Die maximale Laktatbildungsrate – Was taugen anaerobe Tests?

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Leistungsdiagnostische Tests mit dem Ziel, Ihre aerobe Leistungsfähigkeit messen zu können, sind weit verbreitet. Weniger bekannt sind Messverfahren zur Beurteilung der anaeroben Kapazitäten.

Auch wenn diese Testverfahren teilweise kommerziell angeboten werden, ist ein Nutzen für den Sportler bei aktuellen Testverfahren fraglich. So wird entweder die Testdauer hinterfragt oder grundsätzlich darauf hingewiesen, dass die VLamax nicht über das Kapillarblut gemessen werden kann.(1) Dies liegt an den vielfältigen Einflussgrößen der Laktatbildungsrate und der Laktatelimination sowie der grundsätzlichen Bedeutung des Laktats.(2)

 

Der Wingate-Test

Der Wingate-Test ist ein anaerobes Testverfahren, das insbesondere in Studien zu Trainingseffekten weit verbreitet ist. Eingesetzt wird es z. T. auch in der Leistungsdiagnostik. Der Sportler wird bei diesem Test innerhalb einer kurzen Zeit (30 Sekunden) ausbelastet. Nach einer Aufwärmphase von 5–10 Minuten mit anschließender kurzer Pause von wenigen Sekunden, wird die Testperson maximal belastet. Dabei wird die Leistung in Abhängigkeit vom Körpergewicht gesteigert. Die maximale Leistung wird drehzahlabhängig erfasst, wobei der Widerstand bei ca. 7,5 % des Körpergewichts eingestellt wird. Bei einer solch hohen Belastung erreicht der Sportler bereits kurz nach Beginn des Tests eine maximale Leistung, die im Anschluss an das Erreichen des Höchstwerts bis zum Ende des Tests abfällt. Die maximale Leistung (Peak Power – PP) soll dabei identisch mit der maximalen alaktaziden Leistungsfähigkeit sein. Die Energiebereitstellung erfolgt also zunächst über die lokalen Speicher von energiereichen Phosphaten, dem Adenosintriphosphat (ATP) und dem Kreatinphosphat (KP). Neben der Peak Power wird außerdem die Mittlere Leistung innerhalb des 30-Sekunden-Intervalls, die so genannte Mean Power (MP) gemessen. Auch der niedrigste Leistungswert, die Lowest Power (LP), gehört zu den erfassten Parametern.

 

Reichen 30 Sekunden aus?

Das Messen der anaeroben Kapazitäten durch den Wingate-Test unterliegt verschiedenen Kritikpunkten. In erster Linie wird kritisiert, dass die Dauer des Tests nicht ausreicht, um die maximale Kapazität ausdauertrainierter Sportler zu erreichen. Verschiedene Autoren versuchten deshalb auf dem Wingate-Test basierend eigene Verfahren zu entwickeln, mit denen auf Basis von 60–90 Sekunden Testdauer gearbeitet werden soll.(1) Allerdings entstehen auf molekularbiologischer Ebene sehr viele Einflussgrößen, die die Aussagekraft von anaeroben Testverfahren grundsätzlich beeinflussen. So stellt sich die Frage, ob nach derzeitigem Wissensstand das Anwenden eines Testverfahrens zur Erfassung der anaeroben Energiebereitstellung Sinn macht.

 

Die maximale Laktatbildungsrate – Ein Testverfahren mit Aussage?

Im Bereich der Leistungsdiagnostik hat das Angebot zum Messen der maximalen Laktatbildungsrate zugenommen. Ausgangspunkt ist die Idee, so Unterschiede zwischen sehr guten aeroben Kapazitäten bei einer niedrigen Laktatbildungsrate erfassen zu können, bzw. hohe Laktatbildungsraten als Bezug zu Sprintfähigkeiten zu sehen. Im Radsport sollen so Trainingsmethoden auf die maximale Laktatbildungsrate abgestimmt werden, um Schwächen ausgleichen zu können. Die maximale Laktatbildungsrate (VLamax) soll bei ausdauertrainierten Sportlern niedriger sein, um den aeroben Stoffwechsel nicht negativ zu beeinflussen, und bei Sprintern höher. Theoretisch erreicht die anaerobe Glykolyse – also der Kohlenhydratstoffwechsel ohne Sauerstoff – die höchste Aktivität bei kurzzeitigen Belastungen um 15 Sekunden. Zum Bestimmen der maximalen Laktatbildungsrate wird auf einem Ergometer eine maximale Ausbelastung innerhalb von rund 15 Sekunden angestrebt. Nach Testende wird im Abstand von 1–2 Minuten die Laktatkonzentration bestimmt – und zwar so lange bis die Laktatkonzentration im Blut wieder abnimmt. Durch das Bestimmen der maximalen Laktatkonzentration und der Dauer der Belastung wird nun die maximale Laktatbildungsrate bestimmt:

VLamax = Lmax / t Test

Durch die kurze Belastungszeit soll die Laktatelimination vernachlässigt werden. Man geht so davon aus, dass der maximale Wert des Nachbelastungslaktats ein zuverlässiges Maß für die Laktatbildungsrate darstellt. Leider ist dem nicht so, da viele Aspekte nicht erfasst werden und dazu führen, dass das Bestimmen der VLamax fehleranfällig ist.

 

Die Mischung macht’s!

