mit dem Schwerpunkt Kraft Entwicklung tätig. Zudem ist er ein gefragter Redner sowie Berater der NFL, NBA, NHL, WNBA. Seine innovative Forschung und Methodik hat Eingang in viele Publikationen gefunden und ist heute integraler Bestandteil des Trainings von Profi Sportlern. Er lebt in Danville, Virginia