Ein Grundproblem beim Erfassen der anaeroben Kapazitäten ist, dass es zum einen anaerobe Stoffwechselwege gibt, die ohne das Bilden von Laktat auskommen, während zum anderen Laktat ein Stoffwechselzwischenprodukt des anaeroben Stoffwechsels ist. Ein Abgrenzen beider Stoffwechselwege ist jedoch nicht möglich. Der anaerob-alaktazide Weg der Energiebereitstellung greift auf energiereiche Phosphate zurück, die in sehr begrenztem Umfang in der Arbeitsmuskulatur gespeichert sind. Dabei werden Kreatinphosphat (KP) und Adenosintriphosphat (ATP) genutzt, um sehr schnell Energie bereitstellen zu können. Da diese Speicher nach ca. 6–10 Sekunden erschöpft sind, muss der Körper auf andere anaerobe Stoffwechselwege zurückgreifen, um möglichst schnell weiteres ATP bilden zu können. Die Entspeicherung und die Flussrate der energiereichen Phosphate ist somit eine erste Einflussgröße auf die anaeroben Fähigkeiten und kann bei keinem der bekannten Testverfahren quantifiziert bzw. gemessen werden. Aussagen zur Laktatbildungsrate und zu den anaerob-alaktaziden Kapazitäten haben durch diese Tatsache bereits eine große Fehleranfälligkeit. Auch begleitende Parameter wie das Ammoniak sind nicht geeignet, um Rückschlüsse auf die anaerob-alaktaziden Kapazitäten zu ermöglichen, was sich anhand von nicht vorhandenen Zusammenhängen in Studien nachweisen lässt.(3)

 

Laktatbildung ist in kurzen Tests nicht valide messbar

Die Laktatbildungsrate in der Muskulatur ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Eine sehr große Einflussgröße ist beispielsweise die Muskelfaserstruktur. Bei Fasern, die primär glykolytisch arbeiten, kann sie das 4-fache der Menge an Laktat betragen, die in primär oxidativen Muskelfasern gebildet wird.(2) Auch die Verteilung eines wichtigen Enzyms, das die Bildung von Laktat katalysiert, ist ein wichtiger Faktor. Die Aktivität der Laktat-Dehydrogenase (LDH) unterscheidet sich ebenfalls stark innerhalb der verschiedenen Muskelfasertypen. Aber auch der Abbau von Laktat innerhalb der Muskelfasern ist abhängig von der Struktur dieser Fasern. So beginnen Muskelfasern, die oxidativ geprägt sind und demnach bei Ausdauersportlern gehäuft vorkommen, bereits bei einer Laktatkonzentration von 1–2 mmol mit dem Wechsel von einer Netto-Laktatabgabe zur Netto-Laktataufnahme.(2) Dies bestimmt die Laktataufnahme und Elimination und damit auch die Blutlaktatkonzentration. Der Laktattransport ist durch die Affinität zu den Transportern und der Transportergeschwindigkeit bestimmt.(2) Die Transportkapazität beeinflusst somit ebenfalls die Laktatakkumulation und damit auch die Dynamik des Laktats. Während in einem Stufentest mit entsprechendem Wissen und in Auswertungsverfahren, die insbesondere die aeroben Kapazitäten, also das Basislaktat berücksichtigen, individuelle Verläufe beschreiben können, stößt das Messen der maximalen Laktatbildungsrate hier an seine Grenzen. Um eine exakte Aussage zur VLamax treffen zu können, müsste das Messen der Werte innerhalb der Arbeitsmuskulatur erfolgen. Dies ist derzeit messtechnisch unmöglich, so dass das Bestimmen der VLamax über Kapilarblut aus dem Ohr oder der Fingerbeere als wissenschaftlich derzeit nicht haltbar eingeschätzt werden muss. Der Einsatz in der Leistungsdiagnostik ist somit eher mit Skepsis zu betrachten.

 

Laktatparadox

Laktat galt lange Zeit als Stoffwechselendprodukt. Allerdings zeigt sich in Studien, dass in der trainierten Muskulatur Laktat auch der aeroben Energiebereitstellung zugeführt werden kann, in dem es am Bildungsort und auch an entfernten Zellen verstoffwechselt wird.(2) Die Muskulatur ist somit der Ort, an dem das meiste Laktat auch wieder abgebaut werden kann. Demnach dient Laktat sogar bei niedrigeren Intensitäten von 55 % der VO2max als Energielieferant, so dass die Laktatoxidation stark ansteigt.(2)

 

Fazit

Anaerobe Testverfahren sind für den Einsatz in der Sportlerberatung nur begrenzt geeignet. Das liegt zum einen an den messtechnischen Problemen, zum anderen aber auch an der begrenzten Aussagekraft. Bezogen auf die Laktatdiagnostik ist der Laktatstufentest, der nach wie vor zu den Standards der Sportmedizin gehört, geeignet Ihre Trainingsbereiche zu ermitteln und Leistungsveränderungen belegen.(4)

Lesen Sie dazu auch: Was ist mein Trainingsbereich und wie ermittele ich ihn?

  

Dennis Sandig

 

Literaturangaben:

1. Journal of Sports Science and Medicine, 2003, Bd. 2, S. 151–157.

2. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 2009 , Bd. 57 (3), S.100–107.

3. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2002, Bd. 53 (7&8), S. 202–212.

4. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 2001, Bd. 49 (2), S. 57–66.

 

Fachsprache:

Laktat – entsteht bei der anaeroben Kohlenhydratoxidation

Oxidativ – mit Sauerstoff

Glykolyse – Abbau von Glukose

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